Hinweise des Tages
Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JK/JB)
Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:
- Orwell 2.0
- Friedrich in Washington
- Freihandelsabkommen
- Finanzkrise – Was Portugal durchmacht, ist für Entwicklungsländer normal
- Ungarn will IWF aus dem Land werfen
- Banken außer Kontrolle – Wie die Politik uns in die Krise führte
- Commerzbank – Schäuble will Krisenbank loswerden
- Aktionsplan der OECD – Konzerne wehren sich gegen neue Steuergesetze
- Ende des Riester-Booms
- Leserbrief zu unserem gestrigen Hinweis #9
- Urteil im Tayvon Martin-Prozess : US-Ministerium prüft Zivilklage gegen Zimmerman
- Unser Wirtschaftswunder – Die wahre Geschichte
- Auf der Suche nach einem anderen Europa
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
- Orwell 2.0
- Merkel gibt die Datenschutzkanzlerin
Seht her, die tut was: Kanzlerin Merkel sprüht im ARD-Sommerinterview vor Tatendrang. Neue Abkommen und eine Initiative der Regierung sollen die Daten der Deutschen schützen. Bei näherem Hinsehen erweist sich das als Liste frommer Wünsche.
Zehn Minuten sind rum, da will Ulrich Deppendorf im Sommerinterview mit Angela Merkel zum nächsten Thema übergehen. “So!”, sagt der Leiter des ARD-Hauptstadtstudios. Das soll eine Überleitung sein, doch Merkel widerspricht: “Vielleicht noch ein Zusatz”, ruft sie. “Vielleicht noch ein Zusatz!”
Es ist ihr wichtig, sie will das jetzt aus der Welt schaffen. Es soll ruhig noch ein bisschen länger um den Datenschutz gehen, um die Internetspionage der Amerikaner und Briten, um die Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden.
Merkel sagt: “Nicht alles, was technisch machbar ist, darf gemacht werden.” Sie selbst sei nicht abgehört worden: “Mir ist nichts bekannt, sonst hätte ich das schon dem Parlamentarischen Kontrollgremium gemeldet.” Internationale Abkommen müssten her, Deutschland werde da eine “strikte Position” einnehmen. In Sachen Vorratsdatenspeicherung werde nur das gemacht, was der Europäische Gerichtshof vorgibt: “Hier deuten sich Änderungen an, da sind wir offen, da kommen wir schon überein.”
Alles gut, ich kümmere mich, ich bin voller Tatendrang, das ist Merkels Botschaft. Und auch: Ihr müsst dafür nicht die anderen wählen.
Quelle: SZAnmerkung JK: Eine klassische Merkel –Nummer, abwiegeln, verschleiern, einseifen. Fakt ist, dass die NSA unter Missachtung jeglicher deutscher und europäischer Bürgerrechtsstandards eine totale Kommunikationsüberwachung betreibt, gegen die, der Stasi-Überwachungsapparat als Folkloreveranstaltung erscheint. Merkel ist das bestenfalls ein Schulterzucken und ein paar nebulöse Ankündigungen zum Datenschutz wert. Leider spielt die Mainstreampresse dieses armselige Schmierentheater wieder einmal mit und sekundiert Merkel in ihrer angeblichen Unwissenheit über die Tragweite der US-Bespitzelung. Augstein triff da den Sachverhalt sicher besser als die SZ:
- Jakob Augstein – Merkel lässt die Deutschen im Stich
“Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.”
Der Amtseid ist kein Spaß. Er steht im Grundgesetz, Artikel 56. Auch Merkel hat ihn geschworen. Peer Steinbrück hat am Wochenende gesagt: “Schaden vom Volke abzuwenden – das stelle ich mir anders vor.” Der Kanzlerkandidat der SPD hat Recht.
Die Reflexe des politischen Diskurses trüben den Blick. Wenn man alles Gerede beiseite lässt – worum geht es? Die USA verletzen massenhaft und systematisch die Grundrechte von Menschen, die keine Möglichkeit haben, über diese Praxis in Wahlen abzustimmen. Denn es sind ja nicht unsere Gesetze, nach denen NSA und CIA arbeiten und wie die Organisationen sonst noch heißen, die im Namen der Sicherheit der freien Welt unterwegs sind.
