Hinweise des Tages

Jens Berger
Ein Artikel von:

Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Sahra Wagenknecht – Euro-Kritik von links
  2. Ungleichheit und Krise – zwei aktuelle Wortmeldungen
  3. Fordern und Fordern
  4. Liebesdienste unter Bankern
  5. Gewerkschaften fordern Mindestbesetzung auf Pflegestationen
  6. Fachkräftemangel: Deutsche Telekom fährt den Vorruhestand herunter
  7. BER könnte mehr als fünf Milliarden Euro kosten
  8. Vodafone: Rechtsfreier Raum!
  9. Werner Rügemer – Zwangskollektivierung des privatisierten Ich
  10. Haarsträubende Personalpolitik im Innenministerium
  11. Lügen mit Zahlen
  12. Angela Merkels asymmetrische Demobilisierung
  13. Arno Klönne – Eine Partei in Privatbesitz
  14. Zukunftspakt 2022: Wissenschaftsrat denkt schon wieder an Studiengebühren – und will mehr Elite
  15. Torsten Bultmann: Zweiter Hochschulranking-Report der europäischen Rektorenkonferenz
  16. Studie: Jugend so optimistisch wie noch nie
  17. Rezension: Cornelia Heintze, Die Straße des Erfolgs
  18. Noch einmal zum aktuellen Print-SPIEGEL

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Sahra Wagenknecht – Euro-Kritik von links
    Knallhartes neoliberales Profil: Die »Alternative für Deutschland« ist keine Alternative für Linke. Für ein bedingungsloses Bekenntnis zum Euro gibt es keinen Grund.
    Quelle: Junge Welt

    Anmerkung AM: Eine gute und richtige Bekräftigung der Distanz zur AfD. Auf den Miterfinder der Agenda 2010, Propagandist des Niedriglohnsektors und damit auf den Wendehals Prof. Streeck würde ich mich nicht berufen. Solchen Leuten fällt morgen schon wieder etwas anderes ein. Mehr zu Streeck kommt heute noch auf den NDS.

    dazu: Eurokrise – Höhere Löhne oder Ausstieg?
    […] Bereits seit geraumer Zeit wird in fortschrittlichen Wissenschaftskreisen – zum Beispiel von Heiner Flassbeck oder von Wolfgang Streeck – über Alternativen jenseits des Euros diskutiert. Auch Oskar Lafontaine hat jetzt in Sorge um das europäische Projekt einen Vorschlag gemacht: Die Rückkehr zu nationalen Währungen, die „kontrollierte Abwertung und kontrollierte Aufwertung über ein von der EU getragenes Wechselkursregime“ möglich machen. „Dazu sind im ersten Schritt strikte Kapitalverkehrskontrollen unumgänglich, um die Kapitalströme zu regulieren.“
    Die letzten Jahre hätten gezeigt, dass die Vorschläge zur Stärkung der Binnennachfrage keine Realisierungschance haben. Jedoch: die Rückkehr zum „Europäischen Währungssystem (EWS)“ dürfte mindestens genauso schwierig sein. Insofern überzeugt das Argument nicht. Zudem ist die Rückkehr zum EWS viel schwerer zu kommunizieren, schwerer dafür zu mobilisieren als Forderungen nach höheren Löhnen, nach dem Mindestlohn, gegen Leiharbeit, gegen Befristungen, Minijobs usw. Dies knüpft an vielfältigen sozialen Auseinandersetzungen an. Drittens birgt die Wiedereinführung des EWS die Gefahr in sich, dass es zu einer schnellen Aufwertung einer neuen deutschen Währung käme. Arbeitsplatzverluste in erheblichem Ausmaße würden drohen.
    Dass als Notmaßnahme über den Ausstieg aus dem Euro diskutiert wird, hier in Deutschland, aber auch in den Krisenländern hilft deutlich zu machen, wie verzweifelt die Lage ist. Es bleibt aber als nach vorne gerichtete Politik nur der Kampf um die Änderung der deutschen Wirtschaftspolitik, vor allem durch knackige Lohnerhöhungen.
    Quelle: Michael Schlecht

