„Park Fiction“ – Eine städtebauliche Enklave inmitten neoliberaler Zurichtungen
Wem gehören eigentlich die Städte? Das fragen sich rund um den Erdball immer mehr Menschen und in vielen Metropolen erkämpfen sich Nachbarschaftsinitiativen öffentliche Räume zurück. Oft sind es nur kleine Plätze zwischen Hochhäusern, kleinere Industrie- oder noch kleinere Grundstücksbrachen, die sie in Nachbarschaftsgärten, in kleine öffentliche Gemeinschaftsräume aller Art verwandeln, fast immer im jahrelangen Kampf gegen die Gier von Immobilienkonzernen. Das Hamburger Projekt „Park Fiction“, gehört dazu. Im Oktober hatte es zu einem internationalen Symposium „Umsonst und Draußen“ geladen. Im Folgenden wollen wir diese einzigartige Rückeroberung öffentlichen Raums vorstellen, mit einer Darstellung des künstlerisch-politischen Konzepts dieser „kollektiven Wunschproduktion“ von Wanda Wieczorek. Zunächst jedoch folgt eine allgemeine Einleitung von Brigitta Huhnke, die sich besonders an die richtet, die nicht in Hamburg leben.
„Park Fiction“ – Eine städtebauliche Enklave inmitten neoliberaler Zurichtungen
Von Brigitta Huhnke
Der „Reform“ – Sport macht schon lange auch in Hamburg weder vor bezahlbarem Wohnraum noch vor dem freien Blick halt. Von „Reform“ – Motoren der Wirtschaft mit schicken Spendierhosen ausstaffiert verscherbelt der Hamburger Senat neben Gas und Strom in letzter Zeit besonders gern auch Gemeinnütziges, wie städtische Wohnungen, Plätze, Krankenhäuser und andere einst öffentliche Einrichtungen und Dienstleistungen aller Art, ohne die EigentümerInnen, nämlich die Bürger und Bürgerinnen davon auch nur ausreichend in Kenntnis zu setzen. Die Volksentscheide der letzten Jahre, mit denen sich die Menschen mit großen Mehrheiten – auch in der konservativen Wählerschaft – gegen solche Zerstörungen richten, ignoriert die CDU-Regierung nicht nur einfach sondern kürzlich hat sie auch kurzerhand das Gesetz zum Volksentscheid geändert, die Barrieren angehoben, so dass die WählerInnen nicht mehr ausreichend über Bürgerbegehren informiert werden. Gelebte „Demokratie“ am maritimen Tor zur Welt!
Nach staatlich geförderten Raubzügen durch Straßen und Plätze sieht es dann wie überall im Land gleich aus: Verödung der Innenstädte, gesichtslose Einkaufszentren mit Kettenfilialen und Bürohäuser, kurz: Verelendung oft schon nach wenigen Jahren. Einer, der schon früh die „uniformierte Melancholie der Wohnblocks“ anprangerte, in denen die Menschen als „zum Wohnraumverbraucher entwirklichte(r) Bürger“ degenerieren, war Alexander Mitscherlich. „Alte Städte hatten ein Herz. Die Herzlosigkeit, die Unwirtlichkeit der neuen Bauweise hat jedoch eine ins Gewicht fallende Entschuldigung auf ihrer Seite: das Tabu der Besitzverhältnisse an Grund und Boden in den Städten, welches jede schöpferische, tiefergreifende Neugestaltung unmöglich macht.“ Das schreibt der Psychoanalytiker Mitscherlich bereits 1965, in seinem damaligen Besteller „Die Unwirtlichkeit unser Städte“.
