Die Bertelsmann Stiftung und ihre Verflechtungen
Referat im Rahmen einer Vortragsreihe des Rosa-Luxemburg-Clubs Wupptertal am 26.2.07.
„Die Bertelsmann Stiftung und ihre Verflechtungen“
Referat beim Rosa-Luxemburg-Club
Alte Feuerwache
Wuppertal
26. Februar 2007
Anrede:
Zur Vorbereitung auf meinen heutigen Vortrag „Die Bertelsmannstiftung und ihre Verflechtungen“ hätte ich Sie eigentlich bitten müssen:
Googeln Sie doch einfach mal ein wenig herum und geben Sie in die Suchfunktion etwa beim Landesportal NRW das Suchwort „Bertelsmann“ ein, Sie haben schon beim ersten Anlauf 12 Treffer:
Die Hinweise reichen
- von einer Laudatio des Ministerpräsidenten über das Haus Bertelsmann, als ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass unternehmerischer Erfolg und soziale Verantwortung zusammenpassen,
- über die Meldung, dass das Land Nordrhein-Westfalen und die Bertelsmann Stiftung künftig im Bereich der Gesundheitsförderung an Schulen zusammenarbeiten will,
- dass der neue Leiter der NRW-Landesvertretung in Berlin Tim Arnold früher bei Bertelsmann tätig war,
- dass NRW am Deutsche Präventionspreis 2007 für kommunale und regionale Initiativen und Projekte der Prävention und Gesundheitsförderung teilnimmt. Ein Wettbewerb der von der Bertelsmann Stiftung, dem Bundesministerium für Gesundheit und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung organisiert wird.
- Oder: Um die Bürokratiebelastung für die Wirtschaft zu senken, hat die Landesregierung beschlossen, die Bürokratiekostenmessung nach der Methode des Standardkosten-Modells auch in Nordrhein-Westfalen einzuführen. Das Land beteiligt sich an Pilotprojekten der Bertelsmann-Stiftung, mit denen das Modell unter Bedingungen des deutschen Föderalismus erprobt werden soll.
- Dr. Siegfried Luther
Finanzvorstand u. stellv. Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann AG war Mitglied der Expertengruppe zur Erarbeitung von Vorschlägen für die Haushaltskonsolidierung. - Bertelsmann unterstützt Jugendwettbewerb NRW „demokratie leben“ bei der Landeszentrale für politische Bildung Nordhein-Westfalen.
- Gemeinsam mit den drei WM-Städten und der Bertelsmann-Tochter Mediafabrik, wurde die Kampagne “Wir bringen Farbe ins Spiel”, ein “WM-Guide” herausgegeben.
- Die Stellvertretende Vorsitzende im Vorstand der Bertelsmann-Stiftung Liz Mohn erhält den Verdienstorden des Landes
Das Innovationsministerium allein verzeichnet 19 weitere Einträge. Dazu später mehr.
Sie könnten aber auch mal auf der Homepage der Stadt Wuppertal nachschauen:
Dort finden Sie z.B. unter Stadt Wuppertal – Medienpartner Bibliothek & Schule, dass sich der Stadtteil Vohwinkel als eine von 38 Kommunen in NRW an dem Bertelsmann-Projekt beteiligt.
Auf der Tagesordnung der Sitzung des Hauptausschuss war die Bewerbung der Stadt Wuppertal an dem Projekt „Young Democracy“ der Bertelsmann Stiftung.
Wuppertal ist eine von insgesamt 43 Städten, die von der Bertelsmann-Stiftung für die Initiative „mitWirkung!“ ausgewählt wurden. „mitWirkung“ will in einer groß angelegten Untersuchung herausfinden, wie Kinder und Jugendlichen in deutschen Städten und Gemeinden an (politischen) Entscheidungen beteiligt werden.
Oder:
Die Wuppertaler Stadtbibliothek beteiligt sich an dem Bertelsmann Projekt Deutsche Internetbibliothek
Bei der Bergischen Universität Wuppertal, finden Sie unter der Suchfunktion mit dem witzigen Namen „Wuugel“ über 30 Einträge:
Sie reichen von der Kooperation bei “e-teaching&university”
bis zur Meldung, dass die Wuppertaler Uni bei der Forschung im unteren Mittelfeld Forschungsranking 2004 des Centrums für Hochschulentwicklung gelandet ist.
Es lohnt sich auch einmal auf die Startseite der Bertelsmann Stiftung zu gehen und sich dort durch die Themenkataloge zu Politik, Wirtschaft, Gesundheit, Gesellschaft, Bildung und Kultur zu klicken.
Geben Sie dort wiederum „Wuppertal“ in die Suchfunktion ein finden Sie gleich 92 Einträge.
Sicherlich viele dieser Hinweise und viele der von Bertelsmann angebotenen Dienste sind politisch unbedenklich, ja vielleicht sogar hilfreich. Die Suchantworten zeigen zunächst eigentlich nur, auf wie vielen Feldern mit landes-, kommunal- oder hochschulpolitischer Relevanz Bertelsmann tätig ist.
Die Einträge belegen sicherlich noch lange nicht den politischen Einfluss und die ideologische Wirkung der Bertelsmann Stiftung.
Man darf aber wohl mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass das, was im Internet angeboten wird, nur die Spitze eines Eisbergs ist.
Nicht erwähnt sind dabei selbstverständlich die intern herangezogenen Studien, Bewertungen oder Ratschläge, die etwa die NRW-Ressorts oder staatliche Einrichtungen von Bertelsmann angefordert haben oder die Bertelsmann großzügigerweise von sich aus geliefert hat. Nicht erfasst ist auch, auf welchen Veranstaltungen der Bertelsmann Stiftung NRW-Politiker aufgetreten oder eingeladen waren. Und schon gar nicht ist nachvollziehbar, zu welchen Themen, das Parlament, die Landtagsfraktionen sich Rat von Bertelsmann-Experten oder aus Studien geholt haben.
Man kann gar nicht nachhalten, wie viele Mitarbeiter der NRW-Landesregierung oder von NRW-Behörden auf von der Stiftung angebotenen Seminaren oder Fortbildungsveranstaltungen teilgenommen haben.
Ich will Sie nicht weiter mit diesen Aufzählungen langweilen. Ich könnte den ganzen Abend mit weiteren Hinweisen füllen. Suchen Sie einfach selbst einmal ein wenig.
Worauf will ich mit diesen Hinweisen aufmerksam machen?
Kennen Sie irgendeine Institution in dieser Gesellschaft, die politisch so breit aufgestellt ist, die auf so vielen politischen Feldern ihren Rat anbietet oder die so präsent ist, wie die Bertelsmann Stiftung?
Sie können auf unserer Website www.nachdenkseiten.de unter der Rubrik „Sachfragen“ das Stichwort Bertelsmann anklicken, dann bekommen Sie einen Eindruck darüber, wo und womit Bertelsmann überall tätig ist und vor allem, welche Ziele dabei verfolgt werden.
Kaum ein Unternehmen in Deutschland ist so mächtig wie Bertelsmann.
Die Bertelsmann AG mit Hauptsitz in Gütersloh ist der größte europäische Medienkonzern. Mit einem Umsatz von 17 Milliarden Euro und 88.000 Beschäftigten in mehr als 60 Ländern, das fünftgrößte Medienunternehmen weltweit.
Das Familienunternehmen Mohn begann vor drei Generationen mit Büchern und später Schallplatten, baute Leseringe auf, kaufte in den letzten Jahrzehnten Großdruckereien und Verlage und stieg ins Funk-, Fernseh- Film- und Musikgeschäft ein.