Es geht nicht darum, wie wir zu Amerika stehen. Oder zum internationalen Terrorismus. Oder zur Rolle der Geheimdienste. Da hat jeder seine Meinung. Es geht darum, dass man unsere Rechte verletzt, ohne dass wir Einspruch erheben können. Wir hören auf, Bürger zu sein, und werden zu Untertanen.
Quelle: SPONpassend dazu: Stimmt’s
Quelle: Klaus Stuttmann - Die Scheinheiligen
“Ihre Privatsphäre ist unsere Priorität”, so lautet der Satz, den Microsoft in den vergangenen Monaten bei jedweder Gelegenheit in die Welt posaunt hat. Im Mai hat das Unternehmen eine groß angelegte Kampagne gestartet mit dem vorgeblichen Ziel, das Bewusstsein für Datenschutz zu stärken. Sechs Wochen lang schaltete das Unternehmen aufwändige Anzeigen in Zeitungen, Fernsehen, Online-Medien und auf den Straßen. Flankiert wurde das Brimborium von einer großen Umfrage, die den Eindruck vermitteln sollte, dass sich die Menschen in der ganzen Welt zwar um den Schutz ihrer Daten sorgen, sie aber gleichzeitig kaum etwas dafür unternehmen. Microsoft, so die einfache Rechnung, sollte die Lösung des Problems sein. Das war der Plan.
Dann kam Edward Snowden. Microsoft sei eines von neun amerikanischen Unternehmen, die eng mit dem Militärnachrichtendienst NSA kooperieren, teilte der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter der Öffentlichkeit mit. In einer Stellungnahme versuchte Microsoft, wie die anderen Unternehmen auch, sich noch rauszureden. Nun aber lässt Snowden im Guardian die nächste Bombe platzen: Microsoft habe den amerikanischen Geheimdiensten sogar Zugang zu verschlüsselten Outlook-Nachrichten gewährt. Außerdem seien der Cloud-Speicherdienst Skydrive und der Video-Telefonie-Dienst Skype ausspioniert worden. Microsofts Ruf, das zeigen die Reaktionen im Netz, droht schwer ramponiert zu werden.
Quelle: SZAnmerkung JB: Da wird kein Ruf ramponiert, der nicht ohnehin schon längst ramponiert war. Wenn ausgerechnet Microsoft mit den Slogans „Privatsphäre“ und „Sicherheit“ wirbt, ist dies ungefähr so glaubhaft, wie die Versuche der deutschen Energiemultis, sich als Umweltretter darzustellen. Microsoft treffen die Enthüllungen an einer äußerst heiklen Stellen. Das große Zukunftsprojekts des Konzerns ist das Projekt „Office 365“ https://de.wikipedia.org/wiki/Office_365 , das so sehr wie kein anderes Softwaremodell auf die Integration so genannter Clouds setzt – also zentralen Datenspeichern im Netz. Während andere Cloudanbieter wie Google Drive, Dropbox oder Apples iCloud vor allem auf den Privatanwender (der meist nicht sonderlich sicherheitssensibel ist) maßgeschneidert sind, fokussiert Microsoft sich mit seinem „Office 365“ jedoch vor allem auf den lukrativen Markt der Unternehmenskunden. Ein Unternehmen, das seine sensiblen Daten in einer Cloud speichert, deren Betreiber der NSA freien Zugang zu den Daten anbietet, ist jedoch mit dem Klammerbeutel gepudert. Für Microsofts Strategie ist die Affäre Snowden somit ein echter GAU.
- Globaler Abhörwahn, Wie digitale Kommunikation belauscht wird
Was der Whistleblower Edward Snowden ans Tageslicht befördert hat, zwingt auch jene zum Umdenken, die bislang nach dem Motto leben: „Wer nichts zu verbergen hat, muss nichts befürchten.“ Der US-Auslandsgeheimdienst durchleuchtet Kommunikation großflächig und anlasslos. Ins Visier der NSA geraten mitunter Unschuldige. Auch deutsche Behörden sind nicht zimperlich. Es ist Zeit, über Maßnahmen gegen die Erosion der eigenen Privatsphäre nachzudenken.
Quelle: Telepolis - Why Privacy Matters Even if You Have ‘Nothing to Hide’
When the government gathers or analyzes personal information, many people say they’re not worried. “I’ve got nothing to hide,” they declare. “Only if you’re doing something wrong should you worry, and then you don’t deserve to keep it private.”
