Der „Aufstand der Alten“ oder die Panik der „Generation Ich“. Nötig wäre ein Aufstand der demokratischen Kontrollorgane des ZDF gegen eine einseitige Werbekampagne
Der Autor und Regisseur der Doku-Fiction „Aufstand der Alten“, Jörg Lühdorff ist Jahrgang 1966, gehört also zu der Generation der 40-Jährigen, die von der ARD-Sendung Greisenland für die Überalterung verantwortlich gemacht wird, weil sie nicht genug Kinder gezeugt hat.
Das ist natürlich simpler Quatsch. Aber die Grundphilosophie des ZDF-Stücks lässt einen doch darüber nachdenken, ob sie nicht den Zeitgeist eines Teils der zu den derzeitigen Gewinnern zählenden Altersgruppe ausdrückt, die ihrem eigenen Nutzen lebt sich vor allem auf ihre Ellbogen verlässt und die keine Orientierung an anderen gesellschaftliche Normen mehr anerkennt und für die Solidarität oder das Gefühl für sozialen Ausgleich unbekannt oder verschüttet sind. Solche nur ihren eigenen Nutzen maximierenden Leute müssen natürlich in Panik geraten, wenn sie an ihr Alter im Jahre 2030 denken, wo ihr Paradigma – jeder ist seines Glückes Schmied – für sie persönlich an ihre physischen Grenzen stößt. Und diese Panik drückt sich nach meinem Eindruck in der Horror-Doku-Fiction aus. Wolfgang Lieb.
Solche Menschen, die vor allem mit ihrem aktuellen persönlichen Vorteil kalkulieren, können kaum noch auf den Gedanken kommen, dass eine Gesellschaft ihre technologische Basis erweitern, Produktivitätsfortschritte erzielen könnte, der von allen hergestellte „Kuchen“ größer werden könnte, so dass alle – vielleicht weniger Junge und auch mehr Alte – davon ausreichend satt werden und besser leben könnten, wenn man zukünftig den Kuchen nur ein wenig gerechter verteilte.
Sie können sich gemäß den heute gängigen Parolen von der armutsabsichernden Grundrente nur vorstellen, dass die Rente bis 2030 nur auf 560 Euro gestiegen ist. Und in ihrer unkritischen Distanz zu einem zunehmend ausbeuterischen Kapitalismus gehen sie in ihrer Zukunftsbetrachtung halt auch davon aus, dass die Alten ihre Rente an eine gleichfalls ausbeuterische „Pro Life AG“ verkaufen, die ihnen dafür ein gutes Leben bis ans Ende vorgaukelt.
Insofern ist der Film – ungewollt – eine Kritik am Zeitgeist, mit seinem Abbau des Sozialstaates, seinem inhumanen Marktradikalismus und seiner unsolidarischen Propaganda für Eigenverantwortung und der Ideologie, dass es keine solidarische Transferleistung ohne Gegenleistung geben darf – Fördern und Fordern bis zum Ableben eben.
Wer sich den Film „Aufstand der Alten“ und anschließend womöglich noch „Frontal 21“ mit der „Alten-Republik Deutschland“ sowie dazu noch das „heute-journal“ angetan hat und zu denen gehört, die befürchten müssen, dass sie das Jahr 2030 noch erreichen, der kann eigentlich nur noch in eine Depression verfallen und sich am besten nur noch Gedanken über ein „sozialverträgliches Frühableben“ machen.
An dieser Fiction ist so viel Wahres dran: So könnte es in Deutschland zugehen, wenn der derzeit herrschende libertäre Zeitgeist die Oberhand behält.
Der Film ist ja der Masche von Guido Knopp mit seinen pseudohistorischen Doku-Serien über die Vergangenheit nachempfunden. Man stelle sich aber nur einmal für einen Augenblick vor, ZDF-History hätte diese Dokumentation aus dem Blickwinkel des Jahres 1900 betrachtet. Diese Doku hätte eine (bis zum heutigen Tag empirisch erhärtete) Erhöhung der Lebenserwartung um mindestens 20 Jahre prognostizieren müssen. Sie hätte somit viel mehr Alarm schlagen müssen, als Jörg Lühdorff in seiner Doku-Fiction in die Zukunft, denn seine Fiktion kann sich nach den Modellen des statistischen Bundesamtes auf eine Alterung von allenfalls 6 Jahren stützen. Geht es etwa den Menschen heute in einer Gesellschaft mit einer zurückliegend sehr viel höheren Steigerung der Lebenserwartung denn so schlecht, wie uns das dieser Film bei einer weitaus geringeren Alterung bis 2030 weismachen will?
