Wochenrückblick zu einer möglichen Gesetzgebungsinitiative vor der Regierungsbildung, zur Großen Koalition, zum Risiko mit Gysi allein, etc.
Ein früherer Kollege, treuer Leser der NachDenkSeiten und Sozialdemokrat bemängelte in einem Telefongespräch, wir seien zu Unrecht gegen die Große Koalition. Das gilt für mich jedenfalls nicht. – Einen Redakteur des Tagesspiegel störte unsere aktuelle Kritik an Gysi, er machte daraus eine quasi grundsätzliche Gegnerschaft. Auch diese Einschätzung ist falsch. – Rot und Grün sollten die Chance nutzen, mit Gesetzesinitiativen schon vor dem Abschluss einer neuen Regierungsbildung Pflöcke einzuschlagen. Nacheinander. Albrecht Müller.
- Zur Perspektive „Große Koalition“
Wir stellten nach der Wahl fest, die zahlenmäßig gerade noch mögliche Koalition aus SPD, der Linkspartei und den Grünen wird erstens von maßgeblichen Kräften bei Grünen und der SPD abgelehnt. Es wäre auch schlimmer als eine Zitterpartie, weil der zur Wahl stehende Kanzler-Kandidat mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht alle Stimmen der Abgeordneten der drei Parteien bekäme.Mit der Feststellung, die linke Koalition habe keine Chance, können wir doch das Denken nicht einstellen. Also muss auch eine Große Koalition ins Auge gefasst werden. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass ich die resignierende Ablehnung, die sich auf die Erfahrungen zwischen 2005 und 2009 beschränkt, nicht verstehen kann. Nach meiner Beobachtung werden hier Einschätzungen einfach nachgeplappert. Ich wies auch schon darauf hin, dass die Rückerinnerung auf die große Koalition von 1966-1969 sehr viel positivere Erinnerungen zum Vorschein bringt. Damals wurde dann eine Rezession überwunden, die Arbeitnehmereinkommen stiegen in der darauf folgenden Periode wie nie zuvor und danach, die Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfall wurde eingeführt, die Mehrwertsteuer statt der Konzentration fördernden Allphasen-Umsatzsteuer beschlossen und es konnte trotz der Verweigerungshaltung des CDU-Bundeskanzlers Kiesinger mit der Ostpolitik begonnen werden.
Damals schickte die SPD inhaltlich ausgesprochen profilierte Personen ins Bundeskabinett. Das zahlte sich aus. Jetzt gibt es diese profilierten Personen kaum. Ich wiederhole deshalb meinen Rat an den SPD-Vorsitzenden Gabriel, sich außerhalb des engen Zirkels der SPD nach qualifiziertem Personal um zu sehen. Das ist ungemein wichtig für die Profilierung und für die tägliche Arbeit in der Bundesregierung.
Der SPD-Vorsitzende täte gut daran, wenn er dafür sorgen würde, dass Personen ins Kabinett kommen,
- die kritisch der Agenda 2010 gegenüberstehen,
- und Militäreinsätze für das „Aller-letzte“, für das allerletzte Mittel der Politik halten.
Es gäbe eine Reihe von wichtigen Programmpunkten, auch zusätzlich zu Mindestlohn und der Erhöhung der Steuern für die Besserverdienenden. Zum Beispiel könnte die SPD die Verarmung des Staates und die Erweiterung des öffentlichen Korridors durch bessere Finanzausstattung von Gemeinden, Ländern und Bund zum großen Thema machen.
Die Große Koalition ist auch eine bessere Option als Neuwahlen, zumindest aus heutiger Sicht. Dann besteht nämlich die Gefahr, dass Angela Merkel die absolute Mehrheit erreicht. Sicher ist das nicht. AFD und FDP würden vermutlich in den Bundestag einziehen. Aber bedenken muss man auch diese Möglichkeit, bevor man eine große Koalition rundweg ablehnt.
- Rot und Grün sollten die Chance nutzen, mit Gesetzesinitiativen schon vor dem Abschluss einer neuen Regierungsbildung Pflöcke einzuschlagen.
Es ist nicht gut, es tut der weiteren politischen Entwicklung und zum Beispiel der SPD und den Grünen nicht gut, dass das Heft des Handelns allein in den Händen von Angela Merkel zu liegen scheint. Sie hat keine Mehrheit. Das wäre öffentlich zu beweisen und würde die beiden Parteien Rot und Grün in die Offensive bringen. SPD und Grüne könnten im Verein mit der Linkspartei Gesetzesinitiativen zu dringlichen und auch von der Mehrheit der Menschen gewürdigten Programmpunkten ergreifen. Wie offen die Mehrheitsmeinung für Vorhaben von Rot und Grün ist, hat gerade eine Umfrage ergeben. Siehe hier.
Hier sind ein paar Vorschläge für Gesetzesinitiativen:
- Einführung eines Mindestlohns
- Mietpreisbremse
- Abschaffung des Betreuungsgelds
- Reduzierung der Ausnahmen der Umlage für erneuerbare Energien
- Gysis fragwürdige und riskante Strategie
Alle Parteien im Deutschen Bundestag sind gut beraten, wenn sie ihre Breite nicht willentlich einengen.