Quelle: ChronicleAnmerkung RS: Ein lesenswerter Artikel zum Argument, “wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten”.
- Merkel gibt die Datenschutzkanzlerin
- Friedrich in Washington
- Sie kapieren nicht, um was es geht
Bemüht, bemüht zu wirken: Die Washington-Reise von Innenminister Friedrich illustriert die gefährliche Haltung der Bundesregierung im NSA-Skandal. Weil sie die Tragweite der Snowden-Enthüllungen nicht begreift, lässt die Kanzlerin ihren Minister politische Aktivität simulieren. Das ist fatal – denn es geht nicht um eine kleine Krise, sondern um den Lehman-Moment der Bürgerrechte.
Halten wir uns nur kurz mit dem Minister auf und formulieren es so: Hans-Peter Friedrich hat die niedrigen Erwartungen in seine Reise erfüllt. Er weiß nach seinem Besuch in Washington nun offenbar, was Prism ist, hat die Aufhebung eines ohnehin obsoleten Spionage-Status aus Zeiten des Kalten Krieges erreicht und sich versichern lassen, dass die NSA keine Industriespionage betreibt. Der BND wird womöglich einige bislang klassifizierte Dokumente einsehen dürfen.
Das ist wenig, und doch dürfte es genau das sein, was seine Kanzlerin von ihm wollte. Denn die Bundesregierung hat sich, mit Ausnahme der Justizministerin, bei ihrer Reaktion auf den NSA-Skandal dafür entschieden, einer fatalen Logik zu folgen: Staatsinteresse über Bürgerinteresse.
Quelle: SZ - Geheimdiensterkenntnisse durch Prism – Anschlagspläne, die keine waren
Die Bundesregierung gerät unter Druck: Durch das Spähprogramm Prism sollen nun doch nicht fünf Anschläge in Deutschland verhindert worden sein, wie Innenminister Friedrich behauptet hatte, sondern lediglich “Überlegungen” durchkreuzt worden sein. […]
Ob es sich bei den von Friedrich genannten fünf Fällen tatsächlich um konkrete Anschlagspläne handelte, blieb unklar: Sein Sprecher wollte sich nicht festlegen, “wie weit fortgeschritten da die Planungen gewesen” seien. Es könne auch “ein sehr frühes Stadium” gewesen sein. “Zu sagen, dass wir hier vor fünf konkreten Terroranschlägen standen, das wäre jetzt sicherlich die falsche Botschaft”, sagte er weiter.
Quelle: Süddeutsche Zeitung
- Sie kapieren nicht, um was es geht
- Freihandelsabkommen
- Gemeinsamer Markt Transatlantien
Freihandelszone Wenn die EU-Unterhändler nicht dagegen halten, dann fallen mit den Zollschranken zwischen Nordamerika und Europa auch viele soziale Standards.
Akronyme wie TTIP oder TATA wird man sich merken müssen. Dahinter verbirgt sich das Trans-Atlantic Trade and Investment Partnership und das Trans-Atlantic Trade Agreement, und beide werden politisch künftig eine große Rolle spielen. Denn seit dieser Woche verhandeln die USA und die EU über eine transatlantische Freihandelszone. Kanzlerin Angela Merkel kann sich bestätigt fühlen. Ein Projekt, das sie seit Jahren propagiert hat, nimmt nun Gestalt an. Abhörskandal hin oder her: Zu viel steht für beide Seiten auf dem Spiel.
Mit TTIP/TATA entsteht die größte Freihandelszone der Welt. Staaten wie Kanada und Mexiko und die momentanen EU-Beitrittskandidaten sind ebenso dabei wie die USA und die 28 EU-Mitgliedsländer. Es geht um den Gemeinsamen Markt Transatlantien und damit um eine kapitalistische Weltmacht, der kein anderer Staatenbund und keine andere Region gewachsen sein wird. Deshalb werden Goldene Berge – fast 200.000 neue Jobs für Deutschland, 500.000 für die USA, dazu ein Wohlstandsschub von bis zu 15 Prozent Wachstum – versprochen. Wirtschaftsverbände und liberale Ökonomen beschwören den Erfolg des Mammutprojekts.
