Althaus und taz in Symbiose für ein bedingungsloses Grundeinkommen.
In der taz erscheinen auffällig viele freundliche Artikel und Interviews zum Grundeinkommen. Jetzt wieder einmal ein Interview mit dem thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus. Dessen Vorschlag für ein bedingungsloses Grundeinkommen, das er werbewirksam „solidarisches Bürgergeld“ nennt, betrachte ich als Spielmaterial und als Mittel zur Profilierung auf einem Feld, das einen linken, fortschrittlichen Eindruck macht, aber den Ministerpräsidenten nichts kostet. Er wird seine schönen, aus meiner Sicht obskuren, Vorschläge nie realisieren müssen, aber er bleibt im Gespräch. Und die taz-Redakteure stellen unkritische harmlose Fragen. Zunächst zum vollen Text des Interviews.
Anmerkungen zu den Vorstellungen von Althaus:
Vorbemerkung: Zum Teil kann ich nur wiederholen, was schon Gegenstand anderer Einträge in den NachDenkSeiten war.
- Althaus sagt nichts auch nur annähernd Ausreichendes dazu, wie er sein Bürgergeld von 800 € finanzieren will. 800 € mal 65 Millionen Erwachsene in Deutschland macht 52 Milliarden € im Monat, mal 12 sind 624 Milliarden € im Jahr. Das ist ungefähr das Doppelte des bisherigen Bundeshaushalts. Woher soll dieses Geld kommen? Über diese Frage kann man doch nicht einfach hinweggehen. (Im weiteren Verlauf seines Interviews wird dann von Althaus für einen Verdienst von über 1600 € nur noch ein Grundeinkommen von 400 € vorgesehen. Das mindert dann etwas den Gesamtaufwand. Aber wie und in welchen Größenordnungen, das hätte man doch gerne gewusst, zumal dann, wenn sich ein leibhaftiger Ministerpräsident äußert.)
- Diese Frage zu beantworten ist auch deshalb wichtig, weil jede Finanzierung, ganz gleich welcher Art, Rückwirkungen auf das Verhalten der Akteure haben wird. Die von Althaus genannten 50 Prozent Steuer auf den zusätzlichen Verdienst bis 1600 € und 25% ab 1600 € werden vermutlich nicht ausreichen zur Finanzierung der notwendigen 520 Milliarden. Althaus macht sich auch nicht die Andeutung einer Mühe, darüber Berechnungen oder zumindest Vermutungen anzustellen. Vermutlich wird er zusätzlich eine Mehrwertsteuer wollen (sein Kollege in der Agitation für das Grundeinkommen, der Drogeriemarktchef Götz Werner will alles über eine 40 bis 50 prozentige Mehrwertsteuer finanzieren.) Wenn die Mehrwertsteuer hoch ist, dann mindert diese zum ersten den realen Wert des Grundeinkommens, zum zweiten stellt diese einen weiteren Anreiz zur Schwarzarbeit dar, und zum dritten fördert eine hohe Mehrwertsteuer tendenziell den Export und behindert den Binnenkonsum – das Gegenteil dessen was wir zur Zeit und absehbar brauchen.
- Althaus äußert sich nicht zu der wichtigen Frage, wie entschieden wird und wer darüber entscheidet, wer in der schönen neuen Welt der arbeitslosen Grundeinkommen noch arbeiten muss und wer das Vergnügen hat, sich nur der Muse hinzugeben. Diese Frage zu beantworten ist ja nicht unbedeutend, vor allem, wenn man daran denkt, wie viele Menschen heute in den Betrieben großem Stress und steigender Willkür ausgesetzt sind, und wie viele mit einem Job nicht auskommen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Der Sturm auf die arbeitslosen Grundeinkommen wäre vermutlich ziemlich groß, jedenfalls kann man an die Realisierung eines solchen Systems nicht gehen, ohne sich darüber Gedanken gemacht zu haben, wie entschieden wird, wer das Joch der Arbeit zu tragen hat. Althaus glaubt an positive Arbeits-Anreize durch die Zahlung von 800 € Grundeinkommen. Dieser Glaube ist schön. Aber er wird nicht ausreichen, um die hier aufgeworfene Frage zu klären.
