Schweizer „Abzockerinitiative“ – Viel Aufregung um (fast) nichts
Wer sich gestern die Portale der großen deutschen Verlagsmedien angeschaut hat, konnte seinen Augen kaum trauen. Die kreuzbraven Eidgenossen, so der Tenor, seien auf einmal zu „Wutschweizern“ (Zitat: Frankfurter Rundschau) mutiert. Den Vogel schoss diesmal die ZEIT ab, die aufgeregt titelte, „die Schweiz entdeck[e] den Staatskapitalismus“. Und nun will sogar die FDP auf den fahrenden Zug aufspringen, sich die Schweiz zum Vorbild nehmen und noch vor den Wahlen ein „Zeichen setzen“. FDP und Staatskapitalismus? Passt das zusammen? Natürlich nicht. Aber anders als die Leitartikler scheinen Brüderle und Co. die Schweizer Initiative zumindest gelesen zu haben. Denn diese ist wesentlich marktkonformer als mancher denkt. Von Jens Berger.
Der genaue Wortlaut der „Eidgenössischen Volksinitiative gegen die Abzockerei“ ist auf den Seiten der Initiative nachzulesen.
Der Inhalt der Schweizer Initiative lässt sich grob in zwei Themenbereiche unterteilen:
- Ein neues Verfahren zur Regelung von Managergehältern in Aktiengesellschaften
- Strenge Regularien bei Sonderzahlungen für Manager von Aktiengesellschaften
Die Aktionäre bekommen stärkere Rechte
Das besondere Interesse deutschen Kommentatoren und Politiker hat dabei der erste Themenbereich erlangt. Dies ist erstaunlich, denn hier unterscheiden sich die Forderungen der Initiative nur marginal von dem, was in Deutschland schon längst gesetzlich festgeschrieben ist. Künftig entscheidet in der Schweiz die Generalversammlung der Aktionäre über die Bezüge des Top-Managements der Schweizer Aktiengesellschaften. Bis jetzt wurden die Bezüge in der Schweiz vom Management selbst festgelegt.
Und wie sieht dies in Deutschland aus? In Deutschland entscheidet die Hauptversammlung der Aktionäre schon heute direkt über die Bezüge des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft und das System der Vergütungen – aber nicht die Höhe – des Vorstands, also des operativen Top-Managements. Die Höhe der Vorstandsbezüge wird wiederum vom Aufsichtsrat der AG festgelegt, der durch das Mitbestimmungsgesetz paritätisch mit Vertretern der Kapitalseite, also den Besitzern des Unternehmens, und Vertretern der Arbeitnehmerseite besetzt ist.
Nach dem Text der Schweizer „Abzockerinitiative“ würde also ausschließlich die Kapitalseite die Bezüge des Top-Managements festlegen, während in Deutschland hier auch die Arbeitnehmerseite ein Mitspracherecht hat. Würde Deutschland die neue Schweizer Regelung übernehmen, wäre dies kein Schritt nach vorn, sondern ein Schritt zurück. Da ist es kein Wunder, dass FDP-Politiker wie Rainer Brüderle oder Volker Wissing ganz begeistert vom Schweizer Entwurf sind.
“Die Schweizer haben die Rechte der Aktionäre und damit der Eigentümer gestärkt. (…) Die Schweizerinnen und Schweizer haben auf starre Grenzen verzichtet, sondern den Mut zu einer differenzierten und anspruchsvollen Regelung gezeigt. (…) Die deutsche Opposition könnte viel von der Schweiz lernen.”
Volker Wissing (FDP)
Die FDP hat kein Interesse daran, die Auswüchse des Kapitalismus zu begrenzen, ihr geht es vielmehr darum, das deutsche System der paritätischen Mitbestimmung zu unterminieren und die Arbeitnehmervertreter zu entmachten. Was daran nun „staatskapitalistisch“ sein soll, wissen wohl auch nur die Leitartikler, die sich diesen Quatsch ausgedacht haben.
Ob die Schweizer Initiative in diesem Punkt überhaupt dazu geeignet ist, „Abzockerei“ zu verhindern, sei überdies dahingestellt. In einer Hauptversammlung der Aktionäre haben schließlich nicht die Kleinaktionäre das Sagen, sondern die großen Anteilseigner und die Banken und Fonds, an die die allermeisten Kleinaktionären ihr Stimmrecht automatisch abtreten. Auch wenn es in deutschen Aktiengesellschaften zweifelsohne „Gehaltsexesse“ gibt, so gab es bislang nur einen einzigen Fall (HeidelbergCement), bei dem die Hauptversammlung sich gegen das vorgeschlagene Vergütungssystem ausgesprochen hat. Es ist daher auch nicht wahrscheinlich, dass sich in der Schweiz irgendetwas an der Höhe der Bezüge der Top-Manager ändern wird, wenn diese künftig von den Aktionären bestimmt werden.