Quelle: Freitag - Freihandelsabkommen – Politiker wissen erschreckend wenig über Zusammenhänge
In den letzten Wochen haben wir im Zusammenhang mit dem Start der Gespräche über die transatlantische Freihandelszone viele Zahlen gehört und Politiker erlebt, die bereits im Vorfeld die Vorzüge des möglichen Abkommens überschwänglich beworben haben. So viel Überschwang muss doch misstrauisch machen?
Alexandra Strickner: Das sollte wirklich jeden misstrauisch machen. Es läuft heute so ähnlich ab wie 2001 zu Beginn der Doha-Verhandlungsrunden. Damals hat man auch das Blaue vom Himmel versprochen. Die realen Erfahrungen mit Freihandelsabkommen aber zeigen, dass das Versprochene dann oft nicht eintrifft.
Die Geschichte wiederholt sich: Die EU setzt sich mit großen Unternehmen zusammen, die präsentieren dürfen, was sie gerne hätten. Diese Gespräche bilden dann die Grundlage für die nicht öffentlichen Verhandlungen zum Freihandelsabkommen.
Quelle: Tiroler Tageszeitung - TAFTA – der Wirtschafts-Zwilling der Nato
Bundeskanzlerin Merkel hat es oft beschworen in den letzten Jahren: Die 80 Millionen Deutschen hätten gegen die 2,3 Milliarden Chinesen und Inder doch keine Chance. Auch die 500 Millionen EU-Europäer müssten sich nach Partnern umsehen. Wer läge da näher als die USA, mit denen man dieselben Werte teile. Zwar würden die USA und die EU nur 14 % der Weltbevölkerung stellen, aber immerhin 40 % des Welthandels und über 50 % der Weltwirtschaftsleistung. In transatlantischer Gemeinsamkeit, so die propagierte Logik, bleibe man der bestimmende Faktor der Weltpolitik und Weltwirtschaft.
Was gerne propagandistisch in den Vordergrund gerückt wird, spielt in Wahrheit nur eine kleine Rolle: die Senkung der Zölle. „Im Schnitt fallen beim transatlantischen Wettbewerb gerade einmal drei Prozent für die Zölle an.“ (Jens Berger: TAFTA – eine weitere Hintertür für neoliberale Reformen.). Auch die Bertelsmann-Stiftung,
die wie gewohnt heftig trommelt für ein neues neoliberales Projekt, räumt ein, dass es nicht um die Zölle geht, sondern um die „non-tariff trade barriers“, um die Handelsbarrieren jenseits der Zölle. Es geht um einheitliche Richtlinien bei Industriestandards, bei Pharmaprodukten und Lebensmitteln und um Privatisierungen. Würden solche Waren-Standards zwischen den USA und der EU verbindlich festgelegt, würde der TAFTA-Wirtschaftsblock dem gesamten Weltmarkt in Zukunft diktieren, wie Waren auf diesem auszusehen haben. Es wäre ein gewaltiger Vorteil für den Export-Vizeweltmeister Deutschland und für alle aus dem TAFTA-2 Raum heraus agierenden Konzerne. Es wäre damit auch eine massive Absicherung von Dollar und Euro auf dem globalen Währungsmarkt.
Quelle: isw [PDF – 94.3 KB]
- Gemeinsamer Markt Transatlantien
- Finanzkrise – Was Portugal durchmacht, ist für Entwicklungsländer normal
Kardinal Peter Turkson ist in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Heute ist er einer der einflussreichsten Männer des Vatikans. Im Interview mit der F.A.Z. ruft er die Krisenstaaten Europas dazu auf, ihre Ansprüche herunterzuschrauben.
Quelle: FAZAnmerkung JK: Ich bin zwar kein Freund der Kirche, aber offenbar hat man im Vatikan eine tiefere Einsicht in die Ursachen und Folgen der Finanzkrise als im Bundeskanzleramt.
- Ungarn will IWF aus dem Land werfen
Ungarn hat den Staatsbankrott abgewendet, seine Kredite fast abbezahlt und die Staatsverschuldung gesenkt. Hilfe? Nicht mehr nötig, findet die ungarische Nationalbank – und schickt einen deutlichen Brief an den Internationalen Währungsfonds.
