Hinweise des Tages
Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (CR/WL/JB)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
- Orwell 2.0
- Armenhaus Europa
- Eine soziale Dimension für die Wirtschafts- und Währungsunion?
- Markt und Monopole
- Kein Strompreisanstieg, keine Steuererhöhung
- Paul Krugman: A War on the Poor – Ein Krieg gegen die Armen
- Video: Steuerfahndung – Wie die Politik Milliarden verschenkt
- Ben Bernanke stösst ein Seil
- Die verpasste Chance
- Die USA, der deutsche Merkantilismus und die Koalitionsverhandlungen
- Den Tarifvertrag stärken
- Mindestlohn – Gespräch mit Prof. Gerhard Bosch
- Tatsächliche Arbeitslosigkeit
- Kommunale Netze sind keine Lösung
- Die SWP im Krieg
- Lampedusa: Europas Schande
- Niederlage in der Mediendemokratie – Das grüne Bundestagswahlergebnis 2013
- Worüber verhandelt die SPD eigentlich?
- Forschungsrating des Wissenschaftsrats
- Scheinheilige Gebührenabzocke auf dem Rücken der Studierenden in Baden-Württemberg
- Desinformationsorgie
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
- Orwell 2.0
- Union und SPD wollen Vorratsdatenspeicherung wiederbeleben
Union und Sozialdemokraten wollen in einer gemeinsamen Regierung die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen. Das berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) unter Berufung auf Verhandlungskreise. Bereits 2007 war das umstrittene Ermittlungsinstrument von einer Großen Koalition eingeführt worden, musste nach dem Veto des Bundesverfassungsgerichts 2010 aber ausgesetzt werden. Die Wiedereinführung war seither am erbitterten Widerstand der FDP und der liberalen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gescheitert.
Nun sind die Liberalen raus und mit der SPD geht es – trotz des Widerstands sozialdemokratische Netzpolitiker – leichter, denkt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). “Mit dem früheren Koalitionspartner FDP haben wir keine Einigung hinbekommen, da bin ich bei der SPD optimistischer”, sagte der Minister der Rheinischen Post und will jetzt “einen Kompromiss finden”. Die beiden großen Parteien sind sich laut FAZ einig, eine Mindestspeicherfristen für Verbindungsdaten von Telefonen und Computern einzuführen. Es bestehe aber noch kein Einvernehmen über Details. So müsse unter anderem noch geklärt werden, wie lange die Daten aufbewahrt werden sollen.
Quelle: heise onlineAnmerkung C.R.: Ein Beispiel dafür, dass der SPD die Beteiligung an der nächsten Bundesregierung offenbar wichtiger ist als die Interessen der Bevölkerungsmehrheit. Der Ex-Bundesinnenminister und Ex-Grüne Otto Schily freut sich vermutlich. Die Langzeitfolgen einer solchen Politik – wenn es denn auch nur annähernd so geschehen wird – hat die Partei wohl nicht ernsthaft genug bedacht: Weiterer massiver Vertrauensverlust droht.
Die Kompromissfähigkeit, die Parteichef Gabriel jüngst angemahnt hat, kennt offensichtlich keine Grenzen: Hauptsache an der Regierung.ergänzende Anmerkung JB: Auch wenn einige SPD-Politiker sich vor den Wahlen gegen die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen haben – die Vorratsdatenspeicherung wurde 2011 vom Parteitag der SPD abgesegnet und auch im aktuellen Parteiprogramm bekennt sich SPD dazu, Daten „zur Kriminalitätsbekämpfung“ zu sammeln. Schlussendlich ging der „Streit“ zwischen Union und SPD nur darum, ob die Daten sechs Monate (Union) oder drei Monate (SPD) gespeichert werden sollen. Greift man die Arithmetik vom Mehrwertsteuerdisput bei den Koalitionsverhandlungen 2005 auf, dürfte es nicht wundern, wenn bei den aktuellen Verhandlungen am Ende eine Speicherfrist von 12 Monaten beschlossen wird.
- “Bin ermutigt von der Resonanz”
Der Berliner Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele hat nach seinem Treffen mit Edward Snowden einen Brief des Ex-Geheimdienstmitarbeiters mit nach Berlin gebracht. Snowden sieht sich in seinem Tun bestätigt – und kritisiert die US-Regierung.
Das von dem Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele am Freitag präsentierte und von ihm selbst sowie Edward Snowden unterzeichnete Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel, Generalbundesanwalt Harald Range und Bundestagspräsident Norbert Lammert hat folgenden Wortlaut:
Quelle: Der Tagespiegeldazu: “Ich bereue nichts”
Er hat die NSA-Affäre ausgelöst und sitzt in Moskau fest: Der Whistleblower Edward Snowden erklärt im Gespräch, wie die USA die außer Kontrolle geratenen Geheimdienste einfangen sollte – und was er in Moskau schmerzlich vermisst.
Am Donnerstag hat der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian-Ströbele in Moskau Edward Snowden getroffen. Die Süddeutsche Zeitung, das ARD-Magazin Panorama und der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo waren dabei. SZ-Mitarbeiter John Goetz fasst die wichtigsten Zitate zusammen.
Bereuen Sie die Enthüllungen?
Als Konsequenz davon, das Richtige gemacht zu haben: Ich bereue nichts.
Welche Nachteile schmerzen Sie am meisten?
Der Preis meiner Handlung ist der Verlust von echten und regelmäßigen Kontakten zu meiner Familie und meinen Freunden.
Warum geben Sie keine Interviews zum Inhalt der NSA-Dokumente?
Unabhängige Journalisten und Experten sollen sich ihr eigenes Urteil darüber bilden, was die Dokumente beinhalten.
Quelle: Süddeutsche.de - Fünf Augen sehen mehr
Amerikas Geheimdienste überwachen die ganze Welt. Die ganze Welt? Vier Staaten genießen Sonderrechte und sind Teil des Spionageclubs “Five Eyes”. Seit dem Kalten Krieg teilen sich Australien, Neuseeland, Kanada, Großbritannien und die USA die Bespitzelung des Erdballs auf. Viele andere Länder würden gern mitmachen.