Die Bertelsmann gehörende Verlagsgruppe Random House ist die weltgrößte englischsprachige und die zweitgrößte deutschsprachige Verlagsgruppe. Zu ihr gehören neben den unter dem Namen Bertelsmann erscheinenden Verlagen, etwa die Deutsche Verlags-Anstalt, der Heyne Verlag, Kösel, der Luchterhand Literaturverlag, Goldmann, Siedler und viele andere mehr, dazu auch die Buchhandlungskette Ludwig.
Nach firmeneigenem Bekunden schalten „jeden Tag … mehr als 170 Millionen Zuschauer einen (der zu Bertelsmann gehörenden) Fernsehsender von RTL Group an:
RTL Television, Super RTL, VOX oder N -TV in Deutschland, M6 in Frankreich, Five in Großbritannien, Antena 3 in Spanien, RTL 4 in den Niederlanden, RTL TVI in Belgien und RTL Klub in Ungarn ein – um nur wenige zu nennen“.
Auch die öffentlich-rechtlichen Sender sind mit Bertelsmann verbandelt. So ist zum Beispiel der stellvertretende ZDF-Chefredakteur Klaus-Peter Siegloch im Kuratorium der Bertelsmann Stiftung. So auch der frühere ZDF Intendant Dieter Stolte, der z.B. 1999 eine kritische Reportage über die Rolle Bertelsmanns im Dritten Reich verhinderte. Der Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, Peter Frey, ist „Fellow“ des von Bertelsmann getragenen „Centrums für angewandte Politikforschung“ (CAP).
Das Bertelsmann Zeitschriften-Imperium beherrscht die Kioske: Der Verlag Gruner + Jahr gehört zu 74,9% der Bertelsmann AG. Gruner + Jahr ist wiederum mit einer Sperrminorität von 25,25% am Spiegelverlag beteiligt. Stern, GEO, Capital, Brigitte, das manager-magazin, die Financial Times Deutschland sind nur einige wenige der Titel, die unter der Regie des Mutterkonzerns stehen.
Radiostationen, Filmproduktion, Rechtehandel, sowie Immobilien, Finanzfirmen und zunehmend bedeutsam – auch private Bildungsinstitute wie etwa das „Hamburger Institut für Lernsysteme“ (ILS) gehören zum Bertelsmann-Konzern.
Ganz interessant ist nebenbei, dass der gleichfalls zu Bertelsmann gehörende international agierende Internet- und Logistikmoloch Arvato unter dem Stichwort „Moderner Staat“ sämtliche Servicemodule für das Management von Kunden- bzw. Bürgerbeziehungen zur öffentlichen Hand aus einer Hand anbietet. Arvato managt .z.B. in Großbritannien schon ganze Kommunen, erhebt Gebühren zieht und Steuern ein.
Mit einem zusammen mit der Axel Springer AG betriebenen Tiefdruckunternehmen gehört Bertelsmann zu den europäischen Marktführern im Zeitschriftendruck.
Auch die Wochenzeitschrift „Die Zeit“ kooperiert eng etwa mit dem Bertelsmann Centrum für Hochschulentwicklung und ist dessen medialer Partner bei den Hochschulrankings
Und es ist ja nicht unter der Decke geblieben, dass die beiden „Grande Dames“ des deutschen Medienwesens Liz Mohn und Friede Springer in freundschaftlicher Verbundenheit zu Angela Merkel stehen.
Die Medienkonzentration und die Oligopolisierung der veröffentlichten Meinung in Deutschland und ihre Auswirkungen auf die Vielfalt der Meinungen und damit auf die demokratische Meinungsbildung im Lande wäre ein eigenes Thema wert, aber darum soll es heute nicht in erster Linie gehen.
Im Vordergrund soll heute die inhaltliche politische Beeinflussung durch Bertelsmann stehen – und da kommt die Bertelsmann Stiftung ins Spiel.
Der Firmenpatriarch Reinhard Mohn hat die Stiftung 1977 gegründet und ihr 76% der Anteile an der Bertelsmann AG übertragen.
Sie ist die reichste Stiftung in Deutschland mit einem Jahresetat zwischen 60 bis 70 Millionen Euro. Mit etwa 300 Mitarbeitern, die bis zu 100 Projekte betreuen, hat sie sich in den 90er Jahren zu einem führenden deutschen Think-tank entwickelt.
Das Spezifikum der Stiftung ist, dass sie keine extern gestellten Forschungsanträge fördert sondern nur von ihr selbst definierte Projekte finanziert.
„Eigentum verpflichtet“ nennt Reinhard Mohn als Motiv für seine Stiftung. Doch so ganz altruistisch motiviert dürfte die Übertragung von über dreiviertel der Kapitalanteile an der Bertelsmann AG an eine Stiftung nicht gewesen sein. Es gibt Schätzungen wonach Mohn, dadurch dass er dieses Kapital „gestiftet“ hat gut zwei Milliarden Erbschafts- und/oder Schenkungssteuer „gespart“ hat.
Zudem sind die jährlichen Dividendezahlungen des Konzerns an die „gemeinnützige“ Bertelsmann Stiftung steuerbegünstigt und die Vermutung dürfte nicht unbegründet sein, dass sie mit ihrem jährlichen Etat ungefähr so viel Geld ausgibt, wie sie beim Fiskus an Steuern spart.
Nach eigenem Bekenntnis will Reinhard Mohn, dass seine Stiftung „nicht nur ein bedeutender Reformmotor für die Gesellschaft, sondern auch ein Garant der Unternehmenskontinuität des Hauses Bertelsmann“ sein soll.
Der Göttinger Soziologe und Kenner der internationalen Stiftungslandschaft, Frank Adloff, kritisiert wohl nicht ganz zu unrecht, dass für solche Zwecke, für die die Stiftung steht, „die Steuerbefreiung für gemeinnützige Stiftungen nicht gedacht“ sei.
Denn die Bertelsmann Stiftung ist – entgegen dem Anschein, den sie zu erwecken versucht – eben keine neutrale Einrichtung zu uneigennützigen Zwecken.
Man kann Reinhard Mohn nicht einmal vorwerfen, dass er mit seiner „Mission“ hinter dem Berg hält. Jeder kann die Botschaften auf der Website der Bertelsmann Stiftung oder in seinem Buch „Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers“ nachlesen.
Der Bertelsmann-Firmenpatriarch legte auch in zahlreichen Schriften seine persönliche Weltanschauung dar.
„Es ist ein Segen, dass uns das Geld ausgeht. Anders kriegen wir das notwendige Umdenken nicht in Gang“, meinte Mohn schon 1996 in einem Stern-Interview.
Er vertritt eine Art deutschen Sonderweg in die wirtschaftsliberal globalisierte Welt, die auf eine korporatistische Unternehmenskultur setzt, den Sozialstaat als überdehnt oder gar als überholt betrachtet und eine über Wettbewerb hergestellte Effizienz als Steuerungsinstrument an die Stelle von Mitbestimmung und demokratischer Gestaltung setzen möchte. Und immer geht es auch um ein Zurückdrängen des Staates, eine Verringerung der Staatsquote und um die Senkung der Steuerlast.
Im Hinblick auf diese Mission ist die Stiftung – wie der Tagesspiegel unlängst schrieb – eine „Macht ohne Mandat“. Etwas vorsichtiger, muss man zumindest von einer Machtbeeinflussung und einem Vorantreiben des gesellschaftlichen Wandels ohne demokratische Kontrolle sprechen.