Quelle 1: Süddeutsche Zeitung
Quelle 2: Der Brief an Madame Lagarde [PDF – 185 KB]Anmerkung unsere Leserin S.H.: Besonders gut finde ich diese Anmerkung: Last but not least, let me use this opportunity to personally congratulate you for your efforts in making the most of the Fund’s mandate stipulated in Article 1 (ii) to promote economic growth (i.e. high levels of employment and real income). Ich verstehe es als einen (weiteren) Seitenhieb gegen das “alternativlose” Spardiktat :-)
Im Übrigen hat Orbán mit seiner “unorthodoxen” Wirtschaftspolitik – sprich: keine Kürzungen nach Art der Troika, dafür u.a. Steuern für Banken, Konzerne, usw., (zugegebenermaßen leider auch für die Bevölkerung im Allgemeinen, aber irgendwoher muss er das von den Vorgängern verprasste Geld reinholen) – auch erreicht, dass Ungarn vor Kurzem aus dem Defizitverfahren der EU entlassen wurde. Schon unter der ersten Orbán-Regierung bis 2002 wurden die Maastricht-Kriterien erfüllt (ist ja Voraussetzung für die Aufnahme). Die nachfolgende, sich linksliberal nennende, aber waschechte neoliberale Regierung hat jedoch ab dem Eintritt 2004 stets ein Defizitverfahren am Hals gehabt, und sie hat bis 2008 Ungarn als erstes EU-Mitglied an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geführt. Die Staatspleite konnte nur mit dem IWF-Kredit abgewendet werden.
Unter uns, ungarischen “Verschwörungstheoretikern” hält sich hartnäckig die Annahme, dass Ungarn die Rolle angedacht war, die jetzt die Griechen zu spielen haben. - Banken außer Kontrolle – Wie die Politik uns in die Krise führte
Die Finanzkrise kam über Deutschland wie ein Tsunami, von weit her und völlig unvorhersehbar. Verantwortlich sind die USA, die Leidtragenden sind wir. Diese These ist ebenso eingängig wie falsch.
Die Autoren Julia Klüssendorf und Stefan Jäger zeigen, wie alle Regierungen in Deutschland seit den Neunzigern die vorhandenen Alarmsignale ignoriert haben. Die Autoren blicken hinter die Kulissen und zeigen, warum unsere Politiker den Bankern freie Hand ließen.
IKB, Sachsen LB, West LB, HRE und Commerzbank – so heißen die deutschen Verursacher der Katastrophe. In London liefen die Landesbanken nur unter “Stupid Germans”, denen man jedes Schrottpapier unterjubeln konnte. Warum konnten die Landesbanken hoch riskante Produkte handeln, ganz nach Manier der aggressiven Investmentbanker in New York und London?
Und warum kommt es – entgegen allen Vorwarnungen – zur Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank? Einige Wochen später war die Commerzbank pleite, der damalige Finanzminister Peer Steinbrück gibt sich völlig überrascht, zähneknirschend springt er mit Milliarden Steuergeldern ein.
“Rückblickend”, so Ex-Finanzminister Hans Eichel heute, “hätten wir mehr regulieren müssen”.
Quelle: Das ErsteAnmerkung JK: Natürlich wird so etwas wieder erst um 23 Uhr gesendet. Sämtliche Politiker in dieser Sendung machen durch die Bank eine jämmerliche Figur. Diese Herrschaften haben und hatten gegen die gerissenen Bankster keine Chance. Und vermutlich auch nicht den Willen wirklich etwas gegen die Finanzindustrie zu unternehmen.
- Commerzbank – Schäuble will Krisenbank loswerden
Steigt die Schweizer UBS als Großaktionär bei der Commerzbank ein? Offenbar sucht Finanzminister Schäuble hinter den Kulissen nach einem Interessenten für die Krisenbank, die während der Finanzkrise teilverstaatlicht wurde. So könnte er das Thema aus dem Wahlkampf heraushalten.
Der Bundesfinanzminister ist nicht glücklich mit der staatlichen Beteiligung an der Commerzbank. Die Krisenbank, die während der Bankenkrise mit Staatsgeldern gerettet wurde, könnte im Wahlkampf noch zum Thema werden, einem Thema, das Wolfgang Schäuble (CDU) nicht gefällt. Deshalb sucht er offenbar dringend nach einem Käufer für das Geldhaus.
Laut einem Focus-Bericht will die Bundesregierung internationale Großbanken für den Einstieg bei der Commerzbank gewinnen. So habe Schäuble etwa bei der Schweizer Großbank UBS ein mögliches Interesse an einer Übernahme staatlicher Anteile an der Commerzbank sondiert.