  2. Ungleichheit und Krise – zwei aktuelle Wortmeldungen
    Die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise und die zunehmende Ungleichheit, die wir in westlichen Industriestaaten mindestens seit etwa 30 Jahren beobachten müssen, sind nicht voneinander zu trennen. Jüngst sind zwei Texte erschienen, die in diesem Zusammenhang eine nähere Betrachtung verdienen. Der US-amerikanische Volkswirt Thomas Palley und die US-Notenbankerin Sarah Bloom Raskin machen deutlich, dass die Krise nicht verstehen kann, wer vor der wachsenden sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit die Augen verschließt. Seit etwa den 1970er Jahren hat sich die funktionale Verteilung des Volkseinkommens (die Verteilung zwischen Kapital und Arbeit) deutlich zu Gunsten des Kapitals verschoben, und auch innerhalb der Arbeitseinkommen ist die Ungleichheit deutlich gewachsen. Zugleich konzentriert sich immer mehr Vermögen in immer weniger Händen. In jüngster Zeit wurden diese Entwicklungen immer wieder als (Mit- oder Haupt-) Ursachen der aktuellen Krise benannt, etwa von Peter Bofinger, Photis Lysandrou, Till van Treeck oder Engelhard Stockhammer. Im Folgenden stelle ich zur Frage des Zusammenhangs von Ungleichheit und Krise zwei aktuelle Wortmeldungen vor, deren Lektüre aus sehr verschiedenen Gründen lohnt.
    Quelle: annotazioni
  3. Fordern und Fordern
    Die Hartz-IV-Kritikerin Inge Hannemann über ihre Tätigkeit als Arbeitsvermittlerin im Jobcenter Hamburg
    Inge Hannemann kritisiert in ihrem Blog massiv die Zustände in den deutschen Job-Centern. Was diese Kritik so brisant macht, ist der Umstand, dass sie selbst dort als Arbeitsvermittlerin tätig ist. Deswegen droht ihr nun die Kündigung.
    Quelle: Telepolis
  4. Liebesdienste unter Bankern
    Neil Danziger war gut fürs Geschäft. Die Deals, die der Händler für die Royal Bank of Scotland Group abschloss, brachten den Maklern, die sie abwickelten, üppige Provisionen ein. Im Gegenzug luden ihn die Broker der Londoner Firma Tullett Prebon in die Striplokale der Stadt ein und verbrachten verlängerte Wochenenden in Las Vegas mit ihm, berichten Personen, die wissen, wie die Geschäftsbeziehungen aussahen. Makler von R.P. Martin Holdings, einem weiteren Londoner Handelshaus, gewährten ihm wiederum frühzeitigen Zugang zu lukrativen Abschlüssen, erzählen die Insider.
    Branchenwächter gehen mittlerweile davon aus, dass dieser Austausch von Gefälligkeiten sehr viel weiter ging. Die US-Aufsichtsbehörden sind davon überzeugt, dass Danziger und verschiedene Makler auch bei der mutmaßlichen Manipulation des Libor ihre Finger im Spiel hatten.
    Quelle: The Wall Street Journal
  5. Gewerkschaften fordern Mindestbesetzung auf Pflegestationen
    In Deutschland fehlen zehntausende Pflegekräfte. Opposition und Gewerkschaften fordern jetzt ein Gesetz, das eine Mindestbesetzung auf den Stationen vorschreibt.
    In der Bundespolitik droht ein Streit um das Pflegepersonal in den Kliniken. Betriebsräte aber auch Krankenhausmanager beklagen einen massiven Personalmangel. Die Gewerkschaft Verdi fordert deshalb eine Mindestbesetzung – und zwar per Gesetz. Noch ist die Besetzung der Schichten und Stationen kaum geregelt. Die Krankenhäuser bestimmen den Bedarf selbst, was auch von deren Kassenlage abhängt. Während die Opposition ebenfalls mehr Schwestern und Pfleger fordert, lehnt die Bundesregierung eine Mindestbesetzung ab.
    Quelle: ZEIT
  6. Fachkräftemangel: Deutsche Telekom fährt den Vorruhestand herunter
    Die Telekom bereitet sich auf den Fachkräftemangel vor. Personalchefin Schick setzt auf Talentförderung in einer alternden Belegschaft. Die „automatische“ Frühverrentung ist passé.
    Die Deutsche Telekom verspricht ihren Mitarbeitern neue Beschäftigungsperspektiven. „Wenn wir den Netzausbau so angehen können, wie wir uns das vorstellen, werden Alt und Jung gebraucht. Viele ältere Kollegen werden länger an Bord bleiben, den Vorruhestand können wir dann zurückfahren“, sagte Marion Schick, Personalvorstand des Konzerns, im Gespräch mit der F.A.Z. Nachdem die Telekom viele Jahre lang im großen Stil Personal reduziert hat, bekommt sie allmählich zu spüren, dass qualifizierte Fachkräfte knapp werden.
    Quelle: FAZ

