Jetzt erlebt der konservative Demokrat Frank Schirrmacher die Aggressivität gezielter Manipulationen und Kampagnen
Seit Erscheinen seines Buches „Ego. Das Spiel des Lebens“ – hier die Rezension von Jens Berger – attackieren eine Reihe von Autoren und Medien – an vorderer Front Springers „Welt am Sonntag“ und „Die Welt“ – den Autor und seine Werke. Der Konservative Frank Schirrmacher erlebt jetzt, was Politikern und Autoren auf der eher linken Seite des politischen Spektrums tagaus tagein geschieht. – Jetzt hat sich die Kampagne bei Wikipedia niedergeschlagen. Dort wird nur auf negative Kritiken hingewiesen (siehe Anlage), obwohl es auch viele positive gibt. Der Autor muss sich jetzt auch mit einem Vorwurf herumschlagen, dem wir Macher der NachDenkSeiten wie auch ich als Buchautor ständig ausgesetzt sind: Wir seien Verschwörungstheoretiker. Dabei ist die Realität, wie wir täglich beweisen können, viel schlimmer, als sich das der fantasievollste Verschwörungstheoretiker ausdenken könnte. – Was jetzt mit Schirrmacher geschieht, scheint rätselhaft, ist es aber nicht. Albrecht Müller.
Warum ist die Kritik an Schirrmachers Buch so aggressiv:
- Schirrmachers These, Egoismus sei die Triebfeder der neoliberal geprägten Gesellschaften, entkleidet jene Sorte von Konservativen ihres hehren Anspruchs, die wahren Vertreter einer an Werten orientierten Ideologie und Politik zu sein.
Schirrmacher zeigt, dass ihr neoliberal eingefärbter Konservativismus eine Ideologie ohne Wertorientierung ist. Konservative ohne Werte – dieser berechtigte Vorwurf entzaubert die Noltes, Broders, Sloterdejks, Müller-Voggs, Joffes, etc.. Das kratzt an ihrem so oft und teuer gepflegten Image.
- Schirrmacher beschönigt die Lage unseres Landes und anderer Gesellschaften im Einflussbereich der neoliberalen Bewegung nicht. Im Gegenteil. Damit fällt das feine Gerede über Wertegemeinschaft, Freiheit und Demokratie wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Seine Kritiker erkennen die Gefahren und beschönigen. Eine Doppelseite im FOCUS vom 9.2.13 mit Kritikern an Schirrmachers Buch zeigt das. Sie beschönigen alle: Paul Nolte, der Historiker, spricht von einer Paradoxie: „Wir erleben einen Bedeutungsgewinn der Märkte, aber doch auch einen historisch einzigartigen Siegeszug der Moral, und das nicht zuletzt der Politik.“ Donnerwetter, wo lebt der Mensch Nolte? Hierzulande wohl kaum. – Der Autor Richard David Precht gesteht zwar zu, dass der Wettbewerb in der Arbeitswelt sich radikalisiere und das Burn-Out das Resultat sei. Aber es gebe eine Gegenbewegung: „Für viele ist es zum Lebensideal geworden, Zeit zu haben, mit den Kindern zu spielen, mit Freunden Kaffee zu trinken. So wird die Individualität gegen ein totalitäres Effizienzdenken verteidigt.“ Wow! – Und der berühmte Philosoph Sloterdijk aus Karlsruhe meint, der „Popanz Homo oeconomicus“ werde „allenthalben zu Grabe getragen“. „Die Zeit gehört längst wieder dem Nachdenken über Empathie, Kooperation, Philanthropie, Würde, Generosität, Bürgertugenden und die Regeneration von Vertrauen.“ Weil es so schön klingt, muss ich weiter zitieren: „Nur wer der Wahrheit Gewalt antäte, könnte behaupten, diese Sujets seien eine Domäne der Linken. Tatsächlich gehören sie alle auf die Tagesordnung der bürgerlichen Gesellschaft, seit diese sich von der Feudalkultur emanzipierte.“
Gesegnet sei die Politik, die solche Beschöniger als „Denker“ und „Intellektuelle“ ihr eigen nennt.
Schirrmacher gehört zu der zitierten bürgerlichen Gesellschaft. Aber er bestreitet, dass die von den Beschönigern genannten Werte lebendig und wirksam sind. Deshalb die aggressive Reaktion auf ihn.
Vom Kommunikationsleiter des Instituts der deutschen Wirtschaft kommt jetzt sogar der Vorwurf, Schirrmacher untergrabe die „Akzeptanz unserer Wirtschafts- und Sozialordnung“ … Dreister geht es nicht. Denn Schirrmachers Buch ist eindeutig die Reaktion eines Bürgerlichen auf die Finanz- und Eurokrise. Die Entmächtigung von Parlamenten und demokratischen Prozessen scheint der Auslöser gewesen zu sein. Er steht damit im bürgerlichen Lager keineswegs allein. Ich erinnere an die harte Kritik einiger Industrieller, angeführt vom damaligen Bosch-Chef Fehrenbach, an der undemokratischen und ineffizienten Vorherrschaft der Finanzwirtschaft. Mit seiner Kritik untergräbt Schirrmacher also vielleicht die Akzeptanz eben dieser pervertierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
Es gibt noch einen speziellen damit zusammenhängenden Grund für die Aggression:
- Die Finanzkrise hat gezeigt, dass das neoliberale Modell nicht funktioniert. Überall ist das inzwischen sichtbar. Aber den Vertretern dieser Ideologie ist es gelungen, mit Lobbyarbeit, mit PR und einem großen Propagandaaufwand den Eindruck zu erwecken, dass ihr Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell ohne Alternative ist. Jetzt kommt einer aus ihrem eigenen Lager und belegt, dass ihr ideologisches und propagandistisch erstelltes Gebäude ein Luftschloss ist.
