Innenansichten: Pharmareferenten
Die Versprechen, die mit der Gesundheitsreform gegeben worden sind, sind vor allem mehr Qualität, mehr Effizienz und damit Kosteneinsparung. Ergebnisse sind: höhere Krankenkassenbeiträge, mehr Zuzahlung bei Medikamenten und – wenn das immer noch nicht reicht – pauschale Zusatzbeiträge. Gespart werden soll auch bei den Krankenhäusern und bei den Ärzten. Die Pharmaindustrie blieb bei der „Reform“ weitgehend außen vor. Mit diesem Beitrag wollen wir uns mit der Pharmaindustrie, speziell mit deren Marketingkosten für Pharmareferenten beschäftigen. Einer unserer Leser, der Insider ist, gibt uns einen Einblick in das Innen- und Alltagsleben von Pharmareferenten.
Pharmareferenten
Die Pharmaindustrie beschäftigt rd. 16.000 bis 18.000 Pharmareferenten. Diese lassen sich grob unterteilen in
- Referenten für niedergelassene Ärzte
- Klinikreferenten
Gesamt dann wiederum in
- Festangestellte
- Bei „Verleihfirmen“ wie z. B. Pharmex, Innovex, Careforce etc. Angestellte.
Unterscheidungsmerkmal hier ist, dass Festangestellte ein weitaus höheres Gehalt und eine weitaus bessere Ausstattung (z.B. Auto) haben.
Die Pharmareferenten haben i.d.R. KEINE Verantwortung für Umsatz. Das ist z.B. im Klinikbereich den Key-Accountern überlassen, die entsprechende Abschlüsse mit Kliniken oder deren Einkaufsorganisationen abschließen.
Der Pharmareferent ist lediglich ein sprechendes Marketingmaterial.
Aufgabe der Pharmareferenten ist es, den Arzt dazu zu bringen, das Medikament „zum Wohle des Patienten“ zu verschreiben, bzw. in der Klinik zum Einsatz zu bringen.
Es entsteht durch die Arbeit der Pharmareferenten kein direkt messbarer Geschäftserfolg in Form von Abschlüssen oder dgl….
Die fest angestellten Pharmareferenten der großen Unternehmen erhalten ein großzügig bemessenes Gehalt und eine ebenso großzügige Dienstwagenregelung. Kfz wie z.B. 530 d, Audi A 6 oder E-Klasse sind keine Seltenheit. Die Arbeit beschränkt sich dagegen auf den „Besuch“ von Ärzten, auch wenn das Gespräch oft nur wenige Minuten dauert. Dafür wartet ein Pharmareferent oft Stunden auf den Arzt, schleicht über die Gänge der Klinik oder vertreibt sich die Zeit in der Cafeteria. Immer auf der Suche nach potentiellen „Opfern“ unter der Ärzteschaft. Diese ist i.d.R. nur äußerst selten an einem tiefer gehenden Gespräch mit einem Pharmareferenten Interessiert; nur dann, wenn es um Neuerungen bei Medikamenten oder wirklich interessante Studien über z.B. Nebenwirkungen geht.
Die Pharmareferenten müssen zw. 8 und 12 Ärzte p. Tag besuchen. Einige Firmen, i.d.R. die Hersteller von Generika verlangen Unterschriften von den Ärzten, dass der Besuch erfolgt ist.
Obwohl sie keine unmittelbare Verantwortung für den Umsatz tragen, stehen die Pharmaberater in den meisten Firmen unter einem permanenten Druck. Sie können z.B. gar nicht die geforderte Zahl der Besuche ableisten, weil die Ärzte sie aus Prinzip nicht oder nur selten empfangen oder unter hohem Zeitdruck stehend nur ein „Guten Tag“ übrig haben.
Damit bewegt sich der Pharmareferent immer am Rande der fristlosen Kündigung. ABER: es wird keiner sich beschweren, da die Stellen so gut ausgestattet sind und Job-Aussichten für viele Chemiker und Biologen so schlecht sind, dass die Tätigkeit als Pharmareferent oft der einzige Ausweg ist. Wer sonst kann es sich leisten, mit einem guten Gehalt und tollen Auto OHNE direkte wirtschaftliche Verantwortung zu arbeiten.
Noch stärker auf die Abhängigkeit der Angestellten als oft nur einzige Job-Chance setzen die Verleihfirmen. Das Gehalt ist oft nur halb so hoch wie bei Festangestellten. Die Pharmafirmen erkaufen sich mit Leiharbeitskräften eine billige Alternative, die auch sehr flexibel zu handhaben ist.
Das zeigt sich aktuell bei den großen Pharmafirmen, die im Zuge des allgemeinen Personalabbaus sich zuerst der Leiharbeitskräfte entledigen.
Bei Licht betrachtet ist die Arbeit der Pharmaberater absurd und skurril.
Sie sind dazu angehalten, den Ärzten Gespräche über DAS Medikament, das sie vertreten, aufzuzwingen. Für den Arzt gibt es nur ein Entkommen durch schroffes Ablehnen oder bei den höhergestellten durch die Sekretärin. Ein Arzt wird oftmals täglich von mehreren Pharmaberatern anzusprechen versucht; letztendlich muss er über Medikamente verschiedener Hersteller entscheiden, die eigentlich die gleiche Wirkung haben. Die Pharmafirmen verkaufen das unter der Überschrift „zum Wohle des Patienten“. Das spricht der Sache blanken Hohn. Es geht nur um Absatz und Gewinn der Pharmabranche.