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: Beim inhaltlichen Lesen des Artikels ergeben sich Feststellungen, die dem Teaser (“Fachkräftemangel”, “Fachkräftemangel”, “Fachkräftemangel”) diametral widersprechen:

    1. Die Telekom hat in den letzten Jahren – trotz (?) “Fachkräftemangel” – viele Tausend Stellen abgebaut. Dabei wurde das Instrument Vorruhestand auch zulasten der Arbeitslosenversicherung und des Staates extensiv genutzt.
    2. Dieser Stellenabbau wird auch in den nächsten Jahren fast unvermindert weitergehen, zurzeit besonders forciert.
    3. Als Begründung für den Stellenabbau wird der (nicht näher spezifizierte – Automatisierung?) “technologische Wandel” angegeben, der natürlich auch in Zukunft anhalten wird. Die dort beschäftigten Fachkräfte werden also nicht gebraucht.
    4. Der Stellenabbau durch Vorruhestand soll allmählich reduziert werden (wahrscheinlich, weil es gar nicht mehr genügend Mitarbeiter in einem entsprechend hohen Alter gibt). Ausscheidende ältere Mitarbeiter werden teilweise durch Nachwuchskräfte ersetzt – man mag vermuten, weil diese die Kenntnis der jeweils aktuellen Technologien von der Hochschule mitbringen, vor allem aber zu deutlich niedrigeren Gehältern eingestellt werden.

    Eine passendere Überschrift über diesem Artikel würde also in etwa lauten: “Unverminderter Stellenabbau bei der Telekom – Weiter große Probleme für ältere Arbeitnehmer, das reguläre Rentenalter zu erreichen – Weiter sinkende Durchschnittsgehälter – Wenig Bedarf an neuen Fachkräften”. Nur würde diese Überschrift natürlich überhaupt nicht der FAZ-Propaganda – Vollbeschäftigung, Fachkräftemangel, steigende Löhne, demographische Katastrophe – entsprechen.

  7. BER könnte mehr als fünf Milliarden Euro kosten
    Der verpatzte Start des Berliner Hauptstadtflughafens BER kostet die Flughafengesellschaft FBB jeden Monat 35 bis 40 Millionen Euro. Diese Zahl hat der neue Flughafenchef Hartmut Mehdorn in einem Gespräch im Bundesverkehrsministerium genannt. Das geht aus einem Sitzungsprotokoll der „Soko BER“ hervor, das dem Handelsblatt vorliegt. Aus dem Grund will Mehdorn den Flughafen zügig eröffnen…
    Derzeit sind für den Flughafen Kosten von 4,3 Milliarden Euro veranschlagt. Bei Mehrkosten von 40 Millionen Euro im Monat würden sich die Gesamtkosten bis Ende 2014 auf 5,1 Milliarden Euro belaufen. Sie müssten die Gesellschafter tragen, die Länder Berlin und Brandenburg sowie der Bund.
    Quelle: Handelsblatt

    Anmerkung WL: Was könnte man für 40 Millionen Euro im Monat nicht alles für Kindergärten, Schulen oder Hochschulen Sinnvolles tun. Aber dafür ist Berlin lieber die Hauptstadt der Hartz-Sanktionen.

