Paul Krugman zur Reform des amerikanischen Gesundheitswesens: Wo der staatliche Sektor besser funktioniert als der private.
Für die Bush-Regierung und ihre Verbündeten im Kongress ist Privatisierung kein Mittel, bessere staatliche Leistungen zu liefern – sie ist ein Selbstzweck. Krugman, einer der bedeutendsten amerikanischen Ökonomen beschreibt in der New York Times, wie durch den Einbau des privaten Sektors im amerikanischen Gesundheitswesen Fragmentierung, Ineffizienz und Verschwendung ins amerikanische Gesundheitswesen eingeführt wurden. Den Beitrag hat unser Leser Roger Strassburg übersetzt.
The New York Times
5. Januar 2007
Erstens, weniger Schaden anrichten
Von Paul Krugman
Gesundheitsvorsorge für alle, so sehr wir sie brauchen, wird es nicht geben, bis es eine Änderung des Managements im Weißen Haus gibt. Aber mittlerweile kann der Kongress einen wichtigen Schritt machen, um unser Gesundheitssystem weniger verschwenderisch zu machen, indem er das Medicare-Mittelsmännervermehrungsgesetz von 2003 repariert.
Offiziell heißt es natürlich das Medicare-Modernisierungsgesetz. Aber wie wir während der Debatte über Social Security [die gesetzliche Rentenversicherung – RS] gelernt haben, ist im Bushsprech „modernisieren“ ein Synonym für „privatisieren“. Und eine der Haupteigenschaften der Gesetzgebung war ein Versuch, die Fragmentierung und Ineffizienz des privaten Sektors in eines der wichtigsten staatlichen amerikanischen Programme einzubauen.
Der Prozess begann eigentlich in den neunziger Jahren, als Medicare angefangen hat, Leistungsempfängern zu erlauben, das traditionelle Medicare – bei der der Staat Ärzten und Krankenhäusern bezahlt – durch private „Managed-Care“ Pläne zu ersetzen, bei denen der Staat eine Gebühr an eine H.M.O [„Health Maintenance Organization“, also „Gesundheitserhaltungsorganisation“, eine private Krankenkasse mit eigenen Kassenärzten und Budget – RS] zahlt. Der Zauber des Marktes sollte die Medicare-Kosten reduzieren.
Der Plan ging nach hinten los. H.M.O.’s erhielten Gebühren entsprechend den Gesundheitskosten des durchschnittlichen Medicare-Patienten, aber um Gewinne zu maximieren, nahmen sie selektiv nur gesündere Senioren auf. Die kränkeren, teureren Menschen blieben im traditionellen Medicare. Sobald Medicare diese Rosinenpickerei aufgefallen war, und die Zahlungen entsprechend der Gesundheit des Empfängers korrigiert wurden, fingen die H.M.O’s an, auszusteigen: ihre zusätzliche Schicht Bürokratie bedeutete, dass sie höhere Kosten hatten, als das traditionelle Medicare, und damit konnten sie nicht auf einer fairen Basis konkurrieren.
Das hätte das Ende der Geschichte sein sollen. Doch für die Bush-Regierung und ihre Verbündeten im Kongress ist Privatisierung kein Mittel, bessere staatliche Leistungen zu liefern – sie ist ein Selbstzweck. Also: die Gesetzgebung 2003 erhöhte Zahlungen an Medicare-unterstützte H.M.O.’s, und nannten sie in „Medicare Advantage Plans“ um. [„Medicare-Vorteils-Pläne“ – (eine furchtbare Übersetzung) RS]. Diese Pläne werden jetzt stark subventioniert.
Nach Auskunft der Medicare-Payment-Advisory-Commission, ein unabhängiges staatliches Gremium, das den Kongress bzgl. Medicare-Fragen berät, kostet Medicare Advantage jetzt 11 Prozent mehr pro Leistungsempfänger als das traditionelle Medicare. Nach Information des Commenwealth Funds, der eine ähnliche Schätzung der Mehrkosten berichtet, kostete Medicare die Subventionierung der privaten H.M.O.’s 5,4 Milliarden Dollar im Jahre 2005.
