Pawlowsche Reflexe aufgrund ideologischer Konditionierung – Zu den Kritiken am Referentenentwurf für ein „Hochschulzukunftsgesetz“ NRW

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Die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Svenja Schulze hat letzte Woche unter dem Titel „Hochschulzukunftsgesetz“ einen Referentenentwurf für eine Novelle des vom früheren FDP-Innovationsminister Andreas Pinkwart im Jahre 2006 durchgesetzten sog. Hochschul-„Freiheits“-Gesetz dem Kabinett vorgelegt.
Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) – die „Stimme der Hochschulen“, wie sie von sich selbst behauptet – läuft dagegen Sturm. Ihr Präsident, Horst Hippler, sieht in einem Offenen Brief an die NRW-Landesregierung im Namen aller Hochschulrektoren durch den Gesetzentwurf „in zentralen Punkten die Wissenschaftsfreiheit und Autonomie in inakzeptabler Weise“ eingeschränkt [PDF – 68.2 KB]. „Die Zeit“ – die Medienplattform für das bertelsmannsche CHE-Hochschulranking – meint in ihrer jüngsten Printausgabe in dem Referentenentwurf gar eine „Rückkehr zur Planwirtschaft“ (Die Zeit vom 21. November 2013, Nr. 48, S. 99) erkennen zu müssen.
Die Rektoren und ihre medialen Sprachrohre hätten aber besser einmal das geltende Gesetz gelesen und mit dem Novellierungsentwurf verglichen, statt in einer Art pawlowscher Reflex „Paternalismus“ (so die Zeit) oder ein „Untergraben“ der Autonomie der Hochschulen (so die HRK) zu wittern. So aber bleiben die Kritiken nur Beißreflexe aufgrund einer ideologischen Konditionierung. Von Wolfgang Lieb.

Hochschulpräsidenten als Duodezfürsten

Das sog. Hochschul-„Freiheits“-Gesetz des damaligen FDP-Innovationsministers hatte die Blaupause einer „unternehmerischen Hochschule“ aus dem bertelsmannschen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) im Vergleich zu allen anderen Länderhochschulgesetzen am radikalsten umgesetzt. Es hat die Hochschulen des Landes statt den „Gesetzen“ des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, den anonymen und angeblich objektiven „Gesetzen“ des Wettbewerbs auf dem Wissenschaftsmarkt (Stichwort: Drittmitteleinwerbung) und der Konkurrenz auf dem Ausbildungsmarkt (das war der Leitgedanke für die Einführung von Studiengebühren) unterstellt.

Damit den Gesetzen des Wettbewerbs gefolgt werden kann, musste – dem Glaubensbekenntnis des Markt- und Wettbewerbsliberalismus entsprechend – der Staat aus dem Marktgeschehen möglichst weitgehend herausgehalten werden.
Das Parlament war allenfalls noch der Zahlmeister, der „Zuschüsse“(!) an die Hochschulen gewährt.

Durch die Wettbewerbssteuerung ist, wie etwa auch der Duisburger Rektor beklagt, inzwischen die Gefahr einer „Kannibalisierung der Hochschulen“ entstanden.

Die wettbewerbsgesteuerte „unternehmerische“ Hochschule ist zwar das Leitbild der neoliberalen Hochschulreformer und – da es die Macht der Hochschulleitungen in geradezu autokratischer Manier gestärkt hat – viele Präsidenten haben sich ihrer Rolle als „Chief Executive Officers“, gegen deren Stimme keine Entscheidung getroffen werden kann (§ 15 Abs. 2 Ziff. 3), erfreut. Sie fühlen sich außerhalb der Macht des Parlaments und der Regierung sozusagen als Duodezfürsten ihrer jeweiligen Hochschulen. Und seit Inkrafttreten des derzeit geltenden Hochschul-„Freiheits“-Gesetzes haben sie die Landesregierungen durchgängig in dieser Rolle bestärkt. Sie hatten dazuhin den neoliberalen Zeitgeist und damit auch die Medien an ihrer Seite.

