Über Pawlow’sche Hunde im deutschen Medien- und Politikzirkus und die dringende Aufforderung an Frankreich etc., eine publizistische Gegenmacht aufzubauen
Unter den nicht zum neoliberal verseuchten Club gehörenden Ökonomen herrscht weit gehender Konsens darüber, dass ohne die Angleichung der Wettbewerbsfähigkeiten im Euroraum die Karre der von uns allen gewünschten gemeinsamen Währung an die Wand fährt. Diese Tatsache beeindruckt bisher die handelnden Personen in Berlin und die sie unterstützenden Medien nicht. Dort herrscht eine unverantwortliche Nach-uns-die-Sintflutmentalität. Diese gefährliche Position ist publizistisch und semantisch kräftig unterfüttert – siehe hier. Bisher setzen viele von uns darauf, dass sich Berlin doch noch bewegt und eine innere Aufwertung auf deutscher Seite möglich macht; andere haben die Hoffnung aufgegeben. Zu Letzteren zählt Oskar Lafontaine. Von ihm erschien am 30. April ein Diskussionsbeitrag unter dem Titel „Wir brauchen wieder ein europäisches Währungssystem“. Von Albrecht Müller
Obwohl er in vier Absätzen und damit über zwei Drittel seines Textes klarmacht, dass die reale Aufwertung über steigende Löhne auch für ihn die erste Priorität hatte, stürzte sich nach Erscheinen seiner resignierenden Abwägung eine Meute aus Medien und Politik auf ihn, genauso wie auf Sahra Wagenknecht, die sich ähnlich geäußert hatte. Nur zwei Beispiele dafür: Walde in Berlin Direkt im ZDF und Stefan Reinecke in der TAZ vom 1.5.2013: “Lafontaine will den Euro nicht. Was haben Oskar Lafontaine und die AfD gemeinsam? Beide sind gegen den Euro. Gut möglich, dass sein Euro-Nein die Linkspartei im Westen spaltet.” Auf dieses Schmierentheaterstück wies Axel Troost in seinem Newsletter ausdrücklich hin. Das passt ins Bild der innerparteilichen Diskussion bei der Linkspartei und ist zugleich ein Beleg für den von Pawlow erforschten Mechanismus.
Den Hinweis auf den russischen Forscher hatte ich auf der Zunge. Ich verdanke die Konkretisierung diesem Blog-Beitrag: „Betreff: Fass die Linken: Über Beiss-Reflexe gegen linke Positionen“
Man kann die Position von Lafontaine und Wagenknecht und im Grunde auch Heiner Flassbecks Sorge für falsch halten. Man kann die konkreten Überlegungen zur langsamen Auflösung der Eurozone für falsch halten. Dann sollte man aber angesichts der dramatischen Entwicklung in den südeuropäischen Ländern und der deshalb nahe liegenden Suche nach Lösungen zu einer sachlichen Debatte bereit sein und nicht zur Verteilung von Etiketten. Man kann glauben, es könnte sich in Berlin und Brüssel doch noch etwas bewegen. Aber dann sollte man auch zur Kenntnis nehmen, wie clever der falsche Kurs der Angela Merkel propagandistisch abgesichert ist. Dann sollte man überlegen, wie man endlich Druck machen kann gegen die Berliner Ideologen der Sparabsichtspolitik.
Frankreich, Italien und die anderen Staaten, die unter Deutschlands Export von Arbeitslosigkeit leiden, sollten eine gemeinsame politische und publizistische Strategie entwickeln.
Die von der deutschen Uneinsichtigkeit betroffenen Länder sollten um vieles offensiver werden. Zum Beispiel:
- Dass Holland seine Partei zurück pfeift, wenn sie endlich offensiv wird, ist nicht zu verstehen. Siehe dazu hier.
- Wenn der deutsche Vorsitzende des Europaparlaments die deutsche Bundeskanzlerin gegen die Kritik aus Frankreich in Schutz nimmt, wie in den letzten Tagen geschehen, dann muss die Fraktion der Sozialdemokraten und Sozialisten im Europäischen Parlament dagegen aufstehen.
- Die Südländer müssen ihre Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland verstärken. Dabei würden die vernünftigen Ökonomen in Deutschland helfen. Eine unfreundliche Frage in diesem Zusammenhang: Gibt es in den Presseabteilungen der Botschaften der betroffenen Länder und unter den Botschaftern selbst ausreichend kluge Leute, die das notwendige Spindoctoring zu betreiben fähig sind?
- So wie die neoliberal eingefärbten Austeritäts- und „Reform“-Politiker offensichtlich eine semantisch abgefederte agitatorische Strategie entwickelt haben, so muss das auch die Gegenseite tun. Ich sehe nicht, dass auf französischer, italienischer oder griechischer und spanischer Seite eine solche Strategie zur Aufklärung der europäischen und deutschen Öffentlichkeit entwickelt wird. Das ist fahrlässig.
Das alles ist nicht leicht. Aber den Karren einfach so weiterlaufen zu lassen, führt auch zu keinem leicht zu bewältigenden Ergebnis.
Wenn Deutschland sich nicht bewegt, dann soll es um Gott’s Namen seine aufgewertete DM wiederhaben
In der Sache wäre zu erwägen, ob Frankreich und alle anderen Betroffenen nicht einen eigenen Vorstoß zur begrenzten und zu bewältigenden Auflösung der Eurozone unternehmen sollten – und sei es nur, um die deutsche Betonfraktion unter Druck zu setzen: die Euro Länder mit Ausnahme von Deutschland, Österreich und Finnland könnten den Vorschlag unterbreiten, dass Deutschland, Österreich und Finnland aus dem Euro Raum ausscheiden, ihre eigenen Währungen wieder einführen und gleichzeitig gemäßigt und geplant um 20 % oder 25 % aufwerten. Die Kapitalverkehrskontrollen wären dann auf die Grenzen von Deutschland, Österreich und Finnland begrenzt. Wenn der Anpassungsprozess vollzogen ist, kann man dann möglicherweise wieder zusammenkommen.
Ein solcher Vorschlag muss ernsthaft ausgearbeitet sein und ernst gemeint sein. Aber er hat zu aller erst die Funktion, den Druck auf Deutschland, Österreich und Finnland zu erhöhen. Wenn das nicht gelingt und keinen Erfolg hat, dann wird man sehr schnell bei den Vorschlägen von Lafontaine, Wagenknecht und Flassbeck angekommen sein.