Rechts-linke Tristesse in Wirtschaftstheorie und -politik
Heiner Flassbeck war in Paris und berichtet:
„Ich habe vergangene Woche zwei grundverschiedene Veranstaltungen in Paris besucht, um über den Euro zu reden. Die eine war auf der rechten Seite des politischen Spektrums angesiedelt, die andere auf der linken. Das Ergebnis bei beiden ist gleich, es ist Tristesse.“
Hier sein Bericht.
Die dort beschriebene Erfahrung habe ich auch schon mehrmals gemacht. Als Ausgangs der Siebzigerjahre von der damals überraschend neoliberal geprägten CDU/CSU-Führung penetrant – und wirksam – gegen die Konjunkturprogramme der sozialliberalen Koalition polemisiert wurde, tönte es bald auch aus den Reihen vermeintlich Linker, Keynes sei out und das System des Kapitalismus sei gescheitert. Aktive Konjunkturpolitik wurde alsbald begraben. Albrecht Müller.
Im März 2003, also gerade im Umfeld der Verkündung der Agenda 2010, hatte ich eine Begegnung ähnlicher Art. Wegen meines FR-Artikels zum „Kollektiven Wahn“ war ich vom Vorsitzenden einer großen Gewerkschaft zusammen mit wenigen herausgehobenen Betriebsratsvorsitzenden und seinen persönlichen Mitarbeitern zu einem Gespräch im kleinen Kreis eingeladen worden. Dabei wurde ich gefragt, was die Gewerkschaften von der Bundesregierung fordern sollten. Da es schon damals deutlich erkennbar eine Schwäche der Binnennachfrage und erkennbar eine Unterbeschäftigung gab, empfahl ich, eine aktive beschäftigungsfördernde Makropolitik zu verlangen. Bei entscheidenden Mitarbeitern des Vorsitzenden löste dieser Vorschlag ungläubiges Schenkelklopfen aus: So veraltet, so unmodern! Keynes, na so etwas?
Dieser Vorgang ist für mich der handfeste Beleg dafür, dass die Gewerkschaften nicht verstanden hatten, wie ihnen mit der Kombination von Absage an aktive Beschäftigungspolitik und Agenda 2010 inklusive des damit verbundenen Ausbaus des Niedriglohnsektors, die Verhandlungsmacht gebrochen wurde. Übrigens clever vorbereitet von der politischen Führung und von einigen Medien. Zum Beispiel: am 18. November 2002 erschien ein Spiegel-Artikel mit der Botschaft, wir lebten in einem Gewerkschaftsstaat und Kanzler Schröder sei in den Händen der Gewerkschaften. Ähnlichen Inhalts waren einige Essays von so genannten Intellektuellen im Spiegel und anderen Medien. Anderthalb Monate später, Ende Dezember 2002 ließ man das so genannte Kanzlerpapier lecken. Darin enthalten war als zentrale Botschaft, die hohen Lohnnebenkosten, also die hohe soziale Sicherheit, sei Schuld an der Arbeitslosigkeit. Die Agenda 2010 war die Antwort.
Heiner Flassbeck schildert in seinem Bericht aus Paris, dass vor allem französische Linke über die sozialen Folgen der von Deutschland betriebenen Agenda- und Reformpolitik klagen. Diese Klage ist berechtigt. Aber warum klagen diese Vertreter der Linken nicht mindestens genauso sehr darüber, dass diese Politik sachlich falsch ist. Aus lauter Freude darüber, dass mit dieser Agendapolitik offensichtlich wird, dass das kapitalistische „System“ gescheitert sei, vergessen sie zu zeigen, dass der herrschenden Linie der Politik die Kompetenz fehlt.
Das Fazit:
Die fortschrittlichen Kräfte sollten endlich nicht nur die himmelschreienden Ungerechtigkeiten der herrschenden Politik beklagen. Der Angriff auf die neoliberale Ideologie muss zusätzlich und vor allem auf der sachlichen Seite geführt werden: Schäuble, Merkel, Asmussen, Tietmeyer, zwei Drittel der Brüsseler Kommission und die Troika – das ist ein Haufen von Inkompetenz.
Wenn das gelernt ist, dann kann man zusätzlich auch noch sagen: wir werden von einer Versammlung unsozialer Zyniker regiert, für die soziale Gerechtigkeit ein Fremdwort ist.