Nächste Frage: Wie lautet der Name des berühmtesten deutschen Stadtteils? Richtig: St. Pauli in Hamburg an der Elbe, über dem Hamburger Hafen, eines der ärmsten Viertel in einer reichen Stadt, die stolz darauf ist, die meisten Millionäre Europas zu beherbergen. Hier in St. Pauli, oben am Pinnasberg, mit Panorama Blick auf Dock 10, erstreckt sich „Park Fiction“, das allerhöchstens anderthalb Fußballfelder große Nachbarschaftsprojekt. „Wünsche werden die Wohnung verlassen und auf die Strasse gehen“. Aus diesem Eigensinn heraus lassen AnwohnerInnen aus St. Pauli seit mehr als zehn Jahren nicht locker. Zu ihnen gehören auch KünstIerInnen, ArchitektInnen, kleine Geschäftsleute, Migrantenkinder und Jugendliche vieler dort lebender Ethnien sowie Bewohner der ehemals besetzten Häuser in der Hafenstraße und das soziale Zentrum Gemeinwesenarbeit (GWA) St. Pauli-Süd. Die AnwohnerInnen legten los, sich über ihre Wünsche für den Park zu verständigen und zu planen. Dann aber haben sie auch ganz traditionell mit Konzepten, Eingaben und immer wieder eingeforderten Anhörungen der Stadt schließlich das Stückchen Land abgetrotzt, das seit langem zu den begehrtesten Flächen am Hafen gehört. Bereits Mitte der neunziger Jahre hatte der Künstler Christoph Schäfer einen „Action Kit“ entwickelt, bestehend aus einem Alukoffer mit Hafenpanorama zum Aufklappen, getreuen Maßstabsfiguren, Zeichenstiften und Knetmasse. Er und andere nahmen auch noch Aufnahmegeräte und Polaroid Kameras mit und zogen dann jahrelang von Tür zu Tür, um die Leute nach ihren Wünschen für den damals noch imaginären Park zu befragen. Da Wünsche bekanntlich zu den ungewöhnlichsten Tages- und Nachtzeiten aufsteigen, konnten BewohnerInnen von St. Pauli zeitweise auch einen dafür eingerichteten Telefondienst nutzen. Einen Teil dieser Wunschproduktionen hat Margit Czenki bereits 1999 in einem Dokumentarfilm festgehalten. Bald darauf kam eine Einladung zur documenta 11, im Jahr 2002. Der Fußballclub FC St. Pauli stellte einen Bus zur Verfügung, den Margit Czenki und Christoph Schäfer mit Kindern vom Projekt und vielen Dokumenten voll packten, um in Kassel einer an innovativer Kunst interessierten Weltöffentlichkeit das Hamburger Wunscharchiv vorzustellen. Etwa eintausend Menschen sind bisher aktiv an der Entstehung des Parks beteiligt gewesen, der nun endlich seit Herbst 2005 nutzbar ist, auch wenn das Gezerre mit den Behörden noch lange nicht beendet ist.
Bevor wir Sie weiter per Link auf einen Vortrag der Kulturwissenschaftlerin Wanda Wieczorek verweisen, den sie im Oktober bei einem internationalen Symposium, mitten in „Park Fiction“ gehalten hat und in dem sie die künstlerische Konzeption erklärt, sowie auf die website www.parkfiction.org wollen wir für unsere Nicht-HamburgerInnen noch etwas weiter ausholen.
Wenn wir Hanseatinnen in der Fremde weilen, ab und zu dann das Gespräch auf Hamburg kommt, müssen wir uns häufig, besonders von Herren, lüstern-altbackene Klischees über „das älteste Gewerbe der Welt“, die „sündigste Meile der Welt“ sowie „Prostitution – ein ganz normaler Beruf“ anhören. Gut, auf der ganzen Welt sind viele Männer leider ziemlich gleich und in der Tat ist St. Pauli heute sogar mehr denn je Anziehungspunkt für sexuelle Stümper, die hier in Massen die Not von Frauen für ihre Jämmerlichkeit ausbeuten. Und in St. Pauli tyrannisieren sie dabei in den letzten Jahren auch in zunehmend unerträglicher Weise die AnwohnerInnen, dabei kräftig unterstützt von der „Kulturpolitik“ der rechtsgerichteten Stadtregierung. Die Scham der übrigen Männer reicht bekanntlich nirgendwo aus, um die Gewalt der Geschlechtsgenossen zu ächten oder ihr gar tatkräftig Einhalt zu gebieten.
