Gleichschaltung im 21. Jahrhundert – Das Beispiel WAZ
“Mit Currywurst gegen die Globalisierung!” oder: Wie in nur eineinhalb Jahren aus einer guten Abonnementszeitung eine neoliberale Bäckerblume wird. Das ist ein Beitrag von Jürgen Voß über die Entwicklung der WAZ.
Für ein Jahrhundertprojekt wie die Umgestaltung des Sozialstaates zur Risikogesellschaft braucht die Kapitalseite nicht nur “nützliche Idioten” in der Politik, Mietprofessoren als “Experten” aus der “Wissenschaft”, sondern vor allem eine perfekte Instrumentalisierung der Presse- und Medienlandschaft, insbesondere jener Medien, die bislang eher “konservativ sozialstaatlich” ausgerichtet waren. Zu dieser aussterbenden Gattung gehörte zweifellos über viele Jahrzehnte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), die sich nach und nach im Ruhrgebiet zum Teil mit Brachialmethoden eine Monopolstellung erarbeitet hatte, gleichwohl dem konservativ sozialdemokratischen Milieu verhaftet geblieben war, die solidarische Rente und Krankenversicherung gut fand und kommunale Wohnungsgenossenschaften als wichtiges Instrument des Wohnungsmarktes betrachtete und nicht als Werk des Teufels.
Dies aber nur exakt bis Juli 2005, als der freundliche post68er Liberale Uwe Knüpfer durch den erzkonservativen Ulrich Reitz von der Rheinischen Post als Chefredakteur abgelöst wurde. Reitz, für den Hartz IV Empfänger “Schmarotzer” sind, ein erklärter “Marktliberaler”, hatte mit Dampfhammer Methoden bei der Rheinischen Post aufgeräumt und galt jetzt angesichts permanent sinkender Abonnementszahlen für WAZ Geschäftsführer Bodo Hombach als Idealbesetzung für die längst erforderliche “Modernisierung” der alten Tante WAZ.
Mit welch einseitiger Wucht Reitz seitdem vorgegangen ist, darüber können nicht nur die Redakteure aus den aufgelösten Lokalredaktionen im Kreis Recklinghausen ein Lied singen, sondern vor allem auch langjährige WAZ Leser berichten, zu denen zufällig auch der Autor dieser Zeilen seit über 50 Jahren gehört.
Denn nunmehr prägt ein neoliberaler Missionseifer den politischen Teil der Zeitung, wie er selbst in diesen rauhen Zeiten woanders nur schwer zu finden ist. Die Wochenendausgabe von Samstag, den 17. März, stellt aber bisher alles in den Schatten, was an neoliberaler Propaganda aufgefahren wurde. In nicht weniger als sechs Artikeln versucht die WAZ uns die Botschaft zu überbringen, dass es mit der Globalisierung und den damit verbundenen dramatischen Arbeitsplatzverlusten doch gar nicht so schlimm sei, dass noch viele Chancen übrig blieben und dass überhaupt kaum jemand wisse, wieviel Beschäftigte es in NRW und im Ruhrgebiet noch gibt. Doch der Reihe nach:
Die Serie der intellektuellen Zumutungen beginnt mit “Rüber in die Bananenzone” “Jobs, die bleiben; Die Zukunft der Arbeitswelt”. Unterzeile: “Handwerker zieht es nach Tschechin, Ärzte nach Skandinavien…”
“Immer mehr Fachkräfte aus Deutschland profitieren (vom guten, d. V.) Image und heuern jenseits der Landesgrenzen an. … Im Vorjahr vermittelte die staatliche Personalagentur (gemeint ist die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung, d. V.) fast 12.600 Bundesbürgern einen Arbeitsplatz in den EU – Nachbarstaaten. Das sind immerhin 16% mehr als 12 Monate zuvor”.
Frage des Lesers, der seinen Verstand nicht an der Garderobe abgegeben hat: Was will uns die WAZ damit sagen? Dass 0,3% (!) der Arbeitslosen oder – wenn keine Arbeitslosigkeit vorlag – 0,05% der SV-Beschäftigten im Ausland einen Arbeitsplatz gefunden haben? Dass die Chancen also gar nicht so schlecht stehen? Dass man doch die Zelte abbrechen kann und von heut auf morgen nach Skandinavien gehen kann? Oder handelt es sich hier nicht vielmehr um das propagandistische Aufbauschen eines Bagatellphänomens, das für den miserablen Zustand des hiesigen Arbeitsmarktes ohne jeden Belang ist?