Wie sieht es mit der „Freiheit“ der Hochschule gegenüber dem Staat nach der derzeit geltenden Gesetzeslage tatsächlich aus?

Bei all dem üblichen Freiheitsgerede ist völlig in Vergessenheit geraten, dass das nordrhein-westfälische Hochschul-„Freiheits“-Gesetz staatlicher oder ministerieller Willkürherrschaft über die Hochschulen Tür und Tor offen gelassen hat und – ersatzweise für die staatliche Aufsicht – die Entscheidungsmacht über die einzelnen Hochschulen niemand rechenschaftspflichtigen, nicht öffentlich tagenden ehrenamtlichen „Führungspersönlichkeiten“ überlassen hat.

Bevor nun die Hochschulrektoren im neuen Referentenentwurf „mehr staatliche Lenkung“ und einen Eingriff in die Finanzautonomie der Hochschulen beklagen [PDF – 68.2 KB], hätten sie besser einmal ins geltende Gesetz schauen sollen.

Dort heißt es – zugegebenermaßen etwas versteckt, vielleicht sogar bewusst verdeckt – in § 5 Abs. 9 HG wie folgt:

„Das Ministerium regelt durch Rechtsverordnung im Einvernehmen mit dem Finanzministerium das Nähere zur haushaltrechtlichen Behandlung der staatlichen Zuschüsse und des Hochschulvermögens…
Im Einvernehmen mit dem Finanzministerium erlässt das Ministerium Verwaltungsvorschriften zur Wirtschaftsführung und zum Rechnungswesen, zum Nachweis der sachgerechten Verwendung der Mittel sowie zum Jahresabschluss.“

Die haushaltsrechtliche Behandlung der staatlichen Zuschüsse kann also schon derzeit durch Rechtsverordnungen geregelt werden. Und „Verwaltungsvorschriften“ sind generelle Weisungen zur Wirtschaftsführung oder etwa zum Nachweise sachgerechter Verwendung der Mittel. Solche Verwaltungsvorschriften unterliegen bekanntermaßen aber nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle und sie basieren auf der dienstrechtlichen Gehorsamspflicht einer „nachgeordneten Behörde“.

Im nun vorgelegten Referentenentwurf für ein „Hochschulzukunftsgesetz“ sollen an die Stelle von „Verwaltungsvorschriften“ generell-abstrakte, nur einen Rahmen vorgebende Rechtsverordnungen „zur Wirtschaftsführung und zum Rechnungswesen, zum Nachweis der sachgerechten Verwendung der Mittel sowie zum Jahresabschluss“ treten (§ 5 Abs. 9 RefEntw).

Im Gegensatz zu den bis jetzt möglichen „Verwaltungsvorschriften“ bedürfen „Rechtsverordnungen“ einer speziellen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage und die Hochschulen genießen Rechtsverordnungen gegenüber vollen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz.

Die Hochschulen erhalten also zumindest mehr Rechtssicherheit als nach geltendem Recht.

Ignoranz gegen finanzwirtschaftlichen Zusammenhängen

Die von den Hochschulrektoren Kritik an einer angeblichen Einschränkung der Möglichkeit „mehrjährig zu planen und effizient zu agieren“, ist geradezu peinlich. Sie macht nämlich deutlich, dass die Präsidenten banale finanzwirtschaftliche Zusammenhänge nicht verstehen. Darüber hinaus offenbart diese Kritik geradezu eine Ignoranz gegenüber der staatlichen auch für die Hochschulen zuständigen Finanzkontrollinstanz, nämlich dem Landesrechnungshof.

