Die Endlichkeit der Meere: Die Fischbestände der Weltmeere müssen als gemeinsame Ressource der Menschheit anerkannt und behandelt werden.
Der gegenwärtig dominierende, auf kurzfristige Profite ausgerichtete industrielle Fischfang ruiniert seine eigene Grundlage und vor allem die Lebensgrundlage vieler Millionen Menschen weltweit.
Über Überfischung, fehlende Kontrolle der Fischerei, den Irrweg der Fischzüchterei schreiben Christine Wicht und Carsten Lenz.
Die Endlichkeit der Meere oder: Ist der Fischfang kontrollierbar?
Von Christine Wicht und Carsten Lenz
Der Ursprung aller Lebewesen ist das Meer. Die Meere bedecken 70 % der Erdoberfläche und stellen eine wesentliche Voraussetzung für unser ökologisches Gleichgewicht da. Da natürliche Reserven wirtschaftlichen Interessen zum Opfer fallen, geraten die empfindlichen maritimen Ökosysteme zunehmend aus dem Gleichgewicht. Bislang wurden noch keine nennenswerten, internationale Abkommen verabschiedet, die diese Entwicklung aufhalten konnten. Bestimmungen werden von der Fischfangindustrie permanent unterlaufen. Ärmere Länder verkaufen ihre Fangrechte an reiche Länder und geben aus finanzieller Not ihre wichtige Nahrungsgrundlage auf. Kann der Fischfang unter Aufsicht gestellt werden, damit weltweit die Überfischung eingedämmt und die Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts in den Weltmeeren verhindert wird?
Überfischung
Natürliche Ressourcen, wie Fische, als frei zugängliche und allgemein nutzbare Nahrungsquelle dienten den Menschen in früher Zeit als wertvolle Ernährungsgrundlage. Fischfang ist die älteste Form der Nahrungsmittelbeschaffung für Selbstversorger. Die modernen Fischfangpraktiken sind technisch ausgefeilt. Gegenwärtig können Schiffe, mit Sonar-Technik ausgestattet, jeden Fischschwarm schnell und präzise aufspüren. Längst hat die Seefischerei die Küstengebiete verlassen und wurde auf die Weltmeere ausgedehnt. Heute kommen die Hochseeschiffe Fabriken gleich, die den Fang sofort sortieren, filetieren und tief gefrieren. Die kleingewerbliche Fischerei, wie sie weltweit von ca. 10 Millionen Fischern betrieben wird, ist chancenlos gegenüber der industrialisierte Fischerei mit ihren immer größeren Fabrikschiffen und immer raffinierteren Fangmethoden.
Nach Angaben der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sind bereits etwa ein Viertel der weltweiten Fischbestände überfischt, weitere 52 % der Bestände werden bis an die Grenze der Regenerationsfähigkeit ausgebeutet. Seit Beginn des industriellen Fischfangs sind 90% der Bestände des Kabeljaus, Heilbutts, der Flunder und des Thunfisches schon leer gefischt worden. Die Bestände haben keine Chance sich zu erholen. Weltweit sind bisher weniger als 0,5 Prozent der Meere als Schutzgebiet ausgewiesen. Bereits heute hat die Bedrohung der Fischbestände zur Folge, dass die Fangmengen trotz sich vergrößernder Fangflotten zurückgehen.
Kontrolle der Fischerei
Schon aufgrund der Größe der Weltmeere ist es jedoch schwierig die Aktivitäten industrieller Fischer zu kontrollieren. Hinzu kommt, dass der größte Teil der Weltmeere internationales Gebiet ist. Nach dem Seerechtsübereinkommen Vereinte Nationen von 1994 (UN Conventions of the Law of the Sea, UNCLOS) gelten 12 Seemeilen der Küstenmeere als nationales Hoheitsgewässer des anliegenden Staates. Anschließend stehen den Ländern bis zu 188 Seemeilen “ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ)” zu. Gebiete jenseits des festgelegten Gebiets gelten in der Charta als “gemeinsames Erbe der Menschenheit” (Unterzeichnerstaaten). Somit ist es ist im Prinzip jedem Land erlaubt, aus den Fischbeständen der internationalen Gewässer so viel wie möglich herauszuholen. Hier gilt das Motto: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Und wer eine zurückhaltende und nachhaltige Fangpolitik betreibt, ist der Dumme, wenn andere sich an keinerlei Beschränkungen halten.
