„Petra Roth holt 60,5 Prozent“ titelt die SZ – aber nur ein Fünftel der Frankfurter Wahlberechtigten hat die Oberbürgermeisterin gewählt.
Die Frankfurter Rundschau spricht sogar von einem „Triumph für OB Petra Roth“. Roth sagte nach ihrer Wiederwahl, sie sei ,,sehr, sehr zufrieden‘‘. Sie sprach von einer Bestätigung für ihre Person und ihre Politik.
Bei einer Wahlbeteiligung von etwa einem Drittel und einer Zustimmung von gerade mal 20 Prozent der Wahlberechtigten scheint bei Politikern und Medien offenbar nur noch der Erhalt der Macht der Gradmesser des Erfolgs zu sein. Die OB-Wahl in Frankfurt ist ein weiteres Warnsignal für die seit mehreren Jahren nicht nur dramatisch zurückgehende sondern für historisch einmalig niedrige Wahlbeteiligungen. Doch kaum jemand sieht darin ein Alarmzeichen für Politik und Demokratie.
Frankfurt hat sein Stadtoberhaupt gewählt. Von 435.000 Wahlberechtigten sind am letzten Sonntag gerade mal ein Drittel, nämlich145.000 zur Wahl gegangen. Die Amtsinhaberin wurde 87.725 auf dem Wahlzettel angekreuzt, das sind ein Fünftel der Stimmen der Wahlberechtigten. Der Generalsekretär der CDU, Pofalla, sieht in der Wiederwahl der Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) einen “beeindruckenden Vertrauensbeweis”.
Einem Vertrauensbeweis, dem sich aber offenbar zwei Drittel der wahlberechtigten Frankfurterinnen und Frankfurter verweigerten. Man fragt sich, ob Rot oder Pofalla ihre Sprechblasen eigentlich selbst noch ernst nehmen können.
Man könnte über diese Wahl hinweggehen und sie als einmaligen Ausrutscher abtun, wenn sie nicht einen für unsere Demokratie immer gefährlicher werdenden Trend bestätigten:
1995 gingen in Frankfurt noch 55,8 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahlurne, 2001 beteiligten sich nur noch 46,1 Prozent am ersten Wahlgang und 2007 nur noch 33,6 Prozent. Was wäre eigentlich, wenn sich dieser Trend fortsetzte und es in sechs Jahren nochmals zehn Prozent weniger wären und in der darauf folgenden OB-Wahl nur noch um die zehn Prozent zur Wahlurne gingen.
Anderswo sah es übrigens bei Oberbürgermeisterwahlen zuletzt nicht besser aus: Göttingen 41,8 Prozent, Saarbrücken 38,4 Prozent, Karlsruhe 30,3 Prozent.
Letztes Jahr gingen in Berlin 58 Prozent zur Wahl. 15% aller Wähler haben SPD gewählt, 12,1% CDU, die Koalition aus SPD und Linke ist von 25,1% aller Berliner gewählt worden.
In Mecklenburg-Vorpommern sahen die Zahlen im Jahr 2006 ähnlich aus.
In Sachsen-Anhalt gingen 2006 über 55%, in Baden-Württemberg über 46% und in Rheinland-Pfalz rd. 42% der Wahlberechtigten nicht mehr zur Wahl. Bei den Kommunalwahlen in Hessen waren die aktiven Wähler in der Minderheit. Der wiedergewählten Ministerpräsident Wolfgang Böhmer fand gerade mal die Zustimmung von rund 15% seiner Landsleute und der überaus populäre „Landesvater“ Kurt Beck hatte die Stimmen von einem guten Drittel der Rheinland-Pfälzer.
Die Wahlbeteiligung auch in der ziemlich spektakulären Wahl im mit 18 Millionen einwohnstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen im Mai 2005 war mit 63 Prozent die zweitschlechteste aller Landtagswahlen. Auch bei der Kommunalwahl in NRW im Jahr 2004 lag die Wahlbeteiligung nur bei etwas über der Hälfte der Wahlberechtigten.
In Thüringen beteiligten sich 2004 knapp 54 Prozent an der Wahl und die Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen im gleichen Jahr lag in Brandenburg bei 56% und in Sachsen bei 59%. Das hieß umgekehrt 44 bzw. 41% der Menschen in diesen ostdeutschen Ländern blieben zu Hause. Kein Wunder, dass wie die NPD 9,2% und die DVU 6,1% erreichten.
Die Wahlbeteiligung bei nahezu allen Wahlen in den letzten Jahren sank nicht nur dramatisch ab, sondern es gab historisch einmalige Tiefpunkte.
Nach jeder dieser Wahlen spielte sich dasselbe Ritual ab. Die Wahlsieger ergötzten sich an ihren Stimmanteilen und sahen sich bestätigt oder gar bestärkt aus der Wahl hervorgegangen.
Die sinkenden Wahlbeteiligungen wurden schlicht ignoriert oder schön geredet.
Auch nach der Frankfurter OB-Wahl gab es vor allem wieder Weißwäscher für die katastrophal niedrige Wahlbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger.
Die Siegerin Petra Roth wertete das mangelnde Engagement bei der Stimmabgabe auch als Zeichen, dass “vielen Leuten meine Politik gefallen hat”.
Viele meinten, dass eine von allgemeinen Kommunalwahlen abgekoppelte Wahl zum Oberbürgermeister die Wähler nicht mobilisiere. (Diese Abkoppelung wird übrigens gerade in NRW neu eingeführt.)
