Der „Bildungsmonitor“, die bildungspolitische Messlatte der Arbeitgeber
Seit 2004 erstellt das „Institut der deutschen Wirtschaft“ (IW), der „wissenschaftliche Schreibtisch“ für die arbeitgeberfinanzierte PR-Agentur „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) jährlich einen sog. „Bildungsmonitor“. Mit „Bildung“ im allgemeinen Verständnis haben jedoch die in diesem Ranking miteinander verglichenen Handlungsfelder und Indikatoren allenfalls am Rande etwas zu tun. Schon der Begriff „Bildungs“-monitor ist eine Irreführung, die Studie ist allenfalls ein „Fachkräftesicherungs“-monitor. Doch selbst für dieses bildungspolitisch beschränkte Leitziel hat das durch die Medien geisternde Länder-Ranking kaum einen sachlich begründeten Aussagewert. Der „Bildungsmonitor“ ist – wie eben auch andere Studien des IW – die Übertragung von arbeitgeberinteressengebundenen Anforderungen auf das Feld der Bildungspolitik.
Von Wolfgang Lieb
Der „Bildungsmonitor“ ein Medienevent
Man kann dem IW nicht einmal den Vorwurf machen, dass es seinen beschränkten „Bildungs“-Begriff nicht ganz offen einräumte. Schon in der Einleitung zur Presseerklärung heißt es, dass es bei dem Vergleich darum gehe, „inwieweit es den einzelnen Bundesländern gelingt, mithilfe des Bildungssystems zur Fachkräftesicherung beizutragen“. „Deutschland vergreist langsam, aber sicher“ wird einmal mehr demografischer Alarm geschlagen und das Sozialsystem könne diese Verschiebung von Jung zu Alt nur verkraften, „wenn die arbeitende Bevölkerung künftig produktiver ist als heute.“ (Siehe dort auch den Download zur Studie für die INSM)
Auch in der Studie selbst heißt es gleich am Anfang, dass es „Schwerpunkt des Bildungsmonitors ist…, bildungsökonomische Ziele zu betrachten und den Beitrag des Bildungssystems zur Fachkräftesicherung zu beschreiben.“ Andere Aufgaben des Bildungssystems „Persönlichkeitsentwicklung, Teilhabe, Kultur etc.“ werden durch die Indikatoren nicht erfasst. (S. 5)
Diese Beschränkung auf Fachkräftesicherung und auf die Steigerung der Produktivität von Arbeitskräften ist für Arbeitgeberorganisationen legitim, in der Rezeption des „Bildungsmonitors“ durch die Medien wird aber nahezu durchgängig der Eindruck erweckt, als ginge es ganz allgemein um die „Leistungsfähigkeit“ des Bildungssystems der jeweiligen Länder – nur ganz am Rande wird manchmal auf die auftragsgebende Lobbyorganisation und auf interessenbezogenen Aussagewert der Studie hingewiesen. Diese Verallgemeinerung ist von der PR-Agentur INSM auch so gewollt, schließlich lautet der Titel „Bildungsmonitor“ und eben nicht „Fachkräftesicherungs-Monitor“.
Das Ranking wird in vielen Medien wie eine Tabelle der Fußballbundesliga inszeniert, da ist von „Auf- und Absteigern“, von „Schlusslichtern“ oder von „Spitzenreitern“ die Rede. Es soll von den Urhebern ganz bewusst ein Wettbewerb zwischen den Bildungspolitiken der Länder angestoßen werden, ein Wettbewerb aber, bei dem es um die Erfüllung der von den Arbeitgeberorganisationen vorgegebenen Indikatoren geht. Ziel dieses Rankings ist, einen Rechtfertigungs- und Anpassungsdruck für die Schul- und Hochschulpolitik in den einzelnen Länder an einseitig interessenorientierten bildungspolitischen Handlungsfeldern und dementsprechende Ressourcenentscheidungen zu schaffen. Wenn nicht schon das Trommelfeuer der Medien einen entsprechenden Legitimationsdruck auf die jeweiligen Regierungen erzeugt, so spätestens die parlamentarische Opposition in den Länderparlamenten mit Anfragen oder „Aktuellen Stunden“.
Das ist die PR-Methode mit der die INSM mit Hilfe des IW seit Jahren politischen Druck im Lande macht.
Dass dieser „Bildungsmonitor“ vor allem der Meinungsmache dient, zeigt sich schon darin, dass seit Tagen sich nacheinander Zeitungen und Agenturen brüsten im Besitz dieser Studie zu sein und darüber „exklusiv“ berichten, bevor diese offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die PR-Profis nennen diese Methode, Aufmerksamkeit zu schaffen, „anfüttern“, d.h. man lockt also das scheue Wild (also die Journalisten) an, indem man ein bisschen Futter vor dem Hochstand herumstreut.
