NRW-Rektoren setzen auf bedingungslose Kapitulation der Landespolitik
Wenn nun die Landesregierung NRW gehofft hatte, durch einen Kotau vor den Hochschulleitungen den Hochschulfrieden wieder herstellen zu können, so muss sie sich spätestens durch das Interview der Vorsitzenden der Landesrektorenkonferenz und Rektorin der TU Dortmund, Ursula Gather mit der Welt am Sonntag vom 23. März 2014 vom Gegenteil belehren lassen. Die Rektorinnen und Rektoren setzen offenbar auf die bedingungslose Kapitulation der Landespolitik gegenüber den Hochschulen. Von Wolfgang Lieb.
Unter der Überschrift „Was nützt ein „Hochschulzukunftsgesetz“, das Reformen in der Zukunft verbaut?“ habe ich vor kurzem über einen Ende Februar öffentlich gewordenen, überarbeiteten Entwurf eines Hochschulzukunftsgesetzes berichtet [PDF – 773 KB]. Dabei kam ich nach der Überprüfung der Veränderungen zum Ergebnis, dass das Ministerium der Kritik der Rektorinnen und Rektoren weitgehend abgeholfen hat und dass jedenfalls die Gesetzesnovell rechtlich bestimmter und freiheitsverbürgender waren als das geltende Hochschulgesetz.
Das Fazit meiner Überprüfung der Neuregelungen und deren Vergleich mit dem geltenden Gesetz ist:
„Wer also nicht eine radikal staatsabwehrende Position vertritt, nämlich dass die Hochschulen des Landes mit Staat und Parlament nichts mehr zu schaffen haben, als dass ihnen der Haushaltsgesetzgeber „Zuschüsse“ zur Verfügung stellt, der müsste eigentlich den „Krieg“ gegen diesen Gesetzentwurf einstellen.“
Wenn nun aber die Landesregierung gehofft hatte, durch einen weiteren Kotau vor den Hochschulleitungen den Hochschulfrieden wieder herstellen zu können, so muss sie sich spätestens durch das Interview der Vorsitzenden der Landesrektorenkonferenz und Rektorin der TU Dortmund, Ursula Gather mit der Welt am Sonntag vom 23. März 2014 vom Gegenteil belehren lassen [PDF – 168 KB]. Die Rektorinnen und Rektoren setzen offenbar auf die bedingungslose Kapitulation der Landespolitik gegenüber den Hochschulen.
Einer der wichtigsten Gründe für die Blockadehaltung der Hochschulleitungen wird in freimütiger Offenheit in einem gleichzeitig erschienen Artikel in der konservativen Zeitung genannt:
„Seit 2006 sind Rektoren, Kanzler und Hochschulratsmitglieder in NRW so selbstbestimmt und privilegiert wie in keinem anderen Bundesland. Nirgendwo sonst können sie (die Hochschulleitungen (WL)) freier über Ausrichtung, Personal, Geldanlagen oder ihr Gehalt entscheiden. Wer sie aus diesem Arkadien vertreiben wollte, provozierte maximalen Widerstand der 37 zu allem entschlossenen Hochschulleiter.“
Dieser „maximale Widerstand“ der „zu allem entschlossenen Hochschulleiter“ spiegelt sich auch in dem genannten Interview mit der Vorsitzenden der Landesrektorenkonferenz.
Nach wie vor beklagt sie eine „enorme Regelungsdichte“. „Letztlich ist dies keine Hochschulautonomie mehr“, schimpft Frau Gather.
„Wir lehnen das Instrument der Rahmenvorgabe weiterhin ab, da durch sie eine unverhältnismäßige Ausweitung der Befugnisse der Ministerialbürokratie erfolgt und faktisch die Fachaufsicht durch das Ministerium wieder eingeführt wird“, behauptet die Rektorin.
Bemerkenswert ist dabei zunächst einmal, dass Professorin Gather offenbar überhaupt nichts gegen eine Fachaufsicht durch ihren freischwebenden Hochschulrat einzuwenden hat, der per Gesetz Entscheidungskompetenzen hat, wie sie Staat und Parlamente über die Hochschulen nie hatten. Aber gegen die Entscheidungen der niemand rechenschaftspflichtigen Hochschulräte stellt sich die „Autonomiefrage“ offenbar nicht. Man kann sich als Hochschulmanagement ja ziemlich sicher sein, dass man mit diesem Aufsichtsrat im Rücken jeden Widerstand der Hochschulgremien brechen kann.
