Brüderle: “Wir überlassen unser Land nicht diesen Fuzzis, diesen fehlprogrammierten Typen”
Was der Parteivorsitzende und vor allem der Spitzenkandidat in ihren Reden boten, war nicht einmal kabarett- sondern – im schlechten Sinne – comedy-reif. Dem Zuschauer, der nun nicht gerade der „Ultra-Szene“ der FDP angehört, müssen die Ansammlung von Kalauern den Angstschweiß über das Niveau der politischen Auseinandersetzung im bevorstehenden Wahlkampf auf die Stirn getrieben haben. Die Reden ähnelten eher Aufputschritualen einer verängstigten Horde von Fußballfans, deren Verein im Abstiegskampf steht und die sich mit Hassgesängen auf den politischen Gegner Mut einzubläuen versuchte.
Das ganze Armutszeugnis der FDP zeigt sich darin, dass Rösler, der auf diesem Parteitag eigentlich abgesägt werden sollte, mangels Alternative, wieder zum Hoffnungsträger hochgejubelt und dass der Meuchelmörder Brüderle, ein wegen seiner Zoten wochenlang untergetauchter Eigentorschütze, zur „Sturmspitze“ umetikettiert wurde. Von Wolfgang Lieb.
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Ich habe mir das tatsächlich angetan und den vorgezogenen Parteitag der FDP in der Käseglocke Berlin auf Phoenix angeschaut. Ich habe mir vorgestellt, wie das Kasperletheater, das Rösler und Brüderle vor einer Ansammlung von Claqueuren aufführten, auf einen normalen Menschen wirken muss. Mir ist dabei eine Kritik des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker durch den Kopf gegangen, nämlich dass die Parteien „machtversessen“ auf einen Wahlerfolg und „machtvergessen“ im Hinblick auf die Inhalte von Politik seien. Das scheint mir in besonderem Maße auf die FDP zuzutreffen. Soviel Umarmungen mit dem Dolch im Gewande gab es selten auf einem Parteitag. Statt inhaltlichem Programm billige Kalauer über die politischen Gegner:
Die Grünen wollten den „Obrigkeitsstaat nicht mit der Pickelhaube sondern auf Birkenstock-Sandalen“. Die SPD plane eine „Steuererhöhungsorgie“ und damit einen „Anschlag auf die Mitte unserer Gesellschaft“. Die CDU sei beim „Kampf gegen Mehrbelastungen schon längst umgefallen“. Solche Phrasen drosch Rösler. Ständig reklamierte er für sich und seine Partei, dass sie sich als einzige der „Lebenswirklichkeit“ stelle, dabei merkten er und der auf Applaus programmierte Saal nicht einmal mehr, dass sie sich von dieser Wirklichkeit Lichtjahre entfernt haben. Offenbar fiel gar nicht mehr auf, wenn einfache logische Widersprüche in eine politische Aussage gepackt wurden. So etwa wenn Rösler auf die „Lebenswirklichkeit“ hinwies, dass es in bestimmten Regionen und Branchen gar keine Tarifpartner mehr zum Aushandeln von Tarifverträgen über Löhne mehr gebe. Und dennoch will er das Aushandeln von Löhnen diesen nicht mehr vorhandenen Tarifpartnern überlassen. Leistung müsse sich eben wieder lohnen, wiederholte er zum hunderttausendsten Mal. Wir würden den Kindern etwas nehmen, wenn man das Sitzenbleiben in der Schule abschaffte, nämlich Niederlagen durch Fleiß in einen Sieg zu verwandeln. Rösler war sogar stolz darauf, dass die Kanzlerin die FDP als „eine Prüfung Gottes“ karikiert hat. „Dafür sind wir da“, sagte er und fand sich dabei sichtlich witzig. „Frei zu denken und frei zu handeln“, das sei seine und der Partei Überzeugung. Offenbar selbst dann, wenn das Denken und Handeln absolut sinnfrei ist: „Deutschland geht es gut, den Menschen geht es gut“. Vielleicht deshalb, weil eine solche Rede offenbar auch von der versammelten Berichterstattung nicht mit Hohngelächter aufgenommen wird, kann Rösler das Gefühl haben, dass „Deutschland das coolste Land“ ist. Die Zeit verleiht ihm dafür sogar das Lob eines „witzigen Rhetorikers“. Um bei den Jugendlichen besser anzukommen, sollte er sich vielleicht noch steigern und beim nächsten Mal vom „geilsten“ Land reden.
Wenn man denkt, das Niveau kann nicht mehr weiter sinken, dann kommt Zoten-Brüderle:
Die FDP sei „das Kompetenzzentrum der Bundesregierung“, „wir haben das gemacht!“. „Ohne Eurokrise hätten wir Vollbeschäftigung“, wir brauchten keinen Mindestlohn, die FDP sei schließlich für das „Bürgergeld“, die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften vereinnahmte er zu „bürgerlichen Paaren im besten Sinne des Wortes“, das „Streben nach Glück“ ändere sich nicht mit dem 65. oder 67. Lebensjahr, deshalb soll jeder Deutsche so lange arbeiten dürfen, wie er möchte. Die „Generation Silberlocke mit iPad“ träume nicht vom Ruhestand. Die Grünen seien eine späte Vereinigung von „Marx und Morgenthau“, sie seien „Bionade-Biedermeier“. Die Schweizer mit ihrer Abzocker-Initiative, das sei „FDP pur“. Rot-Rot-Grün wolle die „Lufthoheit über die Kinderbetten“, „einmal DDR war genug“. Steinbrück sei ein „Sprachroboter“ der Linken in der SPD, der von der „Verelendung“ Deutschlands rede. Steinbrück sei darüber hinaus eine „Fettnäpfchensuchmaschine Wer gegen deutsche Exportüberschüsse sei, wolle den Mangel umverteilen. Die Opposition hole „die Wohlstandsvernichtungswaffen“ raus, Trittin wolle einen „Mao-Zuschlag“ polemisierte er gegen die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer. (An wessen Wohlstand er dabei nur dachte?)
Brüderle hatte wohl Comedy-Gag-Schreiber für seine Rede engagiert und dazu noch schlechte. Es sagt alles über das Niveau dieses Parteitags, dass die Delegierten krampfhaft nach nahezu jedem Satz begeistert geklatscht haben. Brüderle ist eine selbsternannte „Sturmspitze“, die ein Eigentor nach dem anderen schießt und seine Fans überschlagen sich dennoch in minutenlangem Beifall.
Der stern bescheinigte Brüderle, dass er Wahlkampf exzellent könne. Wenn das, was er geboten hat, exzellenter Wahlkampf sein soll, dann kann einem bis zum 22. September nur noch grauen. „Da brennt der Baum“ wie Brüderle meinte, also machen wir das kommende halbe Jahr auf „Ballermann“.