Dies machen sich auch die sogenannten Piratenfischer zu Nutze. Sie fahren ohne Flagge oder unter Billigflaggen, von Ländern, welche internationalen Abkommen zum Schutz der Fischbestände nicht beigetreten sind. Auf diese Weise können Schutzregulierungen für Fischbestände umgangen werden. Über Umwege werden die Fänge auf hoher See umgeladen und gelangen in die Kühltruhen unserer Supermärkte. Mit unzulässigen Fangmethoden und in entlegenen Gebieten wie im Südpolarmeer oder im Südpazifik, auf hoher See und in Küstenbereichen von Ländern, die nicht in der Lage sind, Kontrollen zu finanzieren, sind die Piratenfischer aktiv. Es hat sich mittlerweile eine regelrechte Fischfang-Mafia entwickelt. Insbesondere Fischereifirmen der Länder Spanien, Japan und USA versuchen die Fischfangbestimmungen durch Piratenfischerei zu umgehen und fischen illegal. Eine rechtliche Verfolgung wird durch den Umstand erschwert, dass mit Scheinfirmen und Briefkastenfirmen die Besitzverhältnisse nur schwer nachvollzogen werden können.
Fischereipolitik in Europa
In Europa fällt die Fischereipolitik in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union. Der nachhaltigen Bewirtschaftung der Fischbestände stehen allerdings mächtige Interessen entgegen, vor allem der am Meer gelegenen Länder mit traditionell starker Fischereiwirtschaft. Unter anderem angesichts zurückgehender Bestände beschloss die EU im Jahr 2002 eine neue Gemeinsame Fischereipolitik (GFP), die stärker auf die Nachhaltigkeit der Fischerei Rücksicht nehmen sollte. Am ersten Januar tritt außerdem ein neues Instrument zur Finanzierung des Fischereisektors in Kraft, das die umstrittene Subventionierung von immer neuen und moderneren Fangschiffen ablösen soll. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die wohlklingenden Ziele ernsthaft verfolgt und im Einzelfall auch gegen die Interessengruppen durchgesetzt werden. Tatsächlich werden die meisten Maßnahmen der alten Fischereiförderung fortgesetzt .
Zweifel am politischen Willen zu einer wirklichen Änderung der Fischereipolitik wecken vor allem die jährlichen Beschlüsse zu den Fangquoten, beispielsweise von Kabeljau und Dorsch, bei denen der Rat von Wissenschaftlern immer wieder in den Wind geschlagen wird. Der internationale Rat für Meeresforschung (ICES), eine unabhängige und zwischenstaatliche Organisation, erarbeitet jedes Jahr wissenschaftliche Fangempfehlungen für die kommerziell genutzten Fischbestände des Nordost-Atlantiks. Aufgrund der katastrophalen Bestände hatte der ICES bereits im Januar 2003 empfohlen, die Fischerei auf Kabeljau in der Nordsee, in der Irischen See und westlich Schottlands zu beenden. Die EU-Minister haben sich aber auch für 2007 nur auf eine minimale Reduzierung der Quoten verständigt.
Aquakultur als Ausweg?
