Auch die Besten gleiten ab

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Bettina Gaus halte ich für eine sehr ehrenwerte und ausgezeichnete Journalisten. Deshalb habe ich zunächst ihrem Kommentar in der heutigen taz über die außenpolitische Rede von Oskar Lafontaine eine gewisse Glaubwürdigkeit gegeben. Dann habe ich mich aber entschlossen, die Rede von Lafontaine zu lesen. Danach kann ich die meisten Urteile von Bettina Gaus nicht mehr nachvollziehen. Im Folgenden finden Sie den Kommentar von Bettina Gaus mit kleinen Bemerkungen von mir und dann die Rede von Lafontaine mit dann gefetteten Passagen, wenn sie mit dem Kommentar von Gaus etwas zu tun haben. Armes Deutschland, wenn sich auch noch die wenigen kritischen Journalisten an den Kommentaren der Regierenden orientieren.

1. KOMMENTAR VON BETTINA GAUS vom 7.9.2006
Quelle: taz
(Anmerkungen von mir in Klammern:)

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck hat seinem ehemaligen Parteifreund Oskar Lafontaine vorgeworfen, im Bundestag eine beschämende Rede gehalten zu haben. Recht hat er. (AM: Diese Bewertung kann ich nach Lektüre der Rede nicht mehr nachvollziehen) Es gibt eine Reihe guter Gründe, den geplanten Marineeinsatz der Bundeswehr im Nahen Osten abzulehnen. Die Angst vor terroristischen Angriffen im eigenen Land gehört nicht dazu. Wer – wie Lafontaine, Fraktionschef der Linkspartei – diesen Grund für das maßgebliche Kriterium einer politischen Entscheidung hält, unterwirft sich den Ansprüchen von Gewaltverbrechern. Die man übrigens, wenn man denn konsequent jeden Racheakt vermeiden möchte, besser gar nicht als Verbrecher bezeichnen sollte. Das ist abstoßend opportunistisch. (AM: Warum sollte die Angst vor terroristischen Angriffen im eigenen Land kein außenpolitisch relevantes Kriterium sein? Damit unterwirft man sich nicht den Ansprüchen von Gewaltverbrechern. Man macht aber vielleicht eine andere Außenpolitik. Diese andere Linie hat Lafontaine an überparteilichen Beispielen der Vergangenheit skizziert. So wie Gaus haben übrigens die Christdemokraten und Konservativen bei uns im Dezember 1979 und im Frühjahr 1980 argumentiert, als die Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert war. Strauß und sogar auch Genscher sahen das Ende der Entspannungspolitik gekommen. Die Regierung Schmidt hat dennoch den Dialog fortgesetzt. Sie hat sich – in heutiger Sprache – mit Gewaltverbrechern eingelassen.) Oskar Lafontaine hat versucht, diese Haltung zu bemänteln, und dafür einige Nebelwerfer eingesetzt. Er erinnerte an zurückliegende Verletzungen des Völkerrechts, beispielsweise beim Kosovokrieg. Die haben aber mit dem möglichen Einsatz der Bundeswehr im Libanon gar nichts zu tun. Was immer dafür oder dagegen spricht: Ein Bruch des Völkerrechts wäre er nicht. Wenn Lafontaine das Kosovo jetzt als Argumentationshilfe für seine Position im Libanonkonflikt benutzt, dann setzt er sich dem Verdacht aus, zynisch nicht an den Verstand, sondern an die Emotionen von Kritikern militärischer Einsätze appellieren zu wollen. (AM: Eine völlig überzogene Kommentierung. Lesen Sie die entsprechende Passage in der Lafontaine Rede. Die ist in diesen Teilen wenig emotional. Und von Nebelwerfern habe ich wenig bemerkt. Auch der Hinweis auf die Völkerrechtswidrigkeit bisheriger militärischer Einsätze kommt nicht als Nebel daher. – Damit, dass der Einsatz im Libanonkonflikt nicht völkerrechtswidrig wäre, hat Frau Gaus wohl recht. Aber dass wir auf diese Weise in einen Konflikt eintreten, in dessen Vollzug Völkerrecht immer wieder gebrochen wird, ist wohl nicht zu bezweifeln. Also, hier kann man streiten, aber kein so hartes Urteil fällen wie Frau Gaus.) Dafür sind Kriege und die Missachtung von internationalem Recht jedoch allzu ernste Angelegenheiten. Lafontaine beschädigt damit die Glaubwürdigkeit der Linkspartei.
Das gilt umso mehr, als er es somit dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle überlassen hat, im Bundestag ernsthafte Argumente gegen deutsche Operationen in libanesischen Gewässern vorzubringen. Man kann es zu Recht seltsam finden, wenn ausgerechnet die Liberalen plötzlich Skepsis gegenüber Militäreinsätzen entwickeln. Das macht die Warnungen vor einem unklaren Mandat und die Sorge, dass die Bundeswehr zur Kriegspartei mutieren könnte, nicht unbegründet. Die Frage, wie Israel ohne internationale Militärs zu einem Ende der Seeblockade veranlasst werden könnte, ließ aber auch Westerwelle unbeantwortet.

