Koalitionsvertrag: Viel Gegacker, wenig Eier
Weit über 70 Politiker [PDF – 119 KB] haben sich diese Nacht um die Ohren geschlagen um den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD zu beschließen. Wenn es bei dem Deckel von 16 Milliarden an zusätzlichen Leistungen bliebe, wäre die Große Koalition exakt diesen Preis wert und das auch nur wenn die Steuereinnahmen weiter steigen. Wie man beim neuesten Stand des Koalitionspapiers [PDF – 823 KB] ablesen kann (gelb unterlegte Passagen) haben sich die Streitthemen auf wenige öffentlich hochgespielte Themen, wie etwa Mindestlohn, Mautgebühren, Mütterrente , abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren, Geringverdienerrente, Regeln für die Leiharbeit, Ausbau der Erneuerbaren Energien oder doppelte Staatsangehörigkeit reduziert.
Wenn heute Morgen die Parteispitzen vor die Mikrofone getreten sein werden, dann sollen damit eher theatralische Effekte bei der Bevölkerung hervorgerufen werden, als dass wirkliche „Durchbrüche“ erzielt wurden. Die in der Nacht behandelten Papiere und die verbliebenen Streitpunkte machen deutlich, dass es in der kommenden Legislaturperiode bestenfalls ein „Weiter so“ geben wird. Der bisherige politische Kurs wird seitenlang im Kleingedruckten fortgeschrieben und bei den hochgespielten Streitthemen hat es windelweiche Kompromisse gegeben. Es ist die Fortsetzung der Großen Koalition von 2005 bis 2009 auf der Basis der danach erfolgten Fortschreibung durch die schwarz-gelbe Koalition. Von Wolfgang Lieb.
Kein Kurswechsel in der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik
Wenngleich viel gegackert wurde, die Eier wurden ja noch nicht gelegt. Der bis jetzt vorliegende Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD [PDF – 1.3 MB] soll ja von 177 Seiten noch auf ein Drittel eingedampft werden, aber der zugrundeliegende politische Duktus dürfte sich kaum noch verändern.
Schon mit dem Regierungsprogramm der SPD war klar, dass die Sozialdemokraten – zwar mit sozialem Tonfall, aber letztlich unerschütterlich – dem schröderschen Agenda Kurs folgen und wirtschafts- und sozialpolitisch keine wirkliche Alternative zur abgewählten schwarz-gelben Regierung anbieten. Es ist deshalb auch nicht weiter erstaunlich, dass schon im ersten Kapitel unter der Überschrift „Wachstum, Innovation und Wohlstand“ kein Kurswechsel etwa in der Arbeitsmarktpolitik erkennbar wird. Heißt es im SPD-Regierungsprogramm noch, wir werden den „entstandenen Missbrauch (!) von Leiharbeit, Minijobs und Niedriglohnsektor korrigieren“, so heißt es in der vorliegenden Fassung des Koalitionsvertrages „Wir erhalten die bewährte Flexibilität auf den Arbeitsmärkten“. (Zeile 26 f.) Es bleibt auch dabei, dass „die soziale Sicherung“ ausschließlich und eindimensional von den „demografischen Notwendigkeiten“ abhängig gemacht wird.
(Lesen Sie zum politischen Hebel der Demographie noch einmal Albrecht Müller „Demographie – eine ziemlich nutzlose und vielfach missbrauchte Wissenschaft“. Oder etwa die Begründung dafür, dass die Sicherung der Sozialsysteme vor allem und zuerst eine Frage der gesellschaftlichen Umverteilung, also der Anpassung der Reallöhne an die Produktivitätssteigerung, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der Beschäftigungsquote von Frauen oder ggf. auch der Zuwanderungspolitik ist, hier. Siehe dazu auch auf den NachDenkSeiten unter der Rubrik Sachfragen das Thema „Demographie“)
Auch in Zukunft wird eine Große Koalition auf Exportorientierung und auf internationale Wettbewerbsfähigkeit setzen: „Ein zentraler Pfeiler unseres Erfolgs ist die Stärke der deutschen Unternehmen auf den internationalen Märkten. Ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit entscheidet maßgeblich über unseren Erfolg und Wohlstand.“ (Zeile 70ff.)
(Siehe zur Exportorientierung aktuell Jens Berger „Sprechen wir doch mal über unsere Exportüberschüsse“ und zur Wettbewerbsfähigkeit siehe etwa hier oder hier)
Wer die Gutachten des sog. Sachverständigenrats der letzten Jahre zur Kenntnis genommen hat (wir haben diese auf den NachDenkSeiten regelmäßig kommentiert) und immer noch nicht eingesehen hat, dass es sich hier in seiner Mehrheit um ein marktgläubiges und auf die Angebotsökonomie fixiertes Beratergremien handelt (Siehe z.B. das jüngste Votum gegen einen gesetzlichen Mindestlohn und die Kritik des Mitglieds Peter Bofinger) kann es nur als Bedrohung empfinden, wenn nun gerade dieses Gremium eine „neue wirtschafts- und wachstumspolitische Strategie“ entwickeln soll (Zeile 90ff.).