Die finanzwirtschaftlich logische Überlegung des nordrhein-westfälischen Landesrechnungshofs, dass das Land für seine „Zuschüsse“ an die Hochschulen Zinsen für Kredite auf dem Kapitalmarkt aufbringen muss, während die Hochschulen mit „gesparten“, vorübergehend nicht benötigten Mitteln Zinseinnahmen erzielen können, scheint für die ach so „unternehmerisch“ denkenden Hochschulmanager offenbar nicht nachvollziehbar zu sein. Sie erkennen offenbar gar nicht, dass die Schaffung eines „Liquiditätsverbundes“ zwischen dem Land und den Hochschulen (§5 Abs. 3 RefEntw) eine Lösung darstellt, die die bisherige eigenverantwortliche Haushalts- und Wirtschaftsführung erst dauerhaft sichert. Der Gesetzgeber kommt gar nicht umhin, den Reklamationen des Landesrechnungshofs abzuhelfen.

Aber auch solche Überlegungen eines vernünftigen und effizienten Umgangs mit dem Geld der Steuerzahler scheinen wohl über den Kirchtumsblick der meisten unserer Rektoren weit hinauszugehen. Sie betrachten die staatliche Finanzierung als (möglichst) stabile Einnahmequelle für ihr „Unternehmen“, über die sie frei verfügen möchten und möglichst wenig Rechenschaft ablegen wollen.

Die vorgesehene Regelung ist freiheitsverbürgender als die geltende

Die Kritik an einer Einschränkung der „Hochschulautonomie“ liegt auch schon deswegen neben der Sache, weil auch im geltenden sog. Hochschul-„Freiheits“-Gesetz der Auftrag an das Land festgelegt ist, zur Steuerung des Hochschulwesens strategische „Ziele für ein angemessenes Angebot an Hochschulleistungen“ zu entwickeln. Auf der Grundlage dieser strategischen Ziele sollten auch schon nach derzeit geltendem Recht die hochschulübergreifende Aufgabenverteilung und Schwerpunktsetzungen und sogar die hochschulindividuelle Profilbildung „abgestimmt“ werden. (§ 6 Abs. 1 HG)

Zugegebenermaßen sind solche „strategischen Ziele“ zur Steuerung des Hochschulwesens seit der Verabschiedung des Hochschul-„Freiheits“-Gesetzes in den zurückliegenden 7 Jahren nie bzw. allenfalls in Ansätzen entwickelt worden. Aber aus diesem politischen Versäumnis oder dem fehlendem politischen Willen zur Ausfüllung des geltenden Hochschulgesetzes ist doch noch lange kein Anspruch der einzelnen „unternehmerischen Hochschulen“ – quasi als Gewohnheitsrecht – erwachsen, sich einer Steuerung an Hand von strategischen Zielen einer Landeshochschulgesamtplanung entziehen zu können. Dadurch, dass ein Gesetz bewusst oder fahrlässig nicht ausgefüllt worden ist, wurden doch keine übergesetzlichen Rechte an die Hochschulen übertragen. Letztlich war die derzeitige widersprüchliche Gesetzeslage doch nur Ausdruck der erheblichen Steuerungsunsicherheit in der zurückliegenden Phase der Hochschulreform.

Die jetzt vorgesehen Regelung im Referentenentwurf ist nicht nur rechtlich bestimmter und damit freiheitsverbürgender als die derzeit geltende, sie verschafft endlich auch wieder dem Parlament gegenüber der Exekutive ein Mitbestimmungsrecht über – wohlgemerkt nur – „Planungsgrundsätze“ eines Landeshochschulentwicklungsplanes (§ 6 Abs. 2 RefEntw)

Ein Anfang zur Überwindung der „einzelbetrieblichen“ Froschperspektive

Mit der geplanten Gesetzesnovelle soll also nicht mehr und nicht weniger als mit der fahrlässigen oder vorsätzlichen Vernachlässigung einer auf strategische Ziele hin orientierte Steuerung des Hochschulwesens im Lande endlich Schluss gemacht werden. Es würde ein Anfang gemacht die Entwicklung des Hochschulwesens im Lande endlich wieder von der „einzelbetrieblichen“ Froschperspektive der einzelnen Hochschulen auf die hochschulübergreifende Landesebene zu heben. Es war doch geradezu absurd, dass das Land bislang bis auf die Vermeidung eines Konkurses (§ 5 Abs. 6 HG) einer Hochschule und bis auf die Gewährleistung der Lehrerausbildung (§ 6 Abs. 1 HG) kaum noch Einfluss etwa auf die Schließung oder den Erhalt von Fächern oder auf Stellenumwidmungen und damit auf den Abbau der Fächervielfalt nehmen wollte.