Wenn man Vertretern der Bertelsmann Stiftung diesen Vorhalt macht, erntet man regelmäßig die treuherzig bescheidene Antwort: „Wir machen doch nur Vorschläge, entscheiden tut die Politik.“
Unter dem Pathos der „Gemeinwohlverpflichtung“ oder (Zitat Mohn) „Wir helfen der Politik, dem Staat und der Gesellschaft, Lösungen für die Zukunft zu finden“ gibt es kaum ein politisches Feld von Bedeutung, wo die Stiftung mit ihren Handreichungen nicht ihre Lösungsangebote macht:
Von der so genannten Reformpolitik (also etwa der Agenda 2010 oder den Hartz-Gesetzen), über die demografische Entwicklung, die Kommunal-, die Gesundheits-, die Finanz-, die Schul-, ja sogar die Außen- und Verteidigungspolitik bis hin zur Altersvorsorge oder zum Bibliothekswesen und dem Wissensportal wissen.de oder bis zum unlängst veranstalteten Familiengipfel und vom Bundespräsidenten, über die Bundeskanzler und die Bundes- und vor allem Landesministerien, bis hin zur Kommunal- oder Finanzverwaltung überall bietet die Stiftung ihre „Lösungen für die Zukunft“ an.
Was noch entscheidender ist, die Lösungskonzepte werden auf allen Ebenen, von zahllosen öffentlichen oder halböffentlichen Institutionen, von Regierungen und Parlamenten und von fast allen Parteien von der FDP, über die CDU oder die SPD bis zu den Grünen im Sinne des herrschenden Modernisierungsdenkens begierig aufgegriffen.
Bertelsmann liefert zahllose Angebote vor allem für die Schulen:
Angefangen vom Projekt „Bildungswege in der Informationsgesellschaft (BIG 2006)“, über Gesundheitserziehung, die Initiative „Notebooks im Schulranzen“, der Förderung der Musikkultur bei Kindern, dem Projekt „Wirtschaft in der Schule“, der „Toolbox Bildung“ bis zu den Projekten „Eigenverantwortliche Schule und Qualitätsvergleich in Bildungsregionen“.
Unter dem Titel „SEIS macht Schule“ bietet die Bertelsmann Stiftung den Schulen ein Selbstevaluations- und Steuerungsinstrument an, das den (Zitat) „Entwicklungsprozess einer Schule zielgerichtet, effizient, systemisch und nachhaltig“ voranbringen soll. Ein Netzwerk von weit über 1000 sog. innovativen Schulen in 16 Bundesländern ist schon aufgebaut.
Mit dem Bertelsmann-Projekt „Media Smart“ [PDF – 32KB] soll paradoxer Weise gerade die werbetreibende Wirtschaft in den Schulen „Medien- und Werbekompetenz“ fördern.
Bertelsmann biete neue Steuerungsmodelle etwa für öffentliche Bibliotheken, den „Bibliothekindex“, die „Bibliothek 2007“ und last but not least baut die Stiftung eine Deutsche Internetbibliothek auf.
Bertelsmann legt Studien zum demografischen Wandel vor. Das Ergebnis ist immer das Gleiche, die sozialen Sicherungssysteme bluten angesichts der Überalterung aus, private Vorsorge ist die Rettung.
Die Stiftung führt etwa am 20. November 2006 in Berlin zusammen mit dem Internationalen Währungsfond IWF hochrangig besetzte Symposien über die Situation der öffentlichen Finanzen durch. Ergebnis: “Wir brauchen eine Neuverschuldung von Null, etwas anderes kann sich niemand mehr leisten”.
Bertelsmann hat Politiker wie den Europaparlamentarier Elmar Brok auf der pay roll [PDF – 3,6MB], dem nachgesagt wird, dass er die Erhebung von Studiengebühren in der EU-Verfassung festschreiben lassen wollte.
Die Bertelsmann Stiftung verfolgt die Idee eines Niedriglohnsektors, sie war an der Ausgestaltung des früheren Bündnisses für Arbeit, der Agenda 2010 und von Hartz IV wesentlich beteiligt.
Bei Bertelsmann absolvierten Schröder, Fischer, Merkel pünktlich ihre Antrittsbesuche. Von der Stiftung stammt die Idee eines europäischen Außenministers und sie nimmt sich auch der europäischen Militärpolitik im Sinne der Verteidigung europäischer „Interessen“ an.
Bertelsmann lädt zusammen mit dem österreichischen Bundeskanzler zum Salzburger Dialog.
Bertelsmann organisierte die 30 Millionen-Kampagne „Du bist Deutschland“.
Ich könnte den ganzen Abend allein mit der Aufzählung der Bertelsmann- Projekte füllen.
Nahezu alle stehen im Dienste dem Bertelsmannschen Verständnis von der Förderung des „Gemeinwohls“ und das heißt konkret zur Förderung des „gesellschaftlichen Wandels“ und von „Reformen“ auf allen gesellschaftlichen Bereichen.
Dies alles gemäß der Bertelsmannschen „Überzeugung, dass Wettbewerb“ und „die Prinzipien unternehmerischen Handelns zum Aufbau einer zukunftsfähigen Gesellschaft“ die wichtigsten Merkmale sind. Indem „die Grundsätze unternehmerischer, leistungsgerechter Gestaltung in allen Lebensbereichen zur Anwendung gebracht werden“, soll das Regieren besser werden, und das wiederum alles stets nach dem Prinzip „so wenig Staat wie möglich“.
Wie gesagt, das ist alles nicht hineininterpretiert oder gar unterstellt: Sie können das alles selbst im Internet nachlesen, bei Bertelsmann selbst oder wenn Sie es kritischer haben wollen hier.
Besonders engagiert ist die Bertelsmann Stiftung auf dem Feld der Hochschulpolitik, das von Reinhard Mohn als „Schlüssel zur Gesellschaftsreform“ angesehen wird.
Mohn war einer der Gründungsväter und bis vor wenigen Jahren der Hauptsponsor der 1983 gegründeten ersten privaten Universität Witten-Herdecke. Die Privatuni sollte „Stachel im Fleisch“ der staatlichen Hochschulen sein. Doch trotz großer Namen aus der Wirtschaft litt die Privatuni permanent unter Geldnot, so dass sie 1993 pleite gegangen wäre, hätte ihr nicht das Land Nordrhein-Westfalen unter die Arme gegriffen. Vor kurzem ist der Gesundheitskonzern SRH eingestiegen, um die Insolvenz abzuwenden.
Mohn hat offenbar im Laufe der Zeit erkannt, dass der Weg zur Reform des Hochschulsystems über die Gründung privater Hochschulen nicht erfolgversprechend ist. Viel effizienter erschien ihm nach den negativen Erfahrungen der Weg, besser gleich das weitgehend staatlich finanzierte Hochschulwesen wie private Unternehmen zu organisieren und in den Wettbewerb zu schicken und über die Konkurrenz um ergänzende private Drittmittel für die Forschung und die Lehre steuern zu lassen.
Die richtige Erkenntnis einerseits, dass Hochschulen ein Schlüssel zur Zukunft und die Aussichtlosigkeit andererseits, dass private Hochschulen angesichts der Qualität der öffentlichen Hochschulen in Deutschland jemals zu einem Erfolgsmodell werden könnten, haben Reinhard Mohn wohl veranlasst 1994 das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) zu gründen.
Klugerweise nahm das CHE die damals ohne jeden Apparat und ohne großen institutionellen Einfluss auf die Hochschulpolitik agierende, aber um so standesbewusstere Hochschulrektorenkonferenz (HRK) mit ins Boot und so veröffentlichten das CHE und die HRK ihre hochschulrefomerischen Lösungskonzepte unter einem gemeinsamen Kopfbogen. Damit verschaffte sich Bertelsmann über die HRK ein einigermaßen unverdächtiges Entree in die Hochschulen vor allem über die Hochschulleitungen.
Das CHE firmiert als eine private und als gemeinnützig anerkannte GmbH, die von der Bertelsmann-Stiftung mit jährlich etwa zwei – andere sprechen von 3 Millionen Euro und mehr finanziert wird. Nach eigener Darstellung handelt es sich beim „CHE“ um eine unabhängige »Denkfabrik«. Wie anschließend noch zu belegen sein wird, hat sich aber sein Leiter, Detlef Müller-Böling, inzwischen zum „informellen“ Bildungsminister der Republik aufgeschwungen.
