„Ökumenische Sozialinitiative“: Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott!
Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz haben am letzten Freitag eine „Ökumenische Sozialinitiative“ [PDF – 1.0 MB] ergriffen. Mit 10 Thesen wollen Erzbischof Robert Zollitsch und der Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider eine breite gesellschaftliche Debatte für eine erneuerte Wirtschafts- und Sozialordnung auf der Suche nach einer „gesellschaftlichen Verbindung von Freiheit und Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert“ anstoßen.
Allzu kräftige „Impulse“ dürften von dieser Initiative jedoch kaum ausgehen, denn offenbar haben die beiden Kirchenleitungen ihren Frieden mit den neoliberalen Reformen geschlossen. Die Beschreibung der ökonomischen und sozialen Lage unterscheidet sich kaum von den beschönigenden Darstellungen der Bundesregierung und die Anstöße, die von dem Papier ausgehen könnten, finden sich mit ähnlichem Ton und Inhalt auch in den letzten Wahlprogrammen von SPD und CDU. Zu Recht urteilt Friedhelm Hengsbach: Das Papier „ist eine Ohrfeige gegenüber dem gemeinsamen Sozialwort vor 17 Jahren und es ist auch eine Ohrfeige für das, was Papst Franziskus vor zwei Monaten in seinem Schreiben vorgetragen hat. Es ist gleichsam der Spiegel der Großen Koalition bei den großen Kirchen.
Von Wolfgang Lieb.
In dem gemeinsamen Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ finden sich nahezu alle Litaneien wieder, die von den Vertretern der Agenda-Reformen vorgebetet und von den Leitmedien nachgebetet wurden:
Wirtschaftliches Handeln und soziales Leben würden von den „Triebkräften der Globalisierung“ bestimmt (S. 7). Ein „dramatischer demografischer Wandel“ stelle „unsere sozialen Sicherungssysteme auf eine große Belastungsprobe“ (S. 9). Die Generationengerechtigkeit würde in Zukunft eine wichtige Dringlichkeit bekommen (S. 21). Es wird die Standortdebatte und die Wettbewerbsideologie nachgebetet, wonach „die Nationalstaaten im internationalen Wettbewerb“ stünden (S. 7). Nicht ungleiche Verteilung materieller Ressourcen, sondern wachsende globale Umweltprobleme vergrößerten die bestehenden sozialen Ungleichgewichte (S. 5). Schließlich wird noch die Umdeutung der Finanzkrise in eine „europäische Staatsschulden-Krise“ mitgemacht (S. 8) und auch die Klage, dass „zu hohe Staatschulden“ „die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit der öffentlichen Hand“ einschränkten (S. 28) und daher die „Schuldenbremse“ ein „hilfreiches Instrument zur Haushaltskonsolidierung“ sei (S. 29), darf nicht fehlen.
Während Papst Franziskus in seinem jüngsten Apostolischen Schreiben „Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen“ sagt und seine Kritik auf den Punkt bringt, dass „diese Wirtschaft tötet“ [PDF – 639 KB], beten die deutschen Kirchenoberen die ihnen von sog. Experten vorgebetete neoliberale Glaubenslehre nach und loben die deutsche Regierungspolitik.
Es wird das Hohelied der „Sozialen Marktwirtschaft“ gesungen: Gerade in Deutschland herrsche die Grundidee der „Sozialen Marktwirtschaft“, die tief in der europäischen Kultur verwurzelt sei und diese Kultur sei wesentlich vom Christentum geprägt worden (S. 59): Soziale Marktwirtschaft deutscher Ausprägung wird geradezu zum Erbe des Christentums erhoben.
Ich erspare mir an dieser Stelle unsere vielfach ausgeführte Kritik etwa am Gerede von der „Globalisierung“ (siehe hier oder hier) oder des „demografischen Wandels“ (hier oder hier), an der Wettbewerbs- und Standortideologie, an der Legende der „Generationengerechtigkeit“ (etwa hier oder hier) oder an der These von der Staatsschuldenkrise (hier).