Dass künftig nicht mehr nur freischwebende, für ihre Amtsausführung nicht rechenschaftspflichtige Hochschulräte über die Hochschulentwicklungspläne einzelner Hochschulen entscheiden (§ 16 Abs. 1. Satz 5 i.V.m. § 21 Abs. 1 Ziff. 2 HG), sondern insbesondere die Sicherstellung eines überregional abgestimmten Angebots an Hochschuleinrichtungen (z.B. Schließung und Gründung oder Ausbau von (Fach-) Hochschulen) und die Bereitstellung von Leistungsangeboten sowie die Gewährleistung einer ausgewogene Fächervielfalt wieder zu einer gemeinsamen Aufgabe von Land und Hochschulen werden sollen, ist nicht nur eine zwingende Notwendigkeit, sondern letztlich auch eine Selbstverständlichkeit. Es konnte doch nicht so sein und bleiben, dass jede einzelne (staatliche) Hochschule ggf. nach ihrem eigenen Belieben oder bestenfalls nach rein betriebswirtschaftlichen Belangen Fachbereiche, die Geld (über den Hochschulpakt oder über die leistungsorientierte Mittelverteilung, Drittmittel) einbrachten, (sog. „Cash Cows“) zu Lasten von solchen Fächern auszubauen, die von Studierenden weniger nachgefragt („Orchideenfächer“) wurden oder eben weniger Drittmittelgelder einspielten (einspielen konnten) (sog. „Poor Dogs“).

So schränkt etwa ein nach Gutdünken oder ein nach betriebswirtschaftlichen Kalkülen der einzelnen Hochschulen gesteuertes Studienangebot die Berufswahlfreiheit der Studierenden, nämlich ihre „Ausbildungsstätte frei zu wählen“ (Art. 12 Abs. 1 GG), ein. Ein derartiger Zustand wird der Garantenstellung des Staates zur Sicherung dieses elementaren Grundrechts der Ausbildungsfreiheit nicht gerecht. Adressat dieses Grundrechts ist nämlich nicht die einzelne „Ausbildungsstätte“, das würde die freie Wahl eines Studiums dem Belieben der einzelnen Hochschulen überlassen. Damit dieses Grundrecht nicht ins Leere läuft, ist der Staat verpflichtet angemessene Ausbildungsangebote der – wohlgemerkt nach wie vor staatlichen – Hochschulen zu sichern.

Was die Verfechter einer einzelbetrieblichen Hochschulautonomie ständig unter den Tisch fallen lassen, ist die Tatsache, dass in der – um die staatliche Grundfinanzierung ergänzende Drittmittelfinanzierung konkurrierenden – „unternehmerischen“ Hochschule die Lehre gegenüber der Forschung vernachlässigt wurde. Die Hochschule ist aber ein wichtiger Teil des Bildungssystems und die Gesellschaft und auch die Wirtschaft haben ein massives Interesse an wissenschaftlicher Qualifizierung. Gesellschaftlicher Wohlstand und die wirtschaftliche Entwicklung hängen wesentlich von der Qualität der Bildung und einem bedarfsbezogenen Ausbau der Fachangebote ab.