  8. Vodafone: Rechtsfreier Raum!
    Nicht erst seit heute weiß die EVG, dass Vodafone sich verhält, als gäbe es kein Betriebsverfassungsgesetz und für Vodafone gelte ein rechtsfreier Raum. Jetzt stellen alle Betriebsräte bundesweit fest, was Betriebsräten in Essen und Eschborn schon lange bekannt ist.
    Vodafone plant seine Outsorcing-, Verlagerungs- und Personalabbauprojekte generalstabsmäßig bis ins letzte Detail und zieht hinter den Kulissen die Fäden. Allerdings werden bundesweit die Betriebsräte bis zum heutigen Tage nicht über die Vorgehensweise und Pläne informiert. Und Kolleginnen und Kollegen, die betroffen sind, erst recht nicht! Erst jetzt wurde bekannt, dass Vodafone offensichtlich externe Berater seit geraumer Zeit für die Erarbeitung der Pläne beschäftig, während die Betriebsräte belogen werden.
    Quelle: EVG

    Anmerkung unseres Lesers S.S.: Vodafone plant in Deutschland 5000 Stellen abzubauen sowie zahlreiche Stellen in Personalgesellschaften outzusourcen. Dabei geht es einzig und allein darum das Lohnniveauzusenken. angeblich um das unternehmen „konkurrenzfähig“ zu machen, und dies obwohl es von Jahr zu Jahr Spitzenumsätze erwirtschaftet.
    Meine Frau arbeitet in Bautzen bei Vodafone, dort herrscht pure Angst vor dem Outsouring. Kollegen haben sich via Facebook unter der Gruppe ‘Wutkollege’ organisiert um die defizitäre Informationspolitik von Vodafone zu durchbrechen. Nun versucht Vodafone massiv Druck auf die sich bildene innerbetriebliche Opposition aufzubauen, indem sie den Informationsaustausch in solchen Plattformen kriminalisiert. Nur der Gang an die Öffentlichkeit kann hier Besserung bringen.

