SPD: Inszenierte Mitgliederbeteiligung statt einer Aufarbeitung der Wahlniederlage
Bei den Grünen haben das Scheitern des Wahlziels einer rot-grünen Koalition und der Verlust von 2,3 Prozentpunkten zu einem Umbruch der Partei- und Fraktionsführung geführt. Im Gegensatz dazu haben die verfehlte Kanzlerschaft, das deutliche Verfehlen einer rot-grünen Mehrheit, das zweitschlechteste Wahlergebnis in der Nachkriegsgeschichte und die Tatsache, dass der Abstand zur CDU/CSU noch größer geworden ist, als vor vier Jahren, in der SPD keinerlei Debatte um die Parteiführung und deren Kurs ausgelöst.
So paradox das auch erscheinen mag, die inszenierte „innerparteiliche Demokratie“ und die angebliche „Mitgliederbeteiligung“ ist nichts anderes, als ein taktisches Manöver der Parteiführung eine Analyse der Wahlniederlage und eine daraus abzuleitende personelle Erneuerung der Parteispitze und damit des politischen Kurses der SPD zu verhindern. Von Wolfgang Lieb.
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Wie 2009 hat Frank-Walter Steinmeier schon am Abend der Wahlniederlage den Anspruch auf den Vorsitz der Bundestagsfraktion angemeldet und wurde nur zwei Tage danach mit über 90 Prozent der Stimmen der neuen Fraktion wiedergewählt. Der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel wurde gar nicht erst in Frage gestellt. Kanzlerkandidat Steinbrück hat die Rolle des Sündenbocks übernommen und „ein geordnetes Ende“ seiner Karriere angekündigt. Er kehrt zurück in die Rolle, die er auch vor dem Geschacher um seine Ausrufung zum Kanzlerkandidaten eingenommen hatte, nämlich als Hinterbänkler im Parlament. Er strebe kein Amt in der Partei und in der Bundestagsfraktion mehr an, kündigte er an. Dieser Rückzug kostete ihn allerdings nicht sehr viel, dann solche Ämter hatte er schon seit 2009 nicht mehr inne und das war – wie man weiß – gewiss nicht zu seinem persönlichen wirtschaftlichen Schaden.
Der Rückzug Steinbrücks war es dann aber auch schon an Nachwehen aus der Wahlniederlage. Stattdessen geht es der Parteiführung jetzt ausschließlich darum, eine innerparteiliche Zerreißprobe zu abzuwehren und von dem im Wahlkampf groß angekündigten Politikwechsel (der angesichts der Ausgrenzung der Linkspartei nie eine realistische Option war) abzurücken sowie der enttäuschten und frustrierten Parteibasis den reibungslosen Übergang in eine Große Koalition schmackhaft zu machen.
Um eine Debatte über die Parteiführung und über Gründe für das enttäuschende Abschneiden bei der Wahl zu verhindern, kam der Parteivorsitzende Gabriel auf die Idee einen „Parteikonvent“ nicht etwa über den Wahlausgang diskutieren, sondern über die Aufnahme von Sondierungsgesprächen mit CDU/CSU befinden zu lassen. Nach meiner Erinnerung ist es ein bisher einmaliger Vorgang, dass eine Parteiführung nach einer Wahl schon über die Aufnahme von Sondierungsgesprächen mit anderen Parteien über mögliche Koalitionsverhandlungen durch ein mehr als zweihundertköpfiges Parteigremium absichern lässt.
Nach den in dieser Woche stattfindenden Gesprächen mit CDU/CSU soll der nur „unterbrochene“ Parteikonvent erneut zusammentreten und darüber entscheiden, ob nun tatsächlich auch Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden sollen.
Die Parteiführung stellt diese Vorgehensweise als Stärkung der „innerparteilichen Demokratie“ und „konsequente Mitgliederbeteiligung“ dar, in Wirklichkeit ist dies nur ein deutlicher Beleg dafür, wie ängstlich die Parteispitze gegenüber der Stimmungslage an der Parteibasis ist. Üblicherweise stimmt ein Parteitag über einen ausgehandelten Koalitionsvertrag ab, doch dieses Risiko wollte die Parteiführung offenbar nicht eingehen.
„Gabriels Meisterleistung“ – wie die Welt zurecht schrieb – besteht darin, zuerst über die eigentlich banalen Fragen, der „Gesprächsbereitschaft“ und danach über die Bereitschaft zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU einen innerparteilich demokratischen Prozess inszeniert zu haben, der einen Mitgliederentscheid oder eine Mitgliederbefragung oder eine Entscheidung auf einem für Mitte November ohnehin geplanten Bundesparteitag vorprägen soll.
Selbst diejenigen in der Partei, die aus den verschiedensten Motiven gegen eine Große Koalition sprechen, konnten sich doch selbstverständlich der Aufnahme von Gesprächen nicht verweigern. Wenn einige Landesverbände der SPD Vorbehalte gegen Schwarz-Rot haben, so weniger aus grundsätzlichen politischen Gründen, sondern vor allem aus Gründen des eigenen Machterhalts. Mit einer Regierungsbeteiligung der SPD könnten all die Regierungsämter, die die SPD während Schwarz-Gelb zurückerobert hat, wieder verloren gehen. Das war jedenfalls die bittere Erfahrung während der letzten Großen Koalition.
Der „Parteikonvent“ ist ein hervorragend geeignetes Instrument, die Basis der Partei einzubinden oder besser gesagt, „in die Pflicht zu nehmen“: Der 2011 neu geschaffene sog. „kleine Parteitag“ ist ein Gremium auf dem nur etwa ein Drittel der Delegierten eines ordentlichen Bundesparteitages vertreten ist. Das heißt das politische Spektrum der Mitglieder der Partei ist in diesem Gremium deutlich eingeschränkt. Die von den Parteibezirken gewählten Delegierten beschränken sich in aller Regel auf die Spitzenfunktionäre der jeweiligen Untergliederungen. Hinzu kommt, dass neben den etwa 200 Delegierten auch die Mitglieder des 30-köpfige Parteivorstands stimmberechtigt sind und dazu sämtliche Spitzen etwa aus der Bundestagsfraktion, der Landesverbände oder die von der SPD gestellten Ministerpräsidentinn/en beratend vertreten sind (§ 28 des Organisationsstatuts der SPD [PDF – 694 KB]). Es ist klar, dass in diesem „Parteikonvent“ eher das Establishment der Partei das Sagen hat. Die meisten Mitglieder sind einflussreiche Funktionäre der Partei. Eine Abstimmung der Mitglieder oder des Parteitages gegen ein Votum des „Parteikonvents“ käme also nicht nur einer Palastrevolution – also einem Umsturz innerhalb der Parteispitze – gleich, sondern einem Aufstand der Parteibasis gegenüber allen Führungsebenen innerhalb der SPD. Das wäre in einer traditionell so disziplinierten Partei wie der SPD einmalig in der 150-jährigen Parteigeschichte – also faktisch unmöglich.
So paradox das auch erscheinen mag, die inszenierte „innerparteiliche Demokratie“ und die angebliche „Mitgliederbeteiligung“ ist nichts anderes, als ein taktisches Manöver der Parteiführung eine Analyse der Wahlniederlage und eine daraus abzuleitende Erneuerung der Parteiführung und damit des politischen Kurses der SPD zu verhindern.
Und wenn die Spitzengenossen erst einmal wieder in der Regierung sitzen werden, ist die Chance, dass es zu einer Besinnung und zu einer Umkehr des nicht nur für die Partei verhängnisvollen politischen Kurses kommen könnte, ohnehin vertan.