Die Beteiligung an der Hochschulentwicklungsplanung müsste erweitert werden

Die Kritik an dem Referentenentwurf müsste somit an einer ganz anderen Stelle ansetzen. Nämlich daran, dass über das Zusammenwirken von Ministerium und Hochschulen hinaus bei der Landeshochschulentwicklungsplanung sinnvollerweise auch Berufs- und Sozialverbände, Gewerkschaften, Kammern, Behörden und sonstige „Betroffene“ an der Entwicklungsplanung einbezogen werden müssten. Zentraler Bestandteil bei dieser Hochschulgesamtplanung sollte im Übrigen nicht nur der Bedarf und die Qualifikationsanforderungen wissenschaftlich gebildeter Fachkräfte sein, sondern wenigstens auch die Rolle der Hochschulen in der jeweiligen Region, nicht nur als teilweise größter Arbeitgeber, sondern auch im Hinblick auf den Strukturwandel und die Entwicklungsperspektiven des regionalen Umfelds (Stichwort: Ruhr-Region).

Das Schreckbild „Hochschulverträge“

Ein weiteres Schreckbild für die Hochschulrektoren und ihre medialen Sprachrohre scheint der Begriffswechsel von den bisher sog. „Zielvereinbarungen“ zu „Hochschulverträgen“ zu sein.

Um den Unterschied wenigstens grob zu skizzieren, ist es sinnvoll noch einmal zu rekapitulieren, was solche „Zielvereinbarungen“ eigentlich von ihrer Rechtsnatur her sind:

Solche Vereinbarungen sind im Zusammenhang mit der Modeerscheinung des sog. „New Public Managements“ in die öffentliche Verwaltung eingeführt worden. Zielvereinbarungen sollen einerseits ein prinzipiell gleichberechtigtes, jedoch mit unterschiedlichen Aufgaben und Funktionen ausgestattetes Verhältnis zwischen Staat und Hochschulen ausdrücken. In der Sache sollten solche Vereinbarungen eine Abkehr von der staatlichen Verfahrenssteuerung zur Erreichung bestimmter Ziele hin zu einem „management by objectives“, also allein auf Leistungsziele bezogene Absprachen zwischen einzelnen Hochschulen und dem Ministerium sein. Die Zielerfüllung soll und kann erst zu einem festgelegten späteren Zeitpunkt überprüft werde. Wie die „strategischen Entwicklungsziele sowie konkrete Leistungsziele“ erreicht werden, sollte dem in seinen Durchgriffsrechten wesentlich gestärkten „Hochschulmanagement“ überlassen bleiben [PDF – 675 KB].

Lassen wir einmal beiseite, dass manche Zielvereinbarung geschlossen wurde, die weit über den Detailierungsgrad früherer staatlicher Steuerungsinstrumente hinausging. Und lassen wir darüber hinaus einmal außen vor, dass damit keineswegs die Selbstverwaltungsrechte der Hochschule insgesamt gestärkt wurden, sondern vor allem die Entscheidungskompetenzen der Hochschulleitungen. Tatsächlich setzte man nämlich per Gesetzt auf eine massive strukturelle Stärkung der Präsidien. Und deren Macht wurde noch zusätzlich durch einen freischwebenden Hochschulrat gestützt.

Unbestreitbare Tatsache ist jedenfalls, dass – wie schon der Name sagt – anzustrebende „Ziele“ für die Zukunft zwischen der einzelnen Hochschule und dem Ministerium abgesprochen wurden. Aber Papier ist bekanntlich geduldig. Zielvereinbarungen haben keine unmittelbar verbindliche rechtliche Qualität, sie sind weder einklagbar noch gibt es klare Sanktionsregelungen, wenn die vereinbarten Ziele nicht erreicht worden sind. Man nimmt sich also bestenfalls gemeinsam etwas vor. Nach dem geltenden Hochschulrecht „kann“ allenfalls „ein Teil des Landeszuschusses an die Hochschule nach Maßgabe der Zielerreichung zur Verfügung gestellt“ werden (§ 6 Abs. 2).