Müller-Böling ist Professor für Betriebswirtschaftslehre – nicht etwa für Erziehungswissenschaft oder wenigstens Bildungsökonomie –, und das ist charakteristisch für die Perspektive des CHE: Es geht weniger um Bildung als vielmehr um die Übertragung betriebswirtschaftlicher Strukturen und Steuerungsinstrumente auf die Hochschulen und um die Einführung einer (die staatlichen Zuschüsse) ergänzenden privaten Bildungsfinanzierung.
Dementsprechend hat sich das CHE von Anfang an als „Sturmtrupp“ (so Thomas Barth) für das Bezahlstudium verstanden.
Das CHE hat sich als mit der antriebsstärkste „Reformmotor“ der Bertelsmann Stiftung erwiesen. (Zitat) „In ihrer Projektarbeit folgt die Bertelsmann Stiftung der Überzeugung des Stifters Reinhard Mohn, dass die Prinzipien unternehmerischen Handelns zum Aufbau einer zukunftsfähigen Gesellschaft beitragen können“.
Überall, wo sich Bertelsmann einmischt, geht es um die Mission von weniger Staat, mehr Wettbewerb, unternehmerische Leitungsstrukturen und mehr betriebswirtschaftliche Effizienz.
Die Methoden, die Bertelsmann und das CHE für ihre „Überzeugungsarbeit“ einsetzen sind im Großen und Ganzen immer dieselben: Es sind Rankings und Benchmarks.
So veranstaltet die Stiftung seit Jahren ein sog. Standort-Ranking und regelmäßig landet Deutschland als Schlusslicht. Und regelmäßig ist die Schlussfolgerung, Deutschland braucht weniger Staat, eine Senkung der Staatsquote, einen Umbau des Sozialstaats, niedrigere Löhne und vor allem niedrigere Lohnnebenkosten, Deregulierung und vor allem weniger Kündigungsschutz.
Bertelsmann produziert auch einen sog. „Transformation Index“ (BTI) in dem die Staaten der Welt am Ziel der (Zitat) „marktwirtschaftlichen Demokratie“ gemessen werden.
Der Direktor der UN Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) Heiner Flassbeck meint dazu: Solche Benchmarks sind in der Ökonomie extrem simple Verfahren: Man hat ein regional begrenztes Problem vor Augen, etwa die Arbeitslosigkeit in Deutschland, und sucht nun in anderen Regionen, wo dieses Problem in geringerem Maße auftritt, nach möglichst vielen Indikatoren, die anzeigen könnten, warum es dort besser geht. Das muss nicht falsch sein, wenn der Vergleich der einzelnen Benchmarks im Lichte einer Theorie, auf kausale und funktionale Zusammenhänge überprüft würde.
Doch um Letzteres geht es beim Benchmarking gerade nicht. Es geht um die weitgehend theorielose Aneinanderreihung möglichst vieler miteinander verbundener oder auch unverbundener Befunde. Zitat Flassbeck: „Was als „Schwachstellenanalyse“ ausgegeben wird, ist ein wildes Sammelsurium von Daten, Vorurteilen und Voreingenommenheiten, die sich in massiven Widersprüchen niederschlagen.“
Einer dieser – von den Autoren meist völlig unterschlagenen – Widersprüche ist, zum Beispiel, dass die ökonomisch relativ erfolgreichen skandinavischen Staaten mit ihren höchsten Staatsquoten eigentlich die „marktwirtschaftliche Demokratie“ à la Bertelsmann längst erdrosselt haben müssten.
Selbst das Ifo-Institut des ziemlich marktradikalen Professor Hans-Werner Sinn hat in einer Studie nachgewiesen, dass solche „Studien“ kaum etwas darüber aussagen, wie gut oder schlecht es tatsächlich um die Wachstumsaussichten in den bewerteten Staaten steht.
Überall dort, wo kein Markt besteht und damit das Steuerungsinstrument des Wettbewerbs nicht funktionieren kann, also vor allem im öffentlichen Sektor, etwa in den Verwaltungen, in der Schule oder bei Hochschulen, musste die Bertelsmann Stiftung wettbewerbliche Steuerungsinstrumente erst noch erfinden. Auch da dienen als Fiktion für den Marktwettbewerb Rankings und Benchmarks.
Das CHE hat so in Deutschland die Hochschulrankings hoffähig gemacht.
Inzwischen veranstaltet Bertelsmann mit über 280 Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz das größte Hochschulranking im deutschsprachigen Raum und seit geraumer Zeit wird jedes Jahr ein Drittel der gesamten Fächerpalette neu gerankt.
Zusätzlich zu den Hochschulrankings gibt es noch ein CHE-ForschungsRanking, ein CHE-LänderRanking und sogar noch ein CHE-AlumniRanking. Als vermeintlich neutrale Medienpartner dienen die bürgerlich-liberale Hamburger „Zeit“ und vorher der als links-liberal geltende „Stern“.
Aus den Rankings soll sich Qualitätsvergleiche ergeben und wer am besten abschneidet soll nach den Vorstellungen der Veranstalter solcher Rankings die Qualitätsmaßstäbe vorgeben. Das Ziel ist, dass sich die schlechter Platzierten im Wettbewerb an den besser Platzierten messen und dadurch eine Qualitätskonkurrenz zur „Entfesselung“ der Hochschulen angestoßen wird. So üben die Rankings einen Konformitäts- und Anpassungsdruck auf alle Hochschulen aus.
Man kann nun lange über die Sinnhaftigkeit von Benchmarks oder Rankings streiten. Über eine Tatsache führt nichts hinweg: Wie bei allen Vergleichsmessungen, geht es bei Rankings darum, dass Qualität quantifiziert werden muss. Oder anders: Man muss Qualität in Quantitäten ausdrücken, denn nur so lässt sich vergleichen und messen.
Bei den Rankingergebnissen 2006 werden etwa gemessen:
- Die Drittmittel pro Wissenschaftler
- Die Drittmittel pro Professor
- Die Publikationen pro Professor
- Die Publikationen pro Wissenschaftler
- Die Zitationen pro Publikation
- Die Promotionen pro Professor
- Die (durch methodisch fragwürdige Umfragen) erhobene Lehr- und die Forschungsreputation
Zudem hat man dann noch Studierende oder Personalchefs nach ihrem Urteil über den Arbeitsmarkt- Praxisbezug der Lehre gefragt, darüber hinaus wurde nach der Studienorganisation, nach der Betreuung, nach dem Kontakt zu Lehrenden gefragt. Vergleichsmaßstäbe waren ferner die Zahl der Lehrevaluationen, das Angebot an E-Learning, von AV-Medien oder IT-Infrastruktur und ähnliche Ausstattungskategorien.
Wie sollte eigentlich ein Studierender den Arbeitsmarkt- oder Praxisbezug seines Studiums beurteilen können und warum wurde nicht ein einziges Mal nach der wissenschaftlichen Qualität der Lehre gefragt?
Die Hochschulen hatten keine Kontrolle über die Daten, es ist völlig undurchschaubar, ob Vergleichbares verglichen worden ist.
Ich will allerdings nicht bestreiten, dass manche dieser erhobenen Daten eine gewisse Aussagekraft besitzen, wer jedoch den verobjektivierenden Eindruck erwecken will, mit solche Umfragen und Zahlenangaben sei etwas über die Qualität von Forschung oder über die Qualität des Studiums oder gar etwas über die hoffentlich damit verbundene Bildung ausgesagt, der täuscht sich und andere.
Ist eine Lehrveranstaltung besser oder schlechter, weil dort E-Learning oder AV-Medien eingesetzt werden?
Wird der der Lehrstoff didaktisch besser aufbereitet weil die IT-Infraststrukur besser ist? So begrüßenswert solche Ausstattungen auch sein mögen.