  9. Werner Rügemer – Zwangskollektivierung des privatisierten Ich
    Jeder, auch wenn er unten ist, sei seines Glückes Schmied, jeder könne vom Tellerwäscher aufsteigen zum Millionär: Solche Klischees werden immer wieder aufgewärmt, auch wenn ihre Verwirklichung noch so illusionär ist.
    In bürokratisierter Form hieß das Klischee in Deutschland vor einiger Zeit »Ich-AG«. AG bedeutet Aktiengesellschaft. Das erschien in diesem Zusammenhang kurios, war aber ernst gemeint. Das Konstrukt war Teil der 2002 von der Bundesregierung aus SPD und Grünen unter Kanzler Schröder beschlossenen Agenda 2010. Die Ich-AG gehörte zu den vier sogenannten Hartz-Gesetzen, genauer zu »Hartz II«. Dieses Gesetz legitimiert, reguliert und verfestigt seitdem »geringfügige Beschäftigungen« wie Mini- und Midijobs. Mit Ich-AG wurden selbständige Einzelunternehmer bezeichnet, ehemals Erwerbslose, die für die Gründungsphase von den damals eingerichteten Jobcentern Zuschüsse bekamen.
    Doch das Konzept ging nicht auf. Den Arbeitslosen wurde auch keine richtige Unternehmerperspektive eröffnet; sie sollten »kostengünstige Dienstleistungen mit alltagspraktischen Fähigkeiten« erbringen, für die es großen Bedarf gebe. Mit solchen Scheinselbständigen konnten die richtigen Unternehmer die Sozialleistungen einsparen. Aus den Arbeitslosen wurden geheimnisvollerweise keine Aktiengesellschaften. Die Ich-AG wurde von ihren Erfindern aus dem Verkehr gezogen.
    Quelle: Ossietzky
  10. Haarsträubende Personalpolitik im Innenministerium
    Eine erfolgreiche Arbeitsgerichtsklage gegen Behindertenfeindlichkeit offenbart Parteibuchwirtschaft im Innenministerium von Friedrich – und das während einer großen Einstellungswelle von Juristen
    Am 24. April kam es vor der 56. Kammer des Berliner Arbeitsgerichts zu einem scheinbar unspektakulären Richterspruch. Geklagt hatte die Schwerbehindertenvertreterin des Bundesinnenministeriums (BMI) gegen den Personalrat des eigenen Hauses. Es ging um Rechte der Behindertenvertreterin gegenüber dem Personalrat. […]
    Als Ergebnis dieser Vorauswahl stellte der Dienstleister eine Liste von 470 gerankten Kandidaten für die insgesamt 24 zu besetzenden Volljuristenstellen zusammen. Daraufhin lud das BMI auch tatsächlich 80 Bewerber für die weitere Auswahl in ein Assessmentcenter ein. Es waren aber plötzlich zum großen Teil andere als die vom BVA mit der höchsten Punktzahl – sprich der besten Qualifikation – herausgefilterten.
    Zwischenzeitlich musste also etwas Merkwürdiges geschehen sein. Wie aus von der “Welt” eingesehenen Bewertungsunterlagen des BVA hervorgeht, wurden, unabhängig von den vergebenen Punktzahlen, Kandidaten mit CDU- und CSU-Parteibuch, sowie Bewerber mit Verbindungen zur unionsnahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) vorrangig auf die Einladungsliste für das Assessmentcenter – für die Endauswahl also – gesetzt.
    Quelle: WELT
  11. Lügen mit Zahlen
    Wie mit der Manipulation statistischen Materials Politik gemacht wird
    Was tun, wenn die Realität partout nicht mit den eigenen ideologischen Dogmen in Übereinstimmung gebracht werden kann? Ganz einfach: Man biegt sich die Realität solange zurecht, bis sie in das entsprechende ideologische Raster hineingepresst werden kann. Nichts eignet sich zur Umdeutung gesellschaftlicher Gegebenheiten besser als die Manipulation von Zahlen, denen inzwischen eine fast schon mythische Ausstrahlung innewohnt. In einer Gesellschaftsformation, die auf die uferlose numerische Akkumulation von Geldwerten fixiert ist, stellt das auf einen Zahlennenner gebrachte Faktum die höchste Autorität dar. Nichts ist im Spätkapitalismus so irrational wie die rationalen Zahlen.
    Quelle: Telepolis
  12. Angela Merkels asymmetrische Demobilisierung
    Obwohl Merkel alle kirchentagspflichtigen Stichworte unterbrachte – von Herkunftskontrollen für Kleidung aus Bangladesch bis zur nachdrücklich bekräftigten Energiewende –, stieg der Geräuschpegel in der Halle recht rasch. Viele Besucher begannen, miteinander zu reden, und als es nach einer Dreiviertelstunde eine Musikpause gab, verließen Hunderte die Halle. Nicht empört, sondern weil sie offenbar genug gehört oder Hunger hatten.
    Diese Ermattung könnte auch daran gelegen haben, dass die Kanzlerin auf Verkomplizierung setzte. Klar, sagte sie, Energiewende müsse sein, aber da gebe es Streit über den Netzausbau, und “ich weiß nicht, wie viele Leute in diesem Saal Mitglieder einer Bürgerinitiative gegen den Netzausbau sind”. Oder die Textilfabriken in der Dritten Welt. Da müssten wir Europäer aufpassen, dass wir Bangladesch durch strengen Arbeitnehmerschutz nicht “den Wettbewerbsvorteil kaputt machen”. Vielmehr müssten wir “mit diesen Ländern gemeinsam diskutieren”.
    Quelle: WELT

    Anmerkung unseres Lesers F.P.: Der eiskalte Ideologie-Engel hat wieder zugeschlagen: Menschen und deren Schutz müssen natürlich hinten anstehen, wenn es um die Umsetzung der Ideologie geht. Und die “gemeinsame Diskussion” ist nur das Feigenblatt eines Menschen, der rein gar nichts zur Lösung von Problemen beizutragen hat, was angesichts ihrer ideologischen Ausrichtung auch nicht geht. Volker Pispers hat Recht, wenn er sagt, dass bei Merkel immer nur “alles gemeinsam geht” und damit am Ende nichts. Das will Merkel damit eigentlich sagen, nämlich dass sie gar nichts machen will.

