Ein Duell ohne Treffer – Sprechblasen platzten aufeinander
Das war es also das große Duell, für das wie beim Tamtam vor einem Boxkampf auf allen Kanälen die Stimmung aufgeheizt wurde. Schon die Vorankündigungen ähnelten eher dem Rummel vor einem Sportereignis als der Berichterstattung über eine wichtiges politisches Ereignis. Da gab es eine „Favoritin“ und einen „Herausforderer“, da ging jemand als „Außenseiter ins Spiel“ und da hatte jemand den Bonus des Titelverteidigers. Politik wird zur Schau getragen und zur Show gemacht – verkörpert auch noch durch einen Spaßmoderator als Fragesteller. Zeitlich begrenzt wie ein Fußballspiel auf 90 Minuten, ein Münzwurf entscheidet wer „Anstoß“ hat. Keine Aktion der Duellanten soll länger als 90 Sekunden dauern dürfen. Und anschließend sollen mittels der Umfrageinstitute die Zuschauer als Kampfrichter, die Punkte verteilen.
Dafür konnten die Duellanten nichts, sie sind Opfer dieser Inszenierung. Aber statt eine politische Debatte zu liefern, haben auch Merkel und Steinbrück sich nur selbst inszeniert.
Von Wolfgang Lieb.
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Schon die Regeln dieser Show sind nicht auf Aufklärung und auf Argument und Gegenargument angelegt, sondern auf Sympathie und äußeren Eindruck. Wer hat die besseren Finten, wer ist schneller, wer strahlt Ruhe aus, wer macht den Eindruck von besserem Sachverstand, wer wirkte überzeugender? So oder so ähnliche fragten die Umfrageinstitute auch bei den Fernsehzuschauern als Kampfrichter die Punkte ab.
Bei der Blitzumfrage der ARD hatte Steinbrück mit 52 Punkten vor Merkel mit 36 die Nase vorn. Beim ZDF ging die Partie umgekehrt 40 zu 33 für Merkel aus, auch bei ProSieben siegte Merkel haushoch und bei RTL kam das Forsa-Insitut auf ein Unentschieden von 44 zu 43. Bei allen Diskussionen vorher und nachher ging es fast ausschließlich um Stimmungsmache, je nachdem, welche vorgefasste Meinung der einzelne Gesprächspartner schon hatte und je nachdem, für welchen der beiden Duellanten er werben wollte.
Mit einer ernsthaften Debatte um die politische Zukunft des Landes hatte das ganze Spiel nichts zu tun. Wer könnte auch einem, der noch nie ein Spiegelei gebraten hat, in 90 Sekunden erklären, wie das Ei so gelingen kann, dass es auch gut schmeckt. Aber zur Erklärung der Euro-Krisen-Politik, der Arbeitsmarktpolitik, der Rentenpolitik oder der Frage von Krieg und Frieden soll in eineinhalb Minuten eine überzeugende Argumentation möglich sein.
In Wahrheit, war das gar kein Duell mit Argument und Gegenargument, es war keine Debatte in der Sache, sondern bestenfalls ein Austausch von zuvor auf ihre Wirkung auf den Zuschauer getesteten und auf bestimmte Wählergruppen abgestimmten Sprechformeln – eine Choreografie der Wahlkampfstrategen und Spin-Doktoren.
Und da trat Merkel staatstragend mit schwarz-rot-goldener Kette an und Steinbrück mit taubenblauer und weiß gestreifter Krawatte, beide im Business-Blau. Merkel redete – wie gewohnt – endlos lange und sagt wenig, Steinbrück musste als Herausforderer viel argumentieren und redete gewohnt schnell und mit hanseatischem Schmäh.
Merkel sagt in ihrem Schlusswort einfach „Sie kennen mich und Sie wissen, wie ich die Dinge anpacke“, wir hatten „vier gute Jahre“, ich möchte weiter machen und „gemeinsam“ schaffen wir es und sie verabschiedet sich mit einem „Guten Abend“. Das waren ihre Kernbotschaften.
Steinbrück betete am Ende der Sendung einigermaßen gekonnt seine Wahlkampffloskeln vom politischen Stillstand unter Schwarz-Gelb, vom sozial Gerechten und ökonomisch Vernünftigen, von Balance und Gemeinwohlorientierung, vom Zusammenhalt und von „mehr wir und weniger ich“ herunter.