Es ist ein Überbleibsel aus dem Kalten Krieg, das nun wieder in die Schlagzeilen gerät: Im Bündnis “Five Eyes” arbeiten die USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland zusammen. Das exklusive Spionage-Netzwerk ging aus der 1946 gegründeten britisch-amerikanischen “UKUSA” hervor – einer Zusammenarbeit zwischen Großbritannien (UK) und den USA. Ziel war damals natürlich vor allem die Vernetzung von Geheimdienstaktivitäten im Ostblock.
Mitglieder sind der US-Geheimdienst NSA, der britische GCHQ und die entsprechenden Dienste der anderen drei Länder. Im Zentrum ihrer Arbeit steht das Abfangen und Speichern elektronischer Daten, außerdem tauschen die Partner Erkenntnisse aus und teilen sich Arbeit auf. Die taz schreibt von einer “unverbindlichen Arbeitsteilung” der Mitglieder: Die Briten beobachten demnach Europa und Afrika, die USA Lateinamerika und Ostasien, Australien Südasien, Neuseeland den Westpazifik und Kanada schütze Botschaftskommunikation weltweit.
Quelle: Süddeutsche.deAnmerkung: Zur Geschichte der „Five Eyes“ haben auch die NachDenkSeiten bereits ausführlich berichtet.
Passend dazu: Beredtes Schweigen
Neuen Hinweisen aus den USA zufolge nehmen die Geheimdienste Deutschlands und anderer europäischer Staaten aktiv und im großen Stil an der NSA-Spionage teil. Demnach forscht nicht nur der Bundesnachrichtendienst (BND) E-Mails von US-Bürgern aus; auch haben Geheimdienste mehrerer NATO-Mitglieder spezielle Kooperationsvereinbarungen mit Washington geschlossen, die den Austausch abgefangener Kommunikationsdaten beinhalten. Ob all dies nur mit den NATO-Kriegen in Zusammenhang steht, ist unklar. Das westliche Kriegsbündnis operiert keineswegs nur in Afghanistan, es befindet sich seit dem 4. Oktober 2001 auch im “Bündnisfall” (“Anti-Terror”-Krieg); doch häufen sich Anzeichen, dass die westlichen Dienste – deutsche inklusive – verbündeten Spionageorganisationen Zugang zu Kommunikationsdaten aus dem eigenen Land bieten, um ihnen die Auswertung von Materialien zu überlassen, die ihnen selbst untersagt wäre. Ein Experte für IT-Sicherheit weist darauf hin, dass deutsche Gesetze es dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik explizit gestatten, bekannte Sicherheitslücken zu verschweigen; das erleichtert Zugänge für deutsche sowie auswärtige Dienste. Wie der Experte vermutet, führen die Dienste zumindest der G20-Staaten sämtlich eine Totalüberwachung der Kommunikation durch – also auch deutsche Stellen.
Quelle: german-foreign-policy.com - Keine Angst vor NSA? Wie man das Ergebnis einer Umfrage uminterpretiert und auf den Kopf stellt
Manchmal sind es Nuancen, ein paar veränderte Worte, und aus dem Inhalt einer Nachricht wird das glatte Gegenteil. “Drei Viertel der Deutschen haben keine Angst vor NSA”, schmetterte “Spiegel Online” am 2. November. Es war nicht einmal eine eigene Meldung. Man hatte sie von der “Wirtschaftswoche”. Die hatte ihre Meldung so betitelt: “Mehrheit der Deutschen sieht sich durch NSA-Attacken nicht bedroht.” Hatte das Meinungsforschungsinstitut tatsächlich so gefragt?
Quelle: Leipziger Internet Zeitung
- Union und SPD wollen Vorratsdatenspeicherung wiederbeleben
- Armenhaus Europa
In Europa breitet sich „stille Verzweiflung“ aus. Verzweiflung bei Millionen Menschen, die in Armut leben, weil sich die Kluft zwischen Reich und Arm vertieft. So steht es im jüngsten Bericht der Internationalen Rotkreuz- und Halbmondgesellschaften (IFRC). Die Studie ist auch als Aufschrei zu verstehen, um den still leidenden Betroffenen eine Stimme zu geben. Es geht Deutschland, relativ betrachtet, gut. Die Armutsquote liegt bei knapp 20 Prozent, und der Anteil derjenigen, die armutsgefährdet sind, ist nicht wesentlich gewachsen. Dennoch hat die Ungleichheit der Vermögensverteilung zugenommen. Da ist es beschämend, wenn in einem reichen Land Millionen Menschen, die durchs weitmaschiger werdende soziale Netz fallen, auf Suppenküchen und Tafeln angewiesen sind, um über die Runden zu kommen.
Quelle: Nürnberger Nachrichten - Eine soziale Dimension für die Wirtschafts- und Währungsunion?
Anfang Oktober stellte der sozialdemokratische Kommissar für Soziales und Beschäftigung László Andor seine lange erwarteten Vorschläge für eine soziale Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion vor. Angesichts der grassierenden Massenarbeitslosigkeit in Europa wurden von vielen BeobachterInnen erhofft, dass es wichtige Schritte in Richtung einer Sozialunion geben würde. Doch stattdessen schlägt die Kommission Indikatoren zur Messung der sozialen Situation vor, die längst weithin bekannt ist und möchte sie durch noch mehr neoliberale Strukturreformen verbessern.