Die SPD war stark mit Schmidt und Brandt, mit Schröder und Lafontaine. Und sie hat ihr Wählerpotenzial immer wieder dann abgebaut, wenn der rechte Flügel nach dem Prinzip verfuhr: Nur wenn wir die totale Macht in der Partei haben, wollen wir sie auch im Staat haben. – Der Rechtsruck der SPD und die Intoleranz gegenüber dem progressiven Flügel sind eine der Hauptursachen für den historischen Niedergang dieser Partei.
Genauso bei den Grünen. Die Missachtung des progressiveren Teils – bösartig wie bei der Linkspartei „Fundis“ genannt – zum Beispiel durch das de facto Mitmachen an Stuttgart 21 hat mindestens so sehr zum Verlust von Wählerinnen/n beigetragen wie der angebliche Faktor Steuererhöhungen. Belege für den Verlustfaktor „Steuern“ gibt es übrigens nach meiner Kenntnis bisher nicht. Das scheint mir eine eingeredete Analyse zu sein.
Pluralität und Zusammenarbeit der Flügel ist genauso wichtig bei der Linkspartei. Sie war stark mit Gysi und Lafontaine und hat verloren, weil der fälschlicherweise und beschönigend „Reformer“flügel genannte Teil und dann leider auch Gysi die Notwendigkeit des breiten Auftretens nicht mehr gesehen haben. Nicht im Wahlkampf und auch nicht jetzt bei der Wahl der Fraktionsspitze. Die Bedeutung Sahra Wagenknechts und anderer für die Pluralität der Linkspartei und damit für die Attraktivität der Linkspartei in der Wählerschaft hat der Fraktionsvorsitzende der Linken Gysi offensichtlich nicht erkannt. Das ist und war die Ursache meiner Kritik an Gysi. Grundsätzlich fand ich ihn meist gut, inhaltlich erfrischend und ich habe ihn in den NachDenkSeiten zum Beispiel wegen seiner Bundestagsreden zum Finanzpakt ausgiebig gelobt. Was ein Journalist des Tagesspiegel hier über mich, Lafontaine und Gysi zusammen gerührt hat, ist zum großen Teil Unsinn.
Dieser Autor Matthias Meisner gehört zu einer Gruppe von Berliner Journalistinnen/en, bei denen man getrost annehmen kann, dass sie sich zum Ziel gesetzt haben, eine linke Alternative zu Angela Merkel zu verhindern. Sie stützen mit ihren Beiträgen die so genannten Reformer. In einem Beitrag der „jungen Welt“ wurden sie freundlicherweise aufgelistet:
Die … „mit den »Reformern« eng konspirierenden Truppe des Kampfjournalismus – Markus Deggerich (Spiegel), Mechthild Küppers (FAZ), Matthias Meisner (Tagesspiegel), Markus Decker (Frankfurter Rundschau, Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung, Kölner Stadtanzeiger) und Miriam Hollstein (Welt)“
Die Lobeshymnen für den „Reformer“flügel und die parallel dazu betriebene Aburteilung der Linken im Westen als Fundis oder wahlweise als Nachfolger der „Kommunisten“ hat etwas Drolliges an sich: Führende Personen im Westen wie Bernd Riexinger, Michael Schlecht oder Klaus Ernst haben eine lange Tradition als demokratisch arbeitende Gewerkschafter. Der Schmäh für sie ist nur in einer hoch manipulativen Gesellschaft denkbar. Das gleiche gilt für die verständnisvollen Einlassungen für den „Reformer“flügel. Dazu gehören ehedem von der Stasi instrumentalisierte Personen wie Brie, Bisky und Liebich.
Die Kampfjournalisten sollten irgendwann merken, wie bodenlos ihre Agitation ist.
Gysis Respekt vor der Pluralität seiner Partei wäre in seinem eigenen Interesse wichtig: solche Vorgänge wie die Erpressung bei der Entscheidung über die Struktur der Fraktionsspitze sind keine gute Voraussetzung für geschlossene Abstimmungen seiner Fraktion.
Diese braucht der Fraktionsvorsitzende aber, wenn er je einmal die Möglichkeit einer offenen oder stillen Koalition aus SPD, Grünen und seiner Partei realisieren will. Bei der Kanzlerwahl würde eine Koalition oder Kooperation aus SPD, Grünen und Linkspartei alle Stimmen brauchen. Diese lückenlose Gemeinsamkeit ist sehr unwahrscheinlich, wenn man so agiert wie Gysi. Er hat selbst die Glaubwürdigkeit seines Willens zur Wahl eines Kanzlers oder einer Kanzlerin als Alternative zu Angela Merkel infrage gestellt.
Gysis Strategie der Alleinherrschaft in der Fraktion der Linkspartei ist auch deshalb riskant, weil er gar nicht weiß, wie das weitere Verfahren zu seiner angeblichen Kooperation mit der Stasi enden wird.
Immerhin besteht die Gefahr, dass in absehbarer Zeit die alleinige Spitze der Bundestagsfraktion der Linken beschädigt dasteht.