„Auf viele dieser Faktoren – die Globalisierung, die wirtschaftliche Krisenanfälligkeit, die Bedrohung durch den Klimawandel, Probleme der sozialen Inklusion und Integration, den demografischen Wandel und die wachsenden sozialen Ungleichgewichte – hat der deutsche Gesetzgeber in den letzten zehn Jahren mit weitreichenden Veränderungen des überkommenen Wirtschafts- und Sozialmodells reagiert. Diese Maßnahmen haben in Politik und Gesellschaft zum Teil sehr kontrovers geführte Diskussionen ausgelöst“
heißt es in der Schrift. (S. 9)
In dieser Kontroverse über die Veränderungen des Wirtschafts- und Sozialmodells ergreifen nun die Kirchen jedoch eindeutig Partei und zwar zugunsten der Agenda-Reformen und ihrer Fortführung durch die aktuelle Regierungspolitik. Das ökumenische Sozialwort liest sich wie das „Begleitheft zur Großen Koalition“ (so Franz Segbers im Publik Forum).
„Der Gesetzgeber hat in den letzten zehn Jahren zahlreiche Schritte unternommen, um das Wirtschafts- und Sozialsystem an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Gerade die Finanzmarktkrise und die europäische Staatsschuldenkrise haben deutlich gemacht, wo diese Reformpolitik Früchte trägt, aber auch, wo noch Defizite liegen.“
(S. 20)
Oder:
„Die Krisenjahre haben auch gezeigt, dass es Deutschland besser als anderen Industrieländern gelungen ist, sich auf die Herausforderungen der Globalisierung einzustellen. Trotz eines ungünstigen weltwirtschaftlichen Klimas hat sich die deutsche Volkswirtschaft positiv entwickelt; der Wohlstand unseres Landes konnte erhalten bleiben.“
(S. 20)
Das liest sich, als ob man die Wahlkampfparolen der Kanzlerin abgeschrieben hätte.
„Diejenigen, die heute in prekären Arbeitsverhältnissen leben oder aus anderen Gründen keine private Vorsorge treffen können, haben ein hohes Risiko, im Alter in Armut zu leben.“
(S.21f.)
Die Schrift tut gerade so, als hätten prekäre Arbeitsverhältnisse nichts mit der Deregulierung des Arbeitsmarktes, nichts mit der Senkung der Arbeits- und Lohnstandards durch die Hartz-Gesetze oder nichts mit der Zerstörung der gesetzlichen Rente zu tun. Armut und Arbeitslosigkeit werden eher als ein Phänomen der „Ausgrenzung“ und als „sozialpolitische Herausforderung“, denn als ein wirtschaftspolitisches Problem betrachtet.
Die Einführung der „privaten Vorsorge“ wird als selbstverständliche Tatsache und Notwendigkeit genauso unterstellt wie die Rente mit 67:
„Vor diesem Hintergrund erfolgten verschiedene Reformen, die die demografische Entwicklung stärker berücksichtigen und durch stabile Beitragssätze eine übermäßige Belastung der Erwerbstätigen verhindern. Damit verbunden ist zwangsläufig eine Absenkung des Nettorentenniveaus, weshalb neben die Gesetzliche Rentenversicherung eine zweite,
kapitalgedeckte Säule tritt. Allerdings ist diese nicht obligatorisch und beispielsweise bei geringen Rentenanwartschaften wegen ihrer Anrechnung auf die Grundsicherung im Alter oft nicht attraktiv.
Um eine zu starke Absenkung des Rentenniveaus zu vermeiden, wurden außerdem die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre notwendig.“
S.38
Altkanzler Schröder und Franz Müntefering werden sich über diesen kirchlichen Segen für ihre „Rentenreformen“ freuen. Die Versicherungswirtschaft wird sich über die implizite Forderung nach einer obligatorischen privaten Altersvorsorge die Hände reiben.
Den Hartz-Gesetzen und ihrem Prinzip des „Forderns und Förderns“ wird in dem Papier die Absolution erteilt:
„In Deutschland hat sich der Arbeitsmarkt in den letzten Jahren trotz der Wirtschafts- und Finanzkrise positiv entwickelt. Dazu haben die Arbeitsmarktreformen der letzten zehn Jahre beigetragen.“
Wenn es um die Kehrseite dieser Arbeitsmarktreformen, also etwa die Ausweitung von Leiharbeit und Werkverträgen geht, wird dies als „Missbrauch“ (S. 47) verharmlost. Mit der Ausrede vom „Missbrauch“ hat auch die SPD im letzten Wahlkampf ihr Festhalten an der Hartz-Gesetzgebung verteidigt.
