Zypern – Irrsinn pur!
Ein alter chinesischer Fluch lautet: „Mögest du in interessanten Zeiten leben“. Europa durchläuft leider momentan eine sehr interessante Zeit und das kommende Wochenende dürfte besonders interessant werden. Sollten Zypern und die „Euroretter“ bis Montagmorgen nicht zu einer beidseitigen Übereinkunft, wird die EZB – so die unverhohlene Drohung aus Frankfurt – die beiden größten zypriotischen Banken nicht mehr mit Liquidität versorgen. Dann würden auf Zypern die Lichter ausgehen. Und genau danach sieht es momentan auch aus. Durch ihre vollkommen unverantwortlichen Entschlüsse vom letzten Wochenende haben die „Euroretter“ eine Situation geschaffen, in der es nur Verlierer geben kann. Aber auch die zypriotische Regierung bekleckert sich nicht gerade mit Ruhm. Von Jens Berger
Geht es nach den Euro-Finanzministern, der Eurogruppe, dem IWF und der EZB gibt es nur eine einzige Möglichkeit, den gordischen Knoten zu zerschlagen: Das zypriotische Parlament widerruft seine Ablehnung der am letzten Wochenende ausgehandelten Bankensonderabgabe und sorgt so dafür, dass Zypern sich bereits in der nächsten Woche 5,8 Mrd. Euro in Cash an der „Rettung“ des eigenen Bankensystems beteiligen kann. Diese Vorgabe, die von Wolfgang Schäuble stammt, ist im Laufe der Woche zur conditio sine qua non geworden. Und es ist unwahrscheinlich, dass die Troika von dieser Forderung abweicht. Denn dann würde sie in der Weltöffentlichkeit wie ein begossener Pudel dastehen, der sich vom kleinen, renitenten Zypern hat auf der Nase herumtanzen lassen. Die Autorität der „Euroretter“ wäre dann ein und für alle Male zerstört.
Plan B – Zyperns nicht ernst zu nehmender Alibi-Plan
Geht es hingegen nach den zypriotischen Politikern, dürfte dem ESM-Kredit nichts mehr im Wege stehen. Zypern will nämlich einen „Plan B“ verabschieden, der die geforderte Eigenbeteiligung von 5,8 Mrd. Euro auch ohne eine Bankensonderabgabe aufbringt. Doch wie soll das geschehen? Offenbar haben die Zyprioten mit der Idee geliebäugelt, einen „Solidaritätsfonds“ aufzulegen, der dem Staat die nötigen Milliarden leiht. Finanzieren soll sich dieser Fonds über eine Anleihe. Es ist dabei nicht vollkommen ersichtlich, wer diese Anleihe kaufen soll. Immer wieder ist dabei die Rede von dem Vermögen der zypriotischen Kirche, von einem Teil der Goldreserven der zypriotischen Zentralbank und von den heimischen Rentenkassen. Unklar ist jedoch, ob es hier um die Sicherheiten für die Anleihe geht, oder ob diese drei Quellen die Anleihe erwerben sollen. Sollte es sich um Sicherheiten handeln, müssten erst einmal Käufer für die Anleihe gefunden werden. Aber wer kommt da in Frage? Niemand, denn die einheimischen Banken haben ebenso wie ihre Kunden kein freies Geld. Und ob Ausländer ein derart hoch spekulatives Papier zeichnen würden, darf doch sehr bezweifelt werden.
Auch als Finanziers scheiden die drei Quellen jedoch aus. Die Kirche hat ihr Vermögen in Sachanlagen – v.a. Immobilien – angelegt und kann auf die Schnelle nicht genug Kapital flüssig machen, selbst wenn sie es hätte. Doch auch hier ist Zweifel angebracht. Der größte Aktivposten in der Vermögensbilanz der zypriotischen Kirche ist eine 29%-Beteiligung an der drittgrößten Bank der Landes, der „Hellenic Bank“. Und diese Beteiligung dürfte momentan so gut wie nichts wert sein. Eine Plünderung der Rentenkassen wird – zum Glück – von der Troika nicht akzeptiert und ob die zypriotische Zentralbank überhaupt ihre Goldreserven veräußern darf, die ja immerhin eine Sicherheit im Eurosystem sind, bei dem sie alleine über die Target-2-Mechanismen mit 8,9 Mrd. Euro verschuldet ist, darf doch sehr bezweifelt werden. Und selbst wenn, beim aktuellen Marktpreis wären die gesamten Goldreserven nicht einmal 500 Mio. Euro wert – ein Tropfen auf dem heißen Stein. Hinzu kommt, dass Zypern sich bei diesem „Plan B“ wiederum neu verschulden müsste. Und dies sollte durch die geplante Bankabgabe ja eben verhindert werden.