Doch dieser Stadtteil, in früheren Zeiten „Hamburger Berg“ genannt, war immer auch schon mehr. Sogar heute noch hat St. Pauli etwas Widerständiges, auch wenn das Außenstehende in den neoliberalen Verwüstungen der „Sex“-Industrie kaum noch erahnen können. Schon immer wohnten hier Menschen, die das gediegene Hamburger Bürgertum in ihre schönen Viertel die Elbe abwärts oder um die Alster herum bzw. weiter nach Norden hoch, nie geduldet hätte und auch heute noch nicht reinlassen würde. St. Pauli war bis vor wenigen Jahrzehnten traditionell das Viertel der Hafenarbeiter sowie temporäre Ersatzheimat für Seeleute aus aller Welt. Matrosen, die nicht mehr zur See fahren wollten, heuerten hier als Schauermänner an, manchmal waren sogar vereinzelt Seebären aus Afrika dabei. Eine kleine chinesische Gemeinde existierte hier schon vor über hundert Jahren, wovon noch immer vereinzelte chinesische Schriftzeichen an Kellereingängen zeugen. Immer aber schon strandeten in St. Pauli auch arme Poeten, Kunstschaffende sowie Irrlichter aller Art, überwiegend dem Stand des Hungerkünstlertums angehörend. Aber auch viele eingeborene kleine Gewerbetreibende und Handwerker sorgten für Arbeit und quirliges Leben, ebenso Zirkus, Tanz, Theater und Varieté. Und noch immer wird hier das schönste Hamburger Platt gesprochen, nicht nur von den alten Leuten, auch viele Migrantenkids sind mittlerweile fit im Hamburger Slang und stolz drauf.
St. Pauli – die Schmuddelecke, fast ohne Baum und Strauch – war immer ein zentraler Lebensnerv für die Stadt der Pfeffersäcke. Davon zeugt beispielsweise die inoffizielle Hymne der Hanseaten, “An de Eck steiht´n Jung mit´n Tüdelband”. Seit fast hundert Jahren kennen fast alle in der Stadt den Gassenhauer mit seiner schönen absurden Geschichte. Fast jedes Kind, auch in den feinen Vierteln, kann noch heute wenigstens ein paar Takte summen oder ein paar Worte draus radebrechen. Aufgeschrieben und vertont hat ihn das einst berühmte Duo „Gebrüder Wolf“, Komödianten und Schauspieler, die in den 20er Jahren nicht nur in St. Pauli das Publikum mit ihren Liedern und komischen Darbietungen aller Art aufmischten, sondern sogar im Ausland gefragt waren. Dann kamen die Nazis und diese „waschechten Hamborger Jungs“ mussten das Land verlassen. Viele Angehörige ihrer Familie kamen in deutschen Vernichtungslagern um. Das Lied blieb im kollektiven Gedächtnis haften. Doch seine musikalischen Schöpfer waren bis vor wenigen Jahren völlig in Vergessenheit geraten, bis Jens Huckenriede 2003 sie mit seinem Film „Return the Tüdelband“ in die Heimatgeschichte zurückholte. Im November 2000 war der junge Rapper Dan Wolf aus San Francisco mit seiner Band „Felonious” nach Hamburg gekommen, für ein Konzert in der Großen Freiheit auf St. Pauli, – nichts ahnend von der Geschichte seines Urgroßvaters Leopold Wolf. Um es kurz zu machen, Filmemacher und Wolf-Urenkel fanden zueinander und zusammen mit ein paar Hamburger Musikgruppen rappen sie sich die Geschichte des Liedes und des Wirkens der Gebrüder Wolf zurück. Rausgekommen ist nebenbei auch die schönste cineastische Liebeserklärung an St. Pauli und seine Menschen, ohne die Schattenseiten (wie Rassismus, der auch hier bis heute existiert) auszublenden.
Nun, die Nazis hatten auch in St. Pauli tüchtig zugeschlagen. Viele namenlose Prostituierte und andere sogenannte Asoziale wurden in KZs geschunden und ermordet. Noch im Mai 1944 verhaftete die Gestapo 165 Chinesen und verbachte sie in ein Zwangsarbeiterlager. Aus Zeugnissen von Überlebenden des Holocaust wissen wir: Am Ende lagen hier auch Schiffe mit eingepferchten Zwangsarbeiterinnen, die zwar die Todesmärsche überlebt hatten, sich nun aber völlig geschwächt gegen Rattenplagen zur Wehr setzen mussten, dabei jedoch voller Erwartung des Kriegsendes die Bomben auf Hamburg niedergehen sahen. Der Hafen war schließlich zu achtzig Prozent zerstört.
