Neoliberale Netzwerke: FOCUS-Money unterstützt durch die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ und ThyssenKrupp erklären in einem Schulprojekt die Wirtschaft
„Das Wissen um wirtschaftliche Zusammenhänge wird in modernen Gesellschaften immer wichtiger; die Auseinandersetzung mit Themen zu ökonomischen Abläufen und Hintergründen ist gerade für Jugendliche entscheidend für ihre Weiterbildung und Karriere. Aus diesem Grund hat FOCUS-MONEY das Schulprojekt „Wir erklären die Wirtschaft“ ins Leben gerufen. Einmal im Monat erhalten interessierte Lehrer und Schüler das 8- bis 10-seitige PDF kostenlos per Mail. Aktuelle Themen, eine spannende Aufbereitung und eine verständliche Erklärung bringen Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I und II ökonomische Zusammenhänge näher. Unterstützt wird das Projekt von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und ThyssenKrupp.“ So lautet eine Ankündigung von FOCUS macht Schule. Das ist nur eines von vielen Beispielen, wie Netzwerke zur neoliberalen Um-Erziehung arbeiten. Wolfgang Lieb.
Wenn neoliberale Ideologen nicht mehr weiter wissen, etwa wenn man ihnen nachweist, dass ihre Rezepte versagt haben und dass sie unser Land mit ihren marktradikalen „Reformen“ ruinieren, und wenn man ihnen vorhält, dass sie dennoch die öffentliche Meinung beherrschen können, weil sie mit viel Geld und in bestens geschmierten Netzwerken Meinung „machen“, dann kommt regelmäßig der Vorwurf: „Sie sind ein Verschwörungstheoretiker!“ Mit dem Vorwurf, man wittere eine Verschwörung, sollen diejenigen, die auf die systematische und geplante Zusammenarbeit und Propaganda neoliberaler Kräfte oder gezielte und koordinierte Strategien zur Durchsetzung ihrer Ideologie hinweisen, als unseriös oder gar als Spinner verunglimpft werden.
Leider gibt es immer mehr und immer neue Belege dafür, wie systematisch die Meinungsbeeinflussung im Sinne der neoliberalen Ideologie betrieben wird.
Auf ein weiteres Beispiel, wie versucht wird, auf die Köpfe von Kindern und Jugendlichen in den Schulen Einfluss zu nehmen, hat uns ein Leser mit einem Hinweis auf das Schulprojekt „Wir erklären die Wirtschaft“ von FOCUS-Money – unterstützt von der neoliberalen PR-Agentur „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) und ThyssenKrupp – aufmerksam gemacht.
Wir haben auf den NachDenkSeiten schon vielfach über Beeinflussung von Bildungsinhalten an öffentlichen Schulen durch private Interessen berichtet, so etwa über das Projekt „Handelsblatt macht Schule“,über die schulischen Aktivitäten der Bertelsmann Stiftung, oder über sog. PPP-Projekte im Bereich schulischer Bildung, bei denen sich Firmen oder wirtschaftsnahe Stiftungen mit Schulen oder Schulträgern oder gar Schulministerien zur Entwicklung von Lernprojekten zusammengeschlossen haben.
Das Schul-Projekt des beim Burda-Verlag, dem Marktführer bei den Publikumszeitschriften, erscheinenden Wirtschaftsblattes FOCUS-Money ist also nur eines unter vielen interessensbezogenen Vereinnahmungsversuchen. Es ist aber ein durch die ganz offene Kooperation mit einem besonders lautstarken „Lautsprecher des Kapitals“ (Die Zeit)ein besonders dreister Vorstoß der ideologischen Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen.
Bisher hat die INSM neben ihren Medienkampagnen meist nur Netzwerke im Hintergrund geknüpft oder ihre „Botschafter“ als „Experten“ in Szene gesetzt, inzwischen geht diese vom Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie finanzierte (sich selbst neoliberal nennende) „Apo des Kapitals“ (Harald Schumann) auch ganz ungeschminkt auf die Schulkinder los.
Der zweite Unterstützer des FOCUS-Money Schulprojekts ist ThyssenKrupp.
Mit welcher Reputation gerade dieser Konzern den Schulkindern „Wirtschaft erklären“ können soll, das können wir dieser Tage in allen Zeitungen nachlesen.
Gegen diesen Stahlriesen hat soeben die EU-Kommission wegen unerlaubter Preisabsprachen als „Wiederholungstäter“ eine Strafe von fast einer halben Milliarde Euro verhängt. Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes warf ThyssenKrupp vor, es habe vor allem auch öffentliche Einrichtungen, wie etwa Krankenhäuser „schamlos über den Tisch gezogen“.
