Die Treibjagd auf Willy Brandt geht weiter. Die Jagdgesellen lassen ihm auch zum 100. keine Ruhe.
Jetzt erschien in der Reihe ZEIT Geschichte ein Sonderheft zu Willy Brandt. Im Editorial hat der Chefredakteur Christian Staas in einem halben Absatz gleich mehrere der üblich gewordenen üblen Nachreden aneinandergereiht. Siehe hier und unten. Diese Kernsätze des Editorial wie auch einige Gemeinheiten im Inneren des Heftes sind eingepackt in durchaus interessante und freundliche Artikel zum Geburtstag Willy Brandts. Dieses Umfeld erhöht die Glaubwürdigkeit der Behauptungen, Willy Brandt habe „keine Antwort“ gewusst „auf die Krise nach der Wirtschaftswunderzeit“ und er habe sich „in düstere Stimmungen verloren – in Depressionen, sagen manche“. Von Albrecht Müller
Der Vorwurf, Willy Brandt habe Depressionen gehabt, wird oft, wie in diesem konkreten Fall, auf das Hörensagen abgestützt – „sagen manche“, das ist typisch für das Jägerlatein der feigen Jagdgesellen. In meinem Buch „Brandt aktuell. Treibjagd auf einen Hoffnungsträger“ widme ich diesem Vorwurf, den ich als unanständig betrachte, weil sich der Betroffene dagegen nur schwer wehren kann, ein eigenes Kapitel „Todschlagargument Depression“.
Auch dem andern Vorwurf gehe ich in einem eigenen Kapitel nach, das ich hier [PDF – 605 KB] zu Ihrer Information als PDF wiedergebe. Die Einlassung des Historikers Staas im Editorial ist zunächst einmal schon deshalb daneben gegriffen, weil man im Jahr 1973 nur schwer die „Krise nach der Wirtschaftswunderzeit“ ausmachen kann. Diese Krise gab es schon sieben Jahre vorher, 1966 und 1967, als die deutsche Volkswirtschaft zum ersten Mal nach 1945 stagnierte.
Im Oktober 1973 kam die Ölpreisexplosion hinzu und brachte in der Tat einen neuen Einbruch. Ich war damals Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt und habe erlebt, dass genau der Bundeskanzler, Willy Brandt, und sein Chef des Bundeskanzleramtes, Horst Grabert, jene waren, die die Initiative zur angemessenen Reaktion, zu einem Energiesparprogramm und anderen wirtschaftspolitischen Maßnahmen ergriffen haben. Dass Willy Brandt keine Antwort auf diese Krise gehabt habe, ist schlicht die Unwahrheit.
Entscheidend aber: Die wirtschafts- und finanzpolitische Bilanz des Bundeskanzlers und der Regierung Willy Brandt war bis dahin und auch noch bis zu Brandts Rücktritt im Mai 1974 herausragend gut. Das bestätigt niemand geringeres als Brandts Nachfolger und der heutige Herausgeber der ZEIT Helmut Schmidt.
Dessen Bilanz wird im erwähnten PDF wiedergegeben. Die deutsche Politik der letzten Jahre sei in ihrer binnenwirtschaftlichen Stabilitätswirkung durchaus international beispielhaft gewesen; dies werde auf der ganzen Welt mit Ausnahme von Springer und Strauß auch anerkannt. Ein Problem seien die „übergesunden Exportüberschüsse“. Tatsache sei, dass es Rentnern, Arbeitnehmern, Auszubildenden, Kranken und Invaliden materiell noch nie so gut ging wie heute. So Helmut Schmidt damals in einem geheim gehaltenen Papier vom 15.4.1974 und zuvor an anderen Stellen.
Dass Willy Brandt wirtschaftspolitisch und finanzpolitisch gescheitert sei und nicht mehr weiter gewusst habe, ist eine Erfindung. Sie wird immer wieder untermauert mit immer den gleichen Geschichten zum Lohnabschluss im öffentlichen Dienst usw..
Der Historiker und Chefredakteur Staas kann für sich in Anspruch nehmen, dass er nur wiedergebe, was seine Historikerkollegen vorher geschrieben haben. Das ist das große Problem des seit 21 Jahren toten Willy Brandt. Er kann sich gegen die immer wieder nachgeplapperten Behauptungen der Historiker und der Geschichten schreibenden Journalisten nicht mehr wehren.
In dem erwähnten Heft finden Sie auch andere der üblichen Nachreden. So heißt es auf Seite 21 von Gunter Hofmann, eingepackt in einen Bericht über das Verhalten der Leitartikler nach dem Hochgefühl des Jahres 1971 und der Wahl 1972:
‘Die Leitartikler aber ließen den Gepriesenen nach den Neuwahlen 1972 wieder fallen: Führung wurde jetzt verlangt, nicht „Willy Wolke“’
Hängen bleibt „Willy Wolke“; hängen bleibt, Brandts Regierung sei führungslos gewesen. Das übliche.
Das Heft ZEIT Geschichte über Willy Brandt enthält wie viele Publikationen zum Jubiläum und zur Geschichte Willy Brandts keinen angemessenen Bericht über die Kampagne des Großen Geldes gegen Willy Brandt und die SPD in 1972. Wie ich in meinem Beitrag vom vergangenen Freitag für den Freitag beschrieben habe, ist es einem „bürgerlichen“ Blatt wie der ZEIT wohl peinlich, über diese massive Intervention gegen die demokratische Willensbildung zu berichten. Für Interessierte hier noch der Link zum Freitag.
Zum Schluss komme ich noch einmal darauf zurück, dass das Heft der ZEIT durchaus lesenswerte Stücke enthält: So den Beitrag von Werner Perger „Außer Dienst“, so das Interview mit Peter Brandt, so das Porträt von Rut Brandt, so auch Daniela Münkels Beschreibung des Zusammenspiels von Stasi und Rechtskonservativen im Umfeld der CSU und des bayerischen Verlegers Hans Kapfinger, u.a.m.