Danach ging das Leben erst einmal weiter, die Schifffahrt legte wieder los, die Seebären gingen wieder an Land und bald hatten die echten Kerls wie Schauerleute, Handwerker und andere arme Leute auch auf St. Pauli wieder genügend Arbeit. Mit dem Aufschwung kam aber auch die Begehrlichkeit der Grundstücksbesitzer. Ende der sechziger Jahre wurden unten an der Elbe, bereits rechts und links vom Pinnasberg, kleine Fachwerkhäuser und Handwerks-Schuppen abgerissen, viele Menschen vertrieben. Mit der Werftenkrise der siebziger Jahre begann der immense und bis heute andauernde Abbau von Arbeitsplätzen im Hafen. Ganze Berufsstände sind verschwunden oder dezimiert. Noch Mitte der achtziger Jahre beeindruckte ein stolzer alter Schlepperfahrer eine auf Recherche befindliche Hamburger Deern und mit ihm im Schlepper durch den Hafen schippernd damit, wie er und seine Kumpels sich früher, in den Fünfzigern und Sechzigern immer Streichhölzer in die Auchen gesteckt haben, um bei der vielen Arbeit, besonders am Ruder wach zu bleiben und all die großen Pötte in den Hafen schleppen zu können. Täglich literweise hätten damals die Frauen den Kaffee vorbeigebracht.
Aber noch in den siebziger Jahren war St. Pauli gerade auch für junge Leute aus den Bürgervierteln bunt und aufregend, nicht nur wegen der berühmten Musikkneipen und Beatclubs, sondern auch wegen der schrägen Nachtetablissements und dunklen Spelunken aller Art. In einigen gab es zum Kiez- „Gedeck“ (Bier und Korn für 2 Mark), freizügige Filme, die so gar nichts mit der widerlichen Pornokultur von heute zu tun hatten sowie Rosen für die weiblichen Gäste. Berühmt waren auch die asiatischen Restaurants mit köstlichen, damals noch äußerst fremdartigen Gerichten. Und überall in den unzähligen Hafenkneipen, diesen Brutstätten des Hamburger Klönschnacks, konnten nun auch Bürgers Kinder respektvoll lauschen, wie kunstvoll das Seemannsgarn da abgedreht wurde. Das alles ist mittlerweile (fast) Geschichte.
Die Politik kennt seit Beginn der siebziger Jahre nur ein Konzept: das Feilbieten des Stadtteils für Investoren. Davon zeugt beispielsweise das gigantische Gruner und Jahr Imperium, für dessen kalte Ästhetik in den achtziger Jahren viele Wohnhäuser, kleine Geschäfte und alte Seemannskaschemmen weichen mussten. Ähnliche Ent-Seelungen erfolgten weiter rund um den Fischmarkt. Pittoresk ist da heute nichts mehr. Nach den rebellischen Jugendlichen der siebziger Jahre drängte nun immer stärker der männliche Spießer ins Viertel und mit ihm Eros-Center, Peep-Shows, Pornographie und Fließband Prostitution. Von hier aus verbreitete sich nun auch ganz grauselig der Nazi Kitsch der Hans Albers-La Paloma Nostalgie im ganzen Land.
Die mittlerweile blühende organisierte Kriminalität bekam von den durchweg konservativen Hamburger Medien Glamour verpasst, Politiker ließen sich gern mit Kiez-Größen ablichten, Spekulationen, Korruption und Menschenhandel bleiben so bis heute von journalistischer oder gar politischer Aufklärung fast völlig verschont.