Und weiter:
„Die Solidargemeinschaft darf erwarten und einfordern, dass der Hilfsempfänger im Rahmen seiner individuellen Möglichkeiten aktiv an der Verbesserung seiner Lage mitwirkt.“
Sieht so die „biblische Option für die Armen“ (S.13) aus, dass die Kirchen das bösartige Vorurteil schüren, dass „Hilfsempfänger“ faul sind und nichts dafür tun, dass sich ihre Lage verbessert?
Auf der einen Seite wird selbstbeschränkend angemerkt:„Wir beanspruchen keine herausgehobene Kompetenz in ökonomischen oder technischen Sachfragen“, wenn es aber andererseits um die „Setzung staatlicher Mindestlöhne“ geht wird der betriebswirtschaftliche Schwachsinn nachgebetet, dass man die Grenzkosten eines Arbeitsplatzes berechnen könnte:
„Bei der Setzung staatlicher Mindestlöhne muss aber darauf geachtet werden, dass bestehende Arbeitsverhältnisse nicht verdrängt und nicht neue Barrieren zum Einstieg in den Arbeitsmarkt geschaffen werden.“
(S. 48)
An dieser Stelle verstößt das Kirchenpapier nicht nur gegen die banalen moralischen Ansprüche, dass man von seiner Arbeit auch leben können muss, sondern sogar gegen den Ethikkodex, den sich Wirtschaftswissenschaftler gegeben haben, nämlich den Stand der Forschung angemessen und nach den herrschenden Normen zu würdigen: Alle empirischen Studien zeigen, dass die bestehenden Mindestlöhne im Ausland wie im Inland der Beschäftigung nicht geschadet haben [PDF – 27.8 KB].
Da wird die „Schuldenbremse“ als „ein hilfreiches Instrument zur Haushaltskonsolidierung“ gelobt, wenn nur die Lasten gerecht verteilt würden. (S.29)
Immerhin heißt es da auch, dass nicht nur gefragt werden müsse, welche öffentlichen Ausgaben gestrichen oder gekürzt werden sollten, sondern es müsse auch die Einnahmenseite einbezogen werden. Bei der Einnahmeseite denken die Kirchen aber nicht etwa an mehr Steuergerechtigkeit, geschweige denn an eine Vermögensteuer oder an Reformen bei der Erbschaftssteuer sondern ausschließlich an die Bekämpfung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. (S. 30)
In der Schrift ist zwar viel von „Orientierungswissen“ (S. 11) und „Verantwortung“ gegenüber rein ökonomischer „Sachkompetenz“ die Rede und an vielen Stellen wird moralische Kritik an Eigennutz oder Gier geübt. Man geht sogar so weit, die Finanzkrise primär als „Folge menschlichen Versagens auf unterschiedlichen Ebenen“ (S. 24) zu betrachten und erst in zweiter Linie als „eine strukturelle Krise“.
Die orientierenden Anstöße zur Überwindung der angeprangerten moralischen Defizite, bleiben jedoch abstrakt und allgemein. Es sind nicht mehr als schöne „Worte zum Sonntag“, nämlich folgenlose Sätze, die wir von den Regierenden nun seit Jahren hören:
Die Marktwirtschaft bedürfe einer „Rahmenordnung, die die wirtschaftliche Betätigung des Einzelnen und er Unternehmen letztlich in gemeinwohldienliche Bahnen“ lenke. (S. 17) Gewinnmaximierung um jeden Preis könne niemals eine moralisch akzeptable Handlungsmaxime sein. Die Finanzmärkte müssten eine dienende Rolle spielen. (S. 16) Auch in einer wettbewerbsorientierten globalen Wirtschaft müsse der Primat der Politik gewährleistet bleiben. (S. 17)
Statt aber auch nur ein wenig Druck auszuüben, wird „ausdrücklich begrüßt“, dass in der Politik eine entsprechende Debatte stattfinde auch innerhalb der Europäischen Union und auf internationaler Ebene. Dass diese Debatte seit Ausbruch der Bankenkrise weitgehend folgenlos blieb, ist keines kritischen Wortes wert.