- Althaus macht sich überhaupt keine Gedanken, wie bei einem Grundeinkommen von 800 € verhindert werden soll, dass sich große Gruppen von Menschen damit zufrieden geben und dieses bedingungslose Einkommen ansonsten mit Gelegenheitsarbeiten und Schwarzarbeit aufbessern. Althaus und alle, die wie er solche Konzepte vertreten, unterschätzen den Zündstoff, den sie damit in unsere Gesellschaft tragen. Je mehr der Anteil jener wächst, die mit einem solchen Grundeinkommen zufrieden sind und den Rest dazu verdienen, regulär oder schwarz, um so mehr wird es zu einem Konflikt zwischen dieser Gruppe und der Gruppe der hart Arbeitenden kommen.
Übrigens hat er offenbar auch nichts zu der Frage überlegt, wie der Sprung von einer 50 prozentigen Besteuerung zu einer 25 prozentigen Besteuerung geschafft werden soll. Da sein Vorschlag nicht ernst gemeint, sondern zu aller erst eine Publicrelations Maßnahme ist, braucht er sich über solche praktischen Fragen, auch wenn sie sehr gravierend sind, nicht den Kopf zu zerbrechen. - Althaus und die ähnlich denkenden Vertreter des bedingungslosen Grundeinkommens haben ihren Frieden mit der Arbeitslosigkeit gemacht. Ihre Modelle sind Vorstellungen zur Verwaltung der Arbeitslosigkeit. Den Kampf dagegen und für Vollbeschäftigung haben sie aufgegeben. Althaus nennt das Ziel Vollbeschäftigung „keine realistische Perspektive“. Damit haben er und seine Freunde auch akzeptiert, dass es die den Lohn drückende Reservearmee der Arbeitslosen auf Dauer geben soll. Insofern sind Bürgergeld- und Grundeinkommens-Modelle zugleich Modelle zur Verstärkung des Drucks auf die Löhne. Das erklärt vielleicht, dass Unternehmer wie Götz Werner oder neoliberale Wissenschaftler wie Straubhaar auch diese Ideen vertreten. Straubhaar meinte in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau, die Löhne würden ins Rutschen kommen.
- Von einem Nutzer der NachDenkSeiten bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, dass man das Grundeinkommen auch als eine Art Kombilohn Modell werten kann. Dieser Hinweis ist richtig.
- Althaus macht sich keine Gedanken darüber, wie ein solches Modell erstens die bisherigen anderen Regelungen wie etwa die geltenden Altersvorsorgesysteme ersetzen soll, und zweitens wie der Übergang insgesamt geschafft werden soll. Will er die Anwartschaften zur Rentenversicherung entwerten? Das geht schon verfassungsrechtlich nicht, weil dies einer Enteignung gleichkommt? Oder soll alles parallel nebeneinander funktionieren? Man kann Modelle entwerfen und vorschlagen, ohne sich Gedanken über die Realisierung zu machen, wenn man in einer Studierstube sitzt. Wenn man verantwortlicher Ministerpräsident eines Landes ist, dann sollte man zumindest das Minimum an Erwägungen zur praktischen Umsetzung eines solchen Vorschlags anstellen. In den Äußerungen von Althaus findet sich nichts zu der schwierigen Frage der Systemumstellung.
- Er redet auch ansonsten ausgesprochen unverantwortlich daher. Es klingt in den Ohren der Betroffenen sicher sehr schön, wenn Althaus sagt, Hartz IV ist ohne Zukunft. Wenn das aber ein Ministerpräsident sagt, der vermutlich ja dieser seltsamen Reform Hartz IV zugestimmt hat, dann wird das mehr als komisch. Eine solche Regelung, die immerhin das Vertrauen in die Arbeitslosenversicherung total zerstört hat, kann man doch nicht im Trial-und-Error-Verfahren einführen und wieder wegwerfen.