2. Rede

06.09.2006 – Oskar Lafontaine

Außenpolitischer Irrweg der Großen Koalition erhöht die Unsicherheit in Deutschland

In der Haushaltsdebatte um den Etat des Bundeskanzleramtes – traditionell Elefantenrunde genannt – antwortet Oskar Lafontaine, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE., auf die Ausführungen von Kanzlerin Merkel.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Zwei Fragen beschäftigen derzeit die deutsche Öffentlichkeit: zum einen die Frage, ob die Außenpolitik der Bundesregierung geeignet ist, die Sicherheit in Deutschland zu erhöhen, und zum anderen die Frage, ob die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung geeignet ist, Wachstum und Beschäftigung zu unterstützen und zu fördern. Zu beiden Fragen möchte ich für die Fraktion Die Linke Stellung nehmen.
Die Bundeskanzlerin hat versucht, die Außenpolitik ihrer Regierung zu rechtfertigen, und ist, was nicht überrascht, zu dem Ergebnis gekommen, dass die Außenpolitik sehr wohl geeignet ist, die Sicherheit in diesem Lande zu verbessern. Das Urteil der Öffentlichkeit fällt aber ganz anders und sehr differenziert aus. Auch aus den eigenen Reihen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungsbank, werden in der Öffentlichkeit Aussagen getroffen, die Sie, Frau Bundeskanzlerin, zumindest hätten ansprechen müssen, wenn Ihr harsches Urteil über die Opposition irgendeine Grundlage hätte haben sollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will mit einer Aussage beginnen. Wenn der Innenminister Bayerns feststellt, dass unsere Beteiligung am Libanonkrieg die Terroranschlagsgefahr in Deutschland erhöht, dann ist es nicht zulässig, dass Sie einen solch gravierenden Vorwurf einfach übergehen und so tun, als sei alles in bester Ordnung und als müsse überhaupt nicht über die Außenpolitik diskutiert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Hätte er nämlich mit dieser Feststellung Recht, wäre dies ein vernichtendes Urteil über Ihre Außenpolitik.
Sie werden nicht überrascht sein, dass in den letzten Jahren auch aus den Sicherheitsdiensten immer wieder angemahnt worden ist, dass unser militärisches Engagement am Hindukusch und sonst wo nicht dazu geeignet ist, die Terroranschlagsgefahr in Deutschland zu mindern, sondern dass es vielmehr so ist, dass durch dieses militärische Engagement die Gefahr, dass terroristische Anschläge auch hier in Deutschland unternommen werden, immer weiter steigt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir kommen also zu einem ganz anderen Ergebnis. Wir glauben, dass die Außenpolitik Deutschlands sich schon seit vielen Jahren auf einen Irrweg begeben hat.
Schwerpunktmäßig auf militärische Einsätze zu setzen und die klassischen Traditionen der deutschen Außenpolitik, mit denen sie jahrzehntelang Erfolg hatte, zu vernachlässigen, ist ein Irrweg, der nicht zu mehr Sicherheit in Deutschland führt, sondern die Unsicherheit der Bevölkerung eher erhöht. Damit handeln Sie eklatant gegen Ihren Auftrag.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich hatte schon mehrfach die Frage aufgeworfen, ob es nicht notwendig sei, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie, wenn Sie den Terrorismus bekämpfen wollen, einmal sagen, was Sie unter Terrorismus verstehen. Sie sind dazu nicht in der Lage; ich wiederhole diese Feststellung hier im Deutschen Bundestag. Eine Kanzlerin, die nicht in der Lage ist, zu definieren, was sie unter Terrorismus versteht, ist ihren Aufgaben nicht gewachsen, weil sie nicht fähig ist, eine Politik zu formulieren, mit der der Terrorismus bekämpft werden kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass dies schwierig ist, hat zuletzt die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes dargelegt, als sie auf das Gesetz zur Antiterrordatei zu sprechen gekommen ist. Ich zitiere:
Der Gesetzentwurf offenbart, wie schwer es ist, jene Personen hinreichend klar zu bestimmen, die sich in einem terroristischen Kontext bewegen: wenn zum Beispiel darin von Personen die Rede ist, „die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder solche Gewaltanwendung unterstützen, befürworten oder durch ihre Tätigkeiten vorsätzlich hervorrufen“. So lautet also im Gesetzentwurf die Definition des Terrorismus.
Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes sagt hierzu weiter: Gewiss, es geht hier nicht um Sprachästhetik. Aber was kann man nicht alles unter „international ausgerichteten politischen oder religiösen Belangen“ begreifen? Lässt sich darunter nicht auch ein Krieg subsumieren, der die Absetzung eines Diktators zum Ziel hat?