Dass die Schulministerien der Länder es nicht klipp und klar untersagen, dass ein Unternehmen, das seit 1994 notorisch an Kartellabsprachen beteiligt ist und eklatant gegen die Prinzipien der Marktwirtschaft verstößt, den Schülern „Wirtschaft erklären“ darf, ist eigentlich der viel größere Skandal hinter dem Skandal der Preisabsprachen.
Genauso „schamlos“, wie die Kunden von ThyssenKrupp sollen auch die Schüler „über den Tisch gezogen“ werden.
Dazu genügt ein Blick in das von „promedia“ aufbereitete Unterrichtsmaterial [PDF – 296KB] . In einem Arbeitsblatt für die Sekundarstufe I soll z.B. das Thema „Globalisierung“ „erklärt“ werden:
Dazu sollen die Schüler erst einmal ein „Cluster“ erstellen. Zur Anleitung wird auf eine private Website eines Theologen verwiesen. Ich zitiere nur einmal zur Erheiterung (oder zur Erregung von Zorn) wie es dort erläuternd heißt:
Das Cluster ist ein Brainstormingverfahren, in dem Verbindungen der notierten Assoziationen sichtbar werden. Entwickelt wurde es von Gabriele L. Rico in ihrem Buch “Writing the natural way” (Dt.: Garantiert schreiben lernen).
Zuweilen wird das Cluster mit einer Mindmap verwechselt. Trotz gewisser Ähnlichkeiten dienen die Methoden aber unterschiedlichen Zwecken (…): Das Cluster ist ein Assoziationsverfahren, die Mindmap ein Verfahren zur Systematisierung. Die Methoden sind aber miteinander kombinierbar. So kann zum Beispiel ein Cluster als Ausgangspunkt für eine Mindmap dienen.
Ob ein solcher Text einen Lernmotivationsschub auslösen wird?
Könnte man darüber noch belustigt hinweggehen, kann man wirklich nur noch ärgerlich werden, wenn es um die Inhalte geht: Bei der Online Recherche sollen die Schüler selbstredend „WTO, IWF, Weltbank, G 8) berücksichtigen. Ein „erbitterter Globalisierungsgegner“ soll davon überzeugt werden, „dass mit der Globalisierung auch Vorteile verbunden sind“.
Es wird der Mannheimer Wirtschaftsprofessor Axel Börsch-Supan zitiert, wonach Arbeitnehmer mit besserer Qualifizierung zu den Gewinnern der Globalisierung gehören. Bei einem von der INSM unterstützten ist es nur selbstverständlich, dass Börsch-Supan als Lobbyist der Versicherungswirtschaft einer der Lieblinkskronzeugen der „Initiative“ für die private Altersvorsorge ist.
Bei einem anderen Thema, der „Mehrwertsteuer“, treibt FOCUS munter Eigenwerbung. Die Schüler werden aufgefordert einen einschlägigen Artikel von „FOCUS Money“ zu lesen [pdf – 328KB]. Selbstredend darf der die konservative These nicht fehlen, dass das Steuersystem „vereinfacht“ werden müsste und abschließend wird – weil man irgendwie kritisch sein will – auf den „Freigeld“-Obskuranten Helmut Creutz verwiesen, der die Abschaffung aller einkommensbezogenen Steuern zugunsten von ausschließlich verbrauchsbezogenen Steuern fordert.
So hätten es INSM und ThyssenKrupp wohl gern: Es gibt nur noch Verbrauchssteuern, d.h. diejenigen, die ihren Lohn weitgehend komplett verbrauchen (müssen) tragen die gesamte Steuerlast. Die Vermögens- und Kapitaleinkommensbezieher bleiben steuerfrei.
Wenn es stimmt, was die von FOCUS mit der pädagogischen Umsetzung betreute Agentur „PROMEDIA“ schreibt, dann kann einem nur noch angst und bange werden:
„Jeweils mehr als 80% der Lehrer sehen durch den aktuellen Unterricht mit dem Nachrichtenmagazin FOCUS die Meinungsbildung, die Medienkompetenz und die Lesefähigkeit ihrer Schüler verbessert.
92,7% der Lehrer hat die Unterrichtsarbeit mit dem FOCUS „gut“ oder „sehr gut“ gefallen. Alle Lehrer würden wieder an „FOCUS macht Schule“ teilnehmen.“
Wenn wirklich so viele Lehrer nicht erkennen sollten, was da mit ihnen gespielt wird, dann braucht man sich über die schlechte Qualität unserer Schulbildung nicht mehr zu wundern.
Aber bei Kultusverwaltungen die solche Lernmaterialien zulassen, ist das auch nicht mehr verwunderlich.