Rankings sollen Objektivität vorspiegeln und deshalb heben sich solche Evaluierungen ganz bewusst von der Urteilsfähigkeit der Scientific Community, also dem Urteil der Fachkollegen untereinander oder der Einschätzung Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden ab.
Die Fetischisierung der Rangliste sei Ausdruck und Symptom einer „spezifischen Erscheinungsform von Unbildung“, nämlich mangelnder Urteilskraft, schreibt der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann in seinem Buch „Theorie der Unbildung“.
„Tatsächlich ersetzt jede Reihung ein qualifiziertes Urteil, da sie besessen ist von der falschen Vorstellung, Urteilen hieße Quantifizieren“, meint Liessmann.
Nun muss man den neuhumanistischen Bildungsbegriff des Philosophen nicht teilen, aber Recht hat Liessman, wenn er schreibt, dass der Gedanke des Vergleichens und der Reihung in Verbindung mit dem Paradigma betriebswirtschaftlichen Denkens steht, das den Betriebsablauf von Hochschulen eher mit dem von Unternehmen vergleicht.
Geradezu ein Musterbeispiel für die Ökonomisierung des bildungspolitischen Denkens ist die seit über 10 Jahren andauernde Kampagne des CHE für die Einführung von Studiengebühren.
Da wird nun seit Jahren in immer neuen Varianten die Propagandatrommel mit den immer gleichen Parolen gerührt:
- Angesichts der knappen öffentlichen Kassen bedürfe es eines höheren privaten Anteils an der Finanzierung der Hochschulen.
- Durch Studiengebühren entstehe ein „nachfrage- und preisorientierter Steuerungseffekt“ auf die Hochschulen. Der „Kunde“ Student werde „König“.
- Studiengebühren schafften mehr Wettbewerb unter den Hochschulen und verbesserten dadurch die Qualität des Studienangebots.
- Die höhere Kostenbeteiligung der Studierenden führe zu „effizienterem Studierverhalten und damit zu kürzeren Studienzeiten“.
Alle diese Argumente sind nicht nur bildungspolitisch, sondern auch noch betriebswirtschaftlich falsch bzw. führen in eine falsche Richtung.
Das fängt schon damit an, dass die ökonomische Grundregel, wonach ein höherer Preis die Nachfrage senkt, regelmäßig außen vor gelassen wird.
Dass diese Regel aber greift, beweist der jüngste Rückgang der Erstsemesterzahlen in Nordrhein-Westfalen um 5,3 % und in Niedersachsen um rund zwei Prozent nach der Einführung von Studiengebühren. Die Studentenwerke in Niedersachsen verzeichnen einen Einbruch bei den Bafög-Anträgen um mehr als 8%.
Selbst die gebührenfreundliche Zeit titelt am 9. November 2006: „Die abschreckende Wirkung der Studiengebühren ist kein Hirngespinst.“
Es wird ferner komplett vor die Denkklammer gezogen, warum die öffentlichen Kassen eigentlich so knapp und warum die Hochschulen unterfinanziert sind.
Dass das etwas – wie Rudolf Hickel das nennt – mit dem „Steuersenkungswahn“ vor allem bei den Unternehmens- und kapitalbezogenen Steuern zu tun haben könnte, unterliegt geradezu einem Denkverbot.
Dass die 60 Milliarden Steuerentlastung durch die Regierung Schröder für die Unternehmen kaum als Investivkapital in Deutschland angelegt wurden und deshalb auch kaum Arbeitsplätze schufen, wird nicht zur Kenntnis genommen, und dass – jetzt einmal volkswirtschaftlich betrachtet – Investitionen in „Humankapital“ – wie selbst die OECD meint – viel dringender und zukunftsträchtiger wären, ist allenfalls ein Versatzstück für Sonntagsreden unserer Politiker.
Man betrachte nur einmal die Zahlen: 60 Milliarden für Steuersenkungen, 565 Millionen bis 2010 für den sog. Hochschulpakt 2020, mit dem ein Anstieg der Studierendenzahlen von 1,9 Millionen auf 2,7 Millionen, also um 40 Prozent bewältigt werden soll.
Dass es unter den Bedingungen eines Nachfrageüberhangs (der sich im numerus clausus ausdrückt) nach der ökonomischen Lehre erst einmal zu einem höheren Preis und noch lange nicht zu einem Qualitätswettbewerb kommt, lernt man selbst als Betriebswirt schon im ersten Semester.
Statt eines nachfrageorientierten Steuerungseffektes auf das Hochschulsystem und der wissenschaftlichen Ausbildung kommt es eher zu einer Fehlsteuerung:
Studiengebühren verzerren den Wettbewerb zwischen den Hochschulen noch stärker zugunsten großer Hochschulen in Ballungsräumen und zugunsten von Hochschulen, die auf Grund der Attraktivität der Städte einen Standortvorteil haben.
Wie sollten Hochschulen mit weniger Studierenden und damit geringeren Studiengebühreneinnahmen wie etwa Siegen oder Greifswald, um nicht von Wuppertal zu sprechen, mit den großen Unis in Köln, München oder Berlin mithalten können?
Es kommt unter den Hochschulen wie in der Fußballbundesliga zu einer Art Bayern-München-Effekt – die großen und reichen Hochschulen schlagen die kleinen und kaufen ihnen die besten Spieler ab.
Der Unterschied zwischen Fußball und Hochschule ist allerdings, dass beim Fußball nur die Fans etwa von Rostock oder Cottbus leiden, bei den Hochschulen aber die Masse der Studierenden, die nicht an einer Elitehochschule studieren können.
Studiengebühren werden zu einer Hierarchisierung der Hochschullandschaft mit unterschiedlicher Qualität führen. Deutschland hat aber – international anerkannt – seine besondere Stärke in der Breite der wissenschaftlichen Ausbildung bei hoher Qualität.
Wird der Kunde Student wirklich König?
Wie wenig die Anhänger eines nachfrageorientierten Steuerungseffekts ihrer Propaganda wirklich trauen, zeigt sich am deutlichsten darin, dass die allermeisten unter den Studiengebührenbefürwortern, die Forderung nach einer Studiengebühr mit einem Auswahlrecht der Hochschule verknüpfen. Das ökonomische Grundprinzip der Nachfrage-Angebotssteuerung, nämlich der freie Marktzugang, wird also gleich wieder außer Kraft gesetzt.
Da zittert also offenbar die „invisible hand“: Nichts ist`s mit dem freien Marktzugang, nichts ist`s mit dem König Kunden. Der Anbieter sucht sich seine ihm passenden Kunden aus.
Studiengebühren dürften darüber hinaus noch zu einer Fehlsteuerung der Ausbildungsangebot und damit der Wissenschaft insgesamt hin zu solchen Studien und Wissenschaftsdisziplinen führen, die viel nachgefragt werden, weil sie sich „auszahlen“, also einen hohen und schnellen „return of investment“ erwarten lassen.
Die Hochschulen werden also – der ökonomischen Vernunft folgend – möglichst viele „billige“ Studiengänge anbieten. Diese Tendenz zeigt sich in der Realität der privaten Hochschulen in Deutschland: die meisten bieten allenfalls Fächer der Betriebswirtschaftlehre oder bestenfalls noch Jura an, keine aber die erheblich teureren Ingenieur- oder Naturwissenschaften.
(Zum Vergleich: Ein Medizinstudiengang an einer staatlichen Hochschule kostet 28.000 Euro p.a., ein BWL-Studiengang 1.990 Euro p.a.).
Und Studiengebühren beeinflussen nicht zuletzt die Studienmotivation: Wird ein Studium zu einer privaten Investition in das persönliche „Humankapital“, dann wird die Bereitschaft materielle Kosten zu tragen bzw. die Fachwahl nach möglichst geringer Verschuldung oder geringem beruflichem Risiko immer wichtiger als eine Studienwahl nach Leistung und fachlichem Interesse und vor allem auch persönlicher Neigung.
