Minderheitsregierung – eine Perspektive für die Zukunft
Noch ziert sich die SPD, als künftiger Juniorpartner in eine Große Koalition einzutreten. Das ist verständlich, wollen die Sozialdemokraten doch umworben werden und dadurch ihren Preis für die kommende Vernunftehe in die Höhe treiben. Doch spätestens wenn CDU und Medien an die „historische Verantwortung für Europa“ appellieren, die dann angeblich einzig und allein auf den Schultern der kleinen SPD lasten soll, werden die Sozialdemokraten auch ihre Inhalte über Bord werfen und staatstragend so manche Kröte aus dem Unionslager schlucken. Die Alternative Rot-Rot-Grün wurde schließlich von der SPD und den Grünen bereits im Vorfeld ausgeschlossen und wer sich selbst seiner Optionen beraubt, muss auch mit den daraus erwachsenden Nachteilen leben. Dabei wäre es – vor allem für die Zukunft – dringend nötig, einen Ausweg aus dem Koalitionsdilemma zu finden. Von Jens Berger.
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Der Traum von SPD und Grünen war es, die Linke zu marginalisieren und aus dem aus drei Parteien bestehenden „linken Lager“ zu verdrängen. Betrachtet man sich jedoch die Stimmverteilung des „linken Lagers“ bei den jüngeren Bundestagswahlen, so dürfte feststehen, dass dieser Traum gescheitert ist. Die Agendapolitik in der zweiten rot-grünen Legislaturperiode von 2002 bis 2005 hat erst dazu geführt, dass sich mit der Linken eine dritte Partei fest im linken Lager etablieren konnte. Und die stabilen Ergebnisse der Linken weisen auch nicht darauf hin, dass die Partei demnächst von der politischen Bildfläche verschwinden könnte.
Für die SPD und die Grünen und ihre Wunschkoalition stellt dies zweifelsohne ein Problem dar. Natürlich bedeutet dies nicht, dass Rot-Grün auf alle Zeit keine Zukunft mehr haben kann. Wenn man jedoch einmal unterstellt, dass die Linke auch in der Zukunft sechs bis zehn Prozent der Wählerstimmen einfahren kann, müsste das gesamte „linke Lager“ dann schon ein Wahlergebnis von deutlich über 50% erlangen, um Rot-Grün zu ermöglichen. Dies ist zwar nicht ausgeschlossen, aber wenig wahrscheinlich. Will die SPD sich die Option offenhalten, in Zukunft auch einmal den Kanzler zu stellen und eine Bundesregierung anzuführen, darf sie sich Rot-Rot-Grün nicht verwehren.
Man darf jedoch nicht vergessen, dass es zwischen SPD, Grünen und Linken trotz inhaltlicher Gemeinsamkeiten auch entscheidende Differenzen gibt. Hier sind vor allem die Friedenspolitik und die Europapolitik zu nennen. Zu erwarten, dass die Parteien sich künftig in diesen Punkten annähern, ist unrealistisch. SPD und Grüne stehen beispielsweise fest zur transatlantischen Sicherheitspolitik und würden einem Koalitionsvertrag, der eine Auflösung der NATO vorsieht, nie zustimmen. Umgekehrt würde es die Linke zerreißen, wenn sie einen Koalitionsvertrag unterschreiben würde, der eine feste Bekenntnis zur transatlantischen Sicherheitsarchitektur und Auslandseinsätzen der Bundeswehr enthält.
Diese Differenzen sind weit mehr als ein Stolperstein für eine mögliche rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene. Der gordische Knoten wäre nur dann zu lösen, wenn sich die politische Kultur Deutschlands von Grund auf ändert. Die Bundesrepublik war stets ein parteipolitischer Hort der Stabilität. Mit wenigen Ausnahmen waren die Regierungskoalitionen meist keine Vernunftehen, sondern Liebeshochzeiten. Mit der Zerfaserung des Parteiensystems könnten Liebeshochzeiten jedoch zum Auslaufmodell werden. Vor allem die SPD wird sich künftig fragen müssen, ob sie sich dauerhaft als Juniorpartner an die CDU binden will und dabei über kurz oder lang ihre eigentliche Funktion als Kern des „linken Lagers“ aufs Spiel setzen will.