Weg mit dem goldenen Handschlag
Löblich ist indes der zweite Themenbereich der „Abzockerintiative“. Demnach sollen künftig Sondervergütungen, wie Antrittszahlungen oder der goldene Handschlag, generell untersagt werden. Eine solche Regelung wäre für Deutschland wünschenswert, da in der Vergangenheit sowohl die Kapital- als auch die Arbeitnehmerseite des Öfteren auch exzessiven und unanständigen Abfindungen (z.B. in den Fällen Klaus Esser und Utz Claasen) zugestimmt haben. Der deutsche Corporate Governance Kodex sieht zwar vor, dass solche Abfindungen das doppelte Jahressalär nicht übersteigen sollen. Dieser Kodex ist jedoch nicht rechtlich bindend und wird in steter Regelmäßigkeit verletzt. Er ist nicht als Gesetz, sondern als Richtlinie zur freiwilligen Selbstkontrolle konzipiert. Wenn die FDP von der Schweizer Initiative denn wirklich derart begeistert sind, könnte sie ja in diesem Punkt „Zeichen setzen“ und zumindest die überaus laschen Regelungen des Corporate Governance Kodex ins deutsche Recht übernehmen. Aber davon hält die FDP freilich überhaupt nichts und zeigt dabei, um was es ihr eigentlich geht.
Die grundlegenden Probleme werden ignoriert
Dabei ist der Schweizer „Abzockerinitiative“ deutlich anzusehen, dass sie nicht aus einer linken Feder, sondern vom parteilosen Abgeordneten Thomas Minder stammt, der sich der Fraktion der rechtspopulistischen SVP angeschlossen hat. In der Initiative ist beispielswiese überhaupt nicht die Rede von einer Deckelung der erfolgsabhängigen Boni oder gar einer höheren Besteuerung von Top-Einkommen. Es geht nur darum, dass die Kapitalseite zu entscheiden hat, wer welche Boni und Top-Einkommen bezieht. Nach dem Schweizer Modell wären die Bezüge von VW-Chef Winterkorn (17,5 Millionen Euro) gar kein Problem, da die Kapitalseite sie schließlich genehmigt hat. Der Bonus von 80 Millionen Euro, den der Investmentbanker Christian Bittar von seinem Arbeitgeber Deutsche Bank erhalten hat, wäre durch die Initiative noch nicht einmal berührt, da Bittar in keinem der Organe der AG sitzt, sondern ein normaler Angestellter ist. Auch die vorbildliche Regelung der Sondervergütungen gilt nicht für normale Angestellte, sondern nur für die Mitglieder der Organe, also bei einer Schweizer AG dem Verwaltungsrat.
Das Problem der falschen Anreize durch Boni ignoriert die „Abzockerinitative“ damit vollkommen und bleibt damit weit hinter jüngst verabschiedeten EU-Initiative gegen Banker-Boni zurück. Dabei ist jedoch anzumerken, dass die EU-Initiative, die Boni verbietet, die höher sind als das Fixeinkommen, nur für die Finanzbranche gilt. Würde man diese Initiative auf alle Wirtschaftsbereiche ausdehnen, wäre dies ein richtiger und wichtiger Schritt nach vorn. Und dabei geht es weniger um die absolute Höhe der Bezüge, sondern vielmehr um fragwürdige Anreize, die durch die Boni geschaffen werden. Wenn sich die Boni auf kurzfristige Ziele, wie den Aktienkurs oder die Quartals- bzw. Jahresbilanz, beziehen, so widerspricht dies einer nachhaltigen und langfristigen Strategie, bei der oft kurz- und mittelfristig schlechtere Zahlen in Kauf genommen werden müssen.
Das Steuersystem als Universalwerkzeug
Wenn es um die Höhe der Bezüge geht, greift ohnehin nur das Steuersystem als wirkungsvolle Regulation. Sollte der Gesetzgeber beispielsweise der Ansicht sein, dass kein Manager mehr als 500.000 Euro pro Jahr verdienen solle, könnte er hier gleich doppelt ansetzen: Auf Seiten des Arbeitgebers könnte er eine Regelung verabschieden, nach der Managerbezüge von mehr als 500.000 Euro steuerlich nicht mehr als Ausgaben absetzbar sind. Dies hätte zweifelsohne einen Lenkungseffekt, da die hohen Gehälter dann direkt aus der Rendite der Aktionäre abfließen würden. Und selbstverständlich könnte der Gesetzgeber sich zusätzlich auch noch über die Einkommensteuer einen Großteil der Top-Gehälter zurückholen. Bei einem Spitzensteuersatz von 75%, wie er in Frankreich umgesetzt werden soll, würden drei Viertel der Gehaltssumme, die eine bestimmte Schwelle überschreitet, dem Fiskus zugeführt. Bei einer solchen Steuerquote wären exzessive Gehälter kein gesellschaftliches Problem mehr. Doch davon wollen weder die Schweizer noch die FDP etwas wissen.