- Althaus hängt voll in den gängigen Vorstellungen: Abgesichert durch das Grundeinkommen, würde es sich für die Menschen rechnen, auch geringer bezahlte Tätigkeiten verstärkt anzunehmen. Durch die Trennung von Sozialstaat und Arbeitsmarkt bekämen wir wieder einen dynamischen Arbeitsmarkt, behauptet er. Das ist die gängige Denke. Sie ist auch bei manchen Intellektuellen weit verbreitet. Daher vermutlich auch die Affinität der taz-Redakteure zu Althaus. Bei diesen Theorien wird schlicht unterschlagen, dass das Grundeinkommen irgendwie finanziert werden muss, dass irgend jemand dafür zahlen muss und dass selbst bei Finanzierung über Steuern diese Belastung eintritt und die Kosten der Arbeit erhöht. Diesen Denkfehler könnten diese Agitatoren vermeiden, wenn sie endlich einmal lernen würden, in real terms zu denken, also zu erfassen, dass irgend jemand für die Finanzierung des Grundeinkommen arbeiten muss und dass dessen Tätigkeit durch diese Belastung tendenziell weniger wettbewerbsfähig wird. Bei anderer Gelegenheit habe ich festgestellt: die Vertreter des Grundeinkommens scheinen allesamt einen Goldesel zuhause stehen zu haben. Diese Feststellung gilt auch für Althaus.
Ich möchte diesen Gedanken noch einmal anders formulieren, weil er so aktuell ist: Wer einen Niedriglohnsektor subventioniert, muss die Kosten dafür irgendwo anders anlasten, andere Personen im Gesamtarbeitsmarkt müssen die Kosten tragen. Die Euro fallen nicht vom Himmel. Ganz gleich wie man es finanziert, ob über Mehrwertsteuer oder Lohnsteuer oder Unternehmenssteuern, es sind belastende Kosten. - Wie sich die Umstellung auf ein Grundeinkommen sich in ein zusammen wachsendes Europa einfügen soll, erklärt der thüringische Ministerpräsident auch nicht und die taz Redakteure/innen fragen auch nicht nach. Es muss geklärt werden, ob das bedingungslose Grundeinkommen nur für Deutsche gelten soll, oder für alle, die hier leben. Wenn Letzteres der Fall ist, dann muss man wissen, welche Wanderungsanreize dies auslöst. Nichts davon im Interview. Kein Gedanke an eine Regelung dieses Problems.
- Beachtlich bei Althaus ist das offene Bekenntnis, dass er das Sozialsystem der alten Bundesrepublik abwickeln will. Abenteuerlich ist diese Vorstellung angesichts der Tatsache, wie wenig durchdacht die Vorstellungen des thüringischen Ministerpräsidenten sind.
- Ich bin schon deshalb dessen sicher, dass das Plädoyer des thüringischen Ministerpräsidenten für das solidarische Bürgergeld zu aller erst eine Publicrelations-Maßnahmen ist und seiner Profilierung dienen soll. Vermutlich hat sich das Projekt eine PR-Agentur ausgedacht. Es funktioniert ja auch fantastisch. Die taz fragt ihn nach der Bedeutung des Kreuzes in seinem Arbeitszimmer und ob der Vorschlag für das Grundeinkommen auf religiöser Überzeugung beruht. Er kann daraufhin auf die katholische Soziallehre verweisen. Obendrein beeindruckt sein Vorschlag selbstverständlich jene armen Menschen, die seit Jahren arbeitslos sind und für die ein solches Grundeinkommen die Befreiung aus der Drangsalierung durch Hartz IV, die Bundesagentur und andere Stellen wäre. Das heißt: dieser Ministerpräsident gewinnt auch noch an Ansehen bei jenen Personen und Gruppen, die die Opfer der Politik seiner politischen Gruppe sind. Und er beeindruckt eine ganze große Zahl von so genannten linken Intellektuellen. Fantastisch. Das ist eine ausgesprochen clevere Zielgruppenarbeit. Gratulation, Herr Dieter Althaus. Von ihnen kann man etwas lernen.