Arbeitgeber verließen die Mitbestimmungskommission: Ohne Abschaffung der paritätischen Mitbestimmung erübrigt sich für sie jede weitere Reformdebatte.
Michael Schumann vom Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI) berichtet auf dem Symposium „Mehr Demokratie wagen?“ am 29.11.06 im Willy Brandt-Haus in Berlin über den Stand der Beratungen und die Kontroversen zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften und den wissenschaftlichen Vertretern in der sog. Biedenkopf-Kommission. Wolfgang Lieb.
Nach der Politik des leeren Stuhls von Arbeitgeberpräsident Hundt und BDI-Chef Thumann wird die Wissenschaftsseite im Dezember einen Bericht vorlegen, zu dem Arbeitgeber und Gewerkschaften Stellung nehmen werden.
Der noch vorläufige Bericht der Vertreter der Wissenschaft enthält folgende Elemente:
- Die Kommission „sieht keinen Grund, der Bundesregierung eine grundsätzliche Revision der deutschen Unternehmensmitbestimmung vorzuschlagen“. Was sie empfiehlt, ist eine „behutsame“ Weiterentwicklung des deutschen Mitbestimmungsmodells, um dieses „zukunftsfähig zu machen“.
- Der Forschungsstand ergebe jedenfalls insgesamt keinen Nachweis negativer wirtschaftlicher Wirkungen der Unternehmensmitbestimmung. Entsprechend seien auch bei Vorständen und Aufsichtsräten keine grundsätzliche Ablehnung der Unter-nehmensmitbestimmung zu erkennen oder gar der überwiegende Wunsch, sie abgeschafft zu sehen.
- Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, „dass bestehende Schwächen deutscher Unternehmen oder der deutschen Wirtschaftsstruktur, welcher Art auch immer, überwiegend oder auch nur in relevantem Ausmaß auf die Institutionen der Unternehmensmitbestimmung zurückzuführen seien oder dass grundlegende Änderungen an der deutschen Unternehmensverfassung erforderlich wären, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen zu erhalten oder zu verbessern“.
- Es gebe keine Belege dafür, dass mitbestimmte deutsche Unternehmen in internationalen Kapitalmärkten einen „Mitbestimmungsabschlag“ hinnehmen müssten. „Investoren orientieren sich an fundamentalen Werten wie Profitabilität und strategischer Positionierung eines Unternehmens, nicht an seiner Unternehmensverfassung.“
- Die deutsche Unternehmensmitbestimmung habe „auch angesichts der bisher vollzogenen Europäisierung des Unternehmensrechts sowie unter den Bedingungen immer stärkerer internationalisierter Märkte und Unternehmensstrukturen Bestand“. Die statthabenden Veränderungen ergäben keinen Anlass, das Modell der Unternehmensmitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz in Frage zu stellen, sondern legten nur verschiedene Änderungsmaßnahmen nahe.
Teilen des Arbeitgeberlagers gehe es um mehr als um die Ablehnung der geltenden Mitbestimmung. Betrieben werde ein Paradigmenwechsel in der deutschen Unternehmensführung, also in der Corperate Governance. Die mitbestimmungsgestützte Konsenspolitik solle abgelöst werden durch ein konsequent am Shareholder Value aus-gerichtetes neues Konzept der Unternehmenspolitik. Begründet werde dieser Wandel mit welt-weit veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen und Herausforderungen. Orientiert am amerikanischen Shareholder-Kapitalismus und einem immer mächtiger werdenden internationalen Finanzmarktsystem gehe es um eine Politik, die allein noch die Erzielung einer möglichst hohen Kapitalrendite und schnelle Gewinne im Auge hat – auch auf Kosten von an Nachhaltigkeit und Effizienz orientierten Perspektiven.
Michael Schumann sieht unterhalb der Grundfestlegung des Erhalts der paritätischen Mitbestimmung Anpassungsbedarf an die Europäisierung und Internationalisierung der Unternehmen.
Er plädiert vor dem Hintergrund der persönlichen Verfehlungen bei VW für mehr Kontrolle und Transparenz bei der Mitbestimmung.
Das Rollenverständnis der der Betriebsräte müsse neu geschärft werden. Es spricht sich gegen einen Sonderstatus (etwa in Form einer Gleichstellung der Vergütung mit Vorstandsmitgliedern) aus. Die aktive Mitwirkung am Unternehmergeschäft dürfe nicht zu einer Entfernung vom eigenen Klientel führen.
Soziale Zugewinne dürften zwar nicht auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens gehen, aber die besondere Aufgabe der Arbeitnehmervertreter bestünde darin für die Kompatibilität der betrieblichen Maßnahmen mit den Beschäftigteninteressen Sorge zu tragen.
Es sei heute mehr denn je Aufgabe der Arbeitnehmervertreter, in den Unternehmen einen neuen zukunftsweisenden Umgang mit der Ressource Mensch durchzusetzen.
Es gehe um eine innovative Arbeitspolitik für mitdenkende und mitentscheidende Beschäftigte, die möglichst flexibel, kreativ, selbstständig und selbstverantwortlich agieren. Dieser Typus von Arbeitspolitik fördere und ermögliche oft erst erfolgreiche Produkt- und Prozessinnovationen, hohe Qualitäts- und Flexibilitätsstandards, Geschwindigkeit, Verlässlichkeit, Reaktionsfähigkeit sowie Ressourcen schonende Prozesse.
Es gehe um mehr Selbstvertretung, mehr „Mitbestimmung am Arbeitsplatz“ sei die neue Forderung – an den Betrieb wie an die eigene Interessenvertretung. Darin liege die Chance und auch das Risiko solcher innovativen Arbeitspolitik: eine selbstbewusstere, kritischere, handlungsfähigere Belegschaft.