Anmerkungen zum Positionspapier „Für eine linke Reformperspektive“ der Linken in der SPD
Endlich gibt es jetzt ein Positionspapier von Sozialdemokraten mit einem Bekenntnis zur Zusammenarbeit mit dem Ziel einer politischen Alternative zu Angela Merkel. 22 Sozialdemokraten, darunter mehrere Vorstandsmitglieder und ein stellvertretender Vorsitzender, haben sich dafür ausgesprochen, „in und mit einem progressiv-linken Reformbündnis Mehrheiten für eine fortschrittliche Politik zu bilden“. Im Text wird sichtbar, dass die Unterzeichner verstanden haben, dass man mittels einer feindseligen und diffamierenden Konkurrenz zwischen den Parteien und Politikern auf der linken Seite des Spektrums, also potentiellen Partnern, nie im Leben Mehrheiten zusammenbekommen wird. Koalitionen muss man positiv darstellen. So war das bei der sozialliberalen Koalition, so war es bei Rot-Grün im Vorfeld 1998, und auch bei Schwarz-Gelb. Nur bei positiver Würdigung des Gesamtprojektes kann man Mehrheiten bewegen, eine solche Konstellation bei Wahlen auch zu unterstützen und vorher dafür zu werben. Wenn das Papier der SPD-Linken den Geist des bisherigen Umgangs zwischen SPD und Grünen auf der einen Seite und der Linkspartei auf der anderen Seite ändern würde, dann wäre das ein beachtlicher Fortschritt. Albrecht Müller.
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Es gibt ein paar Schwächen in diesem Papier, erklärbare und vermeidbare. Dazu ein paar Anmerkungen:
- Etwas widersprüchlich stellen die Autoren fest, wenn Gerechtigkeit und der soziale Zusammenhalt wieder das politische Profil und das praktische Handeln der SPD bestimmen würden, dann würde man die Menschen gewinnen. Und wenig später betonen sie die Bedeutung der Wirtschaftskompetenz.
Beides ist wichtig. Sie fordern ein eigenständiges ökonomisches Konzept, „das Wirtschaft, Arbeit und Fragen der sozialen Gerechtigkeit miteinander versöhnt und mehr Verteilungsgerechtigkeit schafft.“ Das ist alles schön und richtig.
- Aber die notwendigerweise konkreten Überlegungen zu einer besseren Wirtschafts- und Währungspolitik fehlen.
Das müsste aber ein zentrales Element eines solchen Positionspapiere sein. Die Linken – von der SPD bis zur Linkspartei – dürfen sich nicht auf das durchaus wichtige Feld der Gerechtigkeit abschieben lassen. Im Gegenteil: sie müssen deutlich machen, dass die konservativen und rechten Kräfte gerade auf dem Feld der effizienten Wirtschafts-, Währungs- und Finanzpolitik versagen. Merkel und Schäuble besitzen keine Wirtschaftskompetenz. Diese korrekte Botschaft müsste auch in einem solchen Positionspapier auftauchen und zum zentralen Angriffsthema werden. Mindestens so zentral wie die soziale Gerechtigkeit.
- In diesem Zusammenhang ist wichtig: Mit den Rechtskonservativen muss eine grundsätzliche Auseinandersetzung über deren neoliberale Ideologie geführt werden.
Dazu ist auch der Kreis der Unterzeichner offenbar noch nicht fähig und willens. Den klaren Abschied von der Agenda 2010 und von der Privatisierungspolitik sucht man in diesem Papier leider vergeblich. Vielleicht braucht das noch ein bisschen Zeit. Aber nötig ist es, zumal die Matadore der Agenda 2010, zum Beispiel Müntefering, Schröder und auch Steinmeier, immer wieder öffentlich auf der Richtigkeit ihrer falschen Wege beharren.
- Die Unterzeichner beharren darauf, in der Vereinbarung der großen Koalition sei viel Sozialdemokratisches festgeschrieben worden.
Auch dieses Bekenntnis kann man verstehen. Aber gut ist es nicht, den Menschen weiterhin diesen Bären auf zu binden.
- Fehleinschätzung der Mitgliederbefragung zur großen Koalition
Im Text wird ohne skeptischen Unterton die Mitgliederbefragung als Willensäußerung der Parteimitglieder gewertet. Diese Wertung muss man als naiv betrachten. Die Unterzeichner sollten vielleicht zur Kenntnis nehmen, dass solche Mitgliederbefragungen heute angesichts der Macht der Medien und angesichts des möglichen Zusammenspiels der Parteiführung mit den Medien nicht die durchdachte Meinung der Mitglieder, sondern eine medial bestimmte Meinung wiedergeben. Übrigens, die stärkere Beteiligung der Mitglieder wäre sehr gut und zu begrüßen. Das würde aber voraussetzen, dass die Sozialdemokraten endlich wieder mit inhaltlichen Diskussionen auf Ortsvereinsebene und Unterbezirksebene beginnen. Das tun sie schon lange nicht mehr. Das geschah auch nicht angesichts der Abstimmung über die Koalitionsvereinbarung.
- Zentrale Kritik: Es fehlt die Außen- und Sicherheitspolitik; es fehlt die Warnung vor einer neuen Konfrontation zwischen Ost und West; es fehlt die Warnung vor dem schnellen Griff zur militärischen Intervention.
Nun gut, die Autoren können sich darauf berufen, dass sie ein Positionspapier „für eine linke Reformperspektive“ formuliert haben. Das reicht aber in der jetzigen Situation nicht. Die öffentliche Debatte und auch die programmatische Debatte ist geprägt von der Sicherheitspolitik und der Militärpolitik.
Die Warnung vor militärischen Interventionen, die Warnung vor Kriegen und das Bekenntnis und der praktische Einsatz für die friedenspolitische Lösung von Konflikten war in der Vergangenheit mehrmals sowohl das Bindeglied für Koalitionen als auch die Ursache für Erfolge bei Wahlen.
Für historisch bewanderte Leser nenne ich Beispiele: die Bundestagswahlen 1969, 1972, 1976, 1980 und 2002; die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 1980 hatte angesichts der Versuche von Kohl und Genscher, mit der Entspannungspolitik Schluss zu machen, die zentrale Botschaft „Nie wieder Krieg“.
Viel mehr als die Parteifunktionäre, die kommentierenden Politologen und die meisten Journalisten haben, jedenfalls hatten, die normalen Menschen eine natürliche Abneigung gegen das Morden in kriegerischen Auseinandersetzungen.