Die verscherbelte Bundesdruckerei
In einem Beitrag für “Druck + Papier” von ver.di hat sich Hermann Zoller mit der Privatisierung der Bundesdruckerei beschäftigt. Anlass war ein Bericht im Deutschlandradio. Ergänzt durch eigene Recherchen ist ein aufschlussreicher Beitrag Zollers zum Thema Privatisierung daraus geworden.
HERMANN ZOLLER
Beitrag für Druck und Papier von verdi.
Das Milliardenspiel
Deutschlandradio Kultur: Wie die Bundesdruckerei unter den Hammer kam
Geschützt ist sie wie ein Hochsicherheitstrakt, vor der Gefräßigkeit der kapitalistischen Heuschrecken war und ist sie dennoch nicht sicher: Die Bundesdruckerei in Berlin war einst ein Kleinod im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland. Heute täuscht ihr Name darüber hinweg, dass dieser bedeutende Druckbetrieb mit hoheitlichen Aufgaben Ende 2000 „privatisiert“ wurde, wie es stets schönfärberisch genannt wird, wenn Volksvermögen verscherbelt und damit enteignet wird. Die Journalisten Heide und Rainer Schwochow haben das große Fressen mit kriminalistischem Spürsinn aufgestöbert und in einem fast einstündigen Feature am 7. Oktober 2006 im „Deutschlandradio Kultur“ zu Gehör gebracht.
Den Weg der Privatisierung nachzuzeichnen ist nicht nur spannend wie ein Krimi, der Vorgang ist auch ein Lehrstück über die bundesdeutsche Privatisierungspolitik und eine Verhaltensstudie über jene Art von Heuschrecken, die Vizekanzler und Arbeitsminister Franz Müntefering in das politische Artenbuch eingeführt hat: Ausschlachten und Absahnen wo nur irgend möglich, das sind die vorherrschenden Handlungsmuster.
In der Bundesdruckerei werden Personalausweise, Führerscheine, Reisepässe, Tabaksteuerzeichen und vieles mehr hergestellt, was zum staatlichen Hoheitsbereich gehört. So auch Euro-Banknoten, Aktien, Postwertzeichen und Visa. Der Betrieb war am 6. Juli 1879 als Reichsdruckerei durch den Zusammenschluss der Geheimen Oberhofbuchdruckerei von Decker und der Königlich-Preußischen Staatsdruckerei gegründet worden. Die Bundesdruckerei, ein Sahnestückchen im Besitz der Bundesrepublik Deutschland, war für die Modernisierer ein willkommenes Objekt, an dem viele Privatisierer es sich gutgehen lassen konnten.
Heide und Rainer Schwochow haben die Entwicklung für das „Deutschlandradio Kultur“ aufgezeichnet, und die Machenschaften der Beteiligten sind damit zur Be- und Verurteilung freigegeben. Eine Sendung mehr übrigens, die zeigt, wie gut es ist, einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu haben. Das Hörspiel zeigt einen Ausschnitt der korrupten Seite unserer Gesellschaft, Menschen, die sich mit einer Selbstverständlichkeit rücksichtslos selbst die Taschen füllen, dass es einem den Atem verschlägt.
Ein fiktiver Sonderermittler nimmt die Arbeit auf
Was der Autoren Schwochow fiktiver Sonderermittler so alles findet, ist zumindest über weite Teile juristisch nicht zu fassen. Das macht die Sache nicht besser, wenn man betrachtet, was in Wirtschaftskreisen alles so üblich zu sein scheint, was man so mitnehmen und trotzdem seine Hände in Unschuld waschen kann. Im Deutschlandradio-Feature werden sie mit Namen genannt: Finanzminister Hans Eichel, Staatssekretär Manfred Overhaus, Geschäftsführer Ernst-Theodor Menke, Aufsichtsratsvorsitzender Manfred Lahnstein, Projektleiterin Renate Krümmer, Rechtsanwalt Heinz Günther Gondert von der Kanzlei Clifford Chance, Vertreter des Bankhauses Metzler, Betriebsratsvorsitzender Klaus-Dieter Langen (der spätere Arbeitsdirektor), Staatsminister a. D. Ludger Volmer (er erhielt 400000 Euro in zwei Jahren; die Bundesdruckerei zahlte ihm diese Summe als Spesen und Honorare für eine nebenberufliche Arbeit, als Tagessatz zu 2500 Euro).