Andererseits aber flammte auch die Widerständigkeit der Bevölkerung wieder auf, wovon besonders spektakulär die jahrelangen Besetzungen von Mietshäusern in der Hamburger Hafenstraße zeugten, die nach dem Willen der Stadtplaner hätten einfach abgerissen werden sollen, um die Grundstücke verkaufen zu können. Die meisten dieser ehemals besetzten Häuser aber stehen noch und bis heute in Selbstverwaltung. Ohne solche und andere Formen großer und kleiner Aufmüpfigkeit, würden den Hamburger Hafen heute nur noch aneinander gereihte Hochhauskomplexe säumen.
Noch existiert in Teilen des Viertels aber auch ein gutes soziales Netzwerk. Großen Anteil daran haben die Sozialarbeiterinnen der GWA St. Pauli-Süd, die das „Kölibri“, das schöne alte Haus dieses Zentrums, geleitet von Claudia Leitsch, zu einer beliebten Anlaufstelle für die und mit den BewohnerInnen gemacht haben. Für sich sprechen die Sommer- und Weihnachtsfeste im „Kölibri“: Menschen vieler Nationalitäten feiern hier, wobei Kinder und Jugendlichen immer im Mittelpunkt stehen. Doch das Leben draußen wird zunehmend härter. Die Menschen leiden unter den städtebaulichen Veränderungen, die alte Infrastruktur wird weiter brutal zerschlagen, kleine Gewerbe, Geschäfte und Gaststätten gehen weiter kaputt, MigrantInnen werden zunehmend diskriminiert und wie andere Arme auch vertrieben. Die Mieten schnellen in die Höhe, denn die „Freierkultur“ ist schick geworden. Die rechte Stadtregierung fördert alles, was die Reeperbahn samt Spielbudenplatz auf dem seit letztem Sommer auch noch zwei große Musiktribünen stehen, zur gesichtslosen Event Meile verkommen lässt.
Was hier besonders im Sommer an Wochenenden abgeht, spottet jeder Beschreibung. Hunderte von Busladungen aus der ganzen Republik ergießen sich über die Reeperbahn und ihre Seitenstraßen. Vorrangig übergewichtige Männer schieben ihre ungepflegten Körper über die Reeperbahn, die Köpfe überwiegend kurz geschoren, mit stierendem Blick oder grölend, billiges Aftershave ausdünstend steuern sie die „Sex“-Shops und Bordelle an, wo sich auch viele Frauen aus Osteuropa verdingen. Aus den Event-Boxen wummern Techno- Krach und Schlager der Bordell- und Reklamefernsehszene. Mit Ausnahme des St. Pauli Theaters, das seit einigen Jahren unter anspruchsvoller Leitung steht, Spielstätten für Events, Musicals und Comedy auf aller unterstem Niveau. Vor einigen Diskotheken verwehren Türsteher Angehörigen von Minderheiten den Zutritt. Anstelle der alten Restaurants und Hafenkneipen nun überall Anlaufstellen zum Saufen pur, ohne viel Gedöns. Kampftrinken an Holztischen auf dem Hans Albers Platz. Im Vergleich dazu kann die Schunkelidylle des Münchner Oktoberfests geradezu ein kulturelles Ereignis genannt werden. Durch die Glasfenster der vielen Fast Food Filialen sind die Herren zu besichtigen, wie sie die fette Ware in sich reinschlingen. Die alten berühmten oder auch berüchtigten Stände mit Hamburger Fischbrötchen und der in Hamburg erfundenen Currywurst sucht die Besucherin dagegen vergeblich. Krach, Saufen, Ficken und Wasserabschlagen, so sieht derzeit das kulturelle Konzept der Christdemokraten für St. Pauli aus. Obwohl die Bevölkerung leidet, die Eventmeile besonders auch am Tag einen grauenvollen Anblick bietet, wird weiter zerstört. In die alte Astra Brauerei sollen jetzt Werbefirmen und allerlei anderer Event Tand einziehen. Dahinter wird ein „Riverside“ Hotel gebaut. Gesichtslose „Cocktail“ Bars sprießen schon jetzt überall. So verstummt auch der einzigartige Hamburger Schnack immer mehr im öffentlichen Raum, geht unter im Denglish, im schlechten Geschmack, in Gestank und Müll.