Steinbrück versuchte, den Regierungsstil der Kanzlerin bloß zu stellen („Lassen Sie sich nicht einlullen“) und Merkels politische Ankündigungen als „leere Schachteln“ zu enthüllen. („Das sind alles schöne Schachteln, die Frau Merkel ins Schaufenster gestellt hat.“)
Steinbrück hatte viele und auch gute Argumente bei seiner Kritik am Zustand der Republik, aber welcher Zuschauer kann seine Einwände auf die Schnelle nachvollziehen. Wer versteht schon was es bedeutet, dass das „Arbeitsvolumen“ nicht zugenommen hat (und damit die Arbeit logischerweise nur auf mehr Köpfe umverteilt wurde), wenn Merkel sich brüstet, dass es noch nie so viele Beschäftigte gegeben hat, wie unter ihrer Regierung. Die Kanzlerin kontert Steinbrück, indem sie Schröder lobt. („Gerhard Schröder hat sich um Deutschland verdient gemacht.“)
Merkel scheut bei ihrer Erfolgsbilanz nicht einmal vor glatten Unwahrheiten zurück, so wenn sie behauptet, dass jedem jungen Menschen ein Ausbildungsplatz in Aussicht stehen würde.
Da die vier fragenden Journalisten nicht willens oder unfähig waren, die angeblichen Erfolge zu hinterfragen, konnte sich Merkel locker über die Zeit retten.
Steinbrück argumentiert in der Sache und Merkel wirbt um persönliches Vertrauen. Und wenn der Herausforderer wunde Punkte ihrer Politik aufdeckte, dann verwies Merkel entweder auf die Schuld der Vorgängerregierungen oder darauf, dass die SPD ja immer mitgestimmt habe, und wenn sie sich gar nicht mehr anders wehren konnte, wich sie aus, dass sie Schritt für Schritt schon einen Ausweg finden werde. Z.B.: „Wir arbeiten an einem Rentenkonzept in den kommenden vier Jahren“.
Merkel versuchte offensichtliche Skandale, wie etwa das Kassenpatienten Hilfsmittel massenhaft verweigert werden, als Einzelfälle darzustellen. Jeder der sich ungerecht behandelt fühle, könne sich bei den zuständigen Stellen melden. Merkel posierte in der Rolle der sich kümmernden Mutti. Jede Sorge um die weitere künftige Entwicklung blockt sie damit ab, dass sie die Dinge erst diskutieren werde, wenn sie anstehen. Und wenn gar nichts mehr half, um über die Probleme hinwegzureden, flüchtete sie sich in Allgemeinplätze: „Jeder Mensch muss in Würde altern können“ oder „Jeder Mensch bekommt die Gesundheitsvorsorge, die er braucht“ oder „Jeder Aufstocker ist einer zuviel“.
Wie schon ihr Kanzleramtsminister Pofalla redete auch die Kanzlerin selbst um den Datenskandal herum. Sie wiederholt die irreführende Behauptung dass die NSA „auf deutschem Boden“ nicht „flächendeckend Deutsche“ ausspioniere und umgeht damit das Kernthema, dass es für die Verletzung des Grundrechts der Informationsfreiheit ziemlich egal ist, von welchem „Boden“ aus dies geschieht.
In typisch konservativer Manier versuchte Merkel bei den Zuschauern Ängste vor einem Verlust ihrer Arbeitsplätze zu wecken. So bei der Frage nach Steuererhöhungen: „Wenn wir die, die Arbeitsplätze schaffen, belasten, dann gäbe es weniger Arbeitsplätze.“ Gegen den Mindestlohn: Wir dürften Arbeitsplätze nicht in Gefahr bringen. Oder: Wenn Arbeitsplätze in Gefahr gerieten, dann hätten wir weniger Staatseinnahmen und könnten weniger Schulden zurückbezahlen.
Merkel wehrte die von Steinbrück vorgetragenen Negativbilanzen als Schwarzmalerei ab.
Sie spielte ganz systematisch auf den bekannten psychologischen Mechanismus an, dass die Menschen ihre eigene Situation gerne schöner ausmalen, als sie tatsächlich sein mag.