Wir haben im letzten Jahrhundert sowohl was das Älterwerden als auch was die Zunahme der zu versorgenden Alten anbetrifft viel mehr verkraftet, als nach allen Modellannahmen für die Zukunft errechnet wird. Und das zurückliegend bei deutlich steigendem Wohlstand für alle und einem Auf- und Ausbau der Sozialsysteme (Vgl. Bosbach) das gegenüber dem im Film „dokumentierten“ geradezu nobel ist.
Oder nehmen wir das Beispiel der nachfolgenden Sendung Frontal 21 noch dazu: Da soll mit einer Stoffpuppe im Kreißsaal des Knappschaftskrankenhauses der Geburtenschwund und damit die „Schrumpfung“ der Bevölkerung in der Stadt Essen dargestellt werden. Ein Leser hat mir dankenswerterweise die Bevölkerungsentwicklung der Ruhrgebietsstadt zukommen lassen: Danach hatte Essen 1965 750.000 Einwohner und diese Zahl ist bis 2006 auf 582.000 „geschrumpft“. Ist damit die künftige „Weltkulturhauptstadt“ ihrem Aussterben nahe? Ist sie nicht gerade deshalb zu diesen Ehren gekommen, weil sie eine Stadt mit einer lebendigen, zukunftsgerichteten Kultur verkörpert?
Nein, ich will ja gar nicht bestreiten, dass, wenn sich nichts ändert, sich aus den statistischen Modellannahmen – und wohlgemerkt nicht aus Prognosen – ergibt, dass die Gesellschaft älter wird. Was man dem Drehbuch aber vorwerfen muss, das ist, dass es daraus eine Katastrophendarstellung macht, die überwiegend darauf beruht, dass die Story ausschließlich auf die Zunahme der Älteren aufbaut, ohne auch nur einen einzigen anderen Faktor, der sich in den kommenden Jahrzehnten genauso verändern wird, auch nur zu erwähnen.
Etwa,
- dass die Zahl der von der Gesellschaft zu versorgenden Älteren zwar zunehmen mag, aber gleichzeitig die Zahl der gleichfalls zu versorgenden Kinder und Jugendlichen abnimmt. Oder
- dass die Zahl der Erwerbstätigen durch weniger Arbeitslose oder einer höheren Frauenerwerbsquote oder gar einer höheren effektiven Lebensarbeitszeit (an die Rente mit 67 gar nicht erst zu denken) sich gemessen an der heutigen Lage deutlich erhöhen könnte, und die Quote der nicht oder nicht mehr Erwerbstätigen gegenüber heute, gar nicht so dramatisch ansteigt, wie es der Film übertreibt.
- Auch spielt die für die Erfolge der Vergangenheit maßgebliche Tatsache der Steigerung der Produktivität in dem Film keinerlei Rolle.
- Selbst wenn man die (pessimistische) Modellannahme unterstellt, dass die heutige Bevölkerung von 82 Millionen bis 2050 auf 69 Millionen sinkt und selbst wenn man darüber hinaus sogar nur ein „Nullwachstum“ unterstellt, dann müsste doch der gleich große Kuchen sogar nur unter weniger Menschen aufgeteilt werden. Könnte dann nicht jeder ein Stück mehr haben?
Aber solche solche triviallogischen Überlegungen würden ja nur die Dramatik des Films stören, ja sogar der Lächerlichkeit preisgeben. Die Dokumentation würde sich als völlig irreale Posse herausstellen.
Das alles könnte man in Zeiten von Fantasy-Filmen noch hinnehmen, was aber wirklich ärgerlich an der Pseudo-Doku-Fiction ist, dass einer im Wortsinne einfältige Story, sozusagen mit „Zeitzeugen“ wie dem Versicherungslobbyisten Meinhard Miegel ein seriöser Anstrich gegeben werden soll.