Zur „globalisierten Welt“ lesen wir die abgegriffene Parole, dass sie „weitere neu Chancen, aber auch Gefahren mit sich“ bringe. (S. 8)
Man müsse verfehlte Anreizstrukturen identifizieren und beseitigen (S. 24), übernehmen die Kirchenleute die Sprache der Betriebswirte.
In dem Papier wird zwar kritisiert, dass die Folgen riskanter Geschäftspolitik nicht von denjenigen getragen werden, die diese Risiken eingegangen sind, aber gleichzeitig wird „sozialethisch kritisch“ bewertet, dass die Sparer zur Zeit besondere Belastungen tragen müssten. (S. 29) Ob die Höhe von Zinsen überhaupt einer „sozialethischen“ Bewertung zugänglich sind, sei einmal dahingestellt, aber jedenfalls müsste bei einer solchen Bewertung auch der Zusammenhang gesehen werden, dass die derzeitigen Niedrigzinsen nun gerade eine Folge davon sind, dass die EZB zusammen mit den Steuerzahlern auch die Sparguthaben gerettet haben.
Die „zu hohen Staatsschulden“ werden problematisiert, weil der Schuldendienst zu Lasten öffentlicher Leistungen gehe, auf die vor allem die Ärmeren angewiesen seien und weil „Staatsschulden vor den kommenden Generationen zu rechtfertigen“ seien. Dass Kinder und Enkel sowohl die Schulden als auch die Zinsansprüche an den Staat erben, wird genauso außer Betracht gelassen, wie die Tatsache, dass der öffentlichen Verschuldung ein noch viel stärker gewachsenes und völlig ungleich verteiltes privates Vermögen gegenüber steht. Man will eine Diskussion „über unsere gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft“ anstoßen, doch Gedanken, wie man zu einer gerechteren Verteilung innerhalb der Gesellschaft kommen könnte, sucht man vergebens. Im Gegenteil:
„Wir regen … dazu an, den gesellschaftspolitischen Diskurs nicht nur auf der Ebene der Verteilungsgerechtigkeit zu führen, weil dann bestimmte dringliche soziale Fragen gar nicht thematisiert werden. Sowohl hinsichtlich der angemessenen Analyse sozialer Probleme als auch der Effizienz sozialstaatlicher Möglichkeiten möchten wir deshalb dazu ermuntern, den sozialpolitischen Diskurs durch einen stärker chancenorientierten gesellschaftspolitischen Diskurs zu ergänzen.“
(S. 42)
„Chancenorientierter Diskurs“, damit sind die Kirchenoberen endgültig auf das reaktionäre Niveau der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) abgesunken. Nun wird auch noch von den Kirchen die „Chancengerechtigkeit“ als Fluchtpunkt aus der Spaltung der Gesellschaft in oben und unten, aus der Arbeitslosigkeit, aus prekärer Beschäftigung, aus Altersarmut und schon gar aus der bestehenden Gerechtigkeitslücke angepriesen. „Bildungspolitik ist vorsorgende Sozialpolitik“. (S.21) Damit hat man alle Probleme elegant in die Zukunft verschoben und sie gleichzeitig weitgehend in die Verantwortung jedes Einzelnen verlagert:
„Um das anspruchsvolle Projekt umfassender sozialer Inklusion zu verwirklichen, bedarf es sowohl der Chancengerechtigkeit als auch der Eigeninitiative.“
(S. 43)
Hilf Dir selbst durch „Bildung in allen Lebensphasen“, dann hilft Dir Gott!
Es ist ziemlich egal, ob sich bei der Abfassung dieses Papiers eher konservative katholische Vertreter gegen evangelische Experten durchgesetzt haben, beide Kirchen rechtfertigen das Bestehende und die herrschende Politik.
Die Kirchen wollen die „biblische Option für die Armen“ ergreifen, ob die Armen aber noch eine Option in den Kirchen sehen können, muss nach dieser „Sozialinitiative“ bezweifelt werden.