Und schließlich zur Behauptung Studiengebühren wirkten studienzeitverkürzend: Wer das behauptet, der sollte sich einmal vor Augen halten, dass schon derzeit 67% aller Studierenden neben ihrem Studium einer Erwerbsarbeit nachgehen müssen. Studiengebühren zwingen noch mehr Studierende zu noch längerer Erwerbsarbeit neben dem Studium und wirken dadurch eher studienzeitverlängernd.
In Österreich jobben nach Angaben des Wiener Professors Kolland seit Einführung der Gebühr die Studierenden um 10% mehr.
Es würde mir ein großes Vergnügen bereiten die Betriebswirte des CHE mit ihren eigenen betriebswirtschaftlichen Propagandafloskeln noch weiter im Detail zu widerlegen. Das muss ich mir heute ersparen. Sie können das aber in allen Einzelheiten auf den NachDenkSeiten nachlesen.
Dennoch: Das CHE und seine Verbündeten, vor allem dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft – dem verlängerten Arm der Arbeitgeberverbände in der Wissenschaftspolitik – haben sich politisch durchgesetzt: In neun Ländern ist die Einführung von Studiengebühren Gesetz oder wird Gesetz.
Es ist ziemlich interessant einmal zu beobachten, wie sich dieser bildungspolitische „Paradigmenwechsel“ vollzogen hat – weil sich darin auch der gesellschaftspolitische Paradigmenwechsel nachzeichnen lässt.
Seit den 60er Jahren bis über die Jahrtausendwende 2002 – also dem Jahr in dem noch die „Studiengebührenfreiheit“ im HRG gesetzlich mit der Mehrheit von Bundestag und Bundesrat verankert wurde – gab es in Bund und Ländern einen gesellschaftlichen Konsens, wonach ein Studium ein öffentliches, gemeinnütziges Gut sei, dessen Förderung ein allgemeines Anliegen und eine öffentliche Aufgabe zu sein habe.
Allerdings setzte sich schon seit dem Bruch der sozial-liberalen Koalition im Jahr 1982 mehr und mehr ein von der neoklassischen, angebotsorientierten ökonomischen Lehre geprägtes, zunächst nur auf die Wirtschaft bezogenes, zunehmend aber auch die Politik und die Öffentliche Meinung beeinflussendes „libertäres“ (Thomas Meyer) gesellschaftliches Leitbild durch.
Angestoßen von den Wirtschaftsverbänden – dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft – und beraten vor allem vom Bertelsmann Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) setzte sich eine ökonomische, genauer müsste man sagen, eine betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise eines Studium durch.
Wissenschaftliche Qualifizierung wurde nicht mehr überwiegend als Fundament für die technologische Innovation und Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft und als Element des wissenschaftlichen Fortschritts und der demokratischen Teilhabe und der kulturellen Entwicklung der Gesellschaft verstanden, sondern als eine private Investition in das persönliche „Humankapital“, die später durch eine höheres berufliches Einkommen eine individuelle Rendite abwirft.
An dem gesellschaftspolitischen Paradigmenwechsel ganz allgemein hat die Bertelsmann Stiftung einen erheblichen Anteil, am bildungspolitischen Kurswechsel hat das CHE einen überragenden Anteil.
Sicher, Bertelsmann stand nicht allein, da waren die Arbeitgeberverbände, da war die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, da war der BürgerKonvent und wie die zahllos gewordenen, vom großen Geld finanzierten PR-Agenturen auch alle heißen mögen.
Aber keine dieser Institutionen war so wirkmächtig wie die Bertelsmann Stiftung.
Mit ihr sind unterschiedlichste Stiftungen von der Heinz-Nixdorf- und der Ludwig-Erhard-Stiftung bis zur grünen Heinrich-Böll- und zur gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung verbunden.
Die Bertelsmann Stiftung hat es vermocht ein enges personelles und organisatorisches Netzwerk zu einflussreichen Personen aus Kultur, Wissenschaft und Politik bis zu den Bundespräsidenten, vor allem zu Roman Herzog und Horst Köhler zu flechten.
Neben dem CHE verschafft der Stiftung auch das von ihr getragene Münchner „Centrum für angewandte Politikforschung“ (CAP) mit seinem Direktor und ehemaligen Bertelsmann-Vorstandsmitglied Werner Weidenfeld auch ein internationales Renommee.
Wenn Bertelsmann lädt, kann sich kaum noch einer widersetzen – bis hin zum UN-Generalsekretär Kofi Annan. Speziell dem CHE ist es gelungen für nahezu alle Parteien ein unersetzlicher Gesprächs- und Vortragspartner zu werden, es hat sich in die Rolle eines „spiritus rectors“ für nahezu alle Wissenschaftsministerien und alle Parlamente aufschwingen können.
Nicht zuletzt werden die Botschaften über die zum Bertelsmann-Konzern gehörenden meinungsprägenden Medien verkündet.
Und natürlich greift der Spiegel mit seinem Uni-Spiegel die Argumente aus dem Haus seines Anteilseigners Bertelsmann besonders gerne auf. Der Stern kann sowieso nicht anders.
CHE-Chef Müller-Böling tingelt gern durch Fernseh-Talkrunden, wobei Verbindungen des Hauses Bertelsmann zu RTL, Stern- und Spiegel-TV sicher hilfreich sind und sich mit lobhudelnden Berichten in befreundeten Printmedien in vorteilhafter Weise ergänzen.
Das CHE arbeitet wie die anderen PR-Agenturen nach dem gleichen Stil. Man erstellt eine Studie und schafft einen Medien-Event und die Mainstream-Medien plappern die Ergebnisse unkritisch wie Papageien nach.
Das sogar dann, wenn jedem nur einigermaßen aufmerksamen Leser erkennbar wird, dass die Meldung einen manipulativen Charakter hat. So publizierte das CHE im Dezember 2003 eine Umfrage unter der Überschrift: „Studierende mehrheitlich für Studiengebühren“.
Der Haken an dieser Umfrage war nur, dass die Studierenden lediglich nach verschiedenen Gebührenmodellen gefragt wurden und die Befragten daraus das für sie akzeptabelste Modell ankreuzen sollten. Die Grundfrage, ob die befragten Studierenden überhaupt für oder gegen Studiengebühren sind, wurde gar nicht erst gestellt. Dennoch: Die Überschrift „Mehrheit für Studiengebühren“ schaffte es in die Schlagzeilen und wurde von den Gebührenbefürwortern natürlich genüsslich zitiert.
Wenn man so argumentiert wie ich, wird einem von vielen, die die Bertelsmann Stiftung nach wie vor als ein dem Gemeinwohl verpflichtetes Unternehmen betrachten und die das eine oder andere Projekt für durchaus hilfreich halten, vorgehalten, man sei ein „Verschwörungstheoretiker“.
Lassen Sie mich deshalb abschließend einmal ganz konkret belegen, wie eine solche „Verschwörung“ abläuft:
Die Entstehungsgeschichte des nordrhein-westfälischen „Hochschulfreiheitsgesetzes“ ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich die Politik und der Staat aus ihrer Verantwortung für ein zentrales Feld der Zukunftsgestaltung zurück ziehen und dem Druck einer privaten Lobbyorganisationen nachgeben und sich zur verlängerten Werkbank des Centrums für Hochschulentwicklung degradieren lassen.
Schaut man nämlich einmal genauer hin, woher das dort in Gesetzesform gegossene Konzept vom Rückzug des Staates zugunsten einer „unternehmerischen“ Hochschule mit einem CEO (Chief Executive Officer) als Präsidenten und einem aufsichtsratsähnlichen Hochschulrat stammt, so stößt man auf die sog. „Governance Struktur“ des „New Public Management“-Modells das vom bertelsmannschen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) und dem „Stifterverband für die deutsche Wissenschaft“ seit geraumer Zeit der Politik angedient, um nicht zu sagen aufgenötigt wird.