Quelle: SZAnmerkung JK: „Marktschonend“, ein schöner Terminus. Marktschonend oder marktkonform, das sind inzwischen die einzigen Handlungsmaximen der Bundesregierung.
- Aktionsplan der OECD – Konzerne wehren sich gegen neue Steuergesetze
Amazon macht in Deutschland einen Milliardenumsatz – zahlt aber nur drei Millionen Euro Steuern. Damit sich das ändert, feilen die Industriestaaten an einem Plan gegen die Steuertricks großer Konzerne. Doch die Wirtschaftslobby regt sich.
Quelle: Süddeutsche Zeitung - Ende des Riester-Booms
Marktsättigung oder Skepsis der Versicherten? Erstmals seit Einführung der staatlich geförderten Privat-Rente geht die Anzahl der Verträge zurück. Viele sind schon stillgelegt oder gekündigt. Jetzt fordert die Finanzbranche Reformen, um das Geschäft wieder anzukurbeln.
Niels Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, hat das Ende des Riester-Booms erwartet: Es sei klar, dass nicht alle der mehr als 30 Millionen Arbeitnehmer und Beamte das Recht, staatlich gefördert vorzusorgen, wirklich nutzten. Für viele Verbraucher sei es zum Beispiel lohnender, einen Baukredit möglichst schnell zu tilgen oder in die eigene Ausbildung zu investieren. Auch habe sich herumgesprochen, dass die Riester-Rente “nicht nur Vorteile bringt, sondern einige Verträge auch sehr teuer sind”. Er warnt junge Leute generell davor, eine private Rentenversicherung abzuschließen. “Der Normalfall ist, dass in fünf bis zehn Jahren irgendetwas dazwischenkommt und der Vertrag angepasst oder aufgelöst wird.” Das Leben laufe “einfach nicht so planmäßig ab”.
Quelle: SZAnmerkung JK: Wetten, dass die Forderungen der Finanzindustrie Gehör finden werden egal wer nach der Bundestagswahl die Kanzlermehrheit stellt.
passend dazu: SPD setzt bei Riester auf „Sicherheit statt Risiko“
Die SPD will im Falle eines Wahlsieges die betriebliche und tarifvertraglich abgesicherte Altersversorgung stärken und zugleich für eine größere Verbreitung sorgen. Dies sei die „beste Form der privaten und zugleich kollektiven Altersversorgung“, heißt es in einer Stellungnahme der Oppositionspartei gegenüber dem Deutschen Institut für Altersvorsorge (DIA), die am 15. Juli in Berlin verbreitet wurde.
Beim gesamten Spektrum der Riester-Produkte will die SPD nach ihren Angaben für eine „deutliche Verbesserung der Kostentransparenz und der Effizienz sorgen. Bei Riester-Produkten sollten von den Anbietern auch Verträge ohne Abschlusskosten angeboten werden. Bei der Leistungshöhe setze die SPD auf Sicherheit statt Risiko. Notwendig sei die Verwendung verbindlicher Sterbetafeln.
Bei der geförderten Altersvorsorge besteht nach Ansicht der SPD „zusätzlich ein besonderes Interesse an Vergleichbarkeit und Transparenz“, weil mit dem Einsatz von Steuergeldern für die Zulagen und steuerliche Förderung der Riester-Rentenprodukte „der Steuerzahler immer mit am Tische sitze“. Weit über zwei Milliarden Euro an Steuermitteln seien im Jahr 2010 für Riester-Zulagen und Steuerfreibeträge ausgegeben worden. Es sei Aufgabe der Politik, dafür Sorge zu tragen, dass die von den Steuerzahlern aufgebrachten Mittel effektiv und effizient eingesetzt werden.
Quelle: DIAAnmerkung JK: Na, wer sagt es denn, Wette gewonnen! Das Deutsche Institut für Altersvorsorge ist im Übrigen ein von der Finanzindustrie gesponserter Think-Tank.
- Leserbrief zu unserem gestrigen Hinweis #9
Zur Anmerkung von RS schreibt uns unser Leser M.V.:
„Hallo zusammen,
Müntefering lässt leider nicht grüssen, Münte ist deutlich schlimmer. “Wer nicht arbeiten will soll auch nicht essen” zitiert die Bibel (hier den Apostel Paulus) korrekt. Müntefering hat daraus gemacht “Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen” ein Zitat nach August Bebel: “Der Sozialismus stimmt mit der Bibel darin überein, wenn diese sagt: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.” – Die Frau und der Sozialismus. Erstausgabe 1883. belegt in: Ausgabe 31, Dietz, 1900. S. 339..
