Buchbesprechung des Tagungsbandes „Bertelsmann: Ein globales Medienimperium macht Politik“, hrsg. von Thomas Barth
Von Torben Klimmek.
Mohn aus Gütersloh – Die berauschte Republik und ihr medialer Großdealer
Der geneigte Leser wird sich verwundert die Augen reiben und fragen: „Das kann doch nicht sein, Mohn aus der westfälischen Provinz?“ Doch in Gütersloh findet sich ein Erzeugnis, das nicht nur denselben Namen, sondern auch eine ähnliche rauschhafte und verhängnisvolle Wirkung wie die in Afghanistan und der Türkei beheimateten Rauschgiftpflanze aufweist. Seine Herstellung ist allerdings ganz legal und sogar offiziell erwünscht. Seine Inhaltsstoffe sind schnell genannt: Ökonomisierung aller Lebensbereiche, Konkurrenz auf allen Ebenen, Markt statt Staat, Deregulierung, Privatisierung, Liberalisierung und schließlich Konzernoligarchie statt Demokratie. Dieses Rezept liefert den Grundstoff für das neue Opium des Volkes, gemeint ist das täglich und allenthalben verabreichte Narkotikum namens Neoliberalismus. Als Mutterpflanze und Konzernchef von Bertelsmann streut Reinhard Mohn seine „berauschenden“ Ideen von einer „verbetriebswirtschaftlichten“ Gesellschaft in alle Richtungen aus. Mittels seiner bewusstseinsindustriellen Medienmacht [1] und seiner sich als gemeinwohltätig ausgebenden Stiftung versorgt er die längst abhängig gewordene Gesellschaft dieses Landes unentwegt mit seiner Droge in Form der Agenda 2010, der Hartz – Reform – Entwürfe, der Schul- und Hochschulreformen, der privaten Altersvorsorge etc. So bezeugen insbesondere die Reformprogramme der letzten Jahre das Suchtverhalten der politischen Eliten. Hat eine Reform nicht zum gewünschten Ergebnis geführt, so wird einfach die Dosis erhöht und eine neue Reform auf den Weg gebracht (Albrecht Müller). Wie alle Dealer gehen Reinhard Mohn und die Bertelsmann – Stiftung ihren Geschäften lieber im Verborgenen nach. Vielleicht ist dies der Grund, warum sich die kritischen Medien und die Medienwissenschaft bislang nur unzureichend mit den Machenschaften des in Deutschland und Europa größten bzw. weltweit fünftgrößten Medienkonzerns auseinandergesetzt haben, Opportunität wäre ein anderer.
Zur Überwindung dieses Defizits wurden unterdessen zwei Kongresse ins Leben gerufen, auf denen sich ausgewiesene Experten mit den verschiedensten Aspekten des Bertelsmann – Konzerns beschäftigten. [2] Der Hamburger Medienwissenschaftler, Journalist und Mitveranstalter Thomas Barth hat sich die Mühe gemacht, die Redebeiträge des ersten Kongresses in einem Tagungsband zu sammeln und herauszugeben. Dabei ist ein gut lesbares, informatives und vor allem spannendes Buch entstanden, das den Leser zum einen in die von Bertelsmann propagierte Herrschaftsideologie einführt, ihm zum anderen die Strukturen des Konzerns und die unterschiedlichen gesellschaftlichen Felder, auf denen er tätig ist, vorstellt.