Die Gespräche mit dem Arzt dauern, bis auf Ausnahmen wohlwollender oder mal interessierter Ärzte abgesehen, nur wenige Minuten.
Dafür wird für Milliarden EURO ein Heer von Pharmaberatern unterhalten und mit den unterschiedlichsten Methoden unter Druck gesetzt, auf die Ärzte einzureden, damit diese ja das besprochene und kein anderes Medikament verordnen bzw. in der Klinik einsetzen.
Die Pharmaberater sind straff organisiert wie eine Drückerkolonne. Regionalleiter überwachen die Arbeit, setzen die Mitarbeiter unter Druck, wenn die Zahlen nicht stimmen. Die Zahlen, das ist die Anzahl der feststellbaren Verkäufe an Kliniken oder Verschreibungen der Ärzte. NUR, dass die Pharmaberater keinerlei direkten Einfluss auf diese Zahlen haben. Sie schließen nun mal keine Verträge wie andere Verkäufer.
Dennoch haben die Pharmareferenten sogar auf den Absatz bezogene Zielvorgaben…
Mit unterschiedlichsten Methoden werden die Pharmaberater auf der einen Seite unter Druck und auf der anderen Seite bei Laune gehalten. Es werden Detektive zur Überprüfung der Tätigkeit angesetzt, Ärzte befragt, ob sie mit den Beratern gesprochen haben und Belege detailliert auf Plausibilität gegengeprüft. Auf der anderen Seite winkt das gute Gehalt und die Chance einen Wagen zu fahren, von dem die allermeisten sonst nur träumen.
Die unterprivilegierten Pharmaberater der Verleihfirmen müssen mit weniger Privilegien alles schlucken, um nicht als studierter oder sogar promovierter Hartz IV-Empfänger auf der Straße zu sitzen.
Die Maschinerie aus Zuckerbrot und Peitsche funktioniert bestens.
Das Ganze wird in der heutigen Zeit in seiner Absurdität auf die Spitze getrieben, da immer mehr Ärzte gegen die früher durchaus üblichen Zuwendungen wie Geschenke, Einladungen an schöne Orte bis hin zu direkten Geldgeschenken bei Verordnung der richtigen Medikamente immun sind. Sie haben Angst, erwischt zu werden. Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass die Klinikleitungen ein wachsames Auge auf die Einflussnahme der Pharmafirmen haben.
Somit werden die Pharmaberater zu z.T. akademisch gebildeten Prospektausträgern und Überreichern von irgendwelchen auf DAS Medikament vorteilhaft ausgerichteter Studien. Neutralität zum Wohle des Patienten…? Weit gefehlt.
Und das interessante an der ganzen Sache ist, es wird sich kein Pharmaberater im aktiven Dienst finden lassen, der das Beschriebene bestätigt. Alle sind froh, entweder einen lockeren Job zu haben, bzw. einen Audi A 6 zu fahren.
Die Ausgaben für die Pharmareferenten belaufen sich mal grob überschlagen auf rd. 1,6 MRD Euro pro Jahr! (16.000 Pharmareferenten X rd. 100.000 € Kosten p.a gesamt = Gehalt, Auto, Sozialleistungen etc.). Hinzu kommt das umfangreiche Marketingmaterial, die Zustellung per Kurier zu den Leuten quer durch ganz Deutschland, usw…UND nicht zu vergessen ein weitere Schar von Innendienst-Mitarbeitern, die wiederum den Außendienst verwalten.
Geschätzt sind das am Ende bestimmt 2 bis 2,5 MRD Euro dafür, dass die Ärzte und Apotheken täglich mit dem Marketing der Pharmaindustrie persönlich traktiert werden.
Diese Kosten werden, und das ist das Problem an der Sache, aus dem Gemeinwohl der Versicherten auf die Spezies der Pharmaberater umverteilt. Dazu kommen noch die aus diesen Aktivitäten resultierenden Gewinne der Pharmaindustrie, da eine Penetration dieser Art nicht gänzlich ohne Wirkung bleiben kann. D. h. es wird doch häufig das am ehesten beim Arzt in Erinnerung haftende Medikament verordnet.
Andererseits hat die Berufsgruppe der 16.000 bis 18.000 Pharmaberater + dem Innendienst eine volkswirtschaftliche Dimension. Von dem Gehalt leben Familien, die Autoindustrie freut sich ob der ständig erneuerten PKW, die Paketservice-Dienstleister sind beschäftigt, Naturwissenschaftler haben wenigsten eine gute Chance auf einen Job…
Aber am Ende bleibt das Ganze absurd und skurril.
In Frankreich gibt es m.W. keine Pharmaberater in unserem Sinne mehr – und kein Patient stirbt wegen fehlender Medikamente….
Interessant ist noch eine Betrachtung am Rande: In Deutschland gibt es Bereiche, in denen im Vergleich zu anderen Ländern marktwirtschaftlicher Ausnahmezustand herrscht – und wir Verbraucher ertragen das wie gottgegeben.
Wir haben z. T. mit Abstand die höchsten Preise für Medikamente, für Gas und Strom, für Autos und für mobiles Telefonieren. Und die Konzerne wissen nicht wohin mit dem Geld; oder doch…? Ab ins Ausland damit.