Zu den von Frau Gather abgelehnten „Rahmenvorgaben“ heißt es im neuen Gesetzentwurf in § 6 Abs. 5 [PDF – 773 KB]:
Das Ministerium kann im Bereich der Personalverwaltung, der Haushalts- und Wirtschaftsangelegenheiten, des Gebühren-, Kassen- und Rechnungswesens sowie der Aufgaben der Berufsbildung nach dem Berufsbildungsgesetz (Bereich zugewiesener Aufgaben nach § 76a Absatz 1) nach Anhörung Regelungen treffen, die allgemein für Hochschulen in der Trägerschaft des Landes und nicht nur für den Einzelfall gelten (Rahmenvorgaben); Rahmenvorgaben sind für diese Hochschulen verbindlich. Der Erlass von Rahmenvorgaben steht ausschließlich im öffentlichen Interesse.
Die Dortmunder Rektorin hat es offenbar bei ihrer Polemik gegen die „Rahmenvorgaben“ weder für nötig befunden ins geltende Gesetz zu schauen, noch in die Begründung für den vorliegenden Gesetzentwurf (S. 184) [PDF – 786 KB].
De lege lata heißt es im § 5 Abs. 9:
„Im Einvernehmen mit dem Finanzministerium erlässt das Ministerium Verwaltungsvorschriften zur Wirtschaftsführung und zum Rechnungswesen, zum Nachweis der sachgerechten Verwendung der Mittel sowie zum Jahresabschluss.“
Mindestens ihr Kanzler als Verwaltungsfachmann hätte der Rektorin sagen können (und müssen), dass unter einer „Verwaltungsvorschrift“ wie im geltenden Hochschulgesetz eine innerbehördliche Regelung zu verstehen ist, die auf der dienstrechtlichen Gehorsamspflicht einer „nachgeordneten Behörde“ basiert und nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt.
Der Wechsel von einer „Verwaltungsvorschrift“ in die Begrifflichkeit der „Rahmenvorgabe“ drückt also, umgekehrt wie die Mathematikerin Ursula Gather meint, gerade die rechtliche Verselbständigung der Hochschulen des Landes aus.
Aber sachliche Argumente spielten auf Seiten der Landesrektorenkonferenz in dieser Auseinandersetzung mit der Politik von Anfang an keine Rolle. Es ging und geht schlicht um einen Machtkampf.
Dank der Unterstützung durch die Oppositionsparteien und vor allem der den Hochschulleitungen – mit wenigen Ausnahmen – zu Füßen liegenden lokalen Medien, fühlen sich die Hochschulleitungen schon längst als freischwebende Duodezfürsten oder „Chief Executive Officers“, die über Parlament und Staat stehen.
Sollen für Gebührenfragen (also etwa auch der Erhebung von Studiengebühren) oder sollen für Anforderungen etwa aus dem Berufsbildungsgesetz oder aus Haushaltsgesetzen vom Staat für eine öffentliche Körperschaft keinerlei allgemeine Rahmen vorgegeben werden dürfen?
Ich habe nach dem Einknicken der Landesregierung vor dem Sturmlauf von Hochschulrektoren, von Hochschulratsvorsitzenden und der Wirtschaftslobby geraten auf eine Novelle ganz zu verzichten, die die Zukunft verbaut. Wäre man zynisch, müsste man der Ministerin raten so zu verfahren und dafür das Pinkwartsche Gesetz aus dem Jahre 2006 einfach einmal strikt anzuwenden:
Dann könnte nämlich das Ministerium nach § 5 Abs. 9 HG (und zwar ohne Anhörung der Hochschulen) wie gegenüber nachgeordneten Behörden sozusagen interne „Verwaltungsvorschriften“ erlassen.
Die Landesregierung könnte nach § 6 Abs. 1 HG „zur Steuerung des Hochschulwesens“ völlig eigenständig „strategische Ziele“ entwickeln und „auf der Grundlage dieser strategischen Ziele…hochschulübergreifende Aufgabenverteilungen und Schwerpunktsetzungen und die hochschulindividuelle Profilbildung“ bestimmen, ohne dass es eine vom Landtag in seinen Grundsätzen gebilligte und im geregelten Gegenstromverfahren mit den Hochschulen abgestimmte Hochschulentwicklungsplanung bedürfte, wie das jetzt im § 6 des neuen Gesetzentwurfs vorgesehen ist.
Da könnte denn die Ministerialbürokratie tatsächlich ihre Stärke gegenüber den Hochschulen zeigen, in dem sie Ziele- und Leistungen vorgibt und dann, wenn und soweit „eine Ziel- und Leistungsvereinbarung nicht zustande kommt…nach Anhörung der Hochschule und im Benehmen (dafür reicht im Zweifel eine Information) mit dem Hochschulrat „Zielvorgaben zu den von der Hochschule zu erbringenden Leistungen“ festlegt (§ 6 Abs. 3 HG).