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich wiederhole: Es ist wirklich nicht möglich, eine in sich konsistente Außenpolitik zu formulieren, wenn man nicht in der Lage ist – Frau Bundeskanzlerin, Sie sind es nicht -, zu definieren, was Terrorismus eigentlich ist. Ich wiederhole: Terrorismus ist für viele, die sich auf internationaler Ebene an der Diskussion beteiligen, das Töten von Menschen zum Erreichen politischer Ziele. Etwa so lautet auch die Definition in dem angesprochenen Gesetzentwurf.
Vor diesem Hintergrund sind nicht nur das Attentat auf das World Trade Center und Selbstmordattentate, an die Sie erinnert haben, Terrorismus, sondern auch die Kriegsführung im Nahen Osten, die Tausende unschuldiger Menschen ums Leben bringt.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Linke erkläre ich hier: Man kann Terrorismus nicht durch Terrorismus bekämpfen. Das tun zu wollen, ist ein gravierender Irrtum der amerikanischen Politik

(Beifall bei der LINKEN)

und es ist an der Zeit, dass Sie sich bereit finden, zu erklären, wie Sie Terrorismus definieren und wie Sie diesen Terrorismus bekämpfen wollen.
Der Terrorismus kann nicht bekämpft werden, wenn man das Völkerrecht ignoriert.
Sie tun das in ununterbrochener Folge. Dass Sie das tun, ist keine Erfindung der Linken. Es wäre gut gewesen, wenn Sie sich hier einmal zum Völkerrecht geäußert hätten. Eine deutsche Außenpolitik, die das Völkerrecht ignoriert, kann nicht erfolgreich sein. Dies galt nicht nur für den Jugoslawienkrieg, wo das unstreitig ist; das gilt nicht nur für den Afghanistankrieg, wo das mehr und mehr unstreitig ist; das gilt vielmehr auch für den Irakkrieg, der mit Lügen und dem Bruch des Völkerrechts begonnen wurde und der so immer weiter geführt wird. Ich erinnere daran, dass das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, dass wir durch die Bereitstellung von Flughäfen, das Einräumen von Überflugrechten, durch Waffenlieferungen usw. mittelbar am Bruch des Völkerrechts beteiligt sind. Das ist keine Grundlage für eine erfolgreiche Außenpolitik und man kann darüber nicht hinweglächeln und hinwegreden.