Soweit zu SPD und deren Tradition.“Anmerkung JB: Herr V. hat da nicht ganz unrecht, jedoch sollte man das Bebel-Zitat im Kontext betrachten. Dazu ein kleiner Auszug aus meinem Buch „Stresstest Deutschland“, in dem ich in einer Passage auf die Zitatfrage eingehe:
„Ein wenig anders verhält es sich jedoch mit der SPD, die immer noch vorgibt, die Interessen der »kleinen Leute« zu vertreten. Was soll man aber von einer Partei halten, deren Minister für Arbeit und Soziales 2006 in kleiner Runde während einer Hartz-IVDebatte kundtat, dass »wer nicht arbeitet, auch nicht essen solle«? Der Aufschrei hielt sich in Grenzen, und der damalige Arbeitsminister Franz Müntefering verwies wahlweise auf die Bibel oder den SPD-Gründer August Bebel als Quelle seines grenzwertigen Zitats. Beide Quellen sind in diesem Kontext übrigens falsch. In der Bibel steht: »Wenn jemand nicht arbeiten will, soll er auch nicht essen«, und August Bebel bezog sich seinerzeit in seinem Klassiker „Die Frau und der Sozialismus“ nicht auf die Ärmsten der Gesellschaft, sondern auf die Oberschicht, die »Nichtarbeiter und Faulenzer der bürgerlichen Welt«. Ein ranghoher SPD-Funktionär sollte dies eigentlich wissen. Seine Partei störte sich jedoch nicht an den Äußerungen. Keine zwei Jahre später wurde Franz Müntefering 2008 erneut zum SPD-Vorsitzenden gewählt.“
- Urteil im Tayvon Martin-Prozess : US-Ministerium prüft Zivilklage gegen Zimmerman
In New York protestieren Tausende gegen Rassismus, US-Präsident Obama mahnt zur Besonnenheit: Nach dem Freispruch im Prozess um den erschossenen schwarzen Jugendlichen Trayvon Martin prüft das US-Justizministerium, ob der Schütze Zimmerman erneut vor Gericht muss.
Nach dem Freispruch im Prozess um den Tod des schwarzen Jugendlichen Trayvon Martin sind am Sonntag in New York Tausende Menschen aus Protest gegen das Urteil auf die Straße gegangen. Auf den freigesprochenen Schützen George Zimmerman kommt möglicherweise ein neues Verfahren zu.
Das US-Justizministerium prüft, ob sich Zimmerman der Verletzung von Bürgerrechten schuldig gemacht hat und deshalb vor ein Bundesgericht gestellt werden könnte. Das berichtet unter anderem der amerikanische Nachrichtensender CNN. Mehrere Organisationen riefen das Justizministerium auf, Zimmerman jetzt wegen Bürgerrechtsverstößen zu belangen.
Quelle: Süddeutsche ZeitungAnmerkung RS: Ja, dieser Fall lässt am politischen und juristischen System zweifeln, aber nicht wegen des Freispruchs an sich, denn in einem Rechtsstaat gilt es, im Zweifel für den Angeklagten. Dabei ist es nicht so einfach, begründete Zweifel auszuraümen, wenn der Angeklagte der einzige Zeuge ist.
Es ist vielmehr die “Stand Your Ground”-Gesetzgebung, die das Gebot der Verhältnismäßigkeit beim Selbstverteidigung erheblich abschwächt (grob gesagt: man muss nicht versuchen, sich nach Möglichkeit in Sicherheit zu bringen, er darf bleiben und es evtl. auf einen Kampf mit tödlicher Gewalt ankommen lassen), die Unlust der zuständigen Polizei, überhaupt zu ermitteln, und dass schwarze Männer nach wie vor in vielen Teilen des Landes unter Generalverdacht stehen.
