Das Verteidigungsministerium ein „Staat im Staate“
Seien es nun 260 Millionen, wie der Verteidigungsminister einräumt, oder sei es eine halbe Milliarde, wie andere sagen, die da in den Sand gesetzt wurden, die gestrigen Aussagen de Maizières weisen darauf hin, dass das Verteidigungsministerium offenbar wie ein Staat im Staat agiert. Da wird, um den Minister zu „schützen“, einer „in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten gelebten Tradition des Verteidigungsministeriums zu Rüstungsangelegenheiten“ folgend, Unangenehmes vom politisch verantwortlichen Minister ferngehalten. Und umso weniger erfuhr vom Unangenehmen das Parlament. Da bewilligt also der Haushaltsgesetzgeber Milliarden von Steuergeldern und weder der Minister noch die Abgeordneten wissen vorher oder erfahren wenigsten im Verlauf, was damit geschieht. Diese „Tradition“ des Verteidigungsministeriums erinnert doch stark an eine üble Tradition der Kommissköpfe in der Weimarer Zeit, die nie viel von der Politik und schon gar nichts von der Demokratie hielten und sich als eigenständiger Machtfaktor im Staat im Sinne ihrer militärischen Logik verstanden haben. Von Wolfgang Lieb.
Dass ein politisch und parlamentarisch verantwortlicher Minister erst eineinhalb Jahre über schwerwiegende Probleme erfährt, über die seine Staatssekretäre bereits im Februar 2012 Bescheid wussten, ist nicht nur ein persönliches „Ärgernis“, wie das de Maizière herunterspielt, sondern vor allem auch ein Affront des Verteidigungsministeriums gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit. Ja, es ist darüber hinaus auch ein Armutszeugnis für das Parlament: Da werden jährlich fünf Milliarden für Beschaffungsvorhaben ausgegeben und dann ist es, wie der Verteidigungsminister zu seiner Verteidigung sagt, „in der Praxis wenig der Fall“, dass der Ausschuss über Probleme unterrichtet wird oder dass der Ausschuss nach Problemen fragt.
Von wegen „Bürgerarmee“, wie sich die Bundeswehr in Festreden so gerne rühmt. Hier wird offenbar „traditionsgemäß“ der Bürger übergangen. Da scheint plötzlich eine schlimme deutsche militaristische Tradition wieder durch. Wenn schon das Beschaffungswesen, das nun Steuergelder verschlingt und schon deshalb vom Parlament abgesegnet werden muss, nicht demokratisch kontrolliert ist, welche Einsatzpläne der Bundeswehr nach Innen und Außen, können da, ohne dass der Minister oder das Parlament etwas davon erfahren, in diesem Haus sonst noch ausgeheckt werden? Gibt es da z.B. schon ausgearbeitete Pläne über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren oder sonstwo in der Welt? Was weiß die Politik darüber?
Hat sich nicht schon der frühere Verteidigungsminister Franz Josef Jung darauf berufen, dass er über den Angriff in Kundus nicht richtig informiert worden ist.
De Maizière wäscht seine Hände in Unschuld und tut so, als habe er nur eine schlechte Tradition geerbt und er versucht sich aus der Verantwortung zu stehlen, indem er verspricht, in Zukunft diese „Informationsmängel in seinem Haus“ zu beenden. Mit solchen Verharmlosungen kann er aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Minister offenbar bisher um milliardenschwere Entscheidungen in seinem Ministerium nicht gekümmert hat. Selbst wenn die Umgehung des Ministers bisher „Tradition“ im Verteidigungsministerium war, hat de Maizière damit seinen Ruf als exzellenter Verwaltungsfachmann verloren. Es ist ja keineswegs so, dass die Forderung, mehr Licht in das Dunkel des Beschaffungswesens zu bringen, so neu ist.
Das Abschieben der persönlichen Verantwortung ist umso unglaubwürdiger oder umso schlimmer, als de Maizière ja noch vor kurzer Zeit den Einsatz der Mordwaffe Drohne ganz offensiv vertreten hat und darüber eine öffentliche Debatte anstoßen wollte. Wenn man als Minister schon eine straf- und völkerrechtlich höchst problematische Waffe zum Einsatz bringen und dies politisch durchsetzen will, dann muss man doch umso mehr erwarten und verlangen, dass er sich vorher wenigstens mit deren luftfahrtsicherungstechnischen Problemen beschäftigt.
Der Drohnenskandal ist kein administratives Versagen und kein Fall von „Kommunikationsmängeln“, sondern er öffnet einen Abgrund von Demokratieverrat.
Die Bundeswehr wurde als Wehrpflichtarmee eingeführt, damit sie – anders als die Reichswehr – eine „Bürger“- und Parlamentsarmee sein sollte. Mit dem Wechsel zur Berufsarmee wurde einer Entwicklung zu einer Armee als kaum kontrollierbarem “Staat im Staate” Vorschub geleistet. Und die Geheimhaltung der Pleite um die Drohne vor der Politik und der Öffentlichkeit zeigt, dass der Fisch vom Kopf her stinkt.
Der frühere Verteidigungsminister Rudolf Scharping wurde wegen ein paar harmlosen Fotos mit seiner Freundin im Swimming-Pool neun Monate vor einer Wahl entlassen. Merkel lässt der Drohnenskandal ihrer Regierung wie üblich unberührt. Statt Stellung zu beziehen und ein Zeichen zu setzen, nutzt sie lieber das Hochwasser zu Wahlkampfzwecken.