Paul Krugman: The Chutzpah Caucus – Der Chutzpe-Klub
Zum jetzigen Zeitpunkt sind die Argumente für die Austeritätspolitik – scharfe Einschnitte bei den Staatsausgaben selbst angesichts einer schwachen Wirtschaftslage – in sich zusammen gefallen. Behauptungen, Ausgabensenkungen wirkten vertrauensbildend und führten deshalb zu einem Aufschwung am Arbeitsmarkt, haben sich als falsch erwiesen. Es hat sich auch gezeigt, dass die Behauptung, es gäbe da so eine Art roter Linie bei der Verschuldung, die Staaten nicht überschreiten sollten, auf schwammigen und zum Teil schlicht falschen Berechnungen basierte. Voraussagen von Haushaltskrisen bewahrheiten sich nicht; Voraussagen von Desaster infolge der strengen Austeritätspolitik aber haben sich als nur allzu zutreffend erwiesen. New York Times Opinion Pages, 5.Mai 2013
(Aus dem Englischen übersetzt von ToberÜbersetzungenBerlin)
Trotzdem werden die Rufe nach einer Abkehr von der zerstörerischen Wende zur Austeritätspolitik kaum beachtet. Zum einen zeigt sich darin der Einfluss von Interessengruppen, denn die Sparmaßnahmen liegen im Interesse der reichen Gläubiger; Und zum anderen zeigt sich da der Widerwille maßgeblicher Politiker, zuzugeben, dass sie falsch liegen. Ich glaube aber, es gibt noch eine weitere Hürde für eine Umkehr: einen weitverbreiteten, tiefsitzenden Zynismus bezüglich der Fähigkeit demokratischer Regierungen zum Kurswechsel, wenn sie erst einmal einen Kurs zur Stützung der Wirtschaft eingeschlagen haben.
Darum denke ich, jetzt ist es an an der Zeit, darauf hinzuweisen, dass dieser Zynismus, so realistisch und abgeklärt er auch wirkt, tatsächlich nichts anderes ist als reine Fantasterei. Programme zur Stützung der Wirtschaft zu beenden, war nie ein Problem – tatsächlich zeigt ein Blick auf die Geschichte, dass sie fast immer zu früh beendet werden. Und in Amerika zumindest sind wir nachweislich gut darin, in unserer Haushaltspolitik Verantwortungsbewusstsein zu zeigen, wenn auch mit einer Ausnahme – der haushaltspolitischen Verantwortungslosigkeit, die dann und nur dann herrscht, wenn kompromisslose Konservative das Sagen haben.
Beginnen wir mit der weitverbeiteten Behauptung, Programme zur Stützung der Wirtschaft fänden nie ein Ende.
In den Vereinigten Staaten sind Regierungsprogramme zur Stützung der Wirtschaft tatsächlich selten – F.D.R.s New Deal und Obamas viel schmaler angelegter Recovery Act sind die einzigen nennenswerten Beispiele. Und beide blieben nicht dauerhaft bestehen – tatsächlich wurden beide viel zu früh eingeschränkt. F.D.R. machte schon 1937 tiefe Einschnitte und stürzte Amerika damit wieder in die Rezession; Der Recovery Act erreichte seinen Höchststand 2010 und siecht seitdem dahin, wobei dieses Dahinsiechen eine der Hauptursachen für unsere schwache Erholung ist.
Wie steht es mit Programmen zur Unterstützung der von der Wirtschaftsflaute Betroffenen? Werden die nicht zu Dauereinrichtungen? Die Antwort ist wieder ein Nein. Die Arbeitslosenunterstützung fluktuiert im Einklang mit dem Konjunkturzyklus, und als prozentualer Anteil des BIP steht sie nur bei knapp der Hälfte ihres kürzlichen Höchststandes. Wegen der noch immer schrecklichen Arbeitsmarktlage werden Lebensmittelgutscheine auch noch zunehmend gebraucht, aber die geschichtliche Erfahrung legt nahe, dass auch das rapide abnehmen wird, falls und wenn die Wirtschaft sich richtig erholt.
Die Entwicklungen im Ausland folgen übrigens demselben Muster. Japan wird oft als ein Land dargestellt, das den Pfad nie endender Konjunkturspritzen eingeschlagen hat. Tatsächlich hat es sich auf eine Politik des Hin und Her eingelassen und bei schwacher Wirtschaftslage die Staatsausgaben erhöht, um sich bei den ersten Anzeichen einer Erholung wieder zurückzuziehen ( und sich somit zurück in die Rezession zu stoßen ).
Die ganze Vorstellung einer dauerhaften Konjunkturstütze ist also nichts als Fantasterei, die sich als nüchterner Realismus ausgibt. Aber von der Dauerhaftigkeit von Konjunkturspritzen einmal abgesehen, die keynesianische Wirtschaftstheorie besagt nicht nur, dass man in schlechten Zeiten Defizite machen, sondern auch, dass man in guten Zeiten Schuldenabbau betreiben soll. Und es ist töricht, zu glauben, dass das auch passiert, nicht wahr?
Falsch. Die wichtigste Maßgabe, die man beachten sollte, ist das Verhältnis zwischen Verschuldung und BIP, das mehr über den Haushalt einer Regierung aussagt als eine bloße Dollarzahl. Und wenn man die Geschichte der Vereinigten Staaten seit dem Ersten Weltkrieg betrachtet, sieht man, dass von den 10 Präsidenten vor Obama sieben ihr Amt mit einer geringeren Verschuldung als bei ihrem Amtsantritt verlassen haben. Wer die drei Aussnahmen waren? Ronald Reagan und die beiden George Bush. Eine höhere Staatsverschuldung, die weder von Kriegen noch von außergewöhnlichen Finanzkrisen verursacht wurde, ist also ausschließlich mit kompromisslosen konservativen Regierungen verknüpft.
Für diese Verknüpfung gibt es einen Grund: US-Konservative folgen schon lange der Strategie, “die Bestie auszuhungern”, also Steuern drastisch zu kürzen, um so der Regierung Gelder vorzuenthalten, die sie zur Unterhaltung populärer Programme braucht.
Der Witz bei der Sache ist, dass gerade jetzt genau dieselben unnachgiebigen Konservativen sagen, in Zeiten der Wirtschaftskrise dürften wir keine Defizite aufbauen. Warum das? Weil, so sagen sie, Politiker in guten Zeiten nicht das Richtige tun und den Schuldenberg abbauen. Wer aber sind diese verantwortungslosen Politiker, von denen die Rede ist? Na ja, sie selber.
In meinen Ohren klingt das wie eine finanzpolitische Version der klassischen Definition von Chutzpe – wonach man seine Eltern umbringt und dann um Mitleid bittet, weil man doch ein Waisenkind ist. Jetzt sagen uns die Konservativen, wir müssten trotz der Massenarbeitslosigkeit unseren Gürtel enger schnallen, weil sonst künftige Konservative in besseren Zeiten den Staat weiter verschulden würden.
So ausgedrückt klingt das natürlich albern. Aber das ist es nicht; Es ist tragisch. Die unselige Wende zum Austeritätskurs hat Millionen Jobs vernichtet und viele Leben ruiniert. Und jetzt ist es Zeit für eine Kehrtwende.