Ungleiches wird mit gleichen Maßstäben gemessen
Dabei müsste sich eigentlich jedermann der mit offenen Augen durch die Republik geht von vorneherein fragen, ob ein solches Ranking nicht Ungleiches mit gleichen Maßstäben misst. Wie kann man etwa auf die verwegene Idee kommen, „Bildungsarmut“ (geringere Qualifikation, also fehlende Abschlüsse etc.) zwischen Ländern wie etwa den Stadtstaaten Bremen oder Berlin mit wirtschaftlich relativ prosperierenden Flächenstaaten mit völlig unterschiedlichen Schülerpopulationen zu vergleichen. Kann es z.B. in Regionen, in denen es einen hohen Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund gibt, möglicherweise nicht viel „zeiteffizienter“ sein, mehr Schulen vorzuhalten die in 9 statt in 8 Jahren zum Abitur führen?
12 Handlungsfelder hat das IW zur Fachkräftesicherung und zur Produktivitätssteigerung von Arbeitskräften ausgemacht (Betreuungsbedingungen, Förderinfrastruktur, Internationalisierung, Zeiteffizienz, Schulqualität, Bildungsarmut, Integration, Hochschule und MINT, Forschungsorientierung, Internationalisierung, Ausgabenpriorisierung, Inputeffizienz)
Begrenzter Bezug zur „Bildung“ und zu den selbst gesteckten Leitzielen
Wenn schon der „Bildungsmonitor“ nur einen begrenzten Bezug zur Bildung ganz allgemein hat, so fragt sich inwieweit die Handlungsfelder wenigsten einen eindeutigen Bezug zu den selbst gesteckten Leitzielen Fachkräftesicherung haben.
Bei kaum einem dieser Handlungsfelder kann man im Bildungsmonitor eine empirische fundierte Begründung finden, warum nun gerade diese zur Fachkräftesicherung beitragen könnten. Es werden mehr oder weniger plausible Annahmen getroffen, warum die Handlungsfelder einen Beitrag zu den Leitzielen leisten könnten, deren Erreichung gemessen werden soll. Man könnte auch sagen, es sind Handlungsfelder wie man sie sich aus Sicht der Lobbyorganisationen der Arbeitgeber als sinnvoll vorstellt, mehr aber auch nicht.
Wie beliebig der Zusammenhang zwischen den Leitzielen und den Handlungsfeldern ist, lässt sich schon damit belegen, dass sich die Handlungsfelder und Indikatoren in den vorausgegangen 11 Bildungsmonitoren nur geringfügig verändert haben, aber nahezu jedes Jahr unterschiedliche Leitziele gemessen wurden: 2010 etwa „die Unterstützung des Wachstumspotentials in Deutschland“, 2011 Verbesserung des wirtschaftlichen Wachstums und Fortschritte auf dem Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit, 2012 wurde dann die soziale Teilhabe gemessen.
Wer daraus Handlungsnotwendigkeiten für bildungspolitische Ziele in den Ländern ableiten will, lässt sich also auf relativ willkürliche bzw. eher interessen- oder ideologiegeleitete Handlungsanweisungen der Arbeitgeberseite ein mit darüber hinaus diffusen Zielorientierungen.
„Zeiteffizienz“: Fastfood-Bildung
Ein typisches Handlungsfeld für die Arbeitgeberseite ist schon seit langer Zeit die „Zeiteffizienz“. Dass in Deutschland nahezu flächendeckend das Abitur nach 8 Jahren und darüber hinaus das 6-semestrige Bachelor-Studium eingeführt wurde, hat mit den jahrzehntelangen Klagen der Arbeitgeberverbände zu tun, dass in Deutschland gemessen an anderen Industrieländer die jungen Menschen zu lange in Ausbildung seien und zu spät in den Beruf einträten. Fastfood-Bildung, d.h. dressiertes Personal ist seit langer Zeit im Sinne der Wirtschaft.
Insoweit ist es nur konsequent, dass im neuen „Bildungsmonitor“ eine Lanze für die Beibehaltung von G8 geschlagen wird, ja sogar die Wahlfreiheit zwischen G8 oder G9-Angeboten wird negativ bewertet.