Die Autoren schildern im „Deutschlandradio“, wie jeder auf seine Weise sich seinen Teil schnappt – während die Belegschaft schrumpft. Auf eine runde Milliarde Euro addieren die Autoren die Honorare und Provisionen für Verkäufe, Beratungen und Gutachten. Ein stattlicher Betrag für einen Betrieb, der für eine Milliarde von Eichel verkauft wurde.
Auf der anderen Seite stehen die Menschen, die mit ihrer Arbeit den Betrieb am Leben erhalten und die Gewinne erwirtschaften. Der Hörfunk-Beitrag macht die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keinesfalls zu Randfiguren. Sie sind eigentlich die Hauptpersonen, wenn auch nur als Opfer. Die Sendung zeigt anschaulich, wie ihr Leben, ihre Nöte und Ängste aussehen, welche Folgen die Sorgen um den Arbeitsplatz haben – bis zum Selbstmord aus Verzweiflung. “Dann fehlten immer wieder Kollegen, und es hieß: Wo sind die eigentlich? Ja, Bonnies Ranch. Bonhoefer-Klinik. Die waren einfach psychisch krank geworden”, berichtet eine in der Bundesdruckerei beschäftigte Frau. Die Schwochows geben auch den Opfern eine Stimme. Vor diesem Hintergrund bekommt das Treiben der Manager erst seine richtige Dimension. Ein Blickwinkel, den man gern auch in anderen Fernseh- und Hörfunksendungen finden möchte.
Etliche mussten in die Psychiatrie
Was in der Sendung eindrucksvoll geschildert wird, das ist nicht einfach das zweifelhafte Treiben einer handvoll Politiker, Manager und Anwälte. Was hier beispielhaft an der Bundesdruckerei vorgeführt wird, sind nicht Entgleisungen oder Ausrutscher einiger weniger. Es geht um Mechanismen zu tun, die durch politische Entscheidungen zu integrierten Bestandteilen unserer Wirtschaftsordnung geworden sind. Möglich geworden ist das Aussaugen der Bundesdruckerei und ihrer Beschäftigten nur, weil die Bundesregierung mit der Orientierung ihrer Politik am Shareholder value, mit der Deregulierung der Finanzmärkte Unternehmen internationalen Kapitalinteressen ausgeliefert hat. Dazu gehört die Steuerbefreiung der Gewinne beim Verkauf von Unternehmen und Unternehmensteilen. Erst dadurch ist den Geldhaien der Tisch gedeckt worden. Zu allem Übel hat die Bundesregierung den Heuschrecken dann noch mit der Privatisierung der Bundesdruckerei einen fetten Happen auf dem silbernen Tablett serviert.
Aus Erfahrung klug zu werden, wäre aller Ehren wert. Selbst aus der Wirtschaft kommen Stimmen, die das fordern, so Porsche-Chef Wendelin Wiedeking Ende September in „SpiegelOnline“: Die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen müsse “abgeschafft werden”. Denn: “Damit werden alle belohnt, die Unternehmen zerschlagen. Als das Gesetz erlassen wurde, habe ich dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder geschrieben, dass dies Unsinn sei.”
Unser fiktiver Sonderermittler beginnt Im Deutschlandradio seine Arbeit zu dem Zeitpunkt, als die Bundesdruckerei an Apax verkauft wurde, einen Private Equity Fonds. Die Weichenstellung zur Verschleuderung von Volksvermögen durch die Bundesregierung beginnt aber schon früher. Zunächst wird der Betrieb kräftig aufgestockt. Die deutsch-deutsche Vereinigung erfordert viele neue Personalausweise. Nach den politischen Vorgaben wächst die Belegschaft auf 4.500 Beschäftigte. Nach der Normalisierung der Auftragslage ergeben sich Überkapazitäten. Der Personalabbau erfolgt dank massiven gewerkschaftlichen Drucks ohne betriebsbedingte Kündigungen. Am 1. September 1994 beschließt das Bundeskabinett unter Helmut Kohl eine Umwandlung des Betriebs in eine GmbH. Der erste Schritt zur Privatisierung.
Eichel will Geld für die leere Staatskasse
In den folgenden Jahren wird die Bundesdruckerei ausgebaut. 270 Mio. Euro Steuergelder fließen. Für 20 Mio. Euro Steuergelder wird die Holographic Systems München GmbH gekauft, für 70 Mio. Euro Steuergelder die Orga Kartensysteme GmbH. Nach Einschätzung der Geschäftsleitung würde die Orga zum wichtigsten Unternehmensteil werden. Zunächst bestätigt sich diese Prognose. Das Orga-Geschäft boomt.