Quelle: Arbeit & Wirtschaft - Markt und Monopole
Heinz-J. Bontrups Broschüre über Ideologie und Wirtschaftsmacht
Eine kürzlich erschienene Studie des Berliner Bildungspsychologen Gerd Gigerenzer hat es bestätigt: Mit dem ökonomischen Grundwissen der Deutschen ist es nicht weit her. Nicht nur Faktenwissen fehlt, auch über wirtschaftspolitische Zusammenhänge herrscht Ahnungslosigkeit. Heinz-J. Bontrup, Herausgeber der jährlichen Memoranden der »Arbeitsgruppe alternative Wirtschaftspolitik«, gehört zu jenen, die solides ökonomisches Basiswissen vermitteln können. In dem von ihm verfaßten siebten Heft der Veröffentlichungen des »Ökonomischen Alphabetisierungsprogramms« des pad-verlages Bergkamen unter dem Titel »Wo bitte geht es hier zur Marktwirtschaft?« analysiert er die zentralen Begriffe der wirtschaftspolitischen Debatte: Wettbewerb und Markt einerseits, tatsächliche Wirtschaftsmacht andererseits.
Glaubt man der herrschenden Lehre, so geht alles in Ordnung. Wettbewerb sei unter den Bedingungen eines »vollkommenen Marktes« zu realisieren. »Konsumentensouveränität« stehe für eine »Demokratie des Marktes«. Störungen des Marktes würden auf der Grundlage des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 1958 behoben. Differenzen gibt es darüber, ob und inwieweit die »Selbstregulierungskräfte« der Wirtschaft ausreichen, um »das allgemeine Wohl« zu gewährleisten.
Quelle: junge Welt - Kein Strompreisanstieg, keine Steuererhöhung
Abgeordnetenbestechnung und Aufgaben der Bundespolizei – das sind nur zwei der Themen an diesem Freitag, wenn Union und SPD die Koalitionsgespräche fortsetzen. In Sachen Energie und Steuern ist man sich bereits in Teilen einig. (…)
Söder sagte der Zeitung “Die Welt”, die sogenannte “kalte Progression” solle abgebaut werden. Bisher kann ein Arbeitnehmer, obwohl sein Brutto-Einkommen steigt, weniger netto herausbekommen, weil er durch das Plus einen höheren Steuersatz bezahlen muss. Außerdem hätten sich Union und SPD auf den Erhalt der Gewerbesteuer in ihrer derzeitigen Form geeinigt, so Söder. Steuererhöhungen dürfe es auch nicht durch die Hintertür geben, sagte der Finanzminister im Bayerischen Rundfunk.
Quelle: BRAnmerkung unseres Lesers R.P.: Desinformation mit öffentlichen Geldern beenden!
Aus Anlass der Koalitionsverhandlungen in Berlin wird in den Medien wieder einmal Desinformation über das deutsche Einkommenssteuersystem betrieben. Wie aus der oben genannten Quelle hervorgeht, behauptete der Sender B5 aktuell ( Werbeslogan: Hören wie es wirklich ist), dass es möglich sei durch die sog. “kalte Progression” weniger Nettoeinkommen ausgezahlt zu bekommen, wenn Beschäftigte durch eine Lohnsteigerung in einen höheren Einkommensteuertarif rutschen. Um es deutlich zu sagen: Das ist Unfug.
Das wäre mathematisch nur möglich, wenn die nächste Stufe der Einkommensteuer über 100% betragen würde. Tatsächlich geht es, wenn überhaupt, um die Kaufkraft. Da die Tarife der Einkommensteuer an fixe Beträge gebunden sind, die nicht an die Entwicklung der Inflationsrate angepasst werden, ist es so dass Einkommen zwar steigen, wenn sie aber nicht über die Rate der Inflationsrate steigen verliert man Kaufkraft. Steigt das Einkommen genau in der gleichen Höhe wie die Inflation, so bleibt, rein rechnerisch, die Kaufkraft gleich. Führt die Steigerung des Einkommens nun aber dazu, dass der Mensch in einen höheren Einkommensteuertarif fällt, so kann es sein, dass “der letzte Euro” Einkommenszuwachs nun mit einem höheren Satz besteuert wird. das führt nicht dazu, dass Netto weniger Geld herausbekommt als vor der Lohnerhöhung, aber seine Kaufkraft sinkt wieder unter den Inflationssatz und so reduziert sich seine Kaufkraft wieder unter die Rate der Inflation. Wenn dann geht es also um die KAUFKRAFTVERLUSTE. Es kann doch aber nicht zuviel verlangt sein, dass ein öffentlich-rechtlicher Sender diese Zusammenhänge richtig darstellt! Ich erwarte, dass dieser Unfug so schnell wie möglich richtig gestellt wird! - Paul Krugman: A War on the Poor – Ein Krieg gegen die Armen
John Kasich, der republikanische Gouverneur von Ohio, hat kürzlich ein paar überraschende Dinge getan. Erstens hat er die – von seiner eigenen Partei kontrollierte – Legislative seines Staates umgangen und die von Washington geförderte Ausweitung von Medicare übernommen, die ein bedeutender Teil von Obamacare ist. Und zu seiner Rechtfertigung griff er dann seine politischen Verbündeten an und sagte:”Ich finde es bedenklich, dass es hier einen Krieg gegen die Armen zu gehen scheint. Dass, wenn man arm ist, man auch gleich träge und faul ist.”
Quelle: New York Times - Video: Steuerfahndung – Wie die Politik Milliarden verschenkt
Geld muss her: Für Bildung, Infrastruktur und Pflegereform. In den Koalitionsverhandlungen ringen CDU, CSU und SPD um die Finanzierung. Dabei verschenkt der Staat Milliarden, weil er Steuern nicht konsequent eintreibt.
Quelle: ARD MediathekAnmerkung C.R.: Seit Jahren als Alternativen zur bisherigen Steuerpolitik bekannt: Kienbaum, Abschlussbericht »Quantifizierung der im Falle einer Bundessteuerverwaltung bzw. einer verbesserten Kooperation, Koordination und Organisation der Länderverwaltungen zu erwartenden Effizienzgewinne (Forschungsaufträge Nr. 8/05 und Nr. 22/05) – Kurzfassung [PDF – 520 KB].