Dazu paßt der nächste Artikel “Wieviel Beschäftigte NRW hat, weiß niemand genau”. Natürlich ist es richtig, dass nur Volkszählungen bei Erwerbstätigen eine Totalerfassung bieten und dass man ansonsten auf Mikrozensuszahlen angewiesen ist. Doch interessiert die Zahl der mithelfenden Familienangehörigen in Imbiß – und Dönerbuden wirklich so brennend oder ist nicht die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten die eigentlich relevante Größe? Und darüber wissen wir – auch die WAZ kommt daran nicht vorbei – exakt Bescheid. Allein seit 1980 hat das Ruhrgebiet per Saldo 260tsd. Stellen verloren. Nehmen wir die siebziger Jahre, als das Ruhrgebiet noch unter Dampf stand, als Vergleichszeitraum, sind es weit über 500tsd. SV-Arbeitsplätze.
Doch die WAZ weiß: “Die Welt ist flach und voller Chancen” (Artikel von Ulrich Strack-Schilling (was Journalisten so alles schreiben müssen!) über das äußerst bekannte Buch von L. Friedman (nomen est omen!!) “Die Welt ist flach”; “Eine Kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts”. “Beim Studium der Jobströme stieß der Amerikaner dann auf eine Gruppe, die ihren Job auch inmitten globaler Konkurrenz behalten sollte, The untouchables, die Unantastbaren, nennt Friedman dieses gar nicht mal so kleine Lager, und interessante Vertreter wohnen gleich nebenan. … Etwa unverwechselbare Entertainer wie Jupp Stratmann, Helge Schneider oder Theatergenies wie Roberto Ciulli, den wir auf dieser Seite vorstellen. Außerdem: Wer einen Haarschnitt braucht, Lust auf eine Currywurst verspürt oder Zahnschmerzen hat, wird nicht gleich bis nach Bombay reisen wollen, wo angeblich alle Jobs in Zukunft angesiedelt sein werden. … Und wo bleibe ich, fragen sich der Buchhalter, der Bankangestellte, also Du und ich? ” Auch hier weiß der gute Onkel von der WAZ einen prima Rat: “Er muß sich der globalen Konkurrenz stellen und durch lebenslanges Lernen so unersetzlich werden, dass der eigene Job nicht in Gefahr gerät “. Na, dann ist ja alles okay!
Darunter folgt die Vorstellung eines sicherlich ganz tollen Friseurs aus Herdecke, des weiteren eine des erwähnten Regisseurs Roberto Ciulli und zum Schluß, quasi als Höhepunkt, interviewt die WAZ sich selbst: In Gestalt von Ulrich Reitz, dem Chefredakteur zur Zukunft des Journalistenberufes.
Und zum krönenden Abschluß sagt uns die WAZ noch Bescheid , was Globalisierung ist: “Bezeichnung für die weltweite Verflechtung, insbesondere die wirtschaftliche. Der Begriff setzte sich seit 1990 durch, das Phänomen ist jedoch schon älter. Siehe auch Geschichte der Seefahrt… Eine neue Qualität bekam die G. durch die Entwicklung der Computertechnik, die weltweit Transaktionen in Sekundenschnelle ermöglicht.”
Gut, dass wir jetzt Bescheid wissen. Globalisierung bietet auch dem Friseur und dem Currywurstanbieter noch prima Chancen (von Jupp Stratmann ganz zu schweigen), allerdings wohl nur so lange wie einer einen Haarschnitt und eine Currywurst bezahlen kann. Es sei denn, wir schneiden uns alle gegenseitig die Haare und bringen uns abends gegenseitig die Pizza oder die Currywurst. Und beim Genuß von Pizza und Currywurst lesen wir dann die WAZ. Doch wovon bezahlen wir die?
Kein Wunder, dass die Abonnementszahlen der WAZ zügig bergab gehen.
Alle Zitate (kursiv) wörtlich aus Artikeln der Wochenendausgabe der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 17. März 2007.
Jürgen Voß