(Beifall bei der LINKEN)

Neben der Tatsache, dass Sie nicht in der Lage sind, zu sagen, was Terrorismus ist, und neben der Tatsache, dass Sie eine Politik fortsetzen wollen, die das Völkerrecht bricht, ist festzustellen, dass Sie bei Ihrem Handeln im Vorderen Orient nicht konsistent sind. Wir hören mit großem Interesse, dass wir ein robustes Mandat brauchen – so haben Sie das hier wieder formuliert – und dass dieses robuste Mandat angewendet werden soll, um Waffenlieferungen in den Libanon zu unterbinden. Bis dahin könnte man dieser Argumentation ja noch etwas abgewinnen. Wenn aber gleichzeitig die Bundesrepublik Deutschland Israel Waffen liefert – und zwar U-Boote, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie nuklear bewaffnet werden können -, dann ist das so widersprüchlich, dass eine solche Außenpolitik schlicht und ergreifend niemals Erfolg haben kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Grundlage für die Veränderung der letzten Jahre ist, dass sich die deutsche Außenpolitik mehr und mehr auf das Militärische verlegt hat. Dies ist mit der Aussage begründet worden: Wir können uns in der Welt nicht heraushalten; wir haben eine größere Verantwortung und diese größere Verantwortung müssen wir wahrnehmen. – Diese Redensarten, die zu dieser Fehlentwicklung geführt haben, beinhalten eine Verkennung der Erfolge der deutschen Außenpolitik nach dem Kriege. Ich möchte hier sagen, dass für mich die Westintegration Adenauers sehr wohl ein wichtiger Beitrag zu einer Weltaußenpolitik war, der weit über die deutschen Belange an der Nahtstelle des Kalten Krieges hinausreichte. Ich möchte ferner natürlich sagen, dass die Ostpolitik Willy Brandts, die nicht darauf angewiesen war, Soldaten in alle Welt zu schicken, sehr wohl ein ganz wesentlicher Beitrag Deutschlands zum Frieden in der Welt war. Auch diese Politik war nicht auf deutsche Belange begrenzt. Ich möchte weiterhin erwähnen, dass die Politik Helmut Schmidts, Weltwirtschaftsgipfel zu initiieren, um auf diese Art und Weise zum Frieden in der Welt beizutragen, sehr wohl ein politischer Ansatz war, der durchaus in den Geschichtsbüchern erwähnt werden wird. Schließlich möchte ich sagen, dass Helmut Kohls europäische Integration ebenfalls ein politischer Ansatz war, der eine Bedeutung weit über die deutschen Belange hinaus hatte. Diese erfolgreichen Epochen der deutschen Außenpolitik heben sich wohltuend von einer Ära ab, in der immer mehr auf das Militär gesetzt worden ist und solche konzeptionellen Ansätze, wie ich sie eben erwähnt habe, nicht verfolgt wurden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe etwas zum Völkerrecht gesagt. Dazu noch zwei weitere Bemerkungen. Es ist für uns wohltuend, wenn ein Mitglied der Bundesregierung, Frau Wieczorek-Zeul, etwas zum Einsatz von Streubomben im Libanon sagt. Es verstößt gegen das Völkerrecht, wenn Streubomben über Wohngebieten abgeworfen werden, und es ist gut, dass wenigstens ein Mitglied der Bundesregierung an diesen Bruch des Völkerrechtes erinnert.

(Beifall bei der LINKEN)

Es wäre ebenfalls gut, wenn die Politik, die Sie gegenüber dem Iran verfolgen, einmal auf eine einigermaßen rational nachvollziehbare Grundlage gestellt würde. Wir haben es hier schon mehrfach erwähnt: Man kann keine Politik der Nichtverbreitung von Nuklearwaffen nach dem Motto betreiben: Wir brechen den Atomwaffensperrvertrag; er interessiert uns im Grunde genommen nicht. Aber Teile des Atomwaffensperrvertrages wenden wir an, um gegenüber dem Iran Politik zu betreiben. – Was meine ich damit? Der Atomwaffensperrvertrag hat nur eine Ratio; sie lautet: Wir wollen keine Nuklearwaffen in der Welt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Das heißt, dass die Staaten, die keine haben, keine bauen sollen, aber das heißt auch – das wird weitgehend vergessen -, dass die Staaten, die Nuklearwaffen haben, verpflichtet sind, abzurüsten. Das haben sie unterschrieben.