Mit einer Zusammenstellung einer Vielzahl von Studien soll belegt werden, dass die Schulzeitverkürzung kaum negative Auswirkungen gehabt habe. Aus den Studien sind aber auch keine positiven Effekte abzuleiten. Und für das Leitziel des „Bildungsmonitors“, nämlich die Fachkräftesicherung kann das Kriterium der „Zeiteffizienz“ schon gar nichts hergeben. Die Autoren müssen eingestehen:
„Vertiefende empirische Untersuchungen der Kompetenzen der G8- und G9-Schüler im Vergleich stehen allerdings noch aus.“ (S. 86)
Und ob kürzere Ausbildungszeiten dauerhaft mehr und ob dadurch vor allem produktivere Fachkräfte sichern, ist eine völlig offene Frage.
Der Bezug des Handlungsfeldes Zeiteffizienz zum Leitziel des Monitors ist jedenfalls an den Haaren herbeigezogen.
Es geht um die Amortisierung von Bildungsinvestitionen
An diesem Beispiel und an verschiedenen Indikatoren, an denen die Zeiteffizienz gemessen wird, kann man erkennen, dass es den Autoren des Textes um etwas ganz anderes als um Bildungsinhalte geht. Es geht ihnen vor allem um die „Amortisierung von Bildungsinvestitionen“ oder kurz um Kosteneinsparungen. Bei Klassenwiederholungen etwa geht es nicht um die pädagogische Sinnhaftigkeit sondern um die Kosten, die dadurch verursacht werden. Obwohl die Studienabbruchquoten beim Bachelor-Studium gleich hoch geblieben sind wie beim Diplom-Studiengang, wird positiv gewertet, dass der Studienabbruch früher erfolgt. Die frühe Einschulung wird deshalb als Vorteil gewertet, weil die betroffenen Schüler früher mit einer Ausbildung oder einem Studium beginnen und früher ins Erwerbsleben eintreten können, „so dass ceteris paribus Zeit für die Amortisierung der Bildungsinvestitionen“ gewonnen wird.
Man fragt sich, wie es eigentlich möglich war, mit den allgemein üblichen längeren Diplomstudiengängen solche Fachkräfte auszubilden, mit denen es gelungen ist, mit deutschen Produkten qualitativ führend in der Welt zu werden, ja sogar „Exportweltmeister“ geworden zu sein.
Vergleich bei völlig unterschiedlichen Bedingungen
Ähnlich sieht es mit der Messung der „Schulqualität“ aus, hier werden die (problematischen) Testergebnisse der verschiedenen Schülerleistungsvergleiche (IGLU, TIMSS, PISA) und vor allem die Ländervergleiche des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) in einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Wirtschaftswachstum gestellt (man schreibt also nur frühere Bildungsmonitore ab) und schließt daraus weiter auf eine höhere Produktivität der Arbeitskräfte. Das ist zunächst einmal nichts mehr als eine plausible Behauptung, der Frage ob die „Schulqualität“ einen Einfluss auf die Produktivität der einzelnen Bundesländer hat oder hatte wird jedoch nicht nachgegangen.
Hinsichtlich der Handlungsfelder „Integration“, „Berufliche Bildung“ oder auch „Hochschule und MINT“ werden zwar eine Menge von (teils sehr einseitigen) Studien aufgezählt, die die Bedeutung dieser Handlungsfelder für das Wirtschaftswachstum, für die Chancen auf dem Arbeitsmarkt herausstellen, es ist jedoch schlicht unsinnig hieraus jeweils einen „Qualitäts“-Vergleich der Bildungssysteme in den verschiedenen Ländern zu konstruieren. Viel zu unterschiedlich sind die Bevölkerungsstrukturen, zu verschieden ist die wirtschaftliche Situation und damit z.B. die Nachfrage nach Auszubildenden, zu groß ist der Brain-drain der (MINT-) Universitätsabsolventen (vor allem in den Süden der Republik), als dass man für alle Länder die gleichen Erfolgs- oder Misserfolgsindikatoren anlegen könnte.
(Wie einseitig die Auswahl der Studien ist, zeigt sich zu z.B. an der Frage „Studiengebühren ja oder nein?“, wo es dann lapidar heißt: „Studiengebühren haben das Potenzial, das Bildungssystem gerechter zu machen, da sie zu einer verursachergerechten Verteilung von Kosten und Nutzen eines Studiums beitragen.“ (S. 69) Vgl. dazu hier und hier)
Priorität gemessen an was?