Diesen geltenden Paragrafen haben die Hochschulleitungen offenbar nie zur Kenntnis genommen.
Die Landesrektorenkonferenzvorsitzende erregt sich in dem genannten Interview vor allem darüber, dass zukünftig das Ministerium „Teile der Haushaltsmittel der (!) Universitäten als Sanktion einbehalten“ können soll.
De lege ferenda heißt es derzeit:
Nach Maßgabe des Haushalts beinhalten die Hochschulverträge auch Festlegungen über die Finanzierung der Hochschulen, insbesondere hinsichtlich des ihnen für die Erfüllung konkreter Leistungen gewährten Teils des Landeszuschusses; insbesondere kann geregelt werden, dass ein Teil des Landeszuschusses an die Hochschulen nach Maßgabe des Erreichens der hochschulvertraglichen Vereinbarungen zur Verfügung gestellt wird.
(§ 6 Abs. 3 des neuen Gesetzentwurfs)
De lege lata heißt es:
Die Ziel- und Leistungsvereinbarungen beinhalten auch Festlegungen über die Finanzierung der Hochschulen nach Maßgabe des Haushalts; insbesondere kann ein Teil des Landeszuschusses an die Hochschulen nach Maßgabe der Zielerreichung zur Verfügung gestellt werden.
(§ 6 Abs. 2 HG)
In der geltenden Gesetzesfassung kann also (einseitig durch des Ministerium) ein Teil des Zuschusses einbehalten werden; in der neuen Entwurfsfassung muss das vertraglich (also beidseitig) geregelt werden.
Einmal mehr ersetzt also hier die Galle die Funktion des Gehirns, denn dass die Neuregelung hochschulfreundlicher ist, müsste jeder erkennen, der nur einen vergleichenden Blick auf die Formulierungen geworfen hat.
„Diese Mittel bekommen die Universitäten zur Erfüllung ihrer Aufgaben. Diese kann man ihnen nicht einfach wieder entziehen“
, meint die Rektorin trotzig.
Offenbar geht sie davon aus dass die Hochschulen einen festen Anspruch auf die aus Steuermitteln finanzierten Zuschüsse haben, egal ob diese Landeseinrichtungen ihre vereinbarten Ziele erreichen oder nicht. So stellt man sich auf Seiten der Rektoren offenbar „Eigenverantwortung“ vor: man kassiert das Geld vom Staat ohne Rechenschaft über die eigenen Leistungen ablegen zu müssen und ohne Verantwortung dafür tragen zu müssen, wenn man die versprochenen Leistungen nicht erbringt. Und kaum jemand scheint an dieser Haltung Anstand zu nehmen.
Es gehört inzwischen zum Ritual der „unternehmerischen“ Hochschulmanager, dass sie (nahezu durchgängig) ihre angeblichen Erfolge in den höchsten Tönen loben. Mit diesem Marketing meinen sie jede Mitsprache von Staat und Parlament abwehren zu können.
„Im Hochschulbereich hat es in den letzten Jahren keine Fehlentwicklungen gegeben“
, behauptet die Vorsitzende der Rektorenkonferenz einfach so.
Dass die weitgehend „autonom“ von den Hochschulen durchgesetzten Bologna-Reformen re-reformbedürftig sind, wird inzwischen kaum noch von jemand bestritten. Bologna verstärkte z.B. die soziale Ungerechtigkeit. Dass von manchen der Bachelor-Abschluss noch immer als „zertifizierter Studienabbruch“ kritisiert wird, dass die „Studierbarkeit“ gelitten hat, dass die Studienabbrecherquote immer noch erschreckend hoch ist, dass die numerus clausus-Fächer und die Wartezeiten zugenommen haben, dass seit die Hochschulen für die Zulassung zum Studium zuständig sind, das nackte Chaos herrscht [PDF – 78.7 KB] … all das und noch viel mehr an Kritik interessiert die Hochschulmanager offenbar nicht.
Sie rühmen sich lieber ihrer „erfolgreichen Zusammenarbeit mit der Wirtschaft“ (Gather) bei der Drittmitteleinwerbung.