(Beifall bei der LINKEN)

Und wenn sie nicht abrüsten, dann brechen sie diesen Vertrag in Permanenz. Dieser Punkt ist eine Grundlage des Vertrages und muss berücksichtigt werden, andernfalls hätte dieser Vertrag überhaupt keinen Sinn. Man kann doch nicht sagen: Wir, die guten Nationen in der Welt, verfügen über Nuklearwaffen, aber die bösen Nationen dürfen keine haben. Auch in diesem Punkt ist die Anlehnung an die amerikanische Politik völlig widersprüchlich und überhaupt nicht akzeptabel. Wenn Amerika beispielsweise sagt, es möchte dazu beitragen, dass der Iran keine Atomwaffen produziert, dann ist doch zunächst einmal die Frage aufzuwerfen, warum die amerikanische Politik weiterhin neue Nuklearwaffen entwickeln lässt, die sogar schon einsatzfähig sein sollen. Es stellen sich beispielsweise auch die Fragen, warum die Aufrüstung Indiens mit Nuklearwaffen von Amerika unterstützt wird, warum man Pakistan erlaubt, Nuklearwaffen zu besitzen, und warum selbstverständlich auch Russland Nuklearwaffen für sich beansprucht. Wie kann man da sagen: „Einem Staat verwehren wir den Besitz von Nuklearwaffen“? So wird man eine nuklearwaffenfreie Welt niemals erreichen können und so wird man nicht zum Frieden beitragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es tut mir Leid: Die gesamte Außenpolitik dieser Koalition hat keine rationale Grundlage. Im Vergleich zur Außenpolitik früherer Jahre kann man von einer Fehlentwicklung sprechen; denn in den letzten Jahren – auch schon zu Zeiten der rot-grünen Koalition – wurde immer mehr auf militärische Interventionen gesetzt, weil man glaubte, man könne damit etwas Gutes bewirken.
Wie gefährlich militärische Interventionen sind, haben nicht zuletzt die drei Ehrenvorsitzenden der FDP kürzlich in einem Schreiben an Sie, Frau Bundeskanzlerin, zum Ausdruck gebracht. Darunter sind zwei ehemalige Außenminister, Herr Genscher und Herr Scheel, die an der deutschen Außenpolitik beteiligt waren, die ich vorhin erwähnt habe. Es ist ein Irrtum, deutsche Soldaten in alle Welt zu schicken. Deutschland wird nicht am Hindukusch verteidigt. Es ist ebenfalls ein gravierender Irrtum, Kampftruppen in den Libanon zu schicken. Dort haben wir nun wirklich nichts zu suchen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Tatsache, dass die Soldaten nur auf See tätig werden, ist kein Argument. Sie werden in Auseinandersetzungen verwickelt werden.
Diejenigen haben gute Argumente, die darauf hinweisen, dass die Libanonkrise im Zusammenhang mit Planungen zu sehen ist, ebenfalls den Iran anzugreifen. Es ist zwar gut, wenn Sie festgestellt haben, dass die Bundesregierung keine militärischen Optionen gegen den Iran unterstützt. Aber man kann in einen Krieg auch hineinschlittern. In den letzten Monaten konnte man beobachten, dass von den Mitgliedern der Regierung unter Einschluss der Bundeskanzlerin, die das Gespräch offensichtlich sehr liebt, immer wieder über Truppenentsendung schwadroniert wurde, sodass am Ende überhaupt keine Klarheit darüber herrschte, in welcher Stärke und in welchem Auftrag – wenn überhaupt – Truppen in dieses Gebiet entsandt werden sollen. Das ist so unprofessionell, dass es einfach nicht mehr nachvollziehbar ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich fasse zusammen. Es mag ja sein, dass Ihrer Außenpolitik gute Absichten zugrunde liegen. Wer würde das bestreiten und wer würde sich anmaßen, zu sagen, es gebe keine guten Absichten, die zu diesen Entscheidungen führen? Aber wenn man nicht in der Lage ist, Terrorismus zu definieren, wenn man nicht in der Lage ist, zu sagen, ob das Völkerrecht in Zukunft respektiert werden soll, wenn man den Atomwaffensperrvertrag einseitig interpretiert und wenn man die guten Traditionen der deutschen Außenpolitik zugunsten einer Außenpolitik verlässt, die immer mehr auf militärische Lösungen setzt, dann ist man auf dem falschen Weg und wird nicht zur Sicherheit Deutschlands beitragen. Insofern hat die schlichte Einsicht des Herrn Beckstein viel für sich: Wer sich überall einlässt – und zwar so einlässt wie Sie hinsichtlich des Libanon -, der erhöht die Gefahr für Terroranschläge in Deutschland und verletzt den Eid, den Sie hier geleistet haben, nämlich Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte mich nun der zweiten Fragestellung zuwenden, ob Ihre Wirtschaftspolitik geeignet ist, den beginnenden Aufschwung zu unterstützen. Natürlich werden die Regierenden für sich immer in Anspruch nehmen – das kennen wir ja und das ist wohl unvermeidlich -, der Aufschwung sei ihr Werk. Amüsiert haben wir den Streit verfolgt, ob der Aufschwung ein Aufschwung Schröders oder ein Aufschwung Merkels ist. Es wäre allerdings gut, einmal in die deutsche Presse zu schauen. Auch heute kann man darüber Kommentare lesen, in denen eine andere Meinung vertreten wird und in denen darauf hingewiesen wird, dass die Wirtschaftspolitik der jetzigen Regierung überhaupt nicht geeignet ist, den Aufschwung zu unterstützen. Das ist die Wahrheit.
Ein einfacher Blick auf die Zahlen zeigt, dass Ihre Wirtschaftspolitik nichts mit dem Aufschwung zu tun hat. Im zweiten Quartal gibt es gegenüber dem ersten Quartal 2006 folgende Bilanz: Die Bauinvestitionen – überwiegend Wirtschaftsbauinvestitionen – wachsen um 4,6 Prozent. Die Ausrüstungsinvestitionen mit einem Wachstum von 2,5 Prozent machen den Löwenanteil des Aufschwungs aus. Die Exporte wachsen nur noch schwach. Unter Berücksichtigung des Vorquartals sind es 0,7 Prozent. Die Importe sind um 0,5 Prozent gestiegen. Aber dann kommt das Entscheidende: Die Staatsausgaben sinken um 0,2 Prozent und der private Konsum um 0,4 Prozent. Die beiden Schwachpunkte des Wirtschaftsaufschwungs sind also die Staatsausgaben und der private Konsum. Wer in einer solchen Situation die Mehrwertsteuer erhöht und soziale Leistungen kürzt, zeigt, dass er das Einmaleins der Wirtschaftspolitik nicht verstanden hat.