Das lässt sich beim nordrhein-westfälischen „Hochschulfreiheitsgesetz“ sogar schwarz auf weiß belegen:
Ende 2005 veröffentlichte der Gütersloher Think-Tank – so wörtlich – „Zehn CHE-Anforderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz für Nordrhein-Westfalen“.
In diesen „Anforderungen“ finden sich teilweise sogar bis in den Wortlaut hinein die Formulierungen, die der hiesige Innovationsminister Pinkwart, ohne jede politische Debatte in seiner Partei, geschweige denn im Landtag kurze Zeit später auf einer Pressekonferenz am 25. Januar 2006 als seine eigenen „Eckpunkte des geplanten Hochschulfreiheitsgesetzes“ vorstellte.
Die Identität beider Papiere (Sie können das alles schwarz auf weiß im Internet nachlesen) ließe sich an vielen Stellen belegen (hier nur zwei Beispiele):
- In den CHE-Anforderungen heißt es: „Es geht dabei insbesondere um die Möglichkeit einer Stärkung der körperschaftlichen Seite der Hochschulen bei gleichzeitiger Minderung ihrer Eigenschaft als staatlicher Einrichtung“.
Bei Pinkwart heißt es: „Die Hochschulen werden als Körperschaften des öffentlichen Rechts verselbständigt und sind künftig keine staatlichen Einrichtungen mehr.“ - Oder zum Hochschulrat (also dem Künftigen Aufsichtsrat):
Wortlaut CHE: „In verschiedenen Bundesländern ist bereits ein Modell eingeführt worden, in dem die Kompetenzen vom Staat auf einen Hochschulrat übertragen worden sind, wobei die Wahl des Rektorats und die Verabschiedung der Grundordnung unabdingbar dazu gehören. Der Hochschulrat muss hierdurch zu einem insbesondere in strategischen Fragen wichtigen Entscheidungsorgan werden. Die Mitglieder sollten extern bestellt werden.“
Wortlaut Pinkwart: „Der Hochschulrat tritt als neues Organ an die Stelle des Kuratoriums und besteht mindestens zur Hälfte aus Mitgliedern von außerhalb der Hochschule…Der Hochschulrat entscheidet über die strategische Ausrichtung der Hochschule und nimmt die Fachaufsicht war. Er beschließt über den Hochschulentwicklungsplan und die von den Hochschulen mit dem Land ausgehandelten Zielvereinbarung“.
Damit aber noch nicht genug:
Zwei Tage nach Pinkwarts Pressekonferenz meldet sich der Leiter des CHE Detlef Müller-Böling zu Wort und erteilt dem Minister Zensuren:
“Das CHE begrüßt Eckpunkte für ein NRW-„Hochschulfreiheitsgesetz“, sieht aber noch Entwicklungspotentiale“, heißt es in den CHE-News vom 27. Januar.
Das CHE bewertet dort Pinkwarts Eckpunkte „überwiegend positiv“. „In einigen Punkten erscheinen Modifikationen sinnvoll und der eine oder andere Punkt, der sich in den Eckpunkten bislang nicht findet, kann in dem Gesetz ja durchaus noch angesprochen werden.“
In dieser Tonlage fährt das Zeugnis des CHE fort: Pinkwart „trägt Rechnung“, „richtig ist“, Pinkwart „sollte“ usw. usf.
Mit Verlaub, hier drückt sich eine Anmaßung eines durch nichts als durch das nötige Geld legitimierten privaten Interessensgruppe gegenüber dem Staat, der Regierung und dem Parlament aus, die nach demokratischen Maßstäben eigentlich nicht mehr hinnehmbar ist. Die Politik wird geradezu zum Befehlsempfänger von Bertelsmann degradiert.
Damit aber immer noch nicht genug:
Das nordrhein-westfälische „Hochschulfreiheitsgesetz“ wurde nicht nur am Schreibtisch des CHE entworfen, nach seiner Verabschiedung soll es nun auch noch bei seiner Umsetzung von den gleichen „unabhängigen Experten“ begleitet werden, um damit eine (Zitat) “möglichst hohe Qualität bei der Umsetzung zu sichern“.
Nachdem sich also schon der Staat dem Einfluss dieser privaten Lobbyorganisation preisgegeben hat, sollen sich nun auch noch die Hochschulen selbst dem Regime des CHE unterordnen.
Das hätte sich früher einmal „der Staat“ erlauben sollen, nämlich die Hochschulen bei der Umsetzung eines Gesetzes zum „Erfolg“ zu führen. Der Untergang der Freiheit von Wissenschaft und Forschung und damit der Epoche der Aufklärung wäre von den Hochschulen beschworen worden.
Aber wenn nun einer der mächtigsten und politisch einflussreichsten Konzerne den Hochschulen sagt, was sie zu tun haben, dann scheint das von den Hochschulen ganz selbstverständlich hingenommen zu werden.
Mir fällt dazu nur noch ein: Die nordrhein-westfälischen Hochschulen nehmen ihre ihnen angeblich durch das „Hochschulfreiheitsgesetz“ zugestandene Freiheit dadurch wahr, dass sie freiwillig auf diese Freiheit verzichten.
Im Mittelalter beherrschten die Kirche und die Monarchen die Wissenschaft und die Universitäten, im 21. Jahrhundert soll es wohl Bertelsmann und das mit ihm verknüpfte Netzwerk sein.
Leider ist eine neue Epoche der Aufklärung, die der Wissenschaft wieder ihre Unabhängigkeit zurückgeben könnte, nicht in Sicht.
Wer nun meint, Düsseldorf sei eben nicht so weit weg von Gütersloh und es sei doch ganz schön, dass sich ein nordrhein-westfälischer Think-Tank um Landesangelegenheiten kümmert, der verharmlost die Situation.
Das CHE bewertet in gleicher Weise das neue Hochschulgesetz in Sachsen und auch anderswo.
Das CHE ist offenbar ganz gezielt in das Kompetenzvakuum eines fehlenden und rahmensetzenden Bundeshochschulministeriums gestoßen und füllt die in unserer Verfassung nicht vorgesehene Rolle eines Bundeshochschulministeriums aus – ein informelles Ministerium, das allerdings nicht dem Parlament sondern nur der Bertelsmann Stiftung rechenschaftspflichtig ist. Der Autor des Buches „Hinter der Fassade des Medienimperiums“ Frank Böckelmann, nennt das „eine Privatisierung der Politik“.
Es ist allerdings eine Privatisierung der Politik auf öffentliche Kosten, denn immerhin hat sich die Familie Mohn durch die Gründung der Stiftung, riesige Summen an Erbschaft – oder Schenkungssteuern erspart und zweitens sind die Dividenden, die an die „gemeinnützige“ Stiftung abgeführt werden, steuerbegünstigt.
Nun mögen einige von Ihnen mich vielleicht immer noch als einen Verschwörungstheoretiker abtun. Etwa weil Sie einwenden, die Bertelsmann Stiftung habe doch nichts mit der Unternehmenspolitik Bertelsmann AG und schon gar nichts mit den von diesem Konzern beherrschten oder beeinflussten Medien zu tun.
Da möchte ich zu meiner Verteidigung anführen, dass selbst Reinhard Mohn sagt, dass die Stiftung ein „Garant der Unternehmenskontinuität des Hauses Bertelsmann“ sei. Die Mohns beherrschen sowohl den Konzern wie dessen Stiftung und haben nicht ohne Grund bislang einen Börsengang vermieden. Die Konzernmatriarchin Liz Mohn und ihre Berater haben nach dem Rückzug des Patriarchen Reinhard Mohn in der Stiftung wie im Konzern das Sagen.