Die FAZ fand gleich einen ganzen Katalog von Ausreden:
Roth-Anhänger blieben angeblich aus Siegesgewissheit zu Hause, die ihres Gegenkandidaten aus Verzweiflung. In der Stadt herrsche eine große Zufriedenheit mit der Amtsinhaberin – bei fehlender ernsthafter Konkurrenz. In kaum einer anderen Stadt sei die Bindung an Parteien so schwach wie in Frankfurt. Viele fühlten sich wie zu Besuch, kämen aus beruflichen Gründen und gingen nach einiger Zeit wieder. Dass es viele Anhänger der Grünen trotz einer ganz ordentlich funktionierenden schwarz-grünen Koalition im Rathaus nicht übers Herz brachten, die CDU-Kandidatin zu wählen – lieber blieben sie zu Hause -, hätte ein Übriges getan. Die Haltung, aus Pflichtgefühl zur Wahl zu gehen, sei offenbar reiner Zweckbetrachtung gewichen. Sportvereine erlebten Ähnliches: Man bleibt Mitglied, solange man Sport treibt, dann hat sich der Zweck erfüllt, eine darüber hinausgehende Bindung entsteht nicht.
Der Vergleich mit dem Sportverein – so absurd er auf den ersten Blick erscheint – ist in Wirklichkeit vielleicht gar nicht so unzutreffend. Man geht wählen, so lange man sich noch aktiv am demokratischen Leben beteiligt, wenn man keinen Zweck mehr darin sieht, tritt man aus – die Bindung ist verloren gegangen.
Wenn die Hälfte oder sogar zwei Drittel der Wahlbevölkerung von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch mehr macht, dann bedeutet das, dass es den Wählerinnen und Wählerinnen inzwischen egal zu sein scheint, wer regiert. Oder anders herum, dass der größere Teil der Bevölkerung kein Vertrauen mehr in die Politik hat und von den Parteien und den amtierenden Politikern keinen Beitrag zur Lösung ihrer Probleme mehr erwartet.
Seit dem Beginn der sog. „Reform“-Politik erleben wir einen massiven Rückgang der Wahlbeteiligung. Mit dem Scheitern der Hartz-Gesetze ist bei Arbeitslosen und bei den von diesen Arbeitsmarktreformen verunsicherten Noch-Arbeitsplatzbesitzern jedes Vertrauen in eine Verbesserung verloren gegangen. Mit jeder weiteren Verschärfung von Hartz IV wird – wie in den USA – die Unterschicht aus der Politik hinausgedrängt.
- Wenn man trotz des Erreichens der „Grenze der Zumutbarkeit“ (Kurt Beck) täglich nur noch hört, dass die „Reformen“ fortgesetzt, ja intensiviert werden müssten, dass weitere „Opfer“ gebracht müssten, dass sich das Volk auf „notwendige Grausamkeiten“ (Roland Koch) einstellen müsse,
- wenn die Menschen spüren, dass der Mehrheitswille nicht mehr zum Tragen kommt und dass es der Politik nicht mehr darauf ankommt, den Wünschen der Mehrheit gerecht zu werden,
- wenn sie erleben, dass die meinungsführenden Kräfte in unserem Land auf die Meinung der Menschen über die Reformen keine Rücksicht mehr nehmen,
- wenn Politik und Medien im Hinblick auf die soziale Sicherheit, etwa die Alterssicherung, die Absicherung vor Arbeitslosigkeit, der Hilfe bei Pflegebedürftigkeit oder bei der Versorgung im Krankheitsfall nur noch schwarz malen,
- und vor allem, wenn die Menschen allmählich merken, dass ihnen die ganzen Reformversprechungen der Politik nur Verschlechterungen bringen,
dann braucht sich eigentlich niemand mehr zu wundern, dass sich die Wählerinnen und Wähler von der Politik verabschieden – sozusagen aus dem Verein austreten, weil es keinen Sinn mehr macht Mitglied zu sein.
Wenn Umfragen ergeben, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden ist, wenn 82 % der Deutschen glauben, dass das Volk politisch nichts zu sagen hat, dann kann man das noch als zufälliges Stimmungsbild abtun, wenn aber zwei Drittel nicht mehr wählen gehen, dann ist das mehr als ein Denkzettel.
Zwar gibt es in Deutschland zum Glück immer noch eine überwiegende Zustimmung zur Demokratie als Regierungsform, wer aber meint, die Alarmsignale der sinkenden Wahlbeteiligungen permanent weiter in den Wind schlagen zu können, mag sich zwar noch in „Wahl“-Triumphen einer Minderheit sonnen, er stellt aber auf Dauer demokratische Wahlen und die Demokratie insgesamt zur Disposition.
Das müsste eigentlich das Thema der OB-Wahlen in Frankfurt sein.
Siehe auch die Kommentare:
Wahldebakel in Frankfurt: Die SPD hat die Metropolen verloren.
Quelle: taz
Stille und Schwäche der SPD
Quelle: FR
Anmerkung: Auch in diesen Kommentaren wird so getan, als würde sich in dem Frankfurter Wahlergebnis noch ein Kräfteverhältnis zwischen CDU und SPD widerspiegeln. Die SPD ist allerdings in ihrer einstmaligen Hochburg mit gerade mal 9 Prozent der Stimmen der Wahlberechtigten geradezu marginalisiert. Von Schwäche oder Verlust der Metropolen sollte man da besser nicht mehr reden.