(Beifall bei der LINKEN – Ernst Hinsken (CDU/CSU): Sie haben es nicht kapiert!)

Es ist doch nun wirklich nicht zu viel verlangt, sich die Statistiken anzusehen. Dann stellt man nämlich fest, wo wir Schwächen haben. Und wir müssen genau dort etwas tun. Es ist aber völlig unverständlich, dass diese Regierung sich alle Mühe gibt, diese Schwächen weiter zu verschärfen.

In größeren Industriestaaten ist – in kleineren kann das anders sein – in den letzten Jahren kein Aufschwung beobachtet worden, der nicht wesentlich vom privaten Konsum gestützt wurde. Sie hingegen geben sich große Mühe, den privaten Konsum abzuwürgen. Das ist der Strukturfehler Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik. Bald werden Sie sich streiten können, wem der Abschwung zu verdanken ist: der Vorgängerregierung oder der jetzigen Regierung. Für die Betroffenen ist das aber irrelevant. Angesichts der hohen Zahl an Arbeitslosen und der vielen jungen Menschen, die keine Lehrstelle finden, handeln Sie schlicht und einfach falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Behauptung, die Arbeitsmarkreform sei die Grundlage des Aufschwungs, wird durch die Statistiken widerlegt. Es gibt keinen Aufschwung, der nicht mit einer besseren Situation auf den Gütermärkten unterlegt ist. Der jetzige Aufschwung basiert auf einer besseren Situation auf den Gütermärkten. Das „Fummeln“ am Kündigungsschutz, am Arbeitslosengeld II oder an den Tarifverträgen führt überhaupt nicht zum Aufschwung. Es ist nun einmal so – das zeigen die aktuellen Zahlen -, dass der Aufschwung von den Gütermärkten und nicht vom Arbeitsmarkt induziert wird. Deshalb muss man alles tun, damit der Aufschwung auf den Gütermärkten erhalten bleibt. Das geht nur durch die Stärkung des privaten Verbrauchs. Die Bundesregierung hat das offensichtlich nicht verstanden.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt …
(Gespräch zwischen der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und der Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul auf der Regierungsbank)
… Vielleicht sind Sie ja gerade dabei, die Ministerin zu unterstützen; dann will ich gerne innehalten. Das wäre sicherlich etwas Gutes.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben gesagt, dass in Deutschland derjenige, der arbeitet, mehr Geld zur Verfügung haben müsse, als derjenige, der nicht arbeitet. Sie handeln aber eklatant gegen diesen Grundsatz. Ihre Regierung sagt, sie wolle keinen gesetzlichen Mindestlohn. Das zeigt, dass Sie nicht begriffen haben, was Sie hier vortragen.

