„So kann man nicht Politik machen“ meint Peter Struck im Tagesspiegel. Was man aus diesem Interview lernen kann?
Mit der Veröffentlichung des Interviews mit Peter Struck im Tagesspiegel vom 25. Februar 2007 haben Sie ein feines Händchen bewiesen. Seine Antworten und Ausführungen entlarven in meinen Augen dreierlei:
- ein Denken, das die europäische Aufklärung schlicht verschlafen hat oder sie bewusst ausblendet
- folglich ein Reden und Denken in Aussageweisen, die militärisch geprägt sind und schließlich
- ein Sprechen im Jargon der Redeweise, die augenblicklich „in“ ist.
Das begründet unser Leser Josef Martin folgendermaßen.
Beginnen wir mit letzterem: auf die Frage der Interviewer, ob die Steuerausfälle durch die geplante Unternehmenssteuerreform nicht doch bei acht Milliarden liegen würden, wie Experten glauben errechnet zu haben, antwortet er: „Das ist doch ein Streit um fiktive Zahlen. Niemand weiß heute genau, wie hoch die Ausfälle tatsächlich sein werden. Die Zukunft aber wird zeigen, dass es bei dem bleibt, was wir verabschiedet haben“.
Gegen Ende des Interviews auf die Frage nach der Leistungsbilanz der SPD im Jahre 2009 sagt Herr Struck: „Wir können schon jetzt sagen, dass wir unsere sozialen Sicherungssysteme auf 20, 30 Jahre zukunftsfest gemacht haben“.
Mit anderen Worten: Heute, da man doch ein Maximum an Zahlen und Fakten zur Verfügung hat, oder zur Verfügung haben könnte, beschließt man Gesetze, die möglicherweise auf fiktiven Zahlen beruhen. Für die nächsten zwanzig, dreißig Jahre, wo man auf weiß der Teufel wie viele Vermutungen angewiesen ist, da hat man Zukunftsfestes gemacht.
Im Zusammenhang mit der Berufung auf das Gewissen bei bestimmten Abstimmungen spricht Struck von „Entscheidungen über Auslandeinsätze der Bundeswehr“. „Auslandseinsätze“ ist grammatikalisch ein unbestimmter Plural. Das heißt also, wir müssen uns in Zukunft auf noch weitere Einsätze gefasst machen. Dann sind aber die bisherigen keine Ausnahmen mehr sondern der Anfang einer neuen Politik.
Wieso ist Strucks Denken vor-aufklärerisch? Im Zusammenhang mit der Rente mit 67, der Unternehmenssteuerreform und der Altersteilzeit sagt er, es gebe „Themen und Entscheidungen, die für Sozialdemokraten hart sind, die man aber durchstehen muss. Wie wär’s denn, wenn der Sozial Demokrat Struck sein Denken und folgendes Handeln aus einfachen logischen Grund Sätzen ableiten würde (wie von Descartes empfohlen)? Soziale Demokratie haben Marx, Jaurès, um nur einige Vertreter zu nennen, definiert als eine Demokratie, in der nicht nur formale Gleichheit und Freiheit herrschen, sondern möglichst alle Bürger auch in ihrem gesellschaftlichen Leben ein Optimum an Freiheit und Gleichheit genießen können. Dann wäre aber seine Entscheidung für die Rente mit 67 nicht mehr hart sondern unsozial.
Für Herrn Struck gibt es Berufene, er nennt sie „Führer“; mal sind es 222, mal sind es 500. (Unser lieber Peter weiß sicher nicht um die Freud’sche Fehlleistung, die ihm da unterlaufen ist: Laut dem Apostel Paulus erschien Jesus nach seiner Auferstehung rund 500 Brüdern, was diese zu Berufenen machte. [1 Korinther 15]) Warum nennt er die Abgeordneten nicht Mandatsträger, was demokratischem Denken entspricht? Er will uns vergessen machen, dass Abgeordnete keine von oben eingesetzten charismatische Führer sind, sondern schlicht von den Wählern „den Auftrag auf Zeit erhalten haben, im Sinne der Auftraggeber und zu ihrem Vorteil zu handeln“(Petit Larousse). Wir sollen vergessen, dass in der Demokratie nicht gilt: Wem der Herr ein Amt gegeben hat, dem gibt er auch Verstand. Demokratisch-aufklärerisch ist: Wem der Herr ein Amt gegeben hat, dem hat er damit noch lange keinen Verstand gegeben. Struck hat Recht, wenn er sagt, die Politiker sollen den Menschen nicht nach dem Munde reden. Das heißt aber nicht, dass sie nicht – frei nach Luther – „den Leuten nicht aufs Maul schauen sollen“, um Vernünftiges zustande zu bringen.
Im Zusammenhang mit der Unternehmenssteuerreform spricht Struck davon, dass man sie machen müsse, „weil es keine vernünftige Alternative dazu gibt“. Man kann vielleicht dem Führungspolitiker Struck noch nachsehen, wenn er Emile Durckheim nicht kennt; aber von Karl Popper könnte er doch schon gehört haben. Beide weisen nämlich ziemlich einleuchtend nach, dass menschliches Handeln, vor allem in der Politik, immer Alternativen hat, sonst könnte es kein freies Handeln sein. Wenn die Politiker sagen, sie hätten keine Alternativen gehabt, dann heißt das nur, dass sie nicht zu Ende gedacht haben, bzw. nicht anders denken wollten.
Zum Thema militärische Sprache nur noch folgende sprachliche Hinweise: Die IG Metall „fährt (…) eine massive Kampagne“, sie setzt Abgeordnete „unter Druck“ und hat ein „Kampfthema“. „Kampagne in Frankreich“ nennt Goethe sein Buch, in welchem er vom Feldzug (sprich: Krieg) der reaktionären Alliierten gegen das revolutionäre Frankreich berichtet. Und um bei Frankreich zu bleiben, die Revolutionäre hatten auch ein Kampfthema, sprich: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, wie uns allen bekannt ist. Im Krieg darf man nicht „einknicken“, man darf sich nicht „rausschleichen“; „Da muss man stehen“. Dem Schreiber aus dem Jahrgang 1934 fällt da ein, dass man uns schon einmal versuchte beizubringen: „wir weitermarschieren werden, (auch) wenn alles in Scherben fällt“, sprich: mag auch die Partei oder der gesellschaftliche Zusammenhalt zu Bruch gehen.
Es ist schon enttäuschend, wenn ein Mann wie Herr Struck in einer solch führenden Stellung so schlampig mit dem Wort „Führer“ umgeht; nicht nur weil wir mal einen Gröfaz hatten, sondern auch weil wir im letzten Jahrhundert mit solchen Führern mehr als schlechte Erfahrung gemacht haben: Wilhelm II stürzte das deutsche Volk in die Niederlage und floh anschließend nach Holland, um Holz zu hacken; Prälat Kaas drängte 1933 das Zentrum, den Ermächtigungsgesetzen zuzustimmen und zog sich dann ins sichere Rom zurück. Überlebende Soldaten des 2. Weltkrieges äußerten mir gegenüber häufiger ihre tiefe Verachtung für Leute wie Dönitz, Paulus und andere, die anderen Gräber in Afrika, bei Stalingrad und im Atlantik besorgt hatten, selbst aber nach dem Kriege auf der sicheren Seite waren.