Wenn dies der „Plan B“ ist und „Plan A“ (die Sonderabgabe) weiterhin abgelehnt wird, werden in den beiden größten Banken des Landes am Montag die Lichter ausgehen. Einen solchen, mit heißer Nadel zusammengestrickten, Plan kann die Troika gar nicht akzeptieren und nach jüngsten Pressemeldungen wird sie das auch nicht. Was überhaupt in die zypriotischen Politiker gefahren ist, mit den Rentenkassen die finanzielle Absicherung ihrer Bevölkerung als Manövriermaße ins Spiel zu bringen, ist unverständlich. Gerade für die normalen Menschen wäre ein Verlust der Rentenansprüche wesentlich gefährlicher als die anfangs diskutierte Sonderabgabe auf ihre Bankeinlagen. Man muss hier die Frage stellen, um was es der zypriotischen Politik eigentlich geht: Um die Bankkunden mit mehr als 100.000 Euro Einlagen oder um ihre Bevölkerung? Momentan wirkt die Politik des Inselstaats jedenfalls so, als sei sie in Geiselhaft der Großanleger. Nicht nur die „Euroretter“, sondern auch die zypriotische Politik gibt in dieser Woche ein ganz erbärmliches Bild ab.
Zwei Szenarien – Friss oder stirb!
Nach momentaner Gemengelage bleiben zwei Alternativen übrig, wie die Sache weitergeht.
- Zypern pokert hoch und verliert alles
- Zypern verabschiedet die Bankenabgabe doch
spätestens seit bekannt wurde, dass Russland Zypern nicht zur Seite steht, ohne zuvor die Entscheidung der Troika abzuwarten, war klar, dass der Finanzstandort Zypern nun der Vergangenheit angehört. Es wird weder ein weißer noch ein schwarzer Ritter am Horizont erscheinen, der die notwendigen 5,8 Mrd. Euro an die Republik Zypern überweist. Sollte man in Nikosia planen, sein eigenes Blatt zu überreizen, wird man am Montag mit einem heftigen Kater aufwachen und sich mit dem unkontrollierten Bankrott der beiden größten Banken des Landes (und durch die Querverbindungen wahrscheinlich sogar des gesamten Bankensystems) konfrontiert sehen. Dies wird bei der Troika offenbar einkalkuliert, die Folgen könnten indes verheerend sein.
Zu verhindern wäre dies, wenn Zyperns Parlament bis zum Sonntag doch einer Bankenabgabe zustimmt. Da eine Beteiligung der Kleinsparer mittlerweile ja ausgeschlossen wird, müssten dann die Einlagen über 100.000 Euro mit 15,5% versteuert werden. Das mag für einige Großanleger schmerzhaft sein. Aber was ist die Alternative? Gehen die Banken von heute auf morgen in den Konkurs, müssen sich die Großanleger mit Verlusten in der Größenordnung von 40% abfinden. Sollte die Troika nicht – entgegen ihrer eigenen Aussagen – von ihrem Kurs abweichen, würden die Großanleger mit einer Bankenabgabe immer noch besser dastehen, als mit Einlagen bei einer Bank, die abgewickelt werden muss.
Warum überhaupt die Banken retten?
Es bleibt jedoch die Frage im Raum, warum Zypern überhaupt 17 Mrd. Euro bekommen soll. Rund 11 Mrd. Euro davon sind einzig und allein für die Rekapitalisierung des überdimensionierten und zutiefst maroden Bankensystems der Insel vorgesehen. Man will also Banken, die zusammen rund 500 Mio. Euro wert sind, für das zweiundzwanzigfache ihres Wertes „retten“. Das ist Irrsinn pur! Sollte dieser Irrsinn Wirklichkeit werden, würde sich die Staatsschuldenquote Zyperns zudem mit einem Schlag von 90% auf 160% erhöhen – ein Wert, der in der absehbar kommenden Rezession viel zu hoch ist. Zypern will die Einleger seiner Banken retten und provoziert dafür einen fast sicheren kommenden Staatsbankrott. Eigentlich müsste die Troika die ESM-Kredite in dieser Form ablehnen. Will man sich auf dieses Abenteuer einlassen, müsste nicht der Staat Zypern, sondern der ESM die Banken direkt rekapitalisieren. Da dies ein verlustversprechendes Unterfangen ist, hat der ESM jedoch kein Interesse daran. So viel zum Thema „Rettungsschirm“ – man rettet die Banken und deren Einlagen, setzt dafür aber die Zukunft eines ganzen Landes aufs Spiel.
Der Geist ist nun aus der Flasche. Durch die komplett destruktive „Friss-oder-stirb-Strategie“ vom letzten Wochenende haben sich alle Beteiligten vollkommen unnötig unter zeitlichen Druck gesetzt. Warum eigentlich? Man hätte die großen Banken des Landes auch kontrolliert abwickeln können, hätte man sich nicht unnötig selbst limitiert. Doch das wollten weder die „Euroretter“, noch die zypriotische Regierung, die noch immer nicht wahrhaben will, dass der Finanzstandort Zypern bereits jetzt der Geschichte angehört. Nun geht es vor allem um die Menschen und die Zukunft Zyperns. Und da kann einem nur angst und bange sein. Am einen Ende des Verhandlungstisches sitzt die Troika, der es um das Wohl der Finanzmärkte geht und am anderen Ende sitzt die zypriotische Regierung, der es um das Wohl der Großanleger geht. Für das Volk bleibt da kein Platz.