Nebenbei noch ein kleiner Hinweis zu den von Bertelsmann ach so geliebten Benchmarks: In den USA dürfen steuerbegünstigte Stiftungen nicht mehr als 20 Prozent eines Unternehmens halten, um möglichen Interessenkonflikten vorzubeugen. Außerdem müssen sie ihre für ihre Ausgaben akribisch öffentlich Rechnung ablegen.
Natürlich ist es nach wie vor richtig, dass Bertelsmann die Gesetze nicht selber verabschiedet, sondern dass diese sei es von der Exekutive oder der Legislative vorgelegt und vom Parlament verabschiedet werden. Aber über die personellen Netzwerke wird der „Reformmotor“ zur eigenständigen politischen Antriebskraft, der auch außerhalb der Parlamente eine Art Eliten-Konsens schafft – und dabei nebenbei auch noch ein positives Image für den Konzern erzielt.
Es ist das Recht eines jeden Unternehmers, der meint, etwas zur Verbesserung der Gesellschaft beitragen zu können, eine Stiftung zu gründen und Themen bearbeiten zu lassen. Dass sich dabei Gleichgesinnte treffen, wird jeweils unvermeidlich sein. Es ist auch das gute Recht einer jeden Regierung, denjenigen mit einer Politikberatung zu beauftragen, der ihr politisch sympathisch ist.
Doch wer öffentliche Aufgaben erfüllt, Gesetze verändern will, die in Gestaltungsrechte und Lebenschancen von Millionen Bürgern eingreift, der muss sich der öffentlichen Auseinandersetzung stellen. Die Mitwirkenden müssen ihre gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Ziele offen legen, die Öffentlichkeit muss den Prozess nachvollziehen und erkennen können, wer welchen Einfluss ausübt und welche Konsequenzen das Vorgehen hat.
Das geradezu paradoxe am Verhalten der Bertelsmann Stiftung ist, dass sie zwar überall nach Wettbewerb ruft, diesen Wettbewerb aber bei sich selbst konsequent verhindert.
Das, nicht nur indem sie „ausschließlich operativ“ arbeitet, d.h. nur ihre von ihr selbst initiierten Projekte fördert und keine Projektanträge von außerhalb zulässt, also wissenschaftlichen Pluralismus satzungsmäßig ausschließt, sondern indem sie darüber hinaus sich vor keinem Parlament und keinem Rechnungshof, ja nicht einmal vor einem Aufsichtsrat, der wenigstens unterschiedliche Interessen von Kapitalanlegern vertreten könnte, für den Einsatz ihrer Gelder und die damit verfolgten Ziele rechtfertigen muss.
Die Netzwerkarbeit und Projektentwicklung der Bertelsmann Stiftung ist so angelegt, dass sich die Akteure gar nicht mehr mit Gegenmeinungen und Kritik auseinandersetzen, dass sie Kritik in einer Haltung der Selbstgewissheit an sich abprallen lassen können und so auftreten, als hätten sie die Richtigkeit und Wahrheit ihrer Konzepte von vorneherein und zweifelsfrei erkannt.
Wo hat sich etwa die Bertelsmann Stiftung den parlamentarischen Anhörungen gestellt, wo hat sich das CHE den studentischen Protesten gegen die Studiengebühren ausgesetzt oder auch nur sich mit den studentischen Gegenargumenten auseinandergesetzt?
Nicht dass man die Argumente der Protestierenden übernehmen müsste, aber Kritik wahrzunehmen und sich damit auseinander zusetzen ist etwas anderes, als sie totzuschweigen bzw. über seinen Einfluss über die Medien einfach mundtot zu machen.
Das Spektrum der Öffentlichen Meinung und der Politik wurde so nicht etwa erweitert, sondern im Gegenteil verengt und in einer Weise kanalisiert, wie es offen ausgewiesene Interessengruppen – wie z.B. Industrieverbände oder die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft – kaum zu erreichen vermögen.
Unter dem Zwang der leeren öffentlichen Kassen und unter dem beschönigenden Etikett eines „zivilgesellschaftlichen Engagements“ greift der Staat die „gemeinnützigen“ Dienstleistungen privater Think-tanks nur allzu gerne auf.
Ja noch mehr, er zieht sich aus seiner Verantwortung immer mehr zurück und überlässt wichtige gesellschaftliche Bereiche wie etwa die Bildung oder die Hochschule gleich ganz den Selbsthilfekräften bürgerschaftlichen Engagements.
Aus dieser zivilgesellschaftlichen Staats- und Gesellschaftsvorstellung speist sich die Idee von der „selbständigen Schule“ oder der „Entlassung“ der Hochschule aus der staatlichen Verantwortung.
Zitat Liz Mohn: „Der anonyme Wohlfahrtsstaat hat ausgedient, an seine Stelle tritt der soziale Staat, der vom bürgerschaftlichen Engagement und vom solidarischen Verhalten aller lebt. Dass möglichst viele verantwortungsvoll ihr Können in den Dienst der Gemeinschaft stellen, das macht diesen Staat auf Dauer lebensfähig“, das schrieb Liz Mohn am 5.12. 2006 in einem Gastkommentar zum „Tag des Ehrenamtes“ in der Financial Times Deutschland.
Ist es die innere Distanzierung der Redaktion oder eher Stolz, wenn die FTD in einer Unterzeile zu diesem Beitrag von Liz Mohn darauf hinweist: „Das Unternehmen Bertelsmann ist über den Verlag Gruner + Jahr an der FTD beteiligt“?
Und wie wir gerade die letzten Tage wieder lesen konnten, will Finanzminister Steinbrück dieses zivilgesellschaftliche Engagement in Zukunft noch stärker steuerlich privilegieren.
Die Rollenverteilung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen bei ihrem „Dienst an der Gemeinschaft“ ergibt sich dabei ziemlich naturwüchsig daraus, was eben der einzelne mit seinem bürgerschaftlichen Engagement zu leisten vermag.
Diejenigen, die nicht so viel Geld und Vermögen haben, machen Sozialarbeit, also Altenpflege oder Übungsleiter im Sportverein, die Vermögenden vergeben Forschungsaufträge oder Stiftungslehrstühle oder sie stiften gleich ganze Denkfabriken und prägen damit den Gang der Wissenschaft oder den gesellschaftlichen Diskurs und bestimmen so die gesellschaftliche und die politische Weiterentwicklung.
Diese „zivilgesellschaftliche“ Macht ist stützt sich ausschließlich auf Reichtum und Vermögen. Darauf, dass eben zum Beispiel der Bertelsmann-Konzern und seine Stiftung mehr Geld hat als jede andere private und staatliche Institution, Expertisen und Gutachten erstellen zu lassen, Kongresse zu veranstalten, Forschungsaufträge zu erteilen, um die Mission ihres Stifters zu verbreiten.
Demokratisch legitimierte Macht im Staate wird so mehr und mehr durch Wirtschaftsmacht zurückgedrängt, ja sogar teilweise schon ersetzt.
Aus privaten Netzwerken und Souffleuren der Macht werden tatsächliche Machthaber. So hat sich inzwischen eine private institutionelle Macht des Reichtums herausgebildet, die streng hierarchisch organisiert ihren Einfluss über das gesamte politische System ausdehnt und die Machtverteilung zwischen Parteien, Parlamenten und Exekutive unterwandert und gleichzeitig die öffentliche Meinung prägt.
Diese Art von Zivilgesellschaft befördert nicht nur die ohnehin bestehende extreme materielle Ungleichheit zwischen Arm und Reich, sondern dieser Weg schließt – anders als das im Modell des Mehrheitsprinzip in der Demokratie vorgesehen ist – vor allem die große Mehrheit der weniger wohlhabenden Bevölkerung mehr und mehr von der politischen Teilhabe und der Gestaltung ihrer gesellschaftlichen Zukunft aus.
Die Timokratie – eine Herrschaft der Besitzenden – löst die Demokratie ab.