Keine Alternative für Deutschland
Bei den Europawahlen kann sich die Alternative für Deutschland (AfD) Hoffnungen auf einen Einzug ins Europäische Parlament machen. Das ist gefährlich. Wirtschafts- und finanzpolitisch denkt die AfD marktradikal: Der Spitzensteuersatz soll gesenkt, der Staat auf ein Minimum reduziert werden. Leidtragende wären die Arbeitnehmer. Von Jens Berger.
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Dieser Beitrag erschien zuerst in der Metallzeitung [PDF – 4.1 MB] der IG Metall
Da das Bundesverfassungsgericht die bislang geltende Drei-Prozent- Hürde im Februar gekippt hat, darf sich auch die Alternative für Deutschland (AfD) bei den kommenden Europawahlen berechtigte Hoffnungen auf einen Einzug ins Europäische Parlament machen. Na und, könnte man sich da denken, ist das nicht egal? Ist dieser wilde Haufen um Parteichef Bernd Lucke nicht gerade viel eher dabei, sich selbst zu zerlegen? Stimmt schon: Bislang hat die Partei vor allem durch Intrigen in den eigenen Reihen von sich reden gemacht. Zuletzt schmiss der Landesvorsitzende von Nordrhein-Westfalen entnervt hin. Von Selbstauflösung allerdings ist die Partei weit entfernt.
Gefährlich für Arbeitnehmer
Auch in einem weiteren, weit wichtigeren Punkt sollte man sich keinerlei Illusionen hingeben: Die AfD, das ist nicht einfach irgendeine kleine, windige rechtspopulistische Partei, die sich jetzt mit dem ehemaligen BDI-Chef Hans- Olaf Henkel ein prominentes Zugpferd als europäischen Spitzenkandidat geholt hat und die man nicht weiter ernst nehmen muss, nein. Wirtschafts- und finanzpolitisch denkt diese Partei marktliberal bis marktradikal, sozial- und gesellschaftspolitisch dagegen tickt sie erzkonservativ bis reaktionär. Das aber ist eine gefährliche Mischung – vor allem für die deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Wer heute noch glaubt, die FDP stünde in Sachen Marktradikalität am äußersten Ende des Flügels, täuscht sich gewaltig. In Wahrheit hat sich die AfD einer Ideologie verschrieben, die sich in den USA ausgebreitet hat, und die man wohl am ehesten als marktfundamentalistisch bezeichnen könnte. In Amerika feiern dieVertreter dieser Richtung momentan ihren Siegeszug innerhalb der Tea-Party-Bewegung, einer erzkonservativen Protestbewegung. Zurückgreifend auf den Theoretiker Lew Rockwell bietet sich zur Einordnung des Phänomens der Begriff “Paläolibertarismus” an.
In seiner letzten Konsequenz stellt der Paläolibertarismus den freien Markt und das private Eigentum über alles, lehnt damit auch den Staat und vor allem den Sozialstaat ab und fordert stattdessen die Unterwerfung aller Lebensbereiche unter die Marktideologie. Soziale Autoritäten wie die Familie und die Kirche sollen dabei das Individuum vor dem Staat schützen, der für Paläolibertäre das Feindbild ist.
Staat reduzieren
Die AfD passt nahtlos in dieses Schema. Bildung soll nach den Vorstellungen der AfD als “Kernaufgabe der Familie” gefördert werden, Kitas und Schulen sollen dies lediglich “sinnvoll ergänzen”. Wie die Tea- Party-Bewegung will auch die AfD den Staat am liebsten auf einige wenige Kernkompetenzen reduzieren und sieht, das liest sich so eindeutig zwischen den Zeilen, in staatlichen Systemen, wie dem Rentensystem oder der gesetzlichen Krankenversicherung bereits eine Vorstufe zum Sozialismus. Klar: Wer den Staat auf ein Minimum reduzieren will, lehnt natürlich jede Form einer starken Zentralregierung ab. So erklärt sich die Forderung der AfD nach einer drastischen Senkung des Spitzensteuersatzes und einer weiteren Liberalisierung des Arbeitsmarkts. Arbeitnehmer entlasten? Arbeitnehmer schützen? Nicht mit der AfD.
Diese marktliberalen, in vielen Punkten sogar marktradikalen, Positionen durchziehen in kaschierter Form auch das wenige Wochen alte Europawahlprogramm der Partei. So soll nach Wünschen der AfD “die Wettbewerbsfähigkeit im freien Binnenmarkt gestärkt” werden, um “die Mitgliedsstaaten leistungsfähiger zu machen”. Verquaste Rhetorik von Menschen, denen der freie Markt alles, Regeln und Rechte nichts zu bedeuten scheinen.
Bevor Bernd Lucke das Spielfeld der Politik betreten hat, machte er sich in Fachkreisen vor allem durch neoliberale Appelle einen Namen. Daran will er heute freilich nicht mehr erinnert werden – schließlich gehören die Verlierer der neoliberalen Politik doch auch zu den potenziellen Wählern der AfD. Geändert haben sich Luckes marktradikale Positionen jedoch nicht. Allenfalls die Verpackung hat sich verändert.