BUCHKRITIK: Plädoyer für die Schwarzarbeit
VON ACHIM TRUGER
Wenn es um Wirtschaftspolitik geht, hängen die einflussreichsten deutschsprachigen Ökonomen immer noch einer veralteten marktradikalen Doktrin an. Aus ihrer Sicht sind die meisten ökonomischen Probleme auf einen überbordenden Staat zurückzuführen. Daher sehen sie in der Zurückdrängung des Staates die Lösung fast aller Probleme. Ein eindrucksvolles Beispiel für diese einseitige Denkweise haben jüngst Friedrich Schneider und Helmut Badekow mit ihrem Buch Ein Herz für Schwarzarbeiter abgeliefert.
Schneider ist Wirtschaftsprofessor an der Universität Linz und Präsident des Vereins für Socialpolitik, der Standesvereinigung deutschsprachiger Ökonomen. In seiner Zunft gilt er als Experte auf dem Gebiet der Schwarzarbeit. Um seine Erkenntnisse einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, hat er sich mit dem Journalisten Helmut Badekow zusammengetan.
Zunächst kann man dem Buch durchaus Positives abgewinnen. Die Autoren schreiben verständlich, anschaulich und unterhaltsam. Und man findet viel Wissenswertes: Der ökonomische Gegenwert der in Deutschland geleisteten Schwarzarbeit werde auf etwa 350 Milliarden Euro, das heißt ungefähr ein Sechstel des offiziellen Bruttoinlandsprodukts, geschätzt. Damit liege Deutschland im internationalen Vergleich im Mittelfeld.
Zu den Ursachen
Zu den Ursachen der Schwarzarbeit zählten einerseits “harte” Faktoren wie die Steuer- und Abgabenbelastung des Faktors Arbeit sowie die Aufdeckungswahrscheinlichkeit und die drohenden Strafen. Zu den “harten” ökonomischen Faktoren zählten auch Lohnhöhe und durchschnittliche Arbeitszeit. Andererseits spielten aber auch “weiche” Faktoren wie die Wahrnehmung der Gerechtigkeit des Staatshandelns und seiner Leistungen sowie grundlegende gesellschaftliche Werthaltungen eine wichtige Rolle.
Schwarzarbeit könne durchaus als wohlfahrtssteigernd interpretiert werden. Sie steigere indirekt das offizielle Bruttoinlandsprodukt. Grob geschätzt verdränge Schwarzarbeit zu etwa einem Drittel reguläre Beschäftigung und erhöhe zu zwei Dritteln das Sozialprodukt. Für den Staat sei sie dennoch ein Verlustgeschäft; ihm entgingen bedeutende Summen an Einnahmen. Trotzdem werde Schwarzarbeit wenig effektiv bekämpft. Dies möglicherweise deshalb, weil sie als Kavaliersdelikt gelte und die Politiker bei stärkerer Verfolgung die Wut ihrer Wähler fürchteten.
Auf dieser Basis ließe sich eigentlich eine differenzierte Argumentation aufbauen. Doch Schneider und Badekow haben sich leider für Schwarz-Weiß-Malerei entschieden. Das deutet sich schon im Titel an, der einseitig die positive Seite der Schwarzarbeit betont und um Verständnis für Schwarzarbeiter wirbt. Es setzt sich im Aufbau des Buches fort: Jedem Sachkapitel folgt ein Kapitel mit Fallbeispielen, in dem verständnisvoll die persönlichen Motive der Schwarzarbeiter oder ihrer Nachfrager geschildert werden.
Dadurch und durch regelmäßige harsche Kritik an Politik und Staatshandeln soll den Lesern offenbar folgende Grundbotschaft eingebläut werden: Schwarzarbeit ist letztlich nichts anderes als die Notwehr rechtschaffener Bürger gegenüber einem überbordenden Staat, der ungerechtfertigt große fiskalische Ansprüche stellt.
Wenig überraschend laufen die Vorschläge zur Bekämpfung der Schwarzarbeit daher auf eine Beschneidung des Staatseinflusses hinaus. Das Betriebsverfassungs-, Mitbestimmungs- und Tarifvertragsrecht soll “auf ein vernünftiges Maß zurückgestutzt”, Mini-Job-Regelungen sollen ausgebaut werden. Die Steuerbelastung des Faktors Arbeit und die Lohnnebenkosten sollen gesenkt und das Ganze soll gleich mit einer radikalen Steuerreform à la Paul Kirchhof verknüpft werden.
Dass die Umsetzung solcher Vorschläge die Erfüllung wichtiger Staatsaufgaben verunmöglichen und Gerechtigkeitsfragen aufwerfen würde, muss die Autoren nicht interessieren. Dass ein finanziell ausgebluteter Staat mit immer schlechteren Leistungen das Vertrauen der Bürger verspielen und damit zu mehr Schwarzarbeit führen könnte, hätten ihnen nicht entgehen dürfen.