- Ben Bernanke stösst ein Seil
Die amerikanische Notenbank kauft jeden Monat Staatsanleihen und verbriefte Hypothekarpapiere im Umfang von 85 Milliarden Dollar. Am Mittwoch hat der Offenmarktausschuss unter dem Vorsitz von Ben Bernanke beschlossen, dieses sogenannte Quantitative-Easing-Programm unverändert weiterlaufen zu lassen (hier die Details). Im Verlauf der vergangenen knapp fünf Jahre hat sich die Bilanzsumme der US-Notenbank mehr als vervierfacht; die Basisgeldmenge ist von 800 Milliarden auf gut 3600 Milliarden Dollar gestiegen.
Das muss doch in hoher Inflation münden, oder?
Diese Ansicht ist weitverbreitet. Wenn eine Zentralbank zu viel Geld druckt, sind hohe Teuerungsraten die Folge. Auch der US-Ökonom Allan Meltzer hat die Inflationswarnung in diesem Interview, das mein Kollege Christoph Gisiger in New York mit ihm geführt hat, wieder ausgesprochen.
Das Argument klingt logisch. Doch was ist davon im aktuellen Umfeld zu halten?
Wir massen uns nicht an, zu prognostizieren, wie sich die Inflation in den USA über die nächsten Jahre entwickeln wird. Gegenwärtig sprechen die Signale allerdings eine klare Sprache: Noch immer ist in den USA Deflation die grössere Gefahr.
Zwei Charts werden im Folgenden zeigen, wieso dem so ist.
Doch zunächst ein kurzer Exkurs. Wenn die US-Notenbank am Markt Anleihen für 85 Milliarden abkauft, bezahlt sie dafür mit einem vom Schatzamt ausgestellten Scheck. Die Verkäufer der Anleihen, also die Geschäftsbanken, erhalten 85 Milliarden gutgeschrieben. Die Notenbank hat mit dieser Transaktion dem Finanzsystem also 85 Milliarden zugefügt (im übertragenen Sinn: «Geld gedruckt»), ihre Bilanzsumme erhöht sich um diesen Betrag. Und noch etwas technischer ausgedrückt: Die Basisgeldmenge ist um 85 Milliarden gestiegen.
Quelle: Never mind the markets - Die verpasste Chance
Vor fünf Jahren mussten die UBS und Dutzende andere Finanzinstitute vom Staat gerettet werden. Dennoch machen die Banken fast so weiter wie zuvor.
Es gibt Daten, die brennen sich in die Historie ein. Viele Menschen wissen noch ganz genau, wo sie am 11. September 2001 waren, als sie die Bilder der brennenden Türme des World Trade Centers in New York sahen. In der Finanzwelt ist eines dieser Daten der 15. September 2008: der Tag, an dem die Investmentbank Lehman Brothers unterging. Oder, in der Schweiz, der 16. Oktober 2008: der Tag, an dem Bund und Nationalbank die wankende UBS retten mussten.
Das globale Finanzsystem erlitt damals beinahe eine Kernschmelze, die Weltwirtschaft rutschte in die schwerste Rezession seit mehr als siebzig Jahren. Reihenweise kollabierten die Banken, und Staaten mussten Hunderte von Milliarden Dollar aufwerfen, um sie zu stabilisieren. 37 unter den 100 weltweit grössten Banken waren auf die Hilfe des Staates angewiesen. Sie waren zu gross, zu vernetzt und zu wichtig für das Geldflusssystem, als dass man sie hätte untergehen lassen können: too big to fail eben.
Es war eine Nahtoderfahrung für die westliche Wirtschaftswelt.
Ein halbes Jahrzehnt ist seither vergangen. Genug Zeit für Banken und Regulatoren, alles Nötige zu unternehmen, damit eine derartige Katastrophe nie mehr geschehen kann. Doch die Zeit wurde nicht genutzt.
«Das Finanzsystem ist heute nicht sicherer als vor dem Lehman-Kollaps. Die Situation ist sogar schlimmer als zuvor», sagt der Physiker Didier Sornette, der an der ETH Zürich das Financial Crisis Observatory leitet. «Das ‹Too big to fail›-Problem ist heute grösser als vor fünf Jahren», warnt Simon Johnson, der damals hautnah dabei war: Der am Massachusetts Institute of Technology lehrende Brite war 2007 und 2008 Chefökonom des Internationalen Währungsfonds. «Mit Blick auf die nächsten fünf Jahre oder so müssen wir davon ausgehen, dass sich der Zyklus wiederholt und sich eine ähnliche Katastrophe, möglicherweise sogar eine noch schlimmere, ereignen wird», sagt Johnson.
Quelle: Das Magazin - Die USA, der deutsche Merkantilismus und die Koalitionsverhandlungen
Die Empörung des Spiegel-Journalisten schwingt in jedem Wort mit: Wie kann die US-Regierung es wagen, Deutschland offen zu kritisieren? Wo wir es doch sind, die die USA zu kritisieren haben wegen der NSA-Affäre und vielem anderen? Ja, die USA haben es gewagt, Deutschland wegen seiner Leistungsbilanzüberschüsse offen und hart zu kritisieren. In seinem „currency report“, den das US-Finanzministerium zwei Mal im Jahr erstellt, wird Deutschland mehr noch als China auf die Anklagebank gesetzt, weil es der größte Störenfried im internationalen Handel sei, was nichts anderes heißt, dass Deutschland ein Land ist, das nicht begriffen hat und auch nicht begreifen will, dass internationaler Handel nie eine Einbahnstraße sein kann.
Quelle: flassbeck-economics - Den Tarifvertrag stärken
Mindestlohn allein reicht nicht aus. Auch das System allgemeinverbindlicher Vereinbarungen muss wirksamer werden.
Trotz zunehmender Beschäftigung und rückläufiger Arbeitslosenzahlen ist der deutsche Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren aus den Fugen geraten. Der Niedriglohnsektor gehört zu den größten in Europa und das Lohndumping erfasst immer neue Bereiche. Darauf reagiert die politische Diskussion um eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Sie konzentriert sich zum einen auf die stärkere Regulierung von Leiharbeit, Werkverträgen und befristeter Beschäftigung, zum anderen auf einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. All das ist richtig. Ein Mindestlohn reicht aber nicht aus, um angemessene Arbeits- und Einkommensbedingungen in der gesamten Wirtschaft sicherzustellen. Dazu sollte zusätzlich das deutsche Tarifvertragssystem grundsätzlich gestärkt werden.
