Putin, neues Wettrüsten und das Berliner SPD-Grundsatzprogramm
In dieser Woche steht im „Spiegel“ ein Artikel (Rüstung – Der geplatzte Traum) über die Gefahren eines neuen Wettrüstens. Dabei wurde der Eindruck erweckt, diese bedrückende Gefahr gehe sozusagen auf die Russen zurück und sei mit der Münchner Rede des russischen Präsidenten Putin manifest geworden. Dass eine der Ursachen die Ausdehnung der NATO und die jeweilige Aufrüstung in und mit den neuen NATO-Ländern ist, wird dabei „geschlabbert“. Dass diese Ausdehnung keine Selbstverständlichkeit war, wird einem nochmal klar, wenn man im immer noch gültigen Berliner Grundsatzprogramm der SPD vom 20.Dezember 1989 nachliest. Es ist dort von „Auflösung der“ Bündnisse die Rede. Zitat folgt.
- Zunächst zu einigen Formulierungen des „Spiegel“:
Seit der Münchner Rede von Präsident Putin geht das Gespenst neuer militärischer Rivalität zwischen Moskau und Washington um.
So ein Unsinn. Der „Spiegel“ beschreibt später selbst, dass sich die USA und die NATO einen unaufholbaren Rüstungsvorsprung „errüstet“ haben.
Der Traum vom freundlichen Miteinander scheint wieder geplatzt.
Heißt es im „Spiegel“ mit Bezug auf die Putin-Rede. Man kann halten von Putin, was man will, dass er den Traum zum Platzen gebracht haben soll, ist mehr als abwegig.
Dann fällt dem „Spiegel“ noch eine wunderbare Entschuldigung für die Aufrüstung der USA ein:
.. in einer Lage, in der die amerikanische Supermacht ihren Krieg gegen den Terror mit dem Rücken zur Wand führen muss, entfalten Reden wie die von Putin leicht eine gefährliche Eigendynamik: uralte Ängste werden bestätigt, Revanchegelüste geweckt.
Auch das ist eine merkwürdige Einlassung: die Ausdehnung der NATO bis an die Grenzen Russlands hatte mit dem Kampf gegen den Terror nahezu nichts zu tun gehabt. Diese Entscheidung, ein Land nach dem andern zu animieren, der NATO beizutreten, lag lange vor dem Kampf gegen Terror und hat sehr viel mehr mit westlichen Rüstungsinteressen als mit Abwehr des Terrors zu tun. Interessant in diesem Kontext ist auch, dass nach meinem Wissen die Völker jener Länder, die der NATO beigetreten sind, diesen Schritt mehrheitlich nicht befürworteten. Diese Entscheidungen waren typischerweise immer von den Eliten getroffen und dann allerdings mit massiver Propaganda dem eigenen Volk nahe gebracht worden.
- Und nun noch einige Zitate aus dem SPD-Grundsatzprogramm vom 20.12.1989; es wurde zweieinhalb Monate nach dem Fall der Mauer in Berlin verabschiedet. Zu behaupten, es sei ohne Kenntnis der deutschen Vereinigung verabschiedet worden, wie das heute gelegentlich geschieht, trifft den Sachverhalt nicht. Da ich selbst an einigen Formulierungen beteiligt war, kann ich die damalige Bewusstseinslage einigermaßen abschätzen.
Ich zitiere aus dem „Kapitel III. Frieden in gemeinsamer Sicherheit“:Gemeinsame Sicherheit
Ost und West haben den Versuch, Sicherheit gegeneinander zu errüsten, mit immer mehr Unsicherheit für alle bezahlt. …
Unser Ziel ist es, die Militärbündnisse durch eine europäische Friedensordnung abzulösen. Bis dahin findet die Bundesrepublik Deutschland das ihr erreichbare Maß an Sicherheit im Atlantischen Bündnis, vorausgesetzt, sie kann ihre eigenen Sicherheitsinteressen dort einbringen und durchsetzen, auch ihr Interesse an gemeinsamer Sicherheit. Der Umbruch in Osteuropa verringert die militärische und erhöht die politische Bedeutung der Bündnisse und weist ihnen eine neue Funktionen zu: Sie müssen, bei Wahrung der Stabilität, ihre Auflösung und den Übergang zu einer europäischen Friedensordnung organisieren. Dies eröffnet auch die Perspektive für das Ende der Stationierung amerikanischer und sowjetischer Streitkräfte außerhalb ihrer Territorien in Europa.
Im Bündnis muss der Grundsatz gleicher Souveränität gelten.Das klingt wie von einem andern Stern. Aber war es deshalb und ist es deshalb falsch?
Und noch ein Zitat, einige Absätze zuvor:
Friedenspolitik muss Machtkonflikte entschärfen, Interessenausgleich suchen, gemeinsame Interessen aufgreifen, dem Vormachtstreben der Weltmächte durch regionale Zusammenschlüsse entgegenwirken und Gegensätze zwischen Systemen, Ideologien und Religionen im friedlichen Wettbewerb und in einer Kultur des politischen Streits austragen.
Friedenspolitik muss die Vorherrschaft militärischer, bürokratischer und rüstungswirtschaftlicher Interessen brechen und Rüstungsproduktion in die Produktion ziviler Güter überführen.Solche Einsichten wurden spätestens von den Bomben der NATO im Kosovo/Serbien-Krieg und von der begleitenden Propaganda-Kampagne des damaligen Verteidigungsministers Rudolf Scharping und des NATO-Sprechers Jamie Shea erschlagen.