Den Band leitet ein Beitrag des „Ossietzky“ – Herausgebers Eckart Spoo zum Verhältnis von Demokratie und Medien ein. Sein Augenmerk gilt insbesondere der Demokratie gefährdenden Machtkonzentration auf dem Medienmarkt wie auch der Manipulation der Nachrichten zugunsten von Kapitalinteressen. Dem folgt ein Aufsatz des Buchautors und Journalisten Hersch Fischler zur immer noch wenig bekannten und dunklen NS – Vergangenheit des Konzerns. Dieser habe nämlich schon kurz nach dem Krieg an seiner Widerstandslegende zu stricken begonnen und sich nicht zuletzt deshalb bei den Alliierten eine Vertragslizenz erschleichen können. Daneben behandelt Fischler die umtriebigen Tätigkeiten der Bertelsmann – Stiftung, deren Bedeutung nicht zu unterschätzen sei. Sie stelle Deutschlands einflussreichsten Think – Tank dar, der mit einem Anteil von ca. 60 % am Unternehmenskapital der Bertelsmann AG unter der Führung des Firmenpatriarchen Mohn seine Fühler in diverse Politikfelder ausstrecke und nachweislich ganz wesentlich an den „Sozialstaatsabbau“ – Reformen beteiligt gewesen sei. Der Betriebrat der Hamburger Schulbehörde Horst Bethge setzt sich mit der schleichenden Kommerzialisierung der Bildung auseinander. Am Beispiel der Hamburger Schulbehörde schildert er, wie das von der Bertelsmann – Stiftung forcierte Marketing – Denken in „Produktbeschreibungen“ und Kennziffern längst Einzug in die Schulpolitik gehalten habe. Der Mitarbeiter des Wissenschaftszentrums Berlin Oliver Schöller stellt in seinem Beitrag die an Bedeutung und Macht gewinnende Rolle von Unternehmensstiftungen dar. Je mehr sich der Staat aus seinen zugedachten Funktionen zurückziehe, würden diese von privaten Unternehmen übernommen bzw. in Form der „Public Private Partnership“ ausgeübt. Die gerade im Bereich der Bildungspolitik führende Bertelsmann – Stiftung, die sich auch nicht scheue, mit der vermeintlich linken Böckler- und Böll – Stiftung zusammenzuarbeiten, habe u. a. in der Bildungskommission von NRW gesessen und über das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) massiven Einfluss auf die Hochschulpolitik ausgeübt. So sei die Einführung von Studiengebühren wesentlich auf das Betreiben des CHE zurückzuführen. Schöller sieht in dem Agieren der Stiftungen im Allgemeinen wie der Bertelsmann – Stiftung im Besonderen ein Problem für die Demokratie, da diese nicht selten geneigt seien, die sozioökonomischen Interessen ihrer Stifter zu vertreten. Der Rechtssoziologe Martin Bennhold weist in seiner Untersuchung die politische Einflussnahme des Bertelsmann – Konzerns auf europäischer und globaler Ebene nach. Denn als Mitglied des European Round Table of Industrialists (ERT) wirke Bertelsmann ganz maßgeblich an der europäischen Industrie- und Wettbewerbspolitik mit. Da der ERT auch an der Gründung der World Trade Organization (WTO) beteiligt gewesen sei, werde Bertelsmann somit schließlich auch zum politischen Global Player. Zusammen mit der WTO könne Bertelsmann nun seine Politik der Liberalisierung zugunsten des Großkapitals und zulasten der Armen dieser Erde weltweit durchsetzen. Mit der Rolle des Bertelsmann – Konzerns als geopolitischem Akteur setzt sich auch der Journalist Jörn Hagenloch auseinander. Mittels des „Bertelsmann Transformation Index“ (BTI) versuche Bertelsmann seine Weltanschauung der neoliberal geprägten „marktwirtschaftlichen Demokratie“ global durchzusetzen. Hagenloch verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf das an der Universität München eingerichtete und von Bertelsmann finanzierte Centrum für angewandte Politikforschung (CAP). Denn als „größtes universitäres Forschungsinstitut zur Politikberatung“ agiere das CAP zusammen mit der Bertelsmann – Stiftung sowohl im europäischen als auch globalen Kontext. Abgerundet wird der Tagungsband mit einem aufschlussreichen Essay des Herausgebers zur Medienwissenschaft, Medienkritik und Medienherrschaft. Sein Fazit lautet, der Übergang von Foucaults Disziplinar- zur medialen Kontrollgesellschaft vollziehe sich in Form der zunehmenden Ausdehnung betriebswirtschaftlicher Steuerung aller Lebensbereiche, die nicht zuletzt der rigiden Überwachung des Groß – Kontrolleurs aus Gütersloh unterliegen.
Der kritische Leser darf auf den vermutlich im nächsten Jahr erscheinenden zweiten Kongressband gespannt sein.
Der Tagungsband „Bertelsmann: Ein globales Medienimperium macht Politik“ hrsg. von Thomas Barth ist 2006 im Anders Verlag erschienen und kann über Book – on – demand (www.bod.de) im Internet für 9,80 Euro bestellt werden.
[«1] Zum Bertelsmann – Imperium gehören die Fernsehsender der RTL –Gruppe, der Zeitschriftenverlag Gruner und Jahr (Stern, Capital, Geo usw.), der weltgrößte Buchverlag Random House, das weltgrößte Musikkonsortium SonyBMG (Bertelsmann Musik Group) und der Logistik- und Online – Dienstleister Arvato. Des Weiteren bestanden Verflechtungen zum Spiegel und zur Zeit – Stiftung.
[«2] Der erste Kongress fand im Juli 2005 in Hamburg statt und wurde im Wesentlichen von der studentisch organisierten Freien Hamburger Hochschule getragen. Der folgende Kongress im Juli dieses Jahres wurde von der Attac – AG Demokratie und Information ebenfalls in Hamburg unter dem Titel „Du bist Bertelsmann – Wie ein globaler Drahtzieher Medien, Bildung und Politik steuert“ veranstaltet.