Ausweg Minderheitsregierung
In Deutschland versteht man unter einer Minderheitsregierung meist eine feste Tolerierung durch eine andere Partei, mit der man nicht koalieren will. Eine solche Tolerierung hat es 1983 in Hessen gegeben, als die SPD unter Holger Börner trotz Neuwahlen keine eigene Mehrheit bekam. Grund dafür waren die neu im Parteiensystem angekommenen Grünen. Da Börner sich 1983 zu keiner echten Koalition mit den Grünen durchringen konnte, ließ er seine hessische SPD-Minderheitsregierung durch die Grünen tolerieren. Zwei Jahre später kam es dann auch formell zur ersten rot-grünen Koalition auf Landesebene.
Wie es auch anders gehen kann, zeigen Länder wie Dänemark oder Schweden. In Dänemark verfügten lediglich vier der insgesamt 32 Regierungen der Nachkriegszeit über eine eigene parlamentarische Mehrheit. In Schweden gab es seit der Reform des Parlamentssystems im Jahre 1970 nur acht Jahre lange eine Regierung mit eigener Mehrheit. Und wer sich die politische und ökonomische Entwicklung dieser Länder anschaut, kann sicherlich nicht bestreiten, dass ihnen die Minderheitsregierungen durchaus gut bekommen sind.
Das dänische System setzt vor allem auf wechselnde Mehrheiten. Auf Deutschland übertragen hieße dies, dass eine rot-grüne Minderheitsregierung sich wechselnde Mehrheiten aus den Reihen der Linken und der Union verschaffen müsste. Wenn es um die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns oder die Erhöhung der Spitzensteuersätze in der Einkommensteuer geht, würde sich mühelos eine Mehrheit aus SPD, Grünen und der Linken finden lassen, während SPD und Grüne in sicherheitspolitischen Fragen, wie beispielsweise der Verlängerung des Afghanistan-Mandats eine übergroße Mehrheit mit der Union bilden könnten. Sollten die anderen Parteien sich dabei querstellen, müssten sie auch ihren Wählern erklären, warum sie dies tun.
Der größte Vorteil wechselnder Mehrheiten ist es, dass die Politik sich stärker auf inhaltliche Fragen konzentrieren würde. Würden die Fraktionen im Bundestag nicht aus parteipolitischen, sondern aus inhaltlichen Gründen heraus abstimmen, wäre stets gewährleistet, dass die Entscheidungen des Bundestags auch inhaltlich eine Mehrheit der Wähler repräsentieren. Dies wäre eine echte Weiterentwicklung, man denke hier nur an die Mövenpick-Steuer, die umgesetzt wurde, obgleich sie nur von einer kleinen Minderheit wirklich gewollt wurde.
Doch wahrscheinlich ist Deutschland auf der Bundesebene (noch) nicht reif für eine derartige Weiterentwicklung der politischen Kultur. Hierzulande wird nun einmal sehr viel Wert auf Stabilität gelegt und eine feste Mehrheitsregierung ist nun einmal zweifelsohne stabiler als eine Minderheitsregierung, die sich entweder tolerieren lässt oder ganz auf wechselnde Mehrheiten setzt. Es muss hier jedoch die Frage gestattet sein, ob zu viel Stabilität nicht letzten Endes die Demokratie gefährdet. Eigentlich ist es ja Konsens, dass die Große Koalition hierzulande eine Ausnahme sein sollte. Durch die Zerfaserung des Parteiensystems ist jedoch davon auszugehen, dass aus der Ausnahme künftig die Regel wird. Wer dies nicht will, sollte das Minderheitsregierungsmodel vielleicht perspektivisch in Betracht ziehen. Eine Chance hätte dieses Modell auch in Deutschland verdient.