(Beifall bei der LINKEN)

In der Praxis liegt der Mindestlohn – zumindest in Ostdeutschland – bei 3 Euro. Sie sagen, dass derjenige, der arbeitet, so viel verdienen müsse, dass ihm mehr Geld zur Verfügung steht als demjenigen, der soziale Leistungen bezieht. Sie haben nicht verstanden, was das bedeutet. Wenn Sie das wollen, müssen Sie zumindest – ebenso wie andere europäische Staaten – einen angemessenen Mindestlohn einführen, damit sichergestellt ist, dass die fleißige Arbeit nicht schlechter entlohnt wird als der Bezug von sozialen Leistungen. Das ist eine Dimension des Mindestlohns, der Sie sich nähern sollten.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zwar sehr schöne Worte gefunden, Sie wurden aber nicht konkret. Ich habe den Eindruck, dass Sie nicht verstanden haben, was Sie hier eigentlich vorgetragen haben.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Sie haben es nicht kapiert!)

Sie haben gesagt: Wir müssen die Zukunft sichern. Was tun Sie aber für die Sicherung der Zukunft? Wer klatscht denn nicht Beifall, wenn jemand hier sagt: „Wir müssen die Zukunft gewinnen“? Es gibt zwei Zahlen, die Sie widerlegen: Die öffentliche Investitionsquote Deutschlands ist – das gilt auch für diesen Haushalt, Herr Bundesfinanzminister – nur halb so hoch wie die der europäischen Nachbarstaaten. Das ist schon seit vielen Jahren so. Wie soll dieser moderne Industriestaat denn die Zukunft gewinnen, wenn Sie nur halb so viel investieren wie die Konkurrenz. Wir brauchen mehr öffentliche Investitionen. Dieses Versäumnis ist ein gravierender Fehler Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Was nützt all das schöne Gerede über das Gewinnen der Zukunft, wenn wir bei den Bildungs- und Forschungsausgaben nach wie vor – das zeigt die OECD-Statistik – weit zurückliegen. Sie offenbaren einen Widerspruch: Sie haben hier zwar hehre Absichten verkündet, aber keinen Ansatz vorgetragen, wie dieses Land, das eine französische Dichterin früher einmal „das Land der Dichter und Denker“ nannte, auf dem Gebiet der zukunftsentscheidenden Investitionen gewinnen kann.
Früher hatten wir einmal hervorragende Forscher und ein Bildungssystem, das beispielhaft in der Welt war. Diese Situation können wir aber nicht wieder erreichen, wenn die öffentlichen Haushalte, insbesondere die der Länder, weiterhin unterfinanziert sind und wir keinen Weg aufzeigen, wie die Höhe der Bildungsausgaben an das internationale Niveau angeglichen werden kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte einige kurze Ausführungen dazu machen, wie man den privaten Konsum unterstützen kann. Die Situation der Haushalte, die durch die seit vielen Jahren stagnierende Lohnentwicklung ohnehin schlecht ist, wurde durch die Entwicklung der Energiepreise weiter verschärft. Durch die Deregulierung der Energiemärkte haben Sie wesentlich dazu beigetragen.
Mittlerweile müssen Haushalte bis zu mehrere Monatsmieten aufbringen, um die höheren Energiepreise bezahlen zu können. Deswegen wäre es eine erstrangige Leistung, zu erreichen, dass die Energiepreise in Deutschland nicht weiter so steigen können und dass auf Monopolmärkten nicht weiter so abgezockt werden kann, wie es derzeit geschieht.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben zwar gehört, Sie hätten irgendein Konzept im Kopf, mit dem Sie in diesem Bereich etwas verändern wollen. Aber wie sieht es denn aus, Frau Bundeskanzlerin? Haben Sie irgendeinen Ansatz, wie Sie die steigenden Energiepreise in den Griff bekommen wollen? Mittlerweile haben einige Länderregierungen den Vorwurf der Linken aufgegriffen, die schon mehrfach vorgetragen hat, dass es ein Fehler war, die staatliche Energiepreiskontrolle auslaufen zu lassen. Jawohl, bei monopolartigen Märkten hat das Gerede über Marktwirtschaft wenig Sinn. Dort muss es eine staatliche Energiepreiskontrolle geben. Ich begrüße es, dass drei CDU-geführte Länder das jetzt erkannt haben, entsprechende Initiativen machen wollen und unseren Ansatz insoweit aufgreifen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dasselbe gilt – damit bin ich wieder beim geschätzten Bundesfinanzminister – hinsichtlich der Entwicklung der Mietpreise. Sie beglücken die deutsche Öffentlichkeit immer wieder mit der Absicht, die REITs auch in Deutschland zuzulassen, also private Immobilienfonds, die hohe Renditen erwirtschaften. Verehrter Herr Bundesfinanzminister, glauben Sie mir, die hohe Renditen kommen nicht vom lieben Gott. Sie kommen woanders her,

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

und zwar von den Mieterinnen und Mietern. Anders ist das nicht zu machen. Irgendjemand muss für diese hohen Renditen zahlen. Das heißt, Ihre Kritiker in der eigenen Fraktion und die ehemalige Ministerin Anke Fuchs haben völlig Recht, wenn sie sagen, dass die Einführung solcher Fonds nur dazu geeignet ist, die Mietpreise ansteigen zu lassen, was insbesondere für sozial schwächere Schichten unakzeptabel ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man also diese Kombination sieht – auf der einen Seite stagnierende Löhne, auf der anderen Seite steigende Energiepreise und steigende Mietpreise; alles verursacht durch das Handeln dieser Regierung -, dann stellt sich tatsächlich die Frage, welche Vernunft der Arbeit dieser Regierung zugrunde liegt.
Ein Letztes. Wenn ich jetzt wieder lese, dass zum 1. September gemeldet worden ist, dass die Zahl der jungen Menschen, die noch keine Lehrstelle haben, weiter im Anstieg ist, dann komme ich zu dem Schluss, dass das ein eklatantes Versagen Ihrer Regierung ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Es hat doch keinen Sinn, über Zukunft zu reden, wenn wir dieses Problem nicht in den Griff bekommen.
Nun mögen die Ansätze für Lösungen, die hier vorgetragen werden, natürlich da oder dort auf Einwendungen stoßen. Die Lösung, eine Ausbildungsplatzabgabe einzuführen – sie wurde jahrzehntelang in der SPD mit großen Mehrheiten befürwortet -, funktioniert ja beispielsweise in der Bauwirtschaft und auch in den nordischen Staaten. Warum sind wir nicht in der Lage, auch in Deutschland eine solche Lösung zu finden? Ich plädiere im Namen meiner Fraktion nachhaltig für eine solche Lösung.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich begrüße es ausdrücklich, dass ein Ministerpräsident der CDU, Herr Koch aus Hessen, sagt: Wenn die Situation so eng ist, wie sie derzeit ist, dann braucht es ein öffentliches Programm zur Bereitstellung von Ausbildungsplätzen. Auch dieser Ansatz wird von unserer Fraktion nachhaltig unterstützt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich fasse zusammen. Die zwei Fragen, die ich aufgeworfen hatte, lauteten: Trägt die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung dazu bei, die Sicherheit in unserem Lande zu erhöhen? Trägt die Wirtschaftspolitik dazu bei, das Wachstum zu fördern und die Arbeitslosigkeit abzubauen? Ich komme zu dem Ergebnis, dass beide Fragen verneint werden müssen.

(Widerspruch des Abg. Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU))

– Ich an Ihrer Stelle wäre hier sehr vorsichtig.
Die Außenpolitik erhöht in nicht verantwortbarer Weise die Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland.

(Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): So ein Blödsinn!)

Und die Wirtschafts- und Finanzpolitik verschärft die Ungleichheiten und ist nicht dazu geeignet, einen dauerhaften Aufschwung zu initiieren, den wir brauchen, um die Arbeitslosigkeit nachhaltig abzubauen.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN – Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): Meine Güte!)

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