Wenn wir aber die Bernhard-Nochtstraße Elbe abwärts runtergehen, kommen wir bald an den berühmten Hafenstraßenhäusern vorbei und dann sind wir endlich da, am Antoniapark, der ehemaligen Brache, die nun „Park Fiction“ ist, gestaltet „nach einer kollektiven Wunschproduktion“, ist auf dem Stellschild zu lesen. Sofort ins Auge fallen die vier etwas spiddelig geratenen Eisenpalmen, zwei davon, die in der Mitte, sind auch für Hängematten gedacht, aus denen heraus dann das Einfahren der großen Pötte gemütlich dösend im Liegen beobachtet werden kann. Auf der einen Seite ist der alte Kirchgarten integriert, in dem die AnwohnerInnen kleine Beete mit Blumen und Kräutern anlegen. Auf der anderen Seite als Begrenzung der kleine und bisher allenfalls hüfthohe Heckenpark, den sich viele Kinder und Jugendliche der angrenzenden Gesamtschule gewünscht hatten, unter anderem auch „zum Verstecken und Küssen“. In der Mitte dann allerlei Kunstflächen zum Gebrauchen, beispielsweise der fliegende Rasen, viele wundersame Sitzgelegenheiten, aber auch Krabbelparadiese, kleine Wege zum Wandeln. Dem Mini-Hundepark (St. Pauli ist voller Hunde) verleiht ein Pudel aus Buchsbaum besonderen Flair, unschwer als Wunschproduktion aus dem gegenüber stehenden „Golden Pudel Club“ zu erkennen. Die Gründer dieser kleinen schrägen Trink-, Tanz- und Debatierstätte mit Plattenspielerpodest, die Künstler Schorsch Kamerun und Rocko Schamoni waren von Anfang an dabei. Und ihr freistehendes Hutzelhäuschen, das sie ebenfalls schon häufig gegen Immobiliengier verteidigen mussten, ist voll in „Park Fiction“ integriert, als einzige kommerzielle Einrichtung. Wer die Innenausstattung vom Pudel, die Lieder und Musik, aber auch die Theaterstücke der beiden nur ein bisschen kennt, um die sich mittlerweile viele Theater in der Republik reißen, ahnt auch warum. In jedem Subtext ihrer Stücke blitzt ihr nie verwundenes Kindheits- und Jugendtrauma auf: Die Unmöglichkeit, ab den sechziger Jahren in einer norddeutschen Vorstadt aufzuwachsen, inmitten der „Bimsblock-Tristesse“ (Mitscherlich) die Seele unbeschädigt zu halten. Und so sind die Erfahrungen kindlicher Depressionen, hervorgerufen durch das, was Mitscherlich die fehlende „affektive Anteilnahme an den Objekten des Biotops“ nennt, Motor ihrer widerständigen Kunstproduktionen, mit denen sie eine neue Art Absurdes Theaters schaffen.
Doch wir schweifen jetzt zu sehr ab und haben sowieso schon genug gesabbelt.
Für „Park Fiction“ geht der Kampf vorerst auch in den nächsten Jahren weiter. So muss noch der „Wunschcontainer“, das begehbare Archiv mit den Wünschen, und Träumen der Menschen von St. Pauli weiter gegen die Finten der Herrscher im Bezirksamt durchgesetzt werden, damit auch die Geschichte der Wünsche im Park sichtbar werden kann. Ein Atrium hinter dem Pudel Club ist schon in der Mache. Leider erst auf dem Reißbrett steht der „Seeräuberinnenplatz“. Er soll zwei berüchtigten Piratinnen gewidmet werden, die vor langer Zeit in der Karibik ihr Unwesen getrieben und dann auch im Hamburger Hafen vorbeigeschaut haben sollen. Ob das nun echtes Seemannsgarn (von der Rolle: die ewige Angst vor dem Weiblichen) ist oder nicht. Allein die Vorstellung ist schön: tatkräftige Frauen, die mit Piratinnenkopftuch und Degen mal ein bisschen die verwahrlosten Herrenbünde da aufmischen.
Der Untertitel zu Mitscherlichs Buch über zerstörerischen Städtebau lautet übrigens „Anstiftung zum Unfrieden“.
Quelle: Park Fiction – Eine andauernde Geschichte der praktischen Stadtkritik