Bildungsfinanzen: Endlich alles gut?

Ein Artikel von Jens Wernicke

Zum gerade erschienenen Bildungsfinanzbericht 2013 [2.7 MB] sprach Jens Wernicke mit Ansgar Klinger, Mitglied im Geschäftsführenden Vorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Herr Klinger, letzte Woche erschien der aktuelle Bildungsfinanzbericht. Wieder einmal wird, so der Tenor, „mehr Geld für Bildung ausgegeben als jemals zuvor“. Hat sich in Bezug auf die Unterfinanzierung unseres Bildungssystems also endlich qualitativ etwas getan?

Tatsächlich wurden – absolut betrachtet – mehr Mittel für das Bildungswesen aufgebracht als je zuvor. So haben beispielsweise Bund, Länder und Gemeinden ihre Bildungsausgaben im Jahr 2013 mit insgesamt 116,6 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr um 4,6 Milliarden Euro gesteigert.

Entscheidend ist aber letztlich der Anteil, den die Bildungsausgaben an der gesamten Wirtschaftsleistung ausmachen, also der Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP), den eine Gesellschaft für das Bildungswesen aufbringt. Dieser Anteil ist ein realistischer Spiegel der gesellschaftlichen Wertschätzung, und der Beitrag für Bildung wird erst dann dauerhaft steigen, wenn die Aufwendungen für Bildung und Forschung langfristig stärker wachsen als die Wirtschaftskraft. Dies müsste in Deutschland der Fall sein, wenn das Bildungswesen die vielfältigen von der Politik auferlegten Aufgaben – wie beispielsweise den Ausbau von Kitas und Hochschulen, den Ausbau von Ganztagsschulen, die Verwirklichung von Inklusion oder die stets beschworene Qualitätsverbesserung – erfüllen soll.

Leider ist dies trotz aller Sonntagsreden über die Bedeutung von Bildung in einer Gesellschaft in Deutschland zurzeit noch nicht gegeben.

Das heißt?

Nun, auf dem Dresdener „Bildungsgipfel“ 2008 haben die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten einhellig erklärt, ab 2015 insgesamt 10 Prozent des BIPs für Bildung und Forschung aufwenden zu wollen, 7 davon für Bildung und 3 für Forschung. Aus vorhergehenden Beschlüssen der Parteigremien von SPD und CDU geht hervor, dass sie damals die OECD-Vergleichskennzahlen vor Augen gehabt haben, die Deutschland einen großen Finanzierungsrückstand nicht nur gegenüber den OECD-„Spitzenreitern“ wie den skandinavischen Staaten, sondern auch schon gegenüber dem OECD-Durchschnitt attestiert hatten. Und nach diesem internationalen Vergleich hinkt Deutschland mit einem Anteil von zuletzt 5,1 Prozent am BIP immer noch weit hinter den avisierten 7,0 Prozent zurück.

Konkret: das “großartige Mehr”, über das hier gesprochen wird, ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Zudem lässt sich auch die teils beschönigende Methodik des Bildungsfinanzberichts hinterfragen.

Wie meinen Sie das?

Nun, vor allem die Länderfinanzseite war und ist sehr interessiert daran, sämtliche Aufwendungen, wie etwa die Kosten der Liegenschaften der Hochschulgebäude oder der Bibliotheken als Bildungsaufwand darzustellen.

Der Bildungsfinanzbericht listet daher knapp 22 Milliarden Euro an so genannten „bildungsrelevanten Ausgaben“ auf, die in der internationalen Abgrenzung gar nicht dazu gezählt werden. Hierzu gehören etwa die Ausgaben für die betriebliche Weiterbildung (10 Milliarden Euro), für weitere Bildungsangebote wie Krippen, Horte, Jugendarbeit (knapp 11 Milliarden Euro) sowie die Förderung von Weiterbildungsteilnehmenden (1 Milliarde Euro). In Summe beschönigen diese „schiefen Vergleiche“ die Wertigkeit des deutschen Engagements massiv.

Inwiefern? Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich denn da?

Setzt man die jährlichen öffentlichen und privaten Ausgaben für Bildungseinrichtungen in ein Verhältnis zur Anzahl der Schülerinnen und Schüler bzw. Studierenden, liegt Deutschland gerade mal etwas über dem OECD-Durchschnitt – eine Ausnahme bildet jedoch weiterhin der Primarbereich mit seiner weit unterdurchschnittlichen Finanzierung.

In diesem Zusammenhang beobachten wir in den alten Bundesländern, namentlich in den westlichen Flächenländern, zunehmend die Versuchung der Finanzminister, die aus rückläufigen Schülerzahlen „frei werdenden“ Mittel zur Konsolidierung der Landeshaushalte zu verwenden. Diese Annahme einer sog. „demografischen Rendite“ ist jedoch vor dem Hintergrund der internationalen Vergleiche schon empirisch nicht haltbar – mehrere, auch im OECD-Bildungsvergleich „erfolgreiche“, Länder haben bereits umfangreiche Erfahrungen mit Schülerrückgängen und dennoch ihre Bildungsaufwendungen nicht nur relativ, sondern auch absolut – und zwar selbst unter Herausrechnung der Preissteigerungsraten – gesteigert, wie uns die OECD-Statistik „Education at a Glance“ verdeutlicht.

Weiterhin im internationalen Vergleich unterfinanziert zeigt sich das Bildungswesen in Deutschland hinsichtlich der öffentlichen Ausgaben für Bildung im Verhältnis zum BIP ebenso wie zu den öffentlichen Gesamtausgaben. Hier hat Deutschland nach wie vor deutlichen Nachholbedarf, so, wie es die Politik in Dresden vor fünfeinhalb Jahren bereits erkannt hatte. Folgt man beispielsweise den Berechnungen des Bildungsökonomen Henrik Piltz [580 KB], so müsste unsere Gesellschaft jährlich 57 Milliarden Euro mehr für ein qualitativ besseres und zukunftsfähiges Bildungswesen aufwenden.

Vielen Dank für das Gespräch.


Ansgar Klinger, geb. 1964, Dipl.-Volkswirt, Berufsschullehrer, seit August 2013 Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der GEW, zuständig u.a. für Bildungsfinanzierung.

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