Wie DIW-Präsident Fratzscher den deutschen Exportüberschuss liquidieren will
Jetzt hat Marcel Fratzscher – nach längerer Abwartezeit – seine persönliche Meinung zum Problem der deutschen Exportüberschüsse publiziert. Diese seien ein Problem für Deutschland aber nicht für die Welt [PDF – 88.9 KB]. Es ist höchst aufschlussreich, diese Variante der Problembehandlung des neuen DIW-Präsidenten kurz näher zu zeigen.
Zunächst verwahrt sich Fratzscher gegen den Vorwurf, dass die deutschen Exportüberschüsse „eine Mitschuld“ an der europäischen Krise haben. „Dieser Vorwurf ist falsch.” “Die hohe Sparquote und die Exportüberschüsse haben Deutschlands Wohlstand verschlechtert, nicht verbessert.” Wodurch ist dann die europäische Finanzkrise eskaliert? Hier gelangt Fratzscher bereits “auf dünnes Eis”, denn er ignoriert die Meinung vieler anderer Makroökonomen, um die deutsche Interessenlage im Export “aus der Schusslinie” zu nehmen. Von Karl Mai.
Sein wichtigstes Argument hierfür lautet: “Handel ist kein Nullsummenspiel, bei dem Deutschlands Exporte zu Lasten anderer gehen.“ Mit dem scheinbar logischen Schluss „Handel ist kein Nullsummenspiel“ wird hierbei verschleiert, dass es sich beim Export- und Leistungsbilanzüberschuss nicht nur um einfachen Handel, sondern um ein komplexes gravierendes Ungleichgewicht in der Wirtschaft handelt, das unter der Tarnkappe „Handel“ daherkommt und zugleich eine ganz spezifische Ursachen- und Wirkungskomponente einschließt: die Ungleichgewichte auch der Kapitalbilanzen, die ein Bestandteil der Leistungsbilanzen sind.
Dem eigentlichen Handelsüberschuss eines Staates steht sein eigenes Importdefizit gleicher Höhe gegenüber – und nur diese beiden Seiten der Medaille gleichen sich „zu Null“ aus, sofern man sie je Staat gesondert bemisst. Hier hat Fratzscher natürlich Recht. Aber es geht im Kern nicht hierum, sondern um den komplexen Außenwirtschaftssaldo eines Staates. Bei Fratzscher wird hier im Grunde von den Importdefiziten in einem gegebenen Staat abgelenkt, die bei den laufenden Exportüberschüssen gegenüber mehreren anderen Staaten entstehen – die sich dann nicht gesondert „zu Null“ ausgleichen können, weil dazu noch die jeweiligen Kapitalbilanzdifferenzen hinzukommen. Es ist eigentlich mit zwei verschiedenen Maßstäben auf zwei Ebenen zu messen.
Vom Standpunkt eines „nationalen Kapitals“ werden gerade durch solche Ungleichgewichte auf beiden Seiten hohe Gewinne realisiert – beim Exportüberschuss im Verkauf (auch gegen Bankkredite mit hohen Zinsen); beim Importdefizit gleichfalls durch Senkung des gesamten Binnenbedarfs (infolge der abgesenkten Lohnquote) sowie der zwangsläufigen Ableitung der damit „eingesparten“ Finanzierungsmittel indirekt in den eigenen Kapitalexport.
Dagegen bei Marcel Fratzscher: „Ein Abbau der hohen Exportüberschüsse Deutschlands ist deshalb notwendig. Dies sollten wir nicht durch Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit und Reduzierung der Exporte erreichen, sondern durch bessere Rahmenbedingungen und mehr Anreize für Investitionen – eine zentrale Aufgabe der neuen Bundesregierung“. Sollen diese „mehr Anreize für Investitionen“ vom Staat trotz Fortsetzung der harten fiskalischen Sparpolitik mobilisiert werden? Würde man sich damit nicht jener Finanzierungsmittel geradezu berauben, die man investieren will?
Diese besseren Rahmenbedingungen werden leider durch Fratzscher nicht konkretisiert; aber man kann voraussetzen, dass er hierunter die Fortsetzung, Verbreiterung und sogar Verschärfung der neoliberal intendierten, angebotsorientierten Lohnkostensenkungspolitik in der Bundesrepublik versteht. Diese hat jedoch bisher durch die Duldung und Förderung einer Politik zur Senkung der Lohnquote am BIP stets signifikant die Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands erhöht und keineswegs gesenkt.
Leider bemerkt Fratzscher nicht, dass er mit seinem Vorschlag zu „besseren Rahmenbedingungen“ auch künftig „den Bock zum Gärtner“ macht, sofern man der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung eine Rolle als „Gärtner“ zubilligen will.
Überraschend “systemkritisch” (?) wirkt daher folgender Satz von Fratzscher: „Die hohe Sparquote und Exportüberschüsse haben also Deutschlands Wohlstand verschlechtert, nicht verbessert“, und er begründet dies mit „über 400 Milliarden Euro“ seit 1999 erzielten hohen Verlusten Deutschlands in seinen Exportüberschussländern. Hier schimmert die oft verdrängte Realität der zwischenstaatlichen Finanzbeziehungen und deren Bankenfinanzierung durch, ohne die wirklich Verantwortlichen zu benennen. Jedoch ist dieser „Verlust“ der Preis für die gleichzeitigen immensen Gewinne der Kapitalbesitzer, die Deutschland insgesamt aus den Ungleichgewichten gezogen hat, wobei dieser Verlust bisher auch vom Staatshauhalt und letztlich vom Steuerzahler zu tragen ist.
Das IMK hat unlängst durch Modellrechnungen nachgewiesen, dass die einseitige Angebotspolitik, die durch die “Reformen” initiiert wurde, im letzten Jahrzehnt sich äußerst nachteilig ausgewirkt hat. “Aber auch in Deutschland wurden durch diesen einseitigen Policy Mix” (der die Nachfragepolitik vernachlässigte) “Wachstum und Beschäftigung verschenkt und eine massive Umverteilung zu Gunsten der Besserverdienenden und Vermögenden betrieben.” (IMK-Report 87, Nov. 2013, S. 19 [PDF – 1.8 MB])