Kommt diese Koalition zustande, so will sie auch das Freihandelsabkommen mit den USA anstreben. (Siehe zur Kritik an „TAFTA – die große Unterwerfung“)
Ein Vergleich des „Regierungsprogramms“ der SPD mit dem Entwurf des Koalitionsvertrages
Es lohnt sich (noch) nicht die gesamte Sammelmappe des Wortgeklingels aus den Verhandlungsgruppen durch zu deklinieren. Ich will an dieser Stelle nur einmal vergleichen, was sich von dem, von der SPD bislang immer als Königsweg für den sozialen Aufstieg und für mehr Gerechtigkeit so hoch gehaltenen Thema Bildung noch im bisher vorliegenden Koalitionsvertrag wiederfindet.
„Jährlich 20 Mrd. Euro mehr für Bildung“ hat die SPD versprochen. Nach dem Stand der Verhandlungen vom 26. November (also dem neuesten Papier) wird gerade mal das schon vom „Bildungsgipfel“ im Jahre 2008 schon ausgegebenen „10-Prozent-Ziel“ (10 % des Bruttosozialproduktes für Bildung) fortgeschrieben. Das war schon vor 5 Jahren nicht gerade ein ambitioniertes Ziel. Um mit den Spitzenreitern, also etwa Dänemark, Norwegen oder Schweden bei den Bildungsinvestitionen gleichzuziehen wären bis zu 80 Milliarden Euro mehr erforderlich – jährlich. Damit bleibt Deutschland bei den Ausgaben für seine Bildungseinrichtungen weiter deutlich unter dem OECD-Durchschnitt.
Übrig geblieben ist der – sogar noch umstrittene – Satz: „Wir wollen die Investitionen in Bildung, Wissenschaft und Forschung im Zusammenwirken von Bund, Ländern und Gemeinden verstärken“ (Zeile 562). Und selbst das stand noch unter Finanzierungsvorbehalt.
Die SPD wollte das Betreuungsgeld abschaffen und die bis zu 2 Mrd. Euro, die dafür mittelfristig jährlich anfallen würden, komplett in den Ausbau von Kitas und Tagespflege investieren. Das Betreuungsgeld kommt bisher nur als streitig gestellter Beitrag zur Gegenfinanzierung für eine Beteiligung an den Betriebskosten der Kinderbetreuungsangebote vor (Zeile 1957 ff.). Die CSU hält es wohl gar nicht mehr für erforderlich überhaupt ein Wort darüber zu verlieren.
Das Ziel schrittweise, jedem, der möchte, einen Ganztagsplatz anzubieten – egal wo und in welcher Schulform – steht komplett unter dem Finanzierungsvorbehalt (Zeile 794 ff.).
Statt einer Ausweitung des Hochschulpakts, heißt es nun, dieser soll nur „erhalten“ bleiben (Zeile 575) bzw. fortgesetzt werden (Zeile 584).
Natürlich soll die „Exzellenzinitiative“ erhalten und sogar noch ausgebaut werden (Zeile 591) Die Hierarchisierung des Hochschulsystems mit einigen wenigen Spitzenuniversitäten mit Ausbildungsangeboten für die Upper Class und der großen Masse von Hochschulen ganz unterschiedlicher Qualität für die große Masse der Studierenden wird also weiter vorangetrieben.
Von einer allgemeinen Zugangsberechtigung zum Master-Studium für Bachelor-Absolventen ist nicht mehr die Rede. Übrig geblieben ist, dass die „Verfügbarkeit ausreichender Master-Studienplätze im Bereich IT“ angestrebt werden soll (Zeile 782).
Von einer „gebührenfreien Bildung von der Kita bis zur Hochschule“ ist nirgendwo mehr die Rede.
„Chancengleichheit“, also die Überwindung sozialer Benachteiligungen, die im SPD-Regierungsprogramm einen zentralen Stellenwert einnahm, kommt als Ziel der Bildungspolitik nicht mehr vor. Nur noch im Zusammenhang mit der Gleichstellung von Frauen auf allen Ebenen des Wissenschaftssystems taucht der Begriff überhaupt noch auf.
Auch von den „zusätzlichen Stellen in allen Personalkategorien: Professoren, Juniorprofessoren und akademischem Mittelbau“ ist nichts mehr zu hören. Stattdessen will der Bund auf angemessene Laufzeiten der Anstellungsverträge an Hochschulen „achten“ (Zeile 634). Über 80 Prozent der akademisch ausgebildeten Berufsanfänger mit bis zu drei Jahren Berufserfahrung sind derzeit an den Hochschulen befristet beschäftigt [PDF – 92.2 KB]. Dass die künftige Regierung auf angemessenen Laufzeiten „achten“ will, ist nichts mehr als ein gehobener Zeigefinger an die Hochschulen in ihrer Rolle als Arbeitgeber.
Auch eine „substanzielle Erhöhung“ des BAföG ist streitig gestellt. Dafür soll jedoch der CDU-„Ladenhüter“ „Deutschlandstipendium“ fortgeführt werden (Zeile 739f.)