  13. Arno Klönne – Eine Partei in Privatbesitz
    Die SPD behauptet von sich, sie werde in diesem Jahr einhundertfünzig Jahre alt. Ein solches Jubiläum paßt jetzt gerade, denn der Wahlkampf läuft an und der Partei geht es demoskopisch gar nicht gut, da ist Trost zu finden in der Geschichte. 1863 als Geburtsdatum der deutschen Sozialdemokratie? Das stimmt, wenn diese den legendären Ferdinand Lassalle als ihren Gründer ansieht. In Frage kämen auch August Bebel und Wilhelm Liebknecht, aber dann stünden die Feierlichkeiten erst später an, und wer weiß, ob die Partei diese Zeitspanne noch einigermaßen rüstig durchsteht. […]
    Seitdem sind nahezu einhundert Jahre vergangen. Heute ist es geschafft, die SPD ist privatisiert, umgewandelt in eine Agentur zur Werbung von Stimmen, die Legitimation und Zugang herstellen für Positionen in Regierung und staatlicher Administration. Zum Teil handelt es sich um zeitweilige Beschäftigung in der Politik, also ist dabei der lukrative Wechsel in private Unternehmen schon vorzubereiten, welcher prominente Regierungspolitiker will heutzutage denn noch in die schlichte Parteiarbeit zurückkehren. Jetzt gilt: August Bebel, würde er in der »postmodernen Demokratie« tätig sein, müßte zumindest Bundesminister werden und dann schon mal Ausschau halten nach dem Konzern, der ihn nach seiner Amtszeit zum Superberater macht.
    Quelle: Ossietzky

    Anmerkung C.R.: Eine Mitgliederpartei legt eigentlich – das sagt das Wort ja aus – Wert auf ihre Mitglieder und früher wurden in der Tat Anträge weit häufiger von der Basis ausgestellt, die zu Beschlüssen auf Bundesparteitagen führten. Heute werden Beschlüsse zu oft von der SPD-Parteiführung getroffen, die die Basis gefälligst “abzunicken” habe.
    Sinn und Zweck der Parteigründung scheint insbesondere in der Partei-Spitze verloren gegangen zu sein. Zu viele scheinen die Bedeutung der “Sozialdemokratie” nicht (mehr) zu kennen und sind offenbar lediglich u.a. der Karriere wegen SPD-Mitglied.

  14. Zukunftspakt 2022: Wissenschaftsrat denkt schon wieder an Studiengebühren – und will mehr Elite
    Bezahlstudium auf Nimmerwiedersehen? Pustekuchen. Während es in Bayern gerade abgewickelt wird und in Niedersachsen auf der Abschussliste von Rot-Grün steht, wird im Hintergrund schon zum großen Rollback gerüstet. Der Wissenschaftsrat – ein hochschulpolitisches Schwergewicht – hat bei seiner Frühjahrstagung ein Comeback von Studiengebühren ins Spiel gebracht. Der in Würzburg beratene “Zukunftspakt 2022” hat es aber auch sonst in sich. So sehr, dass die Öffentlichkeit besser nichts davon erfahren sollte. Es kam allerdings anders, und das ist gut so.
    Quelle: Studis Online
  15. Torsten Bultmann: Zweiter Hochschulranking-Report der europäischen Rektorenkonferenz
    Der EUA-Report II stellt summarisch eine wachsende Bedeutung von Rankings für politische Entscheidungen fest, welche das Bildungssystem betreffen …
    Offenbar hat sich auch der Trend verstärkt, dass sich ein Typus »cosmopolitan postgraduate students« – man könnte auch ergänzen: aus wohlhabenderen bildungsnahen Schichten – herausbildet, der gezielt versucht, sich in den hoch gerankten ›world-class universities‹ einzuschreiben …
    Rankinglisten scheinen offenbar internationale Bildungs- und Arbeitswanderungsbewegungen zunehmend zu beeinflussen …
    Offenbar versucht die EUA die öffentliche Debatte um den (Un-)Sinn von Hochschulrankings umzulenken auf die Frage nach den bestmöglichen Rankings …
    Rankings produzieren vor allem Hierarchien zwischen den Hochschulen und vertiefen die damit produzierten Abstände im Laufe der Zeit…Wer einmal oben ist, bleibt dort auch – selbst wenn einmal zwei ›Eliteuniversitäten‹ die Plätze tauschen …
    Der falsche Anreiz, den derartige Rankings gegenüber der Politik produzieren, besteht etwa darin, zuunterst platzierte Fachbereiche eher zu ignorieren oder abzuwerten, statt etwa deren Ausstattungsdefizite auszugleichen. Zusätzlich produzieren derartige Rankings das falsche Signal, dass Leistungssteigerung auch in einem unterfinanzierten System möglich ist: sonst würden sich ja schließlich vergleichbar (schlecht) ausgestattete Fachbereiche nicht in unterschiedlichen Ranggruppen wieder finden. Schließlich wird die Politik zusätzlich entlastet, wenn das was eigentlich selbstverständlich sein sollte – gute Betreuungsrelationen, angemessene Labor- und Bibliotheksaustattung etc. – zum Gegenstand von Fragebögen (»studentische Zufriedenheitsindikatoren«) und eines (Pseudo-)Wettbewerbes gemacht wird – statt politische Verantwortung für ein gleichwertiges gut ausgestattetes Hochschulsystem zu sein.
    Quelle: Studis Online
  16. Studie: Jugend so optimistisch wie noch nie
    95 Prozent der jungen Leute in Deutschland schätzen ihre Situation als sehr gut ein, zeigt eine Studie. Aber wegen mangelnder Vorsorge droht vielen Altersarmut. Forscher fordern deshalb ein Umsteuern in der Rentenpolitik.
    Quelle: Berliner Zeitung