Bundesfinanzminister Eichel will Geld für seine leere Staatskasse. Am 21. November 2000 wird der Verkauf an Apax unterschrieben. Eichel bekommt 1 Mrd. Euro. Apax zahlt nur ein Viertel aus eigener Tasche, ein Viertel kreditiert das Bundesfinanzministerium. Mit 500 Mio. Euro ist die Hessische Landesbank mit von der Partie. Der Private Equity Fonds hat ein klares Ziel: jährlich 30 Prozent Rendite und nach drei Jahren an die Börse. Das soll so funktionieren: Apax hat selbst 250 Mio. Euro investiert. Bringt das Unternehmen an der Börse auch nur 1,25 Mrd. Euro, dann hat man locker die 30 Prozent Rendite erreicht.
Apax überführt die Bundesdruckerei zunächst in die Authentos GmbH. Das macht Apax schuldenfrei. Die Verbindlichkeiten liegen jetzt bei Authentos, genauer auf der Bundesdruckerei selber. Durch einen Ergebnisabführungsvertrag muss die Bundesdruckerei jedes Jahr zwischen 50 und 75 Mio. Euro an Authentos abführen. Diese leitet das Geld weiter zur Schuldentilgung. Apax erreicht damit ihr zweites Ziel: Authentos und die Bundesdruckerei brauchen beide keine Steuern zu zahlen, weil sie keine Gewinne mehr machen.
Die Rechnung geht nicht auf. Die Mikrochips auf Karten bleiben nicht der Renner, auf den man spekuliert hat. Weitere Hoffnungen auf Sicherheitstechniken platzen, der Internet-Hype implodiert. Das bringt die Bundesdruckerei in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Weil Orga nicht mehr die Gewinne bringt, können auch keine weitergeleitet werden. Authentos wird zahlungsunfähig. Kreditgeber und Bund sind bereit, auf die Zahlung der Zinsen und der Kreditraten zu verzichten, um nicht den kompletten Verlust ihrer Forderungen zu riskieren. Kreditgeber ist bekanntlich die Hessische Landesbank. Einige Monate später sind Landtagswahlen. Es hätte Ministerpräsident Roland Koch sicherlich gestört, wenn die Helaba am Vorabend in Schwierigkeiten geraten wäre.
Satte Pfründe zulasten der Bürger und der Beschäftigten
Im September 2002 wird Authentos für den symbolischen Kaufpreis von einem Euro an zwei Zwischenerwerber übertragen: 94 Prozent an die Berliner JVVG, sechs Prozent an die Dinos Vermögensverwaltung in Heidelberg. Die Gesellschaft soll saniert und wieder verkauft werden. Die Clifford Chance ist mittelbarer Mehrheitsgesellschafter der Authentos. Die Anwaltssozietät fungiert als Strohmann der Hessischen Landesbank. Damit wäre heute die Helaba der größte Anteilseigner an der Bundesdruckerei.
Im März 2003 wird die Orga an das Bamberger Unternehmen GW Card Holding GmbH, eine Schwesterfirma der GHP Holding GmbH, verkauft. Einzelheiten über den Preis bleiben unbekannt. Es wird gemunkelt, dass noch Geld hinterhergeworfen wurde, um Orga loszuwerden. Weitere Untergesellschaften (mit einem Umsatzanteil von 75 Prozent ist die Bundesdruckerei die größte Tochter) sollen ebenfalls verkauft werden. Die Authentos-Bilanz des Jahres 2004 weist einen Schuldenstand von 1,2 Mrd. Euro aus. Das Unternehmen – vor allem die Bundesdruckerei – lebt nur noch, weil die Gläubiger stillhalten.
Die Geschichte der Bundesdruckerei zeigt, dass viele Wegelagerer der Bundesdruckerei aufgelauert haben. Sie konnten aber nur abkassieren, weil ihnen durch politische Entscheidungen die Möglichkeiten zum Räubern geschaffen wurden. Nur durch entsprechende politische Entscheidungen lassen sich diese Mißstände auch wieder beseitigen
Die Autoren Heide und Rainer Schwochow sind erreichbar über E-Mail. Informationen des ver.di-Bereichs Wirtschaftspolitik zum Thema Private Equity Fonds unter wipo.verdi.de.