Um der Problematik des kommerziellen Fischfangs und den sich daraus ergebenden schwerwiegenden Folgen entgegen zu wirken, schien sich ein Ausbau der Aquakultur anzubieten. Die Aquakultur zur Aufzucht von Fischen und Austern war in der Vergangenheit weit entwickelt und ist keine neue Entdeckung. Heute ist die Aquakultur weitgehend industrialisiert und produziert in der erweiterten Europäischen Union eine jährliche Gesamtmenge von 1,3 Millionen Tonnen Fischereierzeugnissen mit einem Wert von ungefähr 3 Milliarden Euro. Dies entspricht etwa einem Drittel des Gesamtwerts der EU-Fischereierzeugung und ungefähr einem Fünftel ihrer Gesamtmenge (Quelle: Europäische Kommission – Fischerei ). Ein Drittel der weltweit gehandelten Garnelen werden heute in Aquakulturen gezüchtet und stammen aus Thailand, Ecuador und Indien, die zusammen etwa zwei Drittel der Weltproduktion erzeugen (Quelle: pro-regenwald.de). Die Folge sind oft massive Umweltschäden z.B. durch die Abholzung der Mangrovenwälder, welche für das ökologische Gleichgewicht unentbehrlich sind, weil sie die Küsten als natürliche Wellenbrecher sichern und Überschwemmungen verhindern. Dies hat beispielhaft hat die Sturmflut 1991 in Bangladesh, die 1000 Menschenleben forderte, gezeigt. Nach Schätzungen der FAO wurde in den letzten Jahrzehnten über die Hälfte dieser ökologisch besonders wertvollen Mangrovenwälder zerstört. Dies führt in vielen Fällen zur Versalzung der Böden, den Menschen wird eine wichtige Lebensgrundlage dauerhaft entzogen. Zudem benötigen die gezüchteten Meeresfrüchte enorme Mengen Trinkwasser, damit die Wasserqualität auf einem gleich bleibenden Niveau gehalten werden kann. Auftretende Krankheiten werden bedenkenlos mit Antibiotika behandelt. Bei Untersuchungen wurden Rückstände von Medikamenten in den Tieren gefunden, die in der EU aufgrund ihrer krebserregenden Wirkung verboten sind. Mit Medikamenten, toten Fischen und Abfällen verseuchtes Wasser aus den Zuchtbecken wird außerdem in natürliche Gewässer abgelassen, was zu einer enormen Umweltbelastung der Küstengewässer führt. Beispielsweise produziert eine Lachsfarm mit 200.000 Fischen etwa die gleiche Fäkalienmenge wie eine Stadt mit 62.000 Einwohnern (Quelle: greenpeace). Zuchtfische werden oftmals mit Meeresfisch bzw. mit Fischmehl gefüttert, wodurch Zuchtfisch zu einer doppelten Belastung für die Umwelt und das ökologische Gleichgewicht wird. Für die Erzeugung von einem Kilogramm Edelfisch müssen fünf Kilogramm andere Fischsorten, die z.T. aus dem Meer kommen, verfüttert werden, Bei Thunfisch beläuft sich das Verhältnis gar auf 1:20.
In der Agenda 21 der UN Umweltkonferenz in Rio aus dem Jahr 1992 heißt es:
“Die Staaten … verpflichten sich selbst dem Schutz und der nachhaltigen Nutzung von lebenden marinen Ressourcen auf hoher See. Um dies zu erreichen ist es notwendig: (a) das Potential mariner lebender Ressourcen zu entwickeln und zu steigern, um die Nahrungsbedürfnisse der Menschheit zu befriedigen, wie auch die sozialen, wirtschaftlichen und Entwicklungsziele …“
Diesem Ziel sind die Staaten seitdem nicht näher gekommen, im Gegenteil. Die Fischbestände der Weltmeere müssen als gemeinsame Ressource der Menschheit anerkannt und behandelt werden. Nur internationale Abkommen und deren entschiedene Durchsetzung und Kontrolle kann einen nachhaltigen und ökologisch vertretbaren Fischfang gewährleisten. Dies beinhaltet auch die Einrichtung von Schutzzonen und Fangverbote. Der gegenwärtig dominierende, auf kurzfristige Profite ausgerichtete industrielle Fischfang ruiniert seine eigene Grundlage und vor allem die Lebensgrundlage vieler Millionen Menschen weltweit.
Welcher Fisch darf auf den Tisch : greenpeace [pdf – 484kb]