Die „Ausgabenpriorisierung“ wird in der Studie an Hand der Relation der Bildungsgaben zu den Gesamtausgaben öffentlicher Haushalte gemessen (S. 13). Das ist merkwürdig, denn die international übliche Messgröße ist die Ausgabenhöhe für Bildung im Verhältnis zum BIP. Die Haushalte der Länder sind kein wirklicher Maßstab für politische Prioritätensetzungen. Die Ausgabenstruktur in Ländern oder Stadtstaaten mit hoher Arbeitslosigkeit und damit einem hohen Sozialetat ist mit Regionen höherer Beschäftigung nicht zu vergleichen.
Man kann doch die bildungspolitischen Anstrengungen der Länder nicht dadurch relativieren, dass man sie in Beziehung zu den regional stark streuenden Sozialaufwendungen setzt.
Sachkapital, nicht Personal steigert die Produktivität
Bei der „Inputeffizienz“ wird der gesamte Katechismus der Arbeitgeberseite heruntergebetet und daran die angeblichen Sünden der Bildungspolitik in den Ländern gemessen. Also: Es geht nicht um Erhöhung der Bildungsausgaben, sondern ihren effizienten Einsatz, es geht um ein leistungsbezogenes Vergütungssystem für Lehrer, um privat geführte Schulen vom Staat finanziert, um Autonomie und Wettbewerb zwischen den Schulen, um externe Evaluationen oder es wird behauptet, die Ausbildungsqualität an Hochschulen lasse sich durch die Einführung von Studiengebühren erhöhen.
„Analog zu anderen Wirtschaftsbereichen wird die Annahme getroffen, dass eine höhere relative Ausstattung mit Sachkapital die Produktivität des Lehrpersonals steigern kann (S. 17). Folgt man dieser Logik so führt eine Absenkung der Personalkosten gegenüber den Sachmitteln zu einer positiven Bewertung im Ranking. (Siehe „Black Box Bildungsmonitor“ [PDF – 3,7 MB], S. 57)
Fazit:
Wäre ich Schul- oder Wissenschaftsminister in den im „Bildungsmonitor“ gut gerankten oder aufsteigenden Ländern, so würde ich mir Gedanken darüber machen, ob die Bildung im Lande nicht allzu sehr bildungsökonomisch auf die Produktion Humankapital ausgerichtet ist. Ich würde vor allem ein Auge darauf halten, ob nicht andere wichtige Aufgaben eines Bildungssystems, die dieser Bildungsmonitor ausklammert, nämlich Persönlichkeitsentwicklung, Teilhabe, Kultur etc. zu kurz kommen.
Wäre ich Schul- oder Wissenschaftsminister in einem Land das dieser „Bildungsmonitor“ nicht so gut rankt, so würde ich einfach sagen, dass ich eine andere und umfassendere Bildungspolitik betreiben möchte als das arbeitgeberfinanzierte Institut der deutschen Wirtschaft und die PR-Agentur für eine neoliberale Politik, die INSM.
Was für andere Studien dieser Lobbyorganisationen gilt, also etwa für die Vielzahl der Studien gegen einen Mindestlohn, für die Privatisierung der Altersvorsorge oder für die Rente mit 70 oder für die Senkung der Unternehmenssteuern, gilt eben auch für Studien auf dem Feld der Bildungspolitik. Man muss einfach nur wissen, dass die (wissenschaftlich verbrämten) Empfehlungen dieser Interessengruppen eben auch deren Interessen wiederspiegeln.
Im Übrigen würde ich noch hinzufügen, dass die der Studie zugrunde gelegten Handlungsfelder und Indikatoren selbst zu den bildungspolitisch äußerst beschränkten Leitzielen häufig keinen eindeutigen Bezug haben, sondern häufig nur die Übertragung von interessengebunden, ideologischen Messkriterien auf das Feld der Bildungspolitik darstellen.
Leider dürfte kein Kultusminister den Mut haben, diese Wahrheit auszusprechen.
Aber wenigstens könnten es die Pädagogen und Bildungsfachleute an unseren Schulen und Hochschulen tun. Vielleicht würden ja dann auch die Medien solche Auftragsstudien kritischer beleuchten.
Hinweis: Wer sich intensiver mit der Analyse und der Kritik der „Bildungsmonitore“ beschäftigen möchte, sollte die Studie von Tobias Kaphegyi „Black Box Bildungsmonitor“ [PDF – 422 KB] lesen, dort geht es zwar um den „Bildungsmonitor 2010“, Sie werden jedoch erstaunt sein, wie austauschbar die Leitziele sind die mit den gleichen Indikatoren gemessen werden und wie sich die Argumente wiederholen.
Siehe zur Kritik der Auswertung für Sachsen „Wenn eine effiziente Maschine viel Ausschuss produziert“.