    Anmerkung AM: Zum einen platte Propaganda für die Bundesregierung: 95 Prozent der jungen Leute in Deutschland schätzen ihre Situation als sehr gut ein. Zum anderen dann lassen sich der im Feld der Jugendforschung tätige Prof. Hurrelmann und der ehemalige IG-Metall Tarifexperte und jetzige Geschäftsführer der Metallrente, Heribert Karch, vor den Karren der Finanzwirtschaft spannen und machen sich so zu Zutreibern der privaten Rentenversicherer. Unter dem Vorwand einer Jugendstudie wird die Zwangseinzahlung in eine private Altersvorsorge gefordert.
    Haben die Herren einmal darüber nachgedacht, was der staatlich verhängte Zwang zur privaten Altersvorsorge bedeutet? Sowohl bei der Riester-Rente als auch bei der betrieblichen Altersversorgung gehen erstmal die Gebühren, Provisionen und Renditen der privaten Versicherer von den eingezahlten Prämien weg. Dann wird bei der betrieblichen Altersversorgung auch noch die gesetzliche Rente gekürzt – siehe Entgeltumwandlung.
    Weiter schlagen sie vor, alle Mittel auf den Ausbau der gesetzlichen Rente zu konzentrieren. Die geht sehr wohl auch auf die Erkenntnis zurück, dass junge Menschen nicht zu sehr ans Alter denken und man deshalb sinnvollerweise eine solidarische öffentliche Rentenversicherung betreibt. Die Werbung für die Privatvorsorge ist eine schreckliche Perversion dieser ursprünglichen Erkenntnis. Dass sie von einem Jugendforscher und einem ehemaligen IG-Metall-Funktionär betrieben wird, ist schon bemerkenswert. So weit sind wir schon. Die politische Korruption ist hoffähig.

  17. Rezension: Cornelia Heintze, Die Straße des Erfolgs
    … Aufgrund langjähriger, außerordentlich kenntnisreicher und detailorientierter Forschung über soziale Dienste in den nordischen Ländern hat Cornelia Heintze diese Ländergruppe als Referenzmodell und Kontrastmittel genommen, um vor diesem Hintergrund die deutsche Entwicklung bei der Bewältigung der genannten Herausforderungen auszuleuchten. Dabei zeigen sich schon auf den ersten Blick wesentliche Unterschiede zwischen der deutschen und der skandinavischen Entwicklung: Während in den nordischen Ländern die meisten Sektoren der Wirtschaft, insbesondere die stark exportorientierte Industrie und die öffentlichen Dienste gleichermaßen auf Prinzipien guter Arbeit, hoher Qualifikation und hohem Lohn beruhen, gilt dies in Deutschland nur für Teile der exportlastigen Industrie, nicht aber für die öffentlichen Dienste, die ganz überwiegend auf Kostensenkung, Niedriglöhne, geringe Qualifikation und Privatisierung ausgerichtet sind. Diese sehr unterschiedlichen Entwicklungspfade sind in Deutschland, vor allem bei Frauen, mit massiver Prekarisierung, Verarmung und Ungleichheit bei Einkommen und Beschäftigung verbunden, während die öffentlichen Dienste der nordischen Länder für hohe Beschäftigung bei hohen, mit der Industrie mindestens vergleichbaren Einkommen sorgen. Entsprechend deutlich höher sind auch die Pro-Kopf- Einkommen und die Beschäftigungsquoten bei Frauen …
    Quelle: Rezension von Peter Brödner [PDF – 45 KB]