So wortreich die wunderbaren Ziele in dem gängigen betriebswirtschaftlichen Vokabular (Wettbewerb, Effizienz, Flexibilisierung, Modularisierung, Profilbildung, „Studienportfolio“, Internationalisierung, E-Learning) auch beschrieben wurden, die „objectives“ blieben meistens ziemlich diffus. Dementsprechend vage blieben in der Regel auch die Berichte der Hochschulen über die jeweilige Zielerreichung. (Verehrte Frau Marion Schmidt von der „Zeit“,
solche Berichtspflichten sind nicht etwa, wie sie offenbar meinen, etwas Neues!)

Bis heute ist bei den Ziel- und Leistungsvereinbarungen das Problem der Sanktion bei Nicht-Erfüllung von solchen Kontraktzusagen grundsätzlich nicht gelöst. Die Hochschulen haben es stets verstanden, die angeblich erreichten Ziele beschönigend zu beschreiben oder aber gute Gründe anzuführen, warum die Ziele nicht erreicht werden konnten. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass höchst selten alle für die Zukunft verabredeten und erhofften Ziele (jedenfalls in Gänze) erreicht werden können, es hätte also zumindest eine beachtliche Zahl an Fällen geben müssen, wo das Verfehlen der vereinbarten Ziele zu irgendwelchen Konsequenzen hätte führen müssen. Davon ist nichts oder nur wenige bekannt.

Die Kontrakte zwischen Land und Hochschulen sollen endlich konkretisiert werden

Im Referentenentwurf für ein Hochschulzukunftsgesetz sollen nun diese „Zielvereinbarungen“ durch „Hochschulverträge“ abgelöst werden. Auch „Verträge“ werden zwischen gleichberechtigten Partnern geschlossen. Ein großer Fortschritt ist allerdings, dass diese Verträge durch das geplante Gesetz künftig konkretisiert werden sollen.

So sollen etwa vereinbart werden:
Messbare und überprüfbare strategische Entwicklungsziele, konkrete Leistungsziele oder konkrete finanziell dotierte Leistungen, Maßnahmen und Entscheidungen auf dem Gebiet der Organisation der Lehre und der Studienreform, die den spezifischen Aufgabenbereich und das wissenschaftliche oder künstlerische Profil der jeweiligen Hochschule in besonderer Weise deutlich werden lassen. Es sollen Verfahren zur Feststellung des Standes der Umsetzung der Verträge und – vor allem auch – es soll die Erfüllung dieser konkreten Leistungen der Hochschulen an die Finanzierung, d.h. zur Erfüllung dieser Leistungen gewährten Landeszuschuss gebunden werden.

Das ist ein wichtiger Schritt aus der bisherigen weitgehenden Beliebigkeit.

Es ist nicht weiter verwunderlich, dass diese Konkretisierung der Entwicklungsziele bei gleichzeitiger Sanktionsbewehrung bei den Hochschulleitungen auf Missfallen und Widerstand stößt. Es macht natürlich einen Unterschied aus, ob es nicht viel mehr braucht als schöne Worte, um die Erfolge der jeweiligen Hochschule darzustellen oder ob man konkrete, messbare Ergebnisse vorweisen muss, um an den daran gebundenen Teil der staatlichen Mittel zu kommen.

Doch was ist daran eigentlich daran kritisierbar, wenn der Gesetzgeber ernst macht mit dem, was bisher nur auf dem Papier stand?

Die „Landesverantwortung“ wurde bisher vernachlässigt

Die Aufregung ist aber umso mehr schon deshalb völlig fehl am Platze, weil dem derzeitigen, ach so freiheitlichen Hochschulgesetz ein geradezu mafiöses Drohpotential innewohnte.
Auch hier hätte den rektoralen Kritikern ein Blick ins geltende Gesetz ihre Urteilsbildung erleichtert. Sie hätten dann nämlich erkennen müssen, dass ihr pawlowscher Beißreflex gegen den Referentenentwurf einer rein ideologischen Konditionierung geschuldet ist.