Doch auch bei der Forschung, werden Erfolge einfach so in den Raum gestellt. Ein begründeter Nachweis wird nie geführt:
Weder das Förder-Ranking der DFG, also der Vergleich der Bewilligungsvolumen für die Forschung an den NRW-Hochschulen (Vgl. z.B. Tabelle 3-1 des Förder-Rankings 2009 der Deutschen Forschungsgemeinschaft [PDF – 22,4 MB]) noch die Exzellenzinitiative können als eindeutiger Beleg für die Behauptung einer generellen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der NRW-Hochschulen dienen. Die Ergebnisse der Exzellenzinitiative, bei der die RWTH Aachen ihren Exzellenzstatus behaupten und die Universität Köln hinzugekommen ist, und wonach drei Exzellenzcluster in NRW mehr eingeworben wurden, sind zwar erfreulich, sie bestätigten allerdings nur den allgemeinen Trend zur „Eliteförderung“, der das prinzipiell auf interner Gleichwertigkeit beruhende traditionelle Universitätssystem in Richtung auf eine deutliche vertikale Differenzierung aufzubrechen droht. Dadurch wurden die bestehenden Unterschiede zwischen den Universitäten entscheidend verschärft und eine „symbolische Hierarchisierung“ der Hochschullandschaft vorangetrieben. (Siehe dazu Michael Hartmann, Die Exzellenzinitiative und die Hierarchisierung des deutschen Hochschulsystems)
Entgegen der allgemeinen Darstellung, wonach es nur „Gewinner“ gebe, gibt es unübersehbar auch klare Verlierer, bei einer gleichzeitigen Konzentration der Forschungsmittelvergabe auf einige wenige sog. „führende“ Hochschulen. (Allein von 2009 auf 2010 konnten die Drittmitteleinnahmen der RWTH noch einmal um 13,6 Prozent auf nun 258 Mio. Euro gesteigert werden.)
Wenn der Trend mit „symbolischen Gewinnern“ und einer umgekehrten „Verliererdynamik“ anhält, wird man im Ergebnis in peripheren Regionen eben vornehmlich auch periphere Universitäten finden (Klaus Dörre, Matthias Neis, Das Dilemma der unternehmerischen Hochschule, Hochschulen zwischen Wissensproduktion und Marktzwang, edition sigma, 2010, S. 148.)
Die Rektoren sollten sich endlich von ihrem hohen Ross herunterbegeben. Sie müssten wissen, dass aus der Nichtanwendung des bestehenden Gesetzes kein Gewohnheitsrecht entstanden ist, auf dessen Grundlage sie eine Gesetzesnovelle bekämpfen könnten. Der Kampf gegen das Hochschulzukunftsgesetz beruht eher auf Autosuggestion als auf der Basis des bestehenden Gesetzes. Doch offenbar gibt es in diesem Machtkampf zwischen den Hochschulleitungen und der Ministerin jedenfalls auf Seiten der Rektorinnen und Rektoren kaum noch Kräfte, die sich mit den Fakten beschäftigen.
Würden wenigstens die Medien nicht nur mit den Hochschulführungen reden, sondern einmal in die Hochschulen hineingehen und mit Hochschulangehörigen aller Statusgruppen sprechen, würden sie ein ziemlich anderes Echo über das bestehende Hochschul-„Freiheits“-Gesetz und über das jeweilige Hochschulmanagement hören.
Offenbar werden die Studierenden immer erst gehört, wenn sie auf die Straße gehen und nicht, wenn sie ihre sachlichen Stellungnahmen abgeben (Vgl. hier oder etwa hier. Auch Erklärungen von zahlreichen Professorinnen und Professoren oder von zivilgesellschaftlichen und hochschulnahen Organisationen werden politisch und medial kaum zur Kenntnis genommen.
Wer in die Hochschulen hineinhört, erfährt viel Unmut über die bestehenden Zustände. Darüber berichten die Rektoren natürlich in aller Regel nicht, richtet sich diese Kritik auch gegen sie selbst. Es ist deshalb auch nicht erstaunlich, dass diese Kritik von unten auch im Landtag nicht ankommt.
Wie wenig sich vor allem die Opposition in Düsseldorf um Gesetzesinhalte und damit um die Hochschule der Zukunft kümmert, mag man daran ablesen, dass die Banalität der Veröffentlichung der bisher geheim gehaltenen Rektorengehälter Anlass für Sondersitzungen des Landtagsausschusses ist [PDF – 35.8 KB].
Den Hochschulpolitischen Sprecher der CDU, Heinrich Berger MdL, kümmert die Frage mehr, ob die Ministerin mit einigen Rektoren über presserechtliche Schritte wegen Geheimnisverrats geredet hat, als dass er sich mit der Frage beschäftigt, wie man zu einer vernünftigen und transparenten Regelung der Rektorengehälter kommen könnte.
Auch die Grünen im Düsseldorfer Landtag haben kaum eigene Ideen und laufen der Kampagne der Rektoren hinterher.
Das Gesetzgebungsverfahren für das Hochschulzukunftsgesetz ist ein Musterbeispiel wie ein bestimmtes Leitbild bzw. eine bestimmte Ideologie, nämlich die wettbewerbsgesteuerte „unternehmerische Hochschule“, und eine Kampagne von organisierten Trägern von Macht- und Einflussinteressen, die öffentliche Meinung und damit auch die Politik bestimmen.