    Cornelia Heintze: Die Straße des Erfolgs. Rahmenbedingungen, Umfang und Finanzierung kommunaler Dienste im deutsch-skandinavischen Vergleich, Metropolis-Verlag, Marburg 2013, 594 Seiten, € 36,00.

  18. Noch einmal zum aktuellen Print-SPIEGEL
    Unser Leser G.M. hat uns eine Mail an den SPIEGEL in Kopie geschickt:

    Sehr geehrte Damen und Herren,
    ich bin kein Freund der GRÜNEN, aber wenn man wie Sie in der aktuellen Ausgabe die Steuerpläne der GRÜNEN als “Raubzug mit Ansage” kritisiert, dann zeigt das, wie weit sich Ihr neoliberales Blatt von der sozialen Wirklichkeit in unserem Land entfernt hat (was ja vielleicht auch ein Grund für die schlechte Auflagenzahl ist): Nicht Erwerbslose, Niedriglohn-Bezieher oder Durchschnittsverdiener sind Opfer eines sozial-ökonomischen Raubzugs der letzten zehn Jahre, sondern nach den Steuerplänen der GRÜNEN die “traditionelle Ehen”. Kostprobe? “Hart getroffen wäre die traditionelle Alleinverdiner-Ehe [!]. … Die Belastung des Paares steigt. … Ein Alleinverdiener-Ehepaar mit 6000 Euro Bruttoverdienst hätte etwa 60 Euro weniger netto im Monat.” – Ja, das ist wirklich hart, mir schießen gleich die Tränen in die Augen, denn ich kann wie der SPIEGEL nicht verstehen, wie man von deutlich über 3000 Euro netto im Monat leben soll. Gut haben es da doch die, die in prekären Arbeitsverhältnissen 9 Euro in der Stunde verdienen oder Grundsicherung im Alter beziehen dürfen …
    Mit freundlichen Grüßen
    M.G.

    Unser Leser E.J. schreibt uns:

    Liebe Redaktion,
    der Spiegel schürt – übrigens ebenso wie die FAZ – mit derartigen Artikeln vor allem das antieuropäische Ressentiment seiner Leserschaft. Ziel ist die Formierung einer deutschen Wagenburg gegen Veränderungen, wie sie nur über Europa nach Deutschland hinein getragen werden können. Natürlich reiten die Damen und Herren damit den Tiger des Nationalismus als Sprengsatz für Europa. Das aber liegt offenbar ohnehin längst hinter ihnen.
    Mit freundlichen Grüßen
    E.J.

    Anmerkung JB: Ein Grund für das außergewöhnliche Engagement der SPIEGEL-Redaktion für die Besserverdiener im Lande könnte sein, dass die SPIEGEL-Redaktion selbst zu diesem elitären Kreis gehört. Dank Augsteins Mitarbeiter-KG-Modell haben die meisten Print-Redakteure nicht nur Verträge, die im Journalismus wohl zu den best dotiertesten gehören, sondern sind auch Nutznießer üppiger Jahresausschüttungen. Ein Kollege erzählte mir einmal, dass der SPIEGEL wohl die einzige Zeitschrift der Welt ist, bei der die Redakteure im Parkhaus einen eigenen Parkplatz für den eigenen Porsche haben. Ob das 100% stimmt, kann ich freilich nicht sagen. Gleichzeitig ist der SPIEGEL jedoch eine Zweiklassen-Gesellschaft: Die Mitarbeiter von SPIEGEL-Online und SPIEGEL-TV kommen in der Regel nicht in die Gunst dieser einmaligen Konditionen. So wird aus einem eigentlich sehr vorbildlichen Modell der Mitarbeiterbeteiligung ein publizitisches Damoklesschwert.