Was wurde doch im SPD-Regierungsprogramm der „Irrweg“ des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern im Bereich von Bildung und Wissenschaft angeprangert. Selbst die vorige Bundesregierung hat diesen Unsinn erkannt. Wenn eine Große Koalition mit einer verfassungsändernden Mehrheit überhaupt einen Sinn machte, dann wäre es doch der, die Fehler der Föderalismusreform im Grundgesetz zu korrigieren.
Eine Rückkehr zu einem kooperativen Föderalismus und einer Änderung des Grundgesetzes ist im neuesten Papier als Ziel aber völlig aufgegeben und nicht einmal mehr streitig gestellt. Die „Wahrnehmung einer gemeinsamen Verantwortung von Bund und Ländern für die Zukunftsfähigkeit der Hochschulen“ wie sie von der SPD gefordert wurde, ist dahingehend eingedampft, dass der Bund die Länder beim BAföG entlasten soll und die Länder im Gegenzug die dadurch frei werdenden Mittel in die Grundfinanzierung der Hochschulen investieren sollen. Aber noch nicht einmal dies scheint Konsens zu sein. Doch selbst wenn man sich darauf verständigen könnte, wäre es die Druckerschwärze nicht wert, angesichts der Finanzsituation der Länder, die sich unter dem Druck der „Schuldenbremse“ noch verschlimmern wird.
Die derzeitige Bildungsministerin kann gleich im Amt bleiben
Jeder der schon einmal Koalitionsverhandlungen miterlebt hat, weiß, dass die Regierungspartei gegenüber einem neuen Partner strategische Vorteile hat. Die CDU/CSU kann bei den Koalitionsverhandlungen den Regierungsapparat für schriftliche Vorlagen und für Detailregelungen auf den unterschiedlichen Politikfeldern nutzen. Insofern besteht zwischen den Verhandlungspartnern zwischen CDU/CSU und SPD keine Waffengleichheit. Umso wichtiger wäre es gewesen, dass sich die SPD-Seite auf zentrale Eckpunkte festgelegt hätte, die aus ihrer Sicht in einem Koalitionsvertrag wenigstens aufscheinen müssten. Doch nicht einmal das ist gelungen. Im Bildungsbereich würde eine Große Koalition den konservativen Kurs der ehemaligen Bildungsministerin Schavan bestenfalls mit ein paar kosmetischen Korrekturen fortsetzen. Schavans Nachfolgerin, Johanna Wanke – ihre Schwester im Geiste –, kann also gleich im Amt bleiben.
Der Berg kreißte fünf Wochen lang und hat ein Mäuschen geboren
Während ich diese Zeilen schreibe finden vermutlich die Schlussverhandlungen zum Koalitionsvertrag statt. Wie es bei dem Gezerre um die Finanzierung ausgegangen sein wird, werden wir im Laufe des Tages erfahren. Da Steuererhöhungen von CDU/CSU kategorisch ausgeschlossen wurden und die SPD schon im Vorfeld den Gedanken der Steuergerechtigkeit fallen gelassen hat, kreißte der Berg nun schon seit 5 Wochen und wird nicht mehr als ein Mäuschen gebären.
Die Kosten für die Mammutveranstaltungen mit ungezählten Verhandlungspartnern und die Kosten der SPD für den Mitgliederentscheid dürften in keinem auch nur irgendwie angemessenen Verhältnis zu den letztlich beschlossenen zusätzlichen staatlichen Investitionen in Bildung, Infrastruktur, Energiewende oder den zusätzlichen Kosten für die strittige Themen Rente mit 63 für langjährig Versicherte, eine Geringverdienerrente, mehr Kindergeld oder eine bessere Absicherung von Erwerbsgeminderten stehen.
Wenn es bei dem Deckel von 16 Milliarden an zusätzlichen Leistungen bleibt, wäre die Große Koalition exakt diesen Preis wert. Ein Preis, der sich allerdings nur auf die Hoffnung stützen kann, dass die Steuereinnahmen in den nächsten Jahren weiter zunehmen werden.
Wie man beim neuesten Stand des Koalitionspapiers ablesen kann (gelb unterlegte Passagen) haben sich die Streitthemen auf wenige öffentlich hochgespielte Themen, wie etwa Mindestlohn, Mautgebühren, Mütterrente , abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren, Geringverdienerrente, Regeln für die Leiharbeit, Ausbau der Erneuerbaren Energien oder doppelte Staatsangehörigkeit reduziert.
Wenn die Verhandlungen bis tief in die Nacht gegangen und wenn die Verhandlungsführer/innen erschöpft vor die Mikrofone getreten sein werden, so sollen damit eher theatralische Effekte bei der Bevölkerung erzielt werden. Wirkliche „Durchbrüche“ sind nun wirklich nicht erzielt worden.
Und die SPD wird natürlich im Hinblick auf den Mitgliederentscheid ihre Erfolge schönreden und dabei möglichst die sonstigen Verabredungen im Koalitionsvertrag, die mit ihrem einstimmig verabschiedeten Regierungsprogramm vom Sommer kaum noch etwas zu tun haben, möglichst unter den Tisch fallen lassen.
CDU und CSU, die Gewinner dieses Schaulaufens, werden sich darüber klammheimlich amüsieren.