In § 6 Abs. 3 HG heißt es derzeit:

„Wenn und soweit eine Ziel- und Leistungsvereinbarung nicht zustande kommt, kann das Ministerium nach Anhörung der Hochschule und im Benehmen mit dem Hochschulrat Zielvorgaben zu den von der Hochschule zu erbringenden Leistungen festlegen.“

Diese gesetzliche Drohung erinnert an den Ausspruch des legendären Mafia-Chefs Al Capone: „Mit einem freundlichen Wort und einer Pistole in der Hand erreicht man mehr als mit einem freundlichen Wort allein.“

Dass bisher keiner nordrhein-westfälischen Hochschule die Pistole auf die Brust gesetzt worden ist, hat also weniger mit der derzeitigen Gesetzesgrundlage zu tun, als mit der Tatsache, dass das Land nur sehr begrenzt bereit und in der Lage war, seine „Landesverantwortung“ zu operationalisieren oder zumindest ein transparentes und vor allem konsistentes hochschulübergreifendes Zielsystem zu entwickeln, geschweige denn einen solchen Zielfindungsprozess effektiv zu organisieren. Bis heute kann (allein) das Ministerium nach freiem Ermessen einer Zielvereinbarung zustimmen oder eben feststellen, dass sie nicht zustande kommt und daraufhin eigene Zielvorgaben festlegen. Die bisher bestehende Pflicht zur Anhörung der Hochschulen oder die Herstellung des Benehmens mit dem Hochschulrat sind die schwächste Form einer Beteiligung der Hochschulen. Benehmensherstellung heißt nicht mehr als Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben.

Die geplante Einbettung der künftigen Hochschulverträge in die vom Landtag gebilligten Planungsgrundsätze auf deren Grundlage ein Landeshochschulplan entwickelt werden soll, kann also die bisher per Gesetz mögliche Willkür des Ministeriums überwinden und die staatlichen Vorgaben transparent und nachvollziehbar machen.

Fazit:

Würde das geltende Gesetz ernst genommen und befolgt, dann wäre es für den Bereich der Hochschulentwicklungsplanung freiheitsfeindlicher und erlaubte nicht kontrollierbare staatliche Eingriffe viel eher als die vorgeschlagenen Regelungen.

Die im Referentenentwurf vorgeschlagenen Regelungen sind vom Grundsatz her notwendig, z.B. um den Studierenden im Land ein ausgewogenes und leistungsfähiges Angebot an Hochschulen machen zu können, wozu der Staat u.a. aus Gründen der Freiheit der Berufswahl verpflichtet ist.

Kritik an den neuen Regelungen zur Hochschulentwicklungsplanung

Man stößt aber auch bei den Hochschulverträgen genauso wie bei der Hochschulentwicklungsplanung auf die Notwendigkeit einer programmatisch konzeptionellen Arbeit auf der Ebene des Landes. Wollte man tatsächlich ein rahmensetzendes Steuerungssystem einführen, so sollte man eine irgendwie geartete konzeptionelle Fundierung erwarten dürfen.

Diese politische und konzeptionelle Fundierung vermag ich gegenwärtig noch nicht zu erkennen.

Der Aufstellungsprozess eines Hochschulentwicklungsplans zwischen dem Land und den einzelnen Hochschulen ist mit dem „Gegenstromprinzip“ zwar plastisch beschrieben, der Referentenentwurf lässt allerdings eine Konkretisierung bzw. Vorschläge für die Lösung von Konfliktfällen vermissen.

Wohl aus vorauseilender Sorge vor dem Widerstand Hochschulpräsidenten/innen scheut der Referentenentwurf vor einer klaren Regelung des Entscheidungsprozesses bei der Entwicklungsplanung zurück. Man weicht bei der Abstimmung zwischen den Hochschulentwicklungsplänen der einzelnen Hochschulen und dem dann verbindlich werdenden Landeshochschulentwicklungsplan auf das den Naturwissenschaften entlehnte und rechtlich unpräzise „Gegenstromprinzip“ aus. Damit ist in der Landesplanung ein Verfahren zum kontinuierlichen Austausch und zur Überführung von unterschiedlichen und möglicherweise inkompatiblen Entscheidungen zwischen jeweils mit eigenen Rechten ausgestatteten Planungsträgern, hier also zwischen den Planungen der Hochschulen und den Vorstellungen des Landes für das gesamte Hochschulwesen gemeint. Wie Konflikte zwischen den nach wie vor wettbewerbsgesteuerten Hochschulen und der Gesamtverantwortung für das gesamte Hochschulwesen gelöst werden können, ist eine offene Frage und bleibt im Nebel.