Merkel gab vermeintlich klare Antworten, indem sie sich aber immer ein Hintertürchen offen hielt, aus dem sie im Zweifel entwischen kann. Als sie Steinbrück bei Seehofers unbedingter Forderung nach einer PKW-Maut in Schwierigkeiten bringt, sagt sie scheinbar klipp und klar: „Mit mir wird es keine PKW-Maut im Inland geben“. Das lässt jedoch völlig offen, ob es nicht doch eine solche Maut für Inländer und Ausländer zugleich geben kann und wird. Noch deutlicher wurde diese Hintertürchen-Taktik bei einer viel grundsätzlicheren Frage, nämlich bei der Frage nach einer Beteiligung Deutschlands an einem Militäreinsatz in Syrien. Da sagte Merkel zunächst eindeutig: Nein, unter ihrer Regierung wird sich Deutschland an einem Militäreinsatz „nicht beteiligen“. Ein paar Sätze später spricht sie allerdings von der Notwendigkeit einer „kollektiven Antwort“ und fügte sie hinzu, wenn ein Nato-Mandat (also nicht ausschließlich ein UN-Mandat) oder ein „europäisches Mandat“ (was das auch immer bedeutet) vorliege, dann dürfe keine „Spaltung“ entstehen. Das kann doch nur heißen, wenn der Nato-Partner Türkei ruft oder wenn die Franzosen und die Engländer doch marschieren würden, dann sähe die „Sache“ doch wieder anders aus.
Dass Steinbrück mit seiner erneuten Absage an Rot-Rot-Grün die SPD nicht aus der Defensive bringen kann, machte Merkel in schöner „Rote-Socken“-Kampagne-Manier deutlich, indem sie – sich schon ganz als Wahlsiegerin darstellend – ihrem Herausforderer vorhielt, dass er selbst nach seiner Wahlniederlage gar nicht mehr über eine solche Koalition entscheiden werde.
Steinbrück hat für seine Kritik an den bestehenden Verhältnissen (soziale Ungerechtigkeit, prekäre Arbeit, Chaos bei der Energiewende, PKW-Maut, Chancengleichheit, Euro-Kurs) viele Fakten und gute Argumente aufgetischt und er ging sogar weiter voran, als man das bisher von ihm gehört hatte. Etwa indem er klarstellte, dass wir in Europa eine Bankenkrise und keine Schuldenkrise hätten, das man Banken auch auf Kosten der „Gläubiger“ und nicht nur der Steuerzahler abwickeln müsse, dass man Steuerhinterzieher härter bekämpfen müsse, dass man die Agenda 2010 auch korrigieren müsse, dass der „Pflege-Bahr“ nichts bringe, dass die derzeitige Krankversicherung „vor die Wand“ fahre, dass beim NSA-Skandal durch das Verhalten der Bundesregierung „Schaden entstanden“ sei, dass für ihn ohne „völkerrechtliches Mandat“ keine Militäreinsetze denkbar sind usw.
Er hat sicher ein besseres Bild abgegeben, als ihm von den Medien in den letzten Monaten zugeschrieben wurde, doch prallte er damit immer wieder an den medial schon tausendfach transportierten Beschönigungen und Vertröstungen der Teflon-Kanzlerin ab. Merkel konnte etwa in der Europapolitik ihre Formeln von der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, von der Aufrechterhaltung des Reformdrucks oder von Leistung und Gegenleistung so offensiv vortragen, weil Steinbrück nicht nur an dieser Stelle keine wirklich alternative Perspektive dagegen stellen konnte. Eine solche Alternative plausibel zu machen, ist zugegebenermaßen drei Wochen vor der Wahl schwer, wenn die SPD als Partei und vor allem die SPD-Bundestagsfraktion über die vergangene Legislaturperiode nichts dafür getan haben, die Kanzlerin mit einer alternativen Konzeption in der Wirtschafts-, Europa-, Fiskal oder Arbeitsmarktpolitik offensiv zu stellen.
90 Minuten Duell – zumal unter Show-Bedingungen – reichen zur Erzeugung einer Wechselstimmung eben nicht aus. Da konnte Steinbrück noch so sehr gegen die Gummiwand Merkel anrennen. Der Vorwurf des „Stillstands“ macht den Fortschritt, den Steinbrück gegenüber Merkel anstreben will, noch nicht glaubwürdig.