Und noch schlimmer: Dass quasi als (im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbotenes) „product-placement“ penetrant für die private Altersvorsorge Reklame gemacht wird.
Der „Held“ Sven Darow ist in Not geraten, weil er „keine Zusatzversicherung abgeschlossen“ hatte und sich im Alter „die Zusatzversicherung nicht mehr leisten“ konnte. Man komme „mit der Grundrente nicht mehr weit“ sagt ein Zukunftsrentner. Man habe „jahrzehntelang seine Rentenbeiträge bezahlt“ und was habe „man jetzt davon“, man werde mit 560 Euro abgespeist! Jeder dritte Rentner falle unter die Armutsgrenze. Der Staat habe eine „offensichtliche Versorgungslücke“ zugelassen. Dass die Rente sicher sei, sei und bleibe ein Märchen. Ein Ehepaar wird zitiert: Die Eltern meines Mannes hätten sich zum Glück nicht auf die Rente verlassen, sie hätten vorgesorgt. Es gäbe eine zunehmende Verarmung und sogar eine steigende Selbstmordrate der Rentner aus „Angst den Angehörigen zur Last zu fallen“. Usw. usf.
Das alles hätte ein Werbefilmer der Versicherungswirtschaft nicht besser machen können. Insofern ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass der Drehbuchautor und Regisseur Lühdorff, bisher seine größten filmischen Meriten vor allem mit Werbespots eingesammelt hat. Er hat seine Ausbildung an der (Werbe-)Filmakademie Baden-Württemberg erhalten, und wie ein Werbefilm wirkt der „Aufstand der Alten“ auch auf weite Strecken.
Aber selbst filmisch ist die Fiktion eher nachahmerisch: Einer unser Leser macht mich darauf aufmerksam, dass die im Film gezeigte futuristische Internet-Suchmaschine von Steven Spielberg`s „Minority Report“ abgekupfert wurde. Die Schauspieler mussten sich zu „Un-Schauspielern“ degradieren lassen und ähnlich wie bei Guido Knopp „Zeitzeugen“ mimen. Von Dramatik im Drama keine Spur.
Man könnte die pompös angekündigte Doku-Fiction „Aufstand der Alten“ als einen schlecht gemachten Kriminalfilm mit einem dummen Drehbuch abtun, wenn er nicht vom ZDF selbst und von vielen Medien die Weihen einer durchaus realistischen Zukunftsprognose erfahren hätte:
Der Film soll “aufklären”, “aufrütteln” und zeigen, “was uns erwartet, wenn der Anteil der älteren Bürger immer weiter steigt und der der jüngeren hingegen dramatisch sinkt”, sagt etwa ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender.
Damit wird aber aus einem schlechten Film eine unseriöse, ja geradezu perfide Propaganda für die private Vorsorge.
Zumal wenn das noch mit anderen Sendeformaten mit gleicher Tendenz unterstrichen und umrahmt wird. So etwa in der Vorankündigung des am Vorabend ausgestrahlten „heute-journals“, in der Nachfolgesendung „Frontal 21“ und dann sogar noch einmal von der blauäugigen Marietta Slomka im darauf folgenden ZDF-Nachrichtenmagazin.
Hinzu kommen weiter noch die themenbezogenen Beiträge von WISO, Mona Lisa und dem Auslandsjournal.
So wird aus einer Themenwoche zur demografischen Entwicklung eine Medienkampagne des ZDF für die private Alters- (und nebenbei auch für die private Zusatz-Gesundheits-) vorsorge, wie sie bisher einmalig ist im Deutschen Fernsehen.
Mit dem gesetzlichen Verbot von Schleichwerbung und mit der Verpflichtung des ZDF-Programms zur Meinungsvielfalt hat dies nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun.
Wenn die Kontrollgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks noch ihren öffentlichen Auftrag erfüllen wollten, dann müssten sie spätestens jetzt einen „Aufstand“ der dort vertretenen Gewerkschaftsvertreter oder der Vertreter von Wohlfahrtsverbänden gegen eine derart interessengesteuerte Meinungsmanipulation machen.