Die hohle Welt der Reformer
Am 5.11. berichtete die Berliner Morgenpost unter der Überschrift „Reformtempo bleibt hoch“ von Bekenntnissen der beiden Koalitionsspitzen Merkel und Beck zu den Reformen. (Siehe unten) Man könnte auch von Durchhalteparolen sprechen. Ich mache Sie darauf aufmerksam, weil man an diesen Äußerungen zeigen kann, dass die Reformer in einer eigenen Welt hohler Phrasen leben und Glaubensbekenntnisse den Bezug zur Realität ersetzen. Sich dessen bewusst zu bleiben ist wichtig, weil man sonst immer wieder zum Opfer der gleichgerichteten Parolen wird. Typisch dafür ist auch die erstaunlich wohlwollende Aufnahme von Gerhard Schröders Buch und damit seines Versuchs, die Reformpolitik als notwendig und erfolgreich darzustellen und ihr und sein Scheitern zu übertünchen. Albrecht Müller.
Hier zunächst die Passagen aus der Berliner Morgenpost vom 5. November 2006:
Angela Merkel
Die Bundeskanzlerin und CDU-Chefin hat die Bürger trotz der Milliarden-Mehreinnahmen für die Staatskassen und positiver Signale auf dem Arbeitsmarkt auf weitere Reformanstrengungen eingestimmt. “Veränderung ist notwendig, um Deutschland als ein Land mit Wohlstand erhalten zu können.” Wenn alle diesen Weg fortführten, “dann kann Deutschland wieder besser dastehen und auch eine Lokomotive für Europa sein”, sagte Merkel in ihrer Videobotschaft.Kurt Beck
Der SPD-Chef sagte, man sei in der Phase der schwierigsten Reformprozesse. “Alles ist aufgegraben, die Baustelle sieht vielleicht ein bisschen ungeordnet aus, aber wenn wir fertig sind, und das Ergebnis sichtbar, werden die Menschen zufriedener sein.”
Dazu einige Anmerkungen:
- Der Wirkungszusammenhang zwischen „Veränderung“ (=Reform) und Wohlstand – wie auch im Beckschen Bild zischen Umbau und Ergebnis – wird nicht erläutert. Das geschieht nach meinen Beobachtungen auch sonst nie. Die Reformer behaupten dies immer nur, und sie tun es alle, womit die Glaubwürdigkeit gesteigert wird. Achten Sie mal drauf.
- Den Wirkungszusammenhang zwischen den heute üblichen Reformen und der wirtschaftlichen Besserung gibt es nicht. Das entscheidende Mittel zur Verbesserung wäre ein Richtungswechsel in der Finanz- und Konjunkturpolitik. Siehe dazu den heutigen Tagebucheintrag „Richtungswechsel Makroökonomie an der Zeit“.
- Die Reformer machen jetzt vermehrt Hoffnung mit dem Hinweis, es brauche Zeit, bis das positive Ergebnis der Reformen sichtbar werde. Diese Argumentationslinie taucht auch in Schröders Buch auf. Dies klingt einleuchtend, weil sich der Glaube an eine übliche Lebenserfahrung anlehnt. Wie sieht aber die Reformrealität aus? Ein paar Beispiele:
- Die meisten Reformen der Serie Hartz I bis III sind schlicht erfolglos geblieben und/oder wurden um vieles teurer als erwartet: IchAG, PSA, Jobfloater, etc.. Die bei Verkündung im Sommer 2002 versprochenen 2 Millionen Arbeitsplätze sind nicht geschaffen. Zum großen Teil sind diese Reformen aus dem Verkehr gezogen.
- Wo sind die Erfolge der bisherigen vielen Steuerreformen?
Eine Auswahl dessen, was schon alles verändert worden ist, finden Sie im Anhang. Wo ist denn der Erfolg der vielen Entlastungen für die Unternehmen und Gutverdienenden? Wo der Erfolg der Befreiung der Gewinne der „Heuschrecken“ von der Besteuerung? Im Gegenteil: diese Steuerbefreiung wirkt wie eine Einladung zum Fleddern gut arbeitender deutscher Unternehmen. Und je länger diese „Reform“ wirken kann, umso schlimmer wird das Ergebnis. Die Sprüche von Beck sind ohne Rücksicht auf die konkrete Realität formuliert. - Das gilt auch für Hartz IV? Eine Baustelle ist es, da hat Beck Recht. Aber wo ist denn der Erfolg dieser Reform, welche die Kräfte der Bundesregierung über lange Zeit absorbiert hat und weiter absorbiert, weil man sich offenbar in vieler Hinsicht vertan hat? Je mehr Zeit vergeht, umso mehr werden viele Arbeitnehmer die „Neben“wirkung dieser Reform zu spüren bekommen. Denn Hartz IV hat ihre kleine Sicherheit, eine Arbeitslosenversicherung zu haben, die sie im Notfall davor schützt, auf Sozialhilfeniveau abzusinken, gründlich zerstört. Diese Reform schafft Unsicherheit und Angst und schwächt so die Position der Arbeitnehmer in den Betrieben. Sie bekommen Hartz IV immer wieder und auf lange Frist zu spüren. Daran wird übrigens auch prinzipiell nichts durch die von Rüttgers vorgeschlagenen kleinen Fristverlängerungen für ältere ALGI-Empfänger geändert. Hier wäre eine prinzipielle Korrektur notwendig.
- 1.So wie Hartz IV die Arbeitslosenversicherung zerstört hat, zerstört die Riesterrente zusammen mit anderen politischen Entscheidungen und begleitet von viel Propaganda das Vertrauen in die gesetzliche Rente und das Umlageverfahren. Je mehr Zeit vergeht, umso mehr Menschen werden ihr Geld in weniger rentable private Vorsorgesysteme stecken, andere werden das nicht können, weil das Geld nicht reicht. Die Altersarmut wird steigen und dies obwohl wir Steuerzahler mit jedem Riesterabschluss zur Kasse gebeten werden. Wenn Beck seine Baustelle aufgeräumt hat, dann geht es den Menschen schlechter und eine wichtige soziale Errungenschaft, die solidarische Altersvorsorge, ist ruiniert.
- 1.Die von Angela Merkel erwähnten Steuermehreinnahmen sind im übrigen die Folge eines kleinen Aufschwungs und einiger Reformen, die den meisten betroffenen Menschen eher weh als gut tun. Siehe die Kappung der Pendlerpauschale, des Sparerfreibetrags und der Eigenheimzulage. Dass diese „Veränderungen“ den „Wohlstand“ gemehrt hätten, kann man schwerlich behaupten.
Anhang: Gravierende Steuerreformen in den letzten 20 Jahren:
- Streichung der Vermögenssteuer
- Streichung der Gewerbekapitalsteuer
- Kürzung der Körperschaftssteuer
- Erlass der Besteuerung der Gewinne bei Verkauf von Unternehmensteilen (= Steuerbefreiung der so genannten Heuschrecken)
- Senkung des Spitzensteuersatzes – auf 42%
- Amnestie für Steuersünder
- Korrektur des Halbeinkünfteverfahrens zugunsten der Versicherungswirtschaft. = mindestens 5 Mrd. Steuererlass
Nach neoliberaler Theorie müssten die Investitionen „brummen“.
Wo sind die Erfolge geblieben?