Brad DeLong hat Ta Nehisi Coates zu diesem Fall zitiert und Coates dann kommentiert. Ich stimme DeLong zu, dass die Jury Zimmerman wenigstens wegen Totschlags hätte verurteilen müssen. Siehe aber auch hier. - Unser Wirtschaftswunder – Die wahre Geschichte
Im Zuge der Euro-Schuldenkrise geben wir Deutschen gern und ungefragt gute Ratschläge: Wirtschaftskrisen sind im Grunde selbstverschuldet und können durch eiserne Disziplin behoben werden. Wir kennen uns aus: Schließlich haben die Deutschen, zumindest im Westen, nach dem Weltkrieg geradezu aus eigener Kraft ein Wirtschaftswunder geschafft – vor allem durch ihren unermüdlichen Fleiß, unterstützt von Ludwig Erhard, der Währungsreform und dem Marshall-Plan. Stimmt das eigentlich?
Christoph Weber hat sich auf die Suche begeben und nach Antworten gesucht, um dem ebenso beliebten wie hartnäckigen Gründungsmythos auf den Zahn zu fühlen. Mit Hilfe renommierter Wirtschaftshistoriker entdeckt er etwas anderes: Natürlich arbeiteten die Menschen in Deutschland emsig, aber das taten sie in anderen Ländern auch – übrigens auch sehr erfolgreich. Dass daraus für die Bundesrepublik ein “Wunder” wurde, hat mit anderen Faktoren zu tun, die die Deutschen zum größten Teil nicht einmal beeinflussen konnten.
Es geht um amerikanische Weichenstellungen, um den extrem förderlichen Einfluss des Antikommunismus und des Korea-Krieges, um ökonomische und personelle Kontinuitäten in der deutschen Industrie zwischen Krieg und Nachkrieg und vieles mehr. Am Ende der spannenden Reise wird klar, dass kaum einer der beliebten Glaubenssätze der wissenschaftlichen Überprüfung standhält und dass der rasante wirtschaftliche Aufstieg der Bundesrepublik zwar ein großer Glücksfall, aber alles andere als ein Wunder war.
Quelle: Das ErsteAnmerkung JK: Hut ab vor so einer gut recherchierten und kritischen Darstellung des deutschen “Wirtschaftswunders”. Gerade die Tatsache, dass Deutschland ein großer Teil der Kriegsschulden erlassen wurde war ein wichtiger Baustein des Wirtschaftswunders. Das sollte nicht vergessen werden wenn wieder mit dem Finger auf Griechenland, Spanien oder Italien gezeigt wird. Ein weiterer wichtiger Aspekt der ständige Zufluss gut ausgebildeter Fachkräfte aus der DDR. So flohen laut der Sendung ganze Belegschaften aus der DDR in den Westen.
- Auf der Suche nach einem anderen Europa
Der Historiker Karl Heinz Roth und der griechische Soziologe Zissis Papadimitriou haben ein Manifest für ein egalitäres Europa geschrieben. Sie halten die von Deutschland propagierte Lösung der Krise für falsch und plädieren für einen Zusammenschluss all derer, die nach Alternativen suchen.
Wir sind Exportweltmeister oder wenigstens noch Vizeweltmeister. Das, was als Zeichen deutscher Wirtschaftskraft gilt, ist für Karl Heinz Roth und Zissis Papadimitriou das zentrale Problem für Europa: Wegen der langjährigen Lohnzurückhaltung und guter Produktivität seien viele deutsche Produkte günstiger als die Konkurrenz. Deswegen exportiere Deutschland mehr als es importiere. Das führe zum gegenteiligen Effekt in anderen europäischen Ländern:
“Griechenland, Irland, Portugal und so weiter mussten ständig ihre Leistungsbilanzdefizite, das heißt ihre Exportrückgänge gegenüber der Kernzone und ihre relativen Importanstiege ausgleichen. Das kann man auf unterschiedliche Art und Weise machen. Sie haben das bis zur Einführung des Euro durch Währungsabwertung gemacht. Dann kam das Maastrichtabkommen 1993, dann kam die Einführung des Euro 1998 als Buchgeld, dann als allgemeine Währung 2001/2002. Und dieses Ventil war verschlossen. Das heißt, die Leistungsbilanzdefizite wurden zu extremen Zahlungsbilanzdefiziten und die Regierungen der Peripherieländer mussten dazu übergehen, das durch zunehmendes deficit spending, also durch eine Steigerung der Staatsausgaben auszugleichen.”
Karl Heinz Roth/Zissis Papadimitriou
Die Katastrophe verhindern. Manifest für ein egalitäres Europa
Edition Nautilus
Quelle: dradio