Französischer Wirtschaftsforscher Jean-Paul Fitoussi: Deutschland lebt auf Kosten seiner Nachbarn
Die geplante Mehrwertsteuererhöhung in Deutschland koste Frankreich im kommenden Jahr mindestens 0,4 Prozentpunkte Wachstum, denn in Deutschland würde sich die Nachfrage abschwächen und damit das Wachstum in ganz Europa belasten, meint der Leiter des führenden französischen Wirtschaftsinstituts OFCE nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 26. Oktober 2006.
Der Konjunkturforscher Fitoussi wirft der Bundesregierung vor, die deutsche Wirtschaft auf Kosten der Nachbarländer sanieren zu wollen. Die drastische Mehrwertsteuererhöhung habe die Wirkung einer Handelsschranke, weil sich dadurch die Einfuhren verteuerten und da die aus Deutschland exportierten Produkte durch die Mehrwertsteuer nicht belastet würden, hätten diese einen komparativen Kostenvorteil gegenüber aus den übrigen Ländern importierten Waren. Arbeit in Deutschland würde im Vergleich zu den Nachbarstaaten billiger, auch die Produktivität erhöhe sich automatisch. Damit dürften die Exporte des Exportweltmeisters erneut zunehmen.
Die ohnehin eher schwache Außenhandelsbilanz Frankreichs trübe sich dadurch noch weiter ein, weil die höher besteuerten Importe von Frankreich nach Deutschland einen Wettbewerbsnachteil bei den Lohnstückkosten in Frankreich nach sich zögen. Bevor es den Euro-Raum gab, habe man in solchen Fällen von einer realen Abwertung der heimischen Währung gesprochen. Früher habe Deutschland Italien kritisiert, weil es die Lira abwertete, um konkurrenzfähig zu bleiben. Nun betreibe Deutschland eine vergleichbare Politik gegenüber seinen Nachbarn. Weil es heute die Währungsunion gebe, treffe das Streben nach Abwertung eines Landes alle anderen Volkswirtschaften in der Euro-Zone – vor allem aber Frankreich. Deshalb nannte Fitoussi die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik „unkooperativ“.
Auch das Vorhaben, einen Teil der Mehrwertsteuereinnahmen zur Verringerung der Lohnnebenkosten einzusetzen, koste Frankreich Wachstum. Die Lohnstückkosten in Deutschland lägen inzwischen unter denen von Frankreich, Italien und Spanien. Dadurch würden relativ billiger werdende deutsche Produkte solche aus den Partnerländern verdrängen. Das sei auch der Grund, warum deutsche Waren ihren Marktanteil in der Eurozone stetig erhöht hätten.
Dieser Krieg der Wettbewerbsfähigkeit mache jedoch keinen Sinn: Deutschland gewinne in der Summe weniger, als der Rest Europas verliere. Darüber hinaus bestehe die Gefahr, dass auch die anderen Länder ihre Lohnstückkosten nach unten drücken müssten. Das aber würde eine Senkung der Löhne und damit ein geringere Nachfrage bedeuten. So könnte die Konjunktur in ganz Europa abgewürgt werden.
Anmerkung zum Schluss: Entscheidend sind die Bewertungen gegen Ende. Die von Fitoussi kritisierte Politik ist auch nicht im Interesse Deutschlands. Vermutlich erschlägt die Mehrwertsteuererhöhung den ohnehin schwachen Aufschwung in Deutschland. Außerdem, so wäre kritisch gegenüber Fitoussi anzumerken, lebt ein Land nicht davon, dass es seine Waren unter Preis an andere verkauft. Das geschieht jedoch zunehmend, weil die Mehrwertsteuer beim Export erstattet wird. Je höher sie wird, umso mehr kann man von Verschleudern sprechen.
Mehr dazu…: FTD – Deutsche bremsen Frankreichs Wachstum