Sonntagsredner preisen die im Grundgesetz verankerte Tarifautonomie, also die freie Gestaltung der Arbeits- und Einkommensbedingungen durch Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, gern. Aber dass deren praktische Bedeutung laufend zurückgeht, wird in der politischen Öffentlichkeit oft ausgeblendet.
Quelle: FR - Mindestlohn – Gespräch mit Prof. Gerhard Bosch
Warum hat Deutschland einen relativ hohen Niedriglohnsektor, und was könnte man dagegen tun? Arbeitssoziologe Prof. Gerhard Bosch von der Uni Duisburg-Essen im Gespräch mit Susanne Merkle.
Quelle: Bayerischer Rundfunk [MP3] - Tatsächliche Arbeitslosigkeit
Schlechte Meldungen kann die Bundesregierung nicht gebrauchen. Deshalb bleibt sie dabei, die Arbeitslosenzahlen schön zu rechnen. Arbeitslose, die krank sind, einen Ein-Euro-Job haben oder an Weiterbildungen teilnehmen, werden bereits seit längerem nicht als arbeitslos gezählt. Viele der Arbeitslosen, die älter als 58 sind, erscheinen nicht in der offiziellen Statistik. Im Mai 2009 kam eine weitere Ausnahme hinzu: Wenn private Arbeitsvermittler tätig werden, zählt der von ihnen betreute Arbeitslose nicht mehr als arbeitslos, obwohl er keine Arbeit hat.
Wer die tatsächliche Arbeitslosigkeit erfassen will, muss ehrlich rechnen. Dazu sagte der damalige Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) am 4. Juni 2009 in der Fernsehsendung Panorama: “Alles, was an Effekten durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen entsteht, wird jedes Mal zusammen mit der Arbeitsmarktstatistik veröffentlicht. … Ich glaube, dass man sich auf die Seriosität dieses Prozesses verlassen kann. Wer anders rechnen wolle, könne ja “seine Zahl veröffentlichen – und dazu ein Flugblatt drucken.” Das tun wir gern. Hier ist die tatsächliche Zahl, die allein auf amtlichen Daten der Statistik der Bundesagentur für Arbeit beruht. Im Januar 2013 sind mehr als 3,9 Millionen Menschen arbeitslos. Zeit zu handeln statt zu tricksen.
Darüber hinaus tauchen 567.000 nicht erwerbstätige Personen – die sogenannte stille Reserve (1) – in keiner Arbeitslosenstatistik auf, weil sie sich entmutigt vom Arbeitsmarkt zurückgezogen haben und sich nicht (mehr) als arbeitslos registrieren lassen.
Quelle 1: Die Linke
Quelle 1: Die Linke [PDF – 20 KB]Passend dazu: Die Lüge vom Jobwunder
In den vergangenen Jahren nahmen vor allem die Teilzeit- und Leiharbeit zu sowie die Minijobs. Diese Entwicklung verändert auch reguläre Beschäftigungsverhältnisse. Die neue Regierung muss die zunehmende Kannibalisierung des Arbeitsmarktes beenden. Das kostet wenig, bringt aber viel.
Noch nie gab es so viele Erwerbstätige wie zurzeit, verkündet Bundeskanzlerin Angela Merkel bei jeder Gelegenheit und preist ein deutsches Jobwunder. Dabei ignoriert sie allerdings, dass dieses »Wunder« auf Millionen schlecht bezahlter und ungesicherter Arbeitsplätze beruht.
Dieser Befund wird gerne verschwiegen. Frank-Jürgen Weise, der Präsident der Bundesagentur für Arbeit, braucht lange, bis er auf einer Pressekonferenz mit der Sprache herausrückt: »Die Zuwächse in der Beschäftigung haben wir bei Befristungen, in Teilzeit, bei Minijobs und Leiharbeit.« Dort entstanden im Wesentlichen jene 2,3 Millionen neuer Jobs, von denen im Wahlkampf die Rede war. Und sie gehen mit einer Kannibalisierung der Löhne und Arbeitsbedingungen einher, wie sie Deutschland noch nicht gesehen hat.
Quelle: Publik-Forum.de - Kommunale Netze sind keine Lösung
Eine Reihe von Kommunen will die örtlichen Stromnetze künftig selbst besitzen. Die Berliner stimmen am kommenden Sonntag über das Ansinnen für die Hauptstadt ab. Doch Netze in öffentlicher Hand bergen mehr Risiken als Chancen – und widersprechen letztlich der Idee der Marktwirtschaft. (…)
Aber selbst wenn es für den Besitzer der Stromnetze eine stabile und sichere Rendite gäbe, gibt es keinen Grund, die Bürger mit ihren Steuerzahlungen für solch eine Investition heranzuziehen. Schließlich ist es nicht Aufgabe des Staates, sich kommerziell zu betätigen. Dafür gibt es in der Marktwirtschaft andere Akteure, die mit Kapital und nicht mit Steuergeldern agieren. So wäre es beispielsweise vorstellbar, dass Bürger eine Genossenschaft gründen und auf eigenes Risiko und vor allem freiwillig in das Stromnetz investieren.
Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft KölnAnmerkung J.K.: Is scho recht, möchte man sagen. Dass das Institut der deutschen Wirtschaft natürlich gegen die Rekommunalisierung der Energieversorgung ist, versteht sich von selbst. Dazu muss man nur die Selbstauskunft des IW lesen: “Unsere Mitglieder sind rund 110 Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände in Deutschland sowie Einzelunternehmen. Mitgliedsbeiträge in Höhe von jährlich rund 10 Mio. Euro finanzieren unsere laufende wissenschaftliche und publizistische Arbeit.” Warum aber Bestrebungen, die die Profitmaximierungsabsichten der Energiemultis beeinträchtigen gleich “der Idee der Marktwirtschaft” widersprechen belegt nur die ideologische Ausrichtung des IW. Auch die Behauptung öffentliche Energieversorger würden ineffizient wirtschaften ist eine glatte Unterstellung. Und das neoliberale Standardargument darf auch nicht fehlen, dass die Kommunen aufgrund der leeren öffentlichen Kassen gar nicht die Mittel für die öffentliche Daseinsvorsorge haben. Dabei spricht gerade aus ökologischer Sicht vieles für eine regional orientierte Energieversorgung. Dazu passt, dass die Springer-Presse wieder einmal kräftige Schützenhilfe gegen die Rekommunalisierung des Berliner Stromnetzes und für die Interessen der Energiekonzerne leiste. Aber auch derTagesspiegel feuert heftig gegen den Volksentscheid zur Rekommunalisierung des Berliner Energiesektors. Bei so geballter Ablehnung, ein Schelm wer Böses dabei denkt. Ein schönes Beispiel einer gesteuerten Kampagne zur Beeinflussung des Volksentscheides.
Irreführende Werbung für Strom-Abstimmung
Sonntag stimmen die Berliner über zwei Fragen ab: Erstens: Soll der Senat eine Firma gründen, die Strom produziert? Zweitens: Soll der Senat das Berliner Stromkabel-Netz kaufen? Die vereinigte Umweltlobby fordert uns auf, zweimal mit Ja zu stimmen. Die Aufforderung ist eindeutig, doch die Argumente ziehen nicht. Die Behauptungen sind irreführend. Ich zähle hier vier irreführende Behauptungen auf.
Quelle: bz-berlinVolksentscheid weckt falsche Hoffnungen
Mehr erneuerbare Energien, mehr Mitsprache und ein landeseigenes Stadtwerk: Die Forderungen des Volksentscheids zur Rekommunalisierung des Berliner Energiesektors sind bekannt. Doch was haben die Verbraucher davon? Steigende Strompreise, erneuerbare Energien und ein Volksentscheid, der die Stromversorgung am 3. November zu großen Teilen wieder in die öffentliche Hand legen will: Bei der Diskussion um Energiewirtschaft geht vieles durcheinander. Doch kommt am Ende für den Verbraucher etwas heraus? Kritiker des Berliner Volksentscheids warnen seit langem, dass sich Energiepolitik nicht mit der Abstimmung beeinflussen lasse. Angesichts der starken Strompreiserhöhungen dämpfen nun auch die Befürworter die Erwartungen.
Quelle: Der Tagesspiegel - Die SWP im Krieg
Die „Stiftung Wissenschaft und Politik“ und der Syrien-Konflikt
Seit dem Frühjahr 2011 tobt in Syrien ein erbitterter Bürgerkrieg, in dem Aufständische gegen die Truppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad kämpfen. Laut den Vereinten Nationen fielen dem Krieg bereits über 100.000 Menschen zum Opfer.[1] Millionen Menschen sind auf der Flucht.[2] Das Land ist zunehmend zerstört[3] und ein Ende der Auseinandersetzung scheint trotz des jüngsten Übereinkommens zur Zerstörung der syrischen Chemiewaffen in weiter Ferne.
International findet der Konflikt – gerade nach dem Einsatz von Chemiewaffen im Sommer 2013 – immer mehr Beachtung, nicht zuletzt deshalb, weil viele Staaten und zahlreiche Akteure in dem Bürgerkrieg unterschiedlichste eigene Interessen durchzusetzen versuchen. Diese Arbeit beschäftigt sich daher ausschließlich mit der Rolle Deutschlands in dem Bürgerkrieg und im Speziellen mit der Position der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ (SWP), die als Trägerin des „Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit“ eine wichtige beratende Funktion für die Bundesregierung einnimmt. Die in der Gesellschaft durchaus anerkannte Stiftung ist zudem Ansprechpartnerin für zahlreiche Medien und nimmt dadurch Einfluss auf die öffentliche Debatte. So ist gerade im Fall des syrischen Bürgerkriegs eine große Präsenz von Vertreterinnen und Vertretern der SWP als Interview-Partner in Nachrichten-Sendungen oder als Verfasser von Gastbeiträgen in Print-Medien zu beobachten. Im Fokus dieser Arbeit steht die Frage, ob die „Stiftung Wissenschaft und Politik“ eine militärische Lösung des Syrien-Kriegs präferiert und wie die Berliner Politikberater bei einem westlichen Militärschlag zu einer – in der Öffentlichkeit umstrittenen – militärischen Beteiligung Deutschlands stehen.
Quelle: Informationsstelle Militarisierung e.V. - Lampedusa: Europas Schande
Am 3. Oktober kenterte vor der Küste Lampedusas ein Schiff mit über 500 Flüchtlingen, nur 155 von ihnen überlebten. Politiker in ganz Europa zeigten sich schockiert – als ob es das erste Mal gewesen wäre, dass Menschen auf ihrer Flucht nach Europa ertrinken. Dabei sind die Fakten hinlänglich bekannt: Knapp zwei Drittel aller „illegalen“ Einreisen in die EU erfolgen über den Seeweg, zumeist in völlig überfüllten, nicht hochseetauglichen Booten. Schätzungsweise 60 000 Menschen wagen pro Jahr die Flucht über das Mittelmeer Richtung EU, etwa 2000 von ihnen sterben während der Überfahrt.
Papst Franziskus, der bereits im Juli Lampedusa besucht hatte, fand dafür das treffende Wort: „Schande“. Tatsächlich trifft die Europäische Union eine unmittelbare Mitschuld an diesen Toten, denn Europa ignoriert die Toten an seinen Stränden nicht, es nimmt „diese Menschenopfer in Kauf“, so Giusi Nicolini, die Bürgermeisterin von Lampedusa, „um die Migrationsflüsse einzudämmen“. Im Sinne einer gezielten Abschreckungslogik sind diese Nachrichten und Bilder Teil des europäischen Migrationsregimes. Alle wissen davon, aber keiner tut etwas gegen die Gefahren. Andernfalls, so die brutale Logik, würden noch weit mehr Menschen versuchen, das Mittelmeer zu überqueren.
