Statistisches Bundesamt: Arbeitskostenvergleich und die Mär von den zu hohen Lohnebenkosten in Deutschland.
Nach dem IW und dem IMK legt nun auch das Statistische Bundesamt einen Arbeitskostenvergleich [PDF – 846 KB] vor. Wir haben zwar schon mehrfach dargelegt, dass für einen Vergleich der internationalen Wettbewerbsfähigkeit die Lohnstückkosten viel aussagekräftiger sind, aber immerhin widersprechen die Daten der Wiesbadener Statistiker, sowohl der Legende dass die deutschen Arbeitskosten im internationalen Vergleich zu hoch seien und sie widerlegen auch die Mär von den zu hohen Lohnnebenkosten. Darüber hinaus darf man auch mal fragen, woraus demn die Arbeitgeberpflichtbeiträge alternativ bezahlt werden sollten, wenn nicht dann ausschließlich aus den Löhnen der Arbeitnehmer.
Wie nicht anders zu erwarten liegen nach einem Vergleich des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) die deutschen Arbeitskosten mit am höchsten [PDF – 85 KB], (wir haben darüber berichtet) , während sie nach der Auswertung Eurostat-Statistik des eher arbeitnehmerorientierten Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) jedenfalls im privaten Sektor allenfalls im Mittelfeld liegen [PDF – 507 KB].
Jetzt hat auch das Statistische Bundesamt seine Zahlen veröffentlicht. Danach liegen die Arbeitkosten zwar im „verarbeitenden Gewerbe“ 2004 hinter Belgien am höchsten, im „produzierenden Gewerbe und in den marktbestimmten Dienstleistungsbereichen“ aber allenfalls im Mittelfeld der westeuropäischen Staaten (siehe Grafiken S.20ff.). Interessant ist auch, dass ganz entgegen dem ständigen Lamento der Wirtschaft die Arbeitskosten flächendeckend mit 1,8 bis 2,1 Prozent von 2000 bis 2004 mit deutlichem Abstand zum EU-Durchschnitt (3,6 – 3,5) am geringsten angestiegen sind (Grafik S. 22). Kein Wunder also, die Binnennachfrage in Deutschland stagniert und deutlich geringer ist als bei unseren Nachbarn.
Wie wenig die Arbeitskosten über die internationale Wettbewerbsfähigkeit aussagen, ergibt sich auch schon daraus, dass in den eher wenig exportorientierten kleinen Unternehmen mit 10 bis unter 50 Arbeitnehmern die Arbeitskosten mit 21,44 Euro je Arbeitsstunde nur 52% des Niveaus der Arbeitskosten der eher exportorientierten Unternehmen mit 1 000 und mehr Arbeitnehmern (37,37 Euro) erreichten. Im Jahr 2000 waren es 54%, 1992 noch 64%, die Schere ging also auseinander. (Herr Westerwelle kann sich also seine Polemik ersparen, wonach die Handwerkerstunde in Deutschland so hoch liege, dass man sie nicht mehr bezahlen könne.)
Offenbar der politischen Debatte nachgebend, beschäftigt sich das Statistische Bundesamt auch mit den sog. Lohnnebenkosten.
Danach zahlten im Jahr 2004 die Arbeitgeber im Produzierenden Gewerbe und in den marktbestimmten Dienstleistungs bereichen pro 100 Euro Bruttolohn und -gehalt im Durchschnitt zusätzlich gut 33 Euro Lohnnebenkosten. Davon entfielen 20 Euro auf die Arbeitgeberpflichtbeiträge zur Sozialversicherung, 6 Euro auf die betriebliche Altersversorgung, knapp 3 Euro auf die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und im Mutterschutz, rund 2 Euro auf Kosten des Personalabbaus (?) sowie fast 3 Euro auf sonstige Lohnnebenkosten (das sind etwa das 13. Monatsgehalt oder Prämien bei Erreichung von Leistungszielen).
Leider beschränkt sich der internationale Vergleich auf unsere unmittelbaren Nachbarstaaten. In den Niederlanden liegen jedoch nach den Berechnungen des statistischen Bundesamtes die Lohnnebenkosten kaum niedriger als bei uns, nämlich bei 32 Euro. (Rechnet man die Kosten für den Personalabbau oder die sonstigen Lohnnebenkosten, die das Bundesamt einfach so dazu zählt, ab, dann liegen bei uns diese Kosten sogar noch niedriger als bei unserem westlichen Nachbarland.)
Selbst im Billiglohnland Polen zahlten die Arbeitgeber 25 Euro Lohnnebenkosten zusätzlich zu je 100 Euro Bruttolohn. Die Arbeitgeberpflichtbeiträge zur Sozialversicherung haben dort mit 18 Euro inzwischen ein ähnliches Niveau wie in Deutschland. Vor allem die – nicht gesetzlich vorgeschriebene, also tarifvertraglich geregelte – betriebliche Altersversorgung spielt allerdings in Polen noch kaum eine Rolle und daraus ergibt sich im Wesentlichen die Diskrepanz zu Deutschland.
Die ständige Dramatisierung der gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitgeberpflichtbeiträge an den Lohnnebenkosten entpuppt sich jedenfalls wieder einmal als eine gezielt eingesetzte Mär, um damit den Abbau von paritätisch finanzierten Sozialleistungen voranzutreiben.
Im Übrigen lässt auch das Statistische Bundesamt natürlich die Kernfrage unbeantwortet: Wenn nicht paritätisch finanziert, woraus sollten denn die Pflichtbeiträge zu den Sozialversicherungen (also Rente, Krankheit, Arbeitslosigkeit), die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und im Mutterschutz anders bezahlt werden, als ohne Arbeitgeberanteil dann ausschließlich aus den Löhnen. Ohne Arbeitgeberanteil, müssten sie eben komplett aus der Lohntüte der Arbeitnehmer finanziert werden. Und würden sich die Arbeitnehmer diese zusätzlichen Belastungen wieder über Forderungen nach entsprechend höheren Löhnen zurückholen, dann wären halt wieder die Arbeitskosten zu hoch. So beißt sich dann die Katze in den Schwanz und das Erpressungsmanöver mit den zu hohen Arbeitskosten als Wettbewerbsnachteil begänne von vorn.