Die Unfähigkeit privater Mittelsmänner, in einem fairen Wettbewerb gegen das traditionelle Medicare zu gewinnen, war für diejenigen peinlich, die den Lobgesang der Privatisierung eingestimmt haben. Vielleicht ist das der Grund, warum die Bush-Regierung dafür gesorgt hat, dass es überhaupt keinen Wettbewerb im Abschnitt D gibt, dem Arzneiprogramm. Es gibt keine Version für Abschnitt-D für das traditionelle Medicare, wonach der Staat Arzneikosten direkt bezahlt. Stattdessen müssen sich die Alten von einer privaten Versicherung versichern lassen, die dann subventioniert wird.
Das Ergebnis: Abschnitt-D ist verwirrend. Er ist auch unnötig teuer, aus zwei Gründen: Die Versicherungsunternehmen fügen eine weitere Ebene Bürokratie hinzu, und sie verfügen nur über beschränkte Möglichkeiten, mit Pharmakonzernen niedrigere Preise auszuhandeln [warum, ist mir nicht klar – RS] (und Medicare darf für sie nicht verhandeln). Ein Indikator, wieviel Medicare zu viel bezahlt, sind die stark angestiegenen Preise, die Millionen Senioren mit niedrigem Einkommen bezahlen, nachdem ihre Arzneivorsorge von Medicaid [Medicare-Zusatz für Geringverdiener – RS ] in das neue Medicare-Programm übergeleitet wurde. Im Gegensatz zum neuen Medicare-Programm ist Medicaid nicht auf Mittelsmänner angewiesen, und darf Preise aushandeln.
Die Kosten, die Medicare durch die ohne Not eingeführte Privatisierung auferlegt wurden, sind mit Sicherheit höher, als die Kosten eines Versicherungsschutzes für die acht Millionen Kinder in den Vereinigten Staaten, die keine Vorsorge haben. Doch Nachrichtenanalysen der letzten Zeit deuten an, dass die Demokraten nicht in der Lage sein werden, Versicherungsschutz für alle Kinder zu gewährleisten, weil dieser mit ihrem Versprechen, haushaltspolitisch verantwortungsbewusst zu sein, kollidiert. Ist es nicht seltsam, wie verantwortungsbewusste Haushaltspolitik dann eine große Sorge ist, wenn es darum geht, Kindern zu helfen, aber irrelevant, wenn der Kongress Pharma- und Versicherungskonzerne subventioniert?
Was soll der Kongress tun? Die neue Demokratische Mehrheit steht bereit, Arzneikosten zu reduzieren, indem sie es Medicare erlauben – und wahrscheinlich verpflichten -, Preise zugunsten privater Versicherungspläne zu verhandeln. Er sollte aber darüber hinausgehen, und Medicare dazu zwingen, direkte Arzneileistungen anzubieten, die auf einer finanziell fairen Basis mit privaten Plänen konkurrieren können. Und er sollte die Subvention von „Medicare Advantage“ beenden, was die H.M.O.’s dazu zwingen würde, sich einem fairen Wettbewerb mit dem traditionellen Medicare zu stellen.
Konservative werden erbittert gegen diese Veränderungen kämpfen. Sie sagen, sie glauben an den Wettbewerb – aber sie sind gegen einen Wettbewerb, der den staatlichen Sektor da zeigt, wo er besser funktioniert, als der private Sektor. Progressive [so in etwa Linksliberale – RS] sollen diese Änderungen aus dem gleichen Grund unterstützen. Subventionen für Mittelsmänner zu beenden, spart nicht nur eine Menge Geld, es würde auch den Weg zu einer umfangreicheren Gesundheitsreform zeigen.
© 2007 The New York Times Company