Die Toten von Lampedusa sind somit Teil einer gezielten Kommunikationsstrategie der EU. Sie sollen potentiellen Flüchtlinge in den Herkunftsgesellschaften klar machen, dass Europa seine Grenzen um buchstäblich jeden Preis schützt. Zynischerweise verkauft die EU diese Politik als humanitären Akt: Abschreckende Bilder hielten Flüchtlinge von der gefährlichen Reise ab und entzögen kriminellen Schleppern die Geschäftsgrundlage. Je weniger Menschen also die Überfahrt über das Mittelmeer wagten, desto weniger Tote gäbe es.
Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik - Niederlage in der Mediendemokratie – Das grüne Bundestagswahlergebnis 2013
Kurz gesagt: Die Grünen hatten verdammt schlechte Presse in diesem Wahlkampf. Dass die ein Hauptfaktor für den Verlust von einer Million Wählern war, ist kaum umstritten. Die Partei streitet eher darüber, ob das nun ein unfairer Medienfeldzug oder die selbstverschuldete und verdiente Strafe war.
Die meisten öffentlich geäußerten grünen Selbst-Analysen in den ersten Wochen nach der Wahl machten sich im Wesentlichen die verbreitete mediale Kommentarlinie der letzten Wochen vor der Wahl zu Eigen. Die Grünen erschienen als Partei der Steuererhöhungen, der Verbote und der Pädophilie und vernachlässigten ihre Kernkompetenzen in der Umwelt-, Energie- und Klimapolitik. Das Bild, das in den Köpfen des Publikums angekommen ist, ist damit vermutlich richtig getroffen. Die Annahme, die Führung der Grünen habe diesen Eindruck erwecken wollen und bewusst dementsprechende Kommunikationsentscheidungen getroffen, ist natürlich absurd. Wie er dennoch entstehen konnte, und welchen Anteil falsche Entscheidungen von grüner Seite dabei hatten, darüber muss sich die Partei klar werden. Die Debatte der ersten Wochen nach der Wahl war dabei allerdings wenig hilfreich.
In unzähligen öffentlichen Äußerungen nahmen weite Teile der Partei die durchgesetzten Negativ-Schablonen des politischen Gegners als Selbstbeschreibung an und bestätigten so in einem Akt der vollständigen Unterwerfung die Niederlage im Deutungsstreit. Das führte von grüner Seite zu Aussagen wie: „Wir haben unseren Markenkern vernachlässigt und nicht über die Energiewende geredet.“ „Die Steuerpläne waren exzessiv und haben unsere bürgerlichen Wähler verschreckt.“ „Wir haben den Veggie-Day zum Thema gemacht, das war ein Riesenfehler, wir wollen zu viele Verbote“. „Wir hätten Pädophilie ganz anders aufarbeiten müssen, es selbst massiv betreiben sollen.“
Damit wird das Ergebnis des medialen Deutungskampfes – in dem mit konkurrierenden Parteien, Medien und Verbänden eine Vielzahl von Akteuren mitspielen – allein den eigenen grünen Kommunikationsentscheidungen angelastet und im Rausch der „Selbst“-Geißelung als Schuld akzeptiert. Das mag nach einer Wahlniederlage kommunikationstaktisch zunächst einmal richtig sein. Aber überziehen sollte man nicht, denn je mehr die Grünen selbst diese Negativ-Etiketten bestätigend wiederholen, desto schwieriger wird es, sie jemals wieder loszuwerden. Und eine Analyse des kommunikativen Geschehens dürfte zeigen, dass die simple Selbstbezichtigung zu kurz greift.
Quelle: Heinrich-Böll-Stiftungpassend dazu: Im Angesicht des Todes
Die Grünen können als marktliberale Ökopartei nur verlieren. Ihnen droht das Schicksal der FDP: das Scheitern an der 5-Prozent-Hürde
Acht Prozent können einen ganz schön aus dem ökologischen Gleichgewicht bringen: Die Debatte um Schwarz-Grün ist Zeugnis einer grünen Identitätskrise in den Reihen der Partei wie auch in der medialen Auseinandersetzung mit der Frage: wohin?
Jan Feddersen hat die Grünen in dieser Zeitung dazu aufgefordert, das Umverteilen, die “staatliche Almoserei” nun der Linkspartei zu überlassen, mit deren “restproletarischer” Klientel der eigene grüne Freundeskreis eh wenig anzufangen wisse. Grüne sollten sich auf “nichts als öko” konzentrieren, nicht links, nicht rechts, sondern “vorne” sein, nicht mehr “schroff” in Anti-AKW-Manier um Systemfragen kämpfen. Sondern die FDP als Bürgerrechtspartei und Koalitionspartner der CDU beerben. Darauf zu verzichten sei “antipolitisch”. Ich fürchte, dass diese Thesen selbst antipolitische Wirkung entfalten könnten.
Quelle: taz.de - Worüber verhandelt die SPD eigentlich?
Die SPD Basis soll sich nicht so anstellen und auf keinen Fall erwarten, dass Angela Merkel einen Koalitionsvertrag unterschreiben würde, der die Handschrift der SPD trage. Man solle kompromissbereit sein. So oder so ähnlich sprach der große Vorsitzende, Sigmar Gabriel, an diesem Wochenende in Berlin vor seinen Parteifreunden. Okay ich weiß, er nannte Zahlen. Es sei eine Illusion zu glauben, dass Merkel in einem Koalitionsvertrag zu 100 Prozent das SPD-Programm unterschreibe. Doch welche Teile des SPD Programms werden hier eigentlich verhandelt und durchgesetzt?
