Akif Pirinçci und das reaktionäre Rollback Deutschlands
Anlässlich der erfolgreichen Gegendemonstration gegen einen NPD-Aufmarsch in Berlin schwärmt die taz davon, wie einfach es ist, Nazis zu stoppen. So erfreulich die Verhinderung des Aufmarsches ist, sie entspricht nicht dem Trend in der Gesellschaft. Wer meinte, dass nach den Bestsellererfolgen von Sarrazin das rechte, fremdenfeindliche, ja rassistische Potenzial deutscher Befindlichkeit zurückgegangen wäre, wird durch den Erfolg von Akif Pirinçcis Buch, “Deutschland von Sinnen. Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer”, eines Besseren belehrt. Von Orlando Pascheit.
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Selbst die Zeit fragt sich, was mit ihren Lesern los ist, als nach einem Verriss des Buches durch Ijoma Mangold eine Flut von, die Zeit formuliert es milde, “E-Mails verärgerter Leser” über den Rezensenten bzw. die Zeit hereinbrach: “Selten zuvor waren die Vorwürfe von Lesern so feindselig. Der Ton hat sich drastisch verschärft – der Ton der Buchautoren, die einen politischen Mainstream konstruieren, um ihn danach anzugreifen, aber auch der Ton der Menschen, die diese Angriffe verteidigen. Woher rührt die Wut der Leser, die Wucht ihrer Beschimpfungen?”
Leider dringt die Zeit nicht zu einer Analyse der “entsicherten wie entkultivierten Bürgerlichkeit” (Heitmeyer) ihrer Leser vor, die in der Mehrzahl wohl eher höheren Einkommensgruppen mit einer durchschnittlich höheren Bildung angehören. Die fortschreitende soziale Spaltung in Deutschland geht einher mit einer Herabsetzung von Zuwanderern, Obdachlosen, Langzeitarbeitslosen, letztlich auch der Weniger-gut-Verdienenden, der Niedriglohnbezieher, der Arbeitslosen, der Hartz-IV-Bezieher. Wer Angst vor dem Abstieg hat, der befürchtet, morgen nutzlos zu sein. “Der wird Schwächere abwerten, um sich damit zu beweisen, dass noch jemand unter ihm auf der Leiter steht.” (Heitmeyer) Der wird sich abgrenzen gegen alles “Andersartige”. Dass die Pirinccis und Sarrazins dieser Welt eine derartige Wirkung erzielen, stellt der Problemlösungsfähigkeit unserer Eliten ein schlechtes Zeugnis aus. Ausgrenzungsideologie bis tief in die bürgerliche Welt hinein heißt, dass die Ängste in unserer Gesellschaft viel größer sind, dass die Wohlfühlparolen vor allem einer bestimmten Politikerin weit an der Realität vorbei gehen.
Die Mittelschicht verarmt und schrumpft und die Randlagen sozialer Brennpunkte sind nicht nur durch Armut, Bildungslosigkeit, Arbeitslosigkeit und Sprachlosigkeit, sondern auch von Kriminalität und Gewalt geprägt. Mit Schaudern nimmt die “biodeutsche” Mittelschicht die Botschaft wahr, dass nicht nur Deutschland sich selbst abschafft, sondern dass der “Genozid” an jungen deutschen Männern durch junge muslimische Männer schon voll im Gange ist. Wie Pirinçci in seinem Aufsatz auf der Achse des Guten” von Broder & Co ausführt:
“Das Muster ist immer gleich. Eine Gruppe oder die herbeitelefonierte Kumpelschaar umstellt das Opfer nach der Jagdstrategie von Wölfen, wobei die Delta- und Betatiere stets außen herum laufen und für das einschüchternde Jagdgeheul sorgen und das Alphatier nach und nach von der Beute Stücke abzubeißen beginnt, bis am Ende alle über sie herfallen und hinrichten. Die Zahl der solcherlei Weise ermordeten Deutschen wird von offiziellen Stellen bewusst geheim gehalten, es ist aber wohl nicht übertrieben, wenn man taxiert, daß es sich um die Opferanzahl eines veritablen Bürgerkrieges handelt. ….Und man wird sich damit abfinden müssen, daß man allmählich “übernommen” wird. Vor allem wird es ratsam sein, keine Söhne mehr zu haben. Wie gesagt, die Töchtern werden es wenigstens überleben.”
Und hier schließt sich der Kreis zu den offen auftretenden Neonazis. Georg Diez schreibt denn auch zu den Bucherfolgen der Pirinccis und Sarrazins:
” … was aber dieses rechts-konservative rassistische Geraune tatsächlich erzeugt, ist das Hintergrundrauschen für echte Gewalt gegen Menschen. Ein Buch wie das von Pirincci liefert damit die Begleitmusik etwa für den NSU-Prozess. All diese Bücher formen ja in ihrer unterschiedlichen Art den Hass und die Wut und die Menschenverachtung, die andere in Taten umsetzen. Bücher töten nicht, und Autoren sehr selten, aber es ist auch nicht so, dass Gedanken harmlos sind und keine Konsequenzen in der realen Welt haben.”
Am Ende seiner Rezension fragt Mangold:
“Lauert mit Akif Pirinçci eine neue Gefahr am rechten Rand? Das alles ist so wüst vorgetragen, dass es schon wieder komisch ist. Mit dieser Attitüde lässt sich kein Staat machen, nicht einmal eine Splitterpartei für Überzeugungsspießer.”
Die Verteidigung des Buches zeigt eher, dass es auf fruchtbaren Boden fällt.