Bildung auf einen Blick: Einige Lichtblicke und viel Schatten
Bei Kitas, bei Krippen, bei höheren Schulabschlüssen und beim Anteil der Studierenden pro Altersjahrgang hat sich laut OECD-Bildungsbericht 2014 in Deutschland einiges getan. Aber bei den Hochschul-, Fachhochschul- oder Meister-Abschlüssen hängt unser Land nach wie vor hinterher. Von einem „Akademikerwahn“ kann keine Rede sein. Im Land mit der hochgelobten „Dualen Ausbildung“ beziehen Akademiker ein um 74% höheres Einkommen. Das Auseinanderdriften der Einkommen ist umso dramatischer, als die Möglichkeit, sich hochzuarbeiten, in Deutschland gering ist.
Die Behauptung, berufliche Bildung und ein Studium seien „gleichwertige Alternativen“, ist falsch. Gäbe es tatsächlich einen Mangel an beruflich gebildeten Fachkräften, so hätten sich die Lohnunterschiede nicht so weit auseinander entwickeln können. „Aufstieg durch Bildung“ ist für sozial Benachteiligte ein leeres Versprechen.
Von Wolfgang Lieb.
Als „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ verfolgt die OECD im Bildungsbereich einen „Humankapital“-Ansatz, d.h. das Erkenntnisinteresse des Bildungsberichts ist die Rentabilität der Investitionen in Bildung für den Einzelnen und für die Volkswirtschaft. Spätestens seit den großen Bildungsreformen Mitte der 60-iger Jahre in Deutschland konnte man jedoch beobachten, dass – zumindest was die quantitativen Maßzahlen anbetrifft – das eher technokratischen Bildungsverständnis mit den emanzipatorischen Bildungsreformanstrengungen vielfach zusammenwirkte. Oder anders ausgedrückt, ohne den wirtschaftlichen Druck hätten auch emanzipatorische Reformen politisch wohl kaum Verwirklichungschancen gehabt. Ohne den Sputnik-Schock und ohne das dadurch ausgelöste Alarmsignal einer „Bildungskatastrophe“ durch den konservativen Pädagogen Georg Picht hätten auch die reformerischen Impulse für mehr Chancengleichheit (quantitative Erweiterung) und einer Demokratisierung des Bildungswesens unter der sozial-liberalen Koalition vermutlich nicht so große Erfolge gehabt.
Aus diesem Grunde lohnt sich eine Beschäftigung mit dem ökonomisch ausgerichteten „Bildungsbericht 2014“ der OECD. Vor allem aber sollten mit den Ländervergleichen kritische Fragen an unser Bildungssystem aufgeworfen werden.
In Deutschland erwerben zwar so viele Junge Leute wie noch nie einen tertiären Abschluss (Hochschul-, Fachhochschul- oder Meister-Abschluss), beim Anteil der Erwachsenen mit einem Abschluss im Tertiärbereich (Studium) im Jahr 2012 liegt unser Land jedoch mit 28 % unter dem OECD-Durchschnitt (33%) und neben Österreich deutlich unter allen westeuropäischen Ländern und Industriestaaten.
Deutschland hat auch seit 2000 relativ wenig aufgeholt.
Spiegelverkehrt liegt der Anteil der Bevölkerung zwischen 25 – 64 Jahren mit einem Abschluss im Sekundarbereich (ganz überwiegend berufsbildend) in Deutschland mit knapp 60 Prozent deutlich über dem OECD-Durchschnitt und über dem Niveau der westlichen Industriestaaten.
Das hängt natürlich auch mit der Tradition der Dualen Berufsbildung in Deutschland zusammen, die ja eher positiv zu bewerten ist. Die Innovationsleistungen und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Erfolge Deutschlands in der Vergangenheit haben viel mit dem Ineinandergreifen von theoretischer und praktischer Ausbildung zu tun.