Bislang ist nicht viel bei den Koalitionsverhandlungen herausgekommen. Allein die Einigung bei der Finanztransaktionssteuer konnte vermeldet werden – keine wirkliche Neuigkeit. Auf diesem Gebiet sind sich alle seit Jahren einig. Passiert ist allerdings wenig. Außerdem wollen die künftigen Koalitionäre Breitbandverbindungen im ländlichen Raum ausbauen. Damit werden auch auf diesem relativ unproblematischen Terrain bahnbrechende Weichenstellungen vorgenommen. Möglicherweise reicht das ja schon für die Verhandlungsführer der SPD, um ihre Unterschrift unter einen Koalitionsvertrag zu setzen. Denn laut Gabriel könne es sich eine Partei wie die SPD nicht leisten, alles oder nichts zu sagen.
Quelle: André Tautenhahn - Forschungsrating des Wissenschaftsrats
Noch ein Ranking mehr. Der Wissenschaftsrat will sein sogenanntes Forschungsrating, das bisher nur im Testbetrieb lief, als Vollversion an Deutschlands Hochschulen an den Start bringen. Ausdrücklich soll damit auch der privaten Konkurrenz das Wasser abgegraben werden. Der Eliteforscher Michael Hartmann hat daran seine Zweifel und hält auch sonst nichts von der grassierenden “Vergleicheritis”. Im Gespräch mit Studis Online beklagt der Soziologe das Schwimmen im Mainstream, den schleichenden Tod der Theorien sowie die Trennung in Hui und Pfui.
Quelle: Studis Online - Scheinheilige Gebührenabzocke auf dem Rücken der Studierenden in Baden-Württemberg
Der freie zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) e.V. verurteilt die Absicht der grün-roten Landesregierung Baden-Württembergs, versteckte Studiengebühren verschiedener Form einzuführen.
Hierzu erklärt Jan Cloppenburg, Vorstandsmitglied im fzs:
“Nachdem sich die grün-rote Regierung erst letztes Jahr für die Abschaffung allgemeiner Studiengebühren gefeiert hat, will sie jetzt verschiedene Bildungsgebühren klammheimlich wieder einführen.
Dass Studieninteressierte den Zugang zum Studium in einzelnen Fächern bezahlen sollen, ist vollkommen absurd und willkürlich. Gebühren für Auswahlgespräche und Eignungsprüfungen zu verlangen und die Gebühren für Gasthörer/innen zu verdoppeln, ist scheinheilige Politik. Scheinheilig, weil Grün-Rot mit dem klaren Versprechen der Abschaffung von Studiengebühren angetreten war und nun Gebühren durch die Hintertür beschließen will.
Gerade nach der Einführung des dialogorientierten Serviceverfahrens zur Vereinfachung der Bewerbungsphase müssten Bewerbungsgebühren ausgeschlossen sein. Stattdessen funktioniert das System auch Jahre nach dem geplanten Termin immer noch nicht.”
Der Entwurf des Wissenschaftsministeriums zum dritten Hochschulrechtsänderungsgesetz vom 15. Oktober sieht vor, dass mehrere Gebühren verpflichtend erhoben werden. Dazu zählen Gebühren für Auswahlgespräche und Eignungsprüfungen für beruflich qualifizierte Bewerber/innen, für die Studiengänge Lehramt an Grund- und Hauptschulen, Frühe Bildung und Erziehung an Pädagogischen Hochschulen, Sportwissenschaft, für künstlerische Studiengänge, für Bewerber/innen an Dualen Hochschulen mit Fachhochschulreife und für Spracheingangsprüfungen.
Außerdem sollen die Gebühren für Gasthörer/innen verdoppelt sowie die bestehenden Gebühren für Sprach- und Computerkurse, für weiterbildende und berufsbegleitende Studiengänge sowie der Verwaltungskostenbeitrag beibehalten werden.
Dazu ergänzt Katharina Mahrt, ebenfalls Mitglied im Vorstand:
“Zwei der bildungspolitischen Kernziele sind die Abbildung der Diversität der Gesellschaft in den Hochschulen und die Erhöhung der Durchlässigkeit des Bildungssystems. Dies kann nicht gelingen, wenn gerade denjenigen, die in den Hochschulen unterrepräsentiert sind, der Zugang erschwert wird. Offenbar möchte die Landesregierung den Zugang zu Hochschulbildung auch noch verstärkt vom Geldbeutel abhängig machen. Der fzs fordert die Abschaffung aller Bildungsgebühren und Zugangshürden sowie die soziale Öffnung der Hochschulen.”
Quelle: fzs Pressemitteilung (noch nicht im Netz) - Desinformationsorgie
Just der letzte Verwaltungsakt der schwarz-gelben Bundesregierung sorgte noch einmal für helle Aufregung in den Medien – und für eine Orgie der Desinformation. Am 11. Oktober titelte „Süddeutsche Online“ am frühen Morgen noch halbwegs korrekt: „Angehobene Bemessungsgrenze. Sozialbeiträge steigen deutlich“. Nur wenig später hieß es jedoch vielerorts ganz allgemein und zum Erschrecken aller Beitragszahler: „Auf die Arbeitnehmer kommen 2014 deutlich höhere Sozialabgaben zu.“ Ganz in diesem Duktus „Spiegel Online“: „Arbeitnehmer müssen sich fürs kommende Jahr auf höhere Belastungen einstellen“. Lediglich die FAZ, man muss es leider zugeben, nahm es gleich im Titel ganz genau und klärte über den Kern der Angelegenheit auf: „Gutverdiener zahlen demnächst mehr für Sozialversicherungen“.
Denn in der Tat, nur darum geht es bei der ganzen Geschichte: Wie schon oft geschehen, werden nach einer festgelegten Formel, gebunden an die Lohnentwicklung, die Beitragsbemessungsgrenzen geringfügig erhöht. Diese aber deckeln die Sozialabgaben nach oben. Die Konsequenz: Anders als die alleinerziehende Altenpflegerin mit einem Monatsbrutto von 1300 Euro muss ein gut entlohnter „Spiegel“-Redakteur nicht auf sein gesamtes Gehalt Sozialabgaben zahlen, sondern nur bis zu einer festgelegten Grenze. Zudem kann er, wenn ihm dies nicht mehr behagt, jederzeit von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung wechseln und sich so der gesellschaftlichen Solidarität entziehen.
Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik