Das hohe Ansehen von Merkel und ihrer Regierung gründen vor allem auf semantischen Tricks
Das könnte uns egal sein, wenn die hohe Zustimmung für Angela Merkel als Bundeskanzlerin sie nicht zugleich daran hindern würde, zur Einsicht zu kommen. Merkel und ihr Kabinett führen Europa ins Unglück. Siehe dazu auch den heutigen Beitrag „Die Austeritätspolitik gefährdet den europäischen Zusammenhalt und die Demokratie“. Auf die dem Ansehen Merkels zu Grunde liegenden Manipulationen wies ich zuletzt am 25. April 2013 hin: „Fortsetzung des Blicks auf die uns umstellenden Manipulationen …“. Weil die semantischen Tricks, also die Nutzung der Sprache zur Manipulation, so glatt funktionieren und wir quasi stündlich darauf hereinfallen, sei noch einmal darauf hingewiesen – auch wenn einige NachDenkSeiten-Leser diesen penetranten Aufklärungsversuch nicht goutieren. Von Albrecht Müller
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Ich weise auf vier semantische Tricks hin:
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Auf den verfälschenden Gebrauch des Wortes „Reformen“
Der Begriff Reform hat in Deutschland schon aus preußischer Zeit einen guten Klang. Auch in Zeiten der sozialliberalen Koalition wie auch der davor liegenden großen Koalition, also von 1966 bis 1982, wurden mit diesem Begriff in der Regel Veränderungen zu Gunsten der Mehrheit und der Schwächeren in unserer Gesellschaft bezeichnet. Dieser Bedeutungsgehalt wird jetzt in Deutschland seit den Regierungen Kohl, Schröder und Merkel auf Veränderungen angewandt, die vor allem zulasten der Mehrheit der Bevölkerung und der Schwächeren gehen. Und die so genannten Reformen werden jetzt, versehen mit dem guten Klang aus alter Zeit, anderen Ländern empfohlen und mit politischer Gewalt durchgesetzt.
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Noch einmal verweise ich auf die Kennzeichnung der Austeritätspolitik, also der Politik zur Vermehrung der Arbeitslosigkeit und Krisenverschärfung als „Sparpolitik“.
Am 25. April konnten Sie bei uns lesen: „Bitte halten Sie mich nicht für penetrant. Aber wenn wir wie im konkreten Fall mit der Sprache so schlampig umgehen, dann können Schäuble und Merkel ihre folgenschwere Politik der Manipulation und der Krisenverschärfung zulasten von Millionen Menschen weiter durchhalten. Wahrscheinlich glaubt die Mehrheit der Deutschen immer noch, die Politik der deutschen Bundesregierung erziele Sparerfolge in den südeuropäischen Ländern.“
Merkel und Schäuble werden von einflussreichen Medien in der Nutzung dieses semantischen Tricks immer wieder unterstützt. Besonders markant war das zu beobachten, als sich vor kurzem der Regierungssprecher Seibert und der heute-journal-Moderator Kleber im Wechselspiel über die Kritik der französischen Sozialisten an der deutschen so genannten Sparpolitik her machten. Anderen unserer Leser werden ähnliche Medienereignisse zum gleichen Thema aufgefallen sein.
Im konkreten Fall ist das Ganze besonders absurd, weil in den Texten der sozialistischen Partei auf Französisch mit Sicherheit nicht von „Sparpolitik“, sondern von Austeritätspolitik die Rede ist. Der Sprachgebrauch in anderen Ländern trifft den Sachverhalt genauer, auch zum Beispiel, wenn von Härte oder von Rigidität die Rede ist.
Umso wichtiger wäre es, dass unsere Partner in Europa endlich den Vorgang der semantischen Tricks zum Thema machen – in ihren eigenen Ländern, in Brüssel und in ihrer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland. Das ist nicht leicht. Aber wenn die Betroffenen mit dieser Aufklärungsarbeit nicht beginnen und sie nicht unterstützen, wer denn sonst. Wir in den NDS vielleicht. Das reicht aber nicht.
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Auf die Umdeutung der Finanzkrise in eine „Staatsschuldenkrisen“
Wie perfekt und komplett diese Umdeutung gelungen ist, haben wir schon oft beschrieben. Es ist faszinierend, dass nahezu alle Medien diese Fälschung mitmachen, ohne rot zu werden.
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Auf den zu Unrecht positiv aufgeladenen Begriff „Exportüberschuss“ bzw. „Leistungsbilanzüberschuss“.
Dafür, dass diese Begriffe schon sprachlich positiv aufgeladen sind, kann Angela Merkel und Wolfgang Schäuble nichts. Sie gebrauchen diesen vorliegenden Begriff. Sie missbrauchen ihn.
Ob Leistungsbilanzüberschüsse positiv zu bewerten sind, hängt von der Situation ab. Wenn ein Land längere Zeit Leistungsbilanzdefizite hatte, dann kann man in einer Serie von Leistungsbilanzüberschüssen etwas Positives sehen. Ansonsten sind Leistungsbilanzüberschüsse eher negativ zu beurteilen. Das sind verschenkte Ressourcen. Das erkennt man leicht, wenn man sich die güterwirtschaftliche Betrachtung volkswirtschaftlicher Vorgänge zu eigen macht – die Betrachtung in real terms, wie wir Ökonomen sagen.
In Deutschland waren wir beim Gebrauch dieser Begriffe und ihre Bedeutung schon viel weiter: 1969 gab es eine unterbewertete D-Mark und hohe Exportüberschüsse. Damals schickte sich die SPD an, eine ganzseitige Anzeige in der Bild-Zeitung zu schalten mit der Überschrift: „Wir verschenken jeden 13. VW“. Das waren noch Zeiten; seit dem sind die Wissenschaft von der Ökonomie und die öffentliche Debatte zum Thema auf dem Weg zurück. Die Regression der Volkswirtschaftslehre.
Für Leistungsbilanzüberschüsse wie auch für Leistungsbilanzdefizite müsste es einen neutralen nicht mit einer Wertung wie „Überschuss“ und „Defizit“ aufgeladenen Begriff geben.
Das Fazit: wir sollten, auch wenn es penetrant erscheint, im Umgang mit anderen Menschen immer wieder auf die Semantik und die semantischen Tricks zu sprechen kommen.
Nachtrag vom 3.5.: Roger Strassburg, unser produktiver Amerikaner aus Oberbayern hat einen guten Vorschlag zu dem Wunsch:
“Für Leistungsbilanzüberschüsse wie auch für Leistungsbilanzdefizite müsste es einen neutralen nicht mit einer Wertung wie „Überschuss“ und „Defizit“ aufgeladenen Begriff geben.”
Wie wäre es mit “Überhang”? Dann hätten wir “Exportüberhang” und “Importüberhang”.