Nimmt man allerdings weniger den volkswirtschaftlichen, sondern eher den subjektiv-individuellen Blickwinkel ein, so liegt auch in Deutschland die Erwerblosenquote der Akademiker mit 2,4% deutlich niedriger als derjenigen mit einer Sekundar-Ausbildung (5,3 %). Nach wie vor schlimm sieht die Arbeitslosigkeit auch bei uns bei Menschen mit geringer Qualifikation aus, die Quote liegt bei 12,8% – bei den Jüngeren zwischen 25 und 34 Jahren sogar bei 19 Prozent.
Die Einkommensunterschiede zwischen den verschiedenen Bildungsstufen haben zwar in fast allen Ländern zugenommen, aber in kaum einem anderen Land hat sich die Schere zwischen Hochschulabsolventen bzw. Meistern und denjenigen, die nach Realschule oder Abitur keinen tertiären Abschluss gemacht haben, soweit auseinander entwickelt, wie im Land mit der hochgelobten Dualen Ausbildung. Lag der Vorsprung 2000 von Akademikern bei uns noch bei 45%, so verdienten 2012 Berufstätige mit tertiärem Abschluss 74% mehr als andere.
Die Behauptung von Bundesbildungsministerin Wanka, dass in Deutschland jungen Leuten mit der beruflichen Bildung und einem Studium „zwei gleichwertige Alternativen zur Verfügung“ Stünden, ist im Hinblick auf das Einkommen schlicht falsch.
Auch die Klagen der Arbeitgeberseite über einen vorhandenen oder drohenden Fachkräftemangel entpuppen sich angesichts solcher Lohnspreizungen als heiße Luft. Gäbe es diesen Mangel an beruflich gebildeten Fachkräften wirklich, so hätten sich nach allen Gesetzen der Ökonomie die Lohnunterschiede nicht so weit auseinander entwickeln dürfen.
Dieses Auseinanderklaffen ist umso dramatischer, als die Aufstiegsmobilität, also die Möglichkeit sich hochzuarbeiten, in Deutschland sehr gering ist.
Der „Akademisierungswahn“ von dem Viele sprechen ist also kein „Wahn“, sondern ein Studium oder ein Meisterkurs zahlen sich in Euro und Cent aus. Und von einem „akademischen Proletariat“ kann (noch) keine Rede sein.
Die Erhöhung der Quote der Studierenden, wie sie die OECD fordert, bedeutet allerdings für die Zukunft nicht gleichzeitig auch mehr Arbeitsplatzsicherheit und höhere Löhne, die Zunahme der Konkurrenz der Arbeitnehmer mit einem tertiären Abschluss, dürfte die eher das Gegenteil bewirken.
Der OECD-Bildungsbericht spricht bei der unteren Hälfte des Lohnspektrums von der Gefahr einer „Aushöhlung der Mitte“ und will damit sagen, dass sich die Einkommen der mittelgut Qualifizierten den Niedriglöhnern annähern. Der Bericht bestätigt also die zunehmende Spreizung bei den Löhnen.
Um von der Einkommens- und Verteilungsungerechtigkeit abzulenken, wird ja vor allem von konservativer Seite, aber auch von Sozialdemokraten ständig auf den Fluchtpunkt „Chancengerechtigkeit“ verwiesen. Bildung wird als „Königsweg“ aus der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft in arm und reich angepriesen. Leider bescheinigen die Bildungsberichte der OECD Jahr für Jahr, dass die Bildungsmobilität (also der soziale Aufstieg durch Bildung) in Deutschland so gering ist, wie in kaum einem anderen OECD-Land.
Nur ein knappes Viertel der 25- bis 64-Jährigen sind besser ausgebildet als ihre Eltern (im OECD-Durchschnitt sind das immerhin 38%) und 18% bleiben hinter der Qualifikation der Vorgängergeneration zurück. Noch düsterer sieht es bei den jungen Erwachsenen bis 34 Jahre aus: Hier sind nur 19% höher gebildet als ihre Eltern und ein knappes Viertel hat einen niedrigeren Abschluss. Der Traum „Mein Kind soll es einmal besser haben“ scheint also ausgeträumt.
