Gedanken über die Märchen des Herrn Beise
Der Leiter der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung, Marc Beise, ereifert sich wieder einmal gegen den „Steuer- und Abgabenstaat“: dieser sei „maßlos wie eh und je, ja er wird immer maßloser. Steuern und Abgaben im internationalen Vergleich sind hoch, und sie bleiben hoch, trotz der guten Zeiten, die die Deutschen gerade erleben“. Anlass für diesen Beitrag ist die Verurteilung des nun mehr Ex-Bayernpräsidenten Hoeneß zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren wegen der Hinterziehung von 28 Millionen Euro Steuern. Hoeneß habe – so bedauert Beise – „der Steuerdiskussion einen schlechten Dienst erwiesen. Bemühungen um Steuerrechtsreformen sind desavouiert. Wer jetzt vor allem den maßlosen Staat geißelt (und Hoeneß war einer von denen, die das öffentlich wirksam taten), steht im Verdacht, als wolle er von den Taten der – prominenten – Steuerstraftäter ablenken.“ Der Kollateralschaden sei, dass der „Steuerstaat“ nicht erwischt worden sei. Von Jürgen Karl.
Vordergründig gibt sich Beise gesetzestreu und missbilligt pflichtschuldigst Hoeneß’ Verhalten. Aber nicht vor allem deshalb, weil dieser kriminell gehandelt hat, sondern deshalb, weil er den Focus der öffentlichen Aufmerksamkeit auf das Thema Steuerhinterziehung gelenkt habe, statt auf den „gefräßigen Staat“. Dabei sympathisiert Beise ganz unverhohlen mit Sloterdijks „prickelndem Gedankenspiel“ der Abschaffung der „Zwangssteuern“, einem Gedanken, der Hoeneß gefallen haben dürfte – wie Beise meint. Ja einem Gedanken, der ihm zur Rechtfertigung seines Steuerbetrugs gedient haben dürfte.
„Der gefräßige Staat aber liefert damit den kleinen und großen Steuerverkürzern immer neue Argument für ihr Tun: Dieser Staat, der euch so ausnimmt, gehört betrogen. Und dann greift der Staat noch härter durch und fordert noch mehr fiskalischen Gehorsam, ein Teufelskreislauf“
,
schreibt Beise.
Bei seinem Schimpfkanonade auf den „maßlosen“ „Steuer- und Abgabenstaat“ kommt er – wie alle staatsabwehrenden, neoliberalen Apologeten – nicht ohne die üblichen Lügen und Verdrehungen in Sachen Steuern aus. Von einer beständig steigenden Steuerlast, gerade für die Reichen und Wohlhabenden als auch für die Unternehmen, kann – sofern man keine ideologische Scheuklappen aufhat – keine Rede sein. Seit dem – noch unter Kohl gültigen Spitzensteuersatz von 53 Prozent gab es für die Steuerobergrenze nur einen Weg, und zwar den nach unten bis auf jene 42 Prozent der rot-grünen Koalition unter Schröder. Das Gleiche gilt für die Unternehmenssteuern. Sieht man sich etwa die steuerliche Belastung des Gewinns von Kapitalgesellschaften an, also die Körperschaftssteuer, versucht Beise sein Publikum auch hier in die Irre zu führen. Dieser Steuersatz liegt nach Angaben des Bundesfinanzministeriums in Deutschland nach der Senkung durch die erste Große Koalition bei 15 Prozent, in Großbritannien allerdings bei 24 Prozent und im Mutterland des Kapitalismus, den USA, sogar bei 35 Prozent. Wer da von „im internationalen Vergleich“ hohen Steuern schreibt, versucht seine Leser zu täuschen.
Beise sollte eigentlich auch wissen, dass es für Einkommen aus Kapitalvermögen keine progressive Besteuerung wie beim individuellen Einkommenssteuersatz gibt, sondern nur einen pauschalen Abgeltungssatz von 25%. Diesen für Hoeneß und Co äußerst günstigen Steuersatz verschweigt Beise lieber und stellt dafür den progressiven Einkommenssteuertarif in den Vordergrund. Und, dass ein großer Teil der Steuereinnahmen aus indirekten Steuern resultiert, wie die Umsatz- bzw. Mehrwertsteuer, die bekanntermaßen gerade Geringverdiener am stärksten belastet, spricht Beise ebenfalls nicht an. Genauso das daraus resultierende Faktum, dass die Abgabenlast für Wohlhabende in Deutschland, die ihr Einkommen eher aus Kapitaleinkünften beziehen, nicht besonders hoch ist – es wird weder eine Vermögenssteuer erhoben noch kann die Erbschaftssteuer ernsthaft als international hoch bezeichnet werden. Die Erbschaftssteuer wurde von der Großen Koalition so entschärft, dass Erben von Familienbetrieben genauso wie Erben großer Aktienpakete von Dax-Konzernen praktisch kaum etwas an Steuern zahlen. Die steuerliche Belastung ist damit sogar niedriger als in den erzliberalen angelsächsischen Steuerländern. Ebenso ist die Staatsquote, also der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP), entgegen der Meinungsmache von Beise, in den vergangenen 20 Jahren nicht gestiegen, sondern deutlich gesunken.
Kleiner Exkurs für die Leser der Süddeutschen Zeitung:
Der Spitzensteuersatz in den USA zu Roosevelts Zeiten lag sogar bei 90 Prozent und die amerikanische Gesellschaft ist nicht zusammengebrochen. In Schweden liegt der Spitzensteuersatz bei 56,6 Prozent, in Dänemark gar bei 59 Prozent und in diesen Ländern herrschen weder Not und Elend, noch gibt es viele Steuerbetrüger.
Der Beitrag von Beise ist ein klassisches Beispiel dafür, wie das Sein das Bewusstsein bestimmt. Da schreibt ein Besserverdienender, der sich gut in die Gedankenwelt von Noch-besser-Verdienenden hineinversetzen kann, die den Staat nicht brauchen, weil sie alles privat bezahlen können und die sich am liebsten in der Rolle des Almosengebers vom gemeinen Volk hofieren ließen. Eben genau wie Uli Hoeneß.