Zwar heißt es in § 16 Abs. 1a, dass das Land „Vorgaben“ für die Aufstellung und Fortschreibung der Entwicklungspläne machen und die Verpflichtung feststellen, ja sogar eine Ersatzvornahme durchführen kann, wenn dem Landeshochschulentwicklungsplan nicht entsprochen wird. Um eine klare Regelung der Letztentscheidungsmacht bei der Landesentwicklungsplanung mogelt sich der Referentenentwurf jedoch herum. Hier sind Auseinandersetzungen bis hin zum Streit vor den Gerichten Tür und Tor geöffnet.

Um solchen Streit zu vermeiden könnte ich mir vorstellen, dass diese Letztentscheidung über einen Landeshochschulentwicklungsplan nicht nur beim Ministerium sondern beim Parlament liegt. Dadurch würden Fragen der Hochschulentwicklung auch wieder auf die politische Ebene gehoben, sie würden transparent und zum Gegenstand einer öffentlichen Debatte und hätten damit eine breite demokratische Legitimation.

Eine öffentliche Debatte um die Hochschulentwicklung im Lande müsste beim ständigen Kampf um die Verteilung der Ressourcen zwischen den verschiedenen Politikfeldern, durchaus nicht zum Nachteil für die Hochschulen sein.

Nebenbemerkung: Wenn es richtig sein sollte, dass das Ministerium die Hochschulen bis zum 7. Januar 2014 um eine Stellungnahme zum Referentenentwurf gebeten hat, so mag das vielleicht nicht besonders geschickt gewesen sein. Dass die Hochschulen aber binnen fast zwei Monaten sich außerstande sehen, eine Stellungnahme zu erarbeiten, spricht das Bände über die ständig behauptete Effizienz der „unternehmerischen“ Hochschule.

Hinweis:
Das Leitbild der wettbewerbsgesteuerten, „unternehmerischen Hochschule“, das dem derzeit geltenden Landeshochschulgesetz zugrunde liegt, hat noch nie zu den Hochschulen gepasst.

Ziel einer Gesetzesnovelle hätte sein müssen, unter dem Dach der grundgesetzlichen Garantie der Freiheit von Forschung und Lehre, die subjektive individuelle Wissenschaftsfreiheit der Hochschulangehörigen (auch der Studierenden) und das daraus abgeleitete Recht der Selbstverwaltung der Hochschule mit der Gesamtverantwortung des demokratischen Staates für das Hochschulwesen zu einer neuen Balance zu bringen.

Dieser Anspruch wird zwar in der Begründung für ein neues Hochschulzukunftsgesetz formuliert, bei dessen Konkretisierung bleibt der Referentenentwurf allerdings auf halbem Wege stecken.

Der Referentenentwurf will zwar mit der Hochschulentwicklungsplanung und auch mit der Einführung von Hochschulverträgen ernst machen, es bleibt aber die offene Frage, inwieweit sich diese Steuerungsinstrumente mit der vor allem im Forschungsbereich deutlich an Einfluss gewinnenden Wettbewerbssteuerung der Hochschulen vereinbar ist bzw. einen Ausgleich schaffen kann.

In diesem Zusammenhang spielen natürlich auch die Neuregelungen der Hochschulselbstverwaltung, die Bestellung und die Kompetenzen der nach wie vor vorgesehenen Hochschulräte eine zentrale Rolle.

Darauf und auf andere Detailregelungen des Referentenentwurfs werde ich in weiteren Beiträgen eingehen.