Quelle: Die Welt
Es wird in Deutschland in allen Sonntagsreden über „Chancengerechtigkeit“ in der Bildung geredet, an der Schaffung von tatsächlichen Voraussetzungen für mehr „Chancengleichheit“ hat sich seit Jahren jedoch nichts getan. In jedem nationalen oder auch internationalen Bildungsbericht wird darauf hingewiesen, wie stark Qualifikation der Kinder vom sozialen Hintergrund der Familien abhängt. So auch der OECD-Bildungsbericht 2014: „In Deutschland gehen Kinder von hochqualifizierten Eltern mit einer mehr als doppelt so großen Wahrscheinlichkeit an die Uni, Fachhochschule oder in Meisterklassen wie Kinder von Mittel- und Niedriggebildeten.“
Heino von Meyer, Leiter des OECD Berlin Centres, bei der Vorstellung des Berichts in Berlin: „Gerade für Schüler aus sozial schwachen Familien bleibt das Versprechen ‚Aufstieg durch Bildung‘ häufig in weiter Ferne.“ Er hätte besser davon geredet, dass sich soziale Benachteiligung innerhalb der Generationen fortpflanzt und dass der Bildungsaufschwung nicht zu mehr Chancengerechtigkeit geführt hat.
Die Bundesregierung und manche Landesregierung rühmen sich, dass sie trotz aller Haushaltskürzungen die Ansätze für die Bildung erhöht hätten. Tatsache ist und bleibt, dass das so exportabhängige Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit zwar mit Lohndumping ausgebaut hat, aber wie im Bereich seiner Infrastruktur auch bei der Bildung nicht in die Zukunft investiert. Die OECD attestiert Deutschland erneut nicht nur, dass es bei den Ausgaben für Bildungseinrichtungen gemessen am BIP im hinteren Drittel liegt, sondern darüber hinaus, der Anteil in der letzten Dekade sogar gesunken ist. Deutschland liegt mit 5,1 Prozent unter dem OECD-Durchschnitt von 6,1 Prozent.
Quelle: OECD
Siehe dazu auch: Investitionsstau in der vermeintlichen Bildungsrepublik
Zum OECD-Bericht „Bildung auf einen Blick 2014“ erklärte Elke Hannack, stellvertretende DGB-Vorsitzende, am Dienstag in Berlin:
„Der OECD-Bericht zeigt: Die Dauerbaustellen der Bildungspolitik bleiben bestehen. Die soziale Auslese verfestigt sich. Mittlerweile hat fast jeder vierte junge Mensch im Alter von 25 bis 34 Jahren einen niedrigeren Bildungsabschluss als seine Eltern. Nur 5,1 Prozent seiner Wirtschaftsleistung investiert Deutschland in Kitas, Schulen, Hochschulen oder Weiterbildung. Der OECD-Schnitt liegt bei 6,1 Prozent. Wir haben einen Investitionsstau in der vermeintlichen Bildungsrepublik. Bund, Länder und Kommunen müssen mehr für die Qualität der frühkindlichen Bildung, Inklusion in der Schule, die soziale Öffnung der Hochschulen und ein staatliches Weiterbildungssystem leisten. Ohne frisches Geld werden diese Reformen nicht gelingen.
Der OECD-Bericht zeigt auch: Das duale System der Berufsausbildung ist gut, die Jugendarbeitslosigkeit ist bei uns vergleichsweise niedrig. Aber: Man kann nicht in Sonntagsreden die Bedeutung der beruflichen Bildung in Deutschland bejubeln, während sich laut OECD gleichzeitig die Einkommensschere zwischen Akademikern und beruflich Qualifizierten weiter öffnet. Es reicht nicht, dass Bundesregierung und Arbeitgeber in Hochglanzkampagnen für eine Berufsausbildung im Betrieb werben. Nur wer jungen Menschen gute Karriereperspektiven und einen anständigen Lohn bietet, wird diese auch für eine berufliche Ausbildung gewinnen können.“
Quelle: DGB