Das tut Schirrmacher in dem jetzt attackierten Buch wie auch in früheren Essays. Das können seine rechtskonservativen Kritiker nicht dulden. Wer abspringt, wird niedergemacht. Das ist aus der Sicht dieser Ideologen konsequent. Denn die herrschende, sich konservativ nennende Ideologie des Wirtschaftsliberalismus lebt davon, dass man ihr die Kleider nicht vom Leib zieht. Der schöne Schein muss gewahrt bleiben. Schirrmacher ist aus ihrer Sicht ein Nestbeschmutzer, ein Spielverderber und Störenfried.
- Einige der Kritiker ärgern sich in besonderer Weise über den Gebrauch des Begriffs Monster für die Akteure der Finanzwirtschaft und Finanzmärkte und sie nennen Schirrmacher einen Verschwörungstheoretiker.
Der Begriff Monster ist nicht die Erfindung von Frank Schirrmacher. Schon Horst Köhler hat ihn in die bundesdeutsche Diskussion eingeführt und andere haben die Vorgänge auf den Finanzmärkten und in den Finanzcasinos so beschrieben. Monster ist ja fast schon ein liebevoller Begriff zur Kennzeichnung der kriminellen Akte, die wir beispielsweise bei der Verbriefung von wertlosen Hypothekenkrediten beobachten konnten. Schon 2007 beim Zusammenbruch der Industriekreditbank.
Hierzulande ist die Wirklichkeit noch viel schlimmer, als Autor Schirrmacher dies beschrieb.
Ein erster gerade aktueller Beleg: Das „Monster“ hat eine Dauerkarte zum Zugang ins Kanzleramt. Das ergab die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, worüber das Handelsblatt am 20. Februar 2013 berichtete: „Mehr als instinktlos. Wirbel um Merkels enge Banker-Kontakte“.
Und ein zweiter aktueller Beleg: Am 26. Februar lief auf ARTE ein Film von Harald Schumann. Sein Kern: Mit den Milliarden der Steuerzahler wurden nicht die Bürger Irlands oder Spaniens oder Griechenlands gerettet, sondern die Monster der Finanzwirtschaft, Banken und Finanzdienstleister. Wir haben schon mehrmals darauf hingewiesen, unter anderem hier: Kollektiver Wahn …
Dieses und vieles mehr einschließlich der Bonuszahlungen von Banken, deren Gewinne gar nicht existieren, hätte der Staat und wir als Steuerzahler nicht ausgeholfen mit Milliarden, sind Belege dafür, dass die Wirklichkeit um vieles schlimmer ist, als sich die gescholtenen so genannten Verschwörungstheoretiker dies ausdenken können.
Eine weitere, eher persönliche Erklärung für die Aggressivität des Umgangs mit Schirrmachers neuem Buch:
- Die Macher der Springermedien um „Die Welt“ und „Welt am Sonntag“ neiden dem FAZ Herausgeber Schirrmacher die gelungene Öffnung der FAZ/FAS hin zu Autoren aus dem nicht-konservativen Lager. Sie neiden der Frankfurter Allgemeinen die Pluralität und Liberalität, die damit verbunden ist. Und sie führen hilfsweise ihre Angriffe auch mit dem Versuch, der FAZ das bürgerliche und konservative Image abzustreiten und so auch Leser abspenstig zu machen.
Die Frankfurter Allgemeine hat Texte von und Interviews mit Habermas, Bofinger, Hudson, Wagenknecht, Lafontaine und vielen anderen abgedruckt. Das sind Autoren, die gemeinhin nicht dem konservativen Lager zuzurechnen sind. Das hat der öffentlichen Debatte genutzt. Hat es dem Image und dem Erfolg der Frankfurter Allgemeinen geschadet?
Unter Nachdenkseitenlesern und meinen sonstigen Freunden gibt es einige, die gefragt haben und fragen, ob Schirrmacher die Öffnung zur Imageerweiterung seines Blattes betrieben habe. Das kann sein, habe ich dann in der Regel geantwortet. Aber schadet das dem Fortschritt und der Demokratie?
Das Schirrmacher Buch „Ego. Das Spiel des Lebens“ hat Schwächen. Aber es hat eine zu beachtende Stärke. Es ist ein Debattenbuch und hat im Sinne dieses Anspruchs schon in wenigen Tagen die Debatte über die Werte und Leitlinien der „marktkonformen Demokratie“ à la Merkel in Schwung gebracht.
Anlage:
Auszug aus Wikipedia Original vom 3.3.2013 08:57
Kritiken
Schirrmachers Buch wurde schon vor dem offiziellen Erscheinungstermin von zahlreichen – deutschsprachigen – Medien kommentiert. Im Magazin Focus etwa äußerten sich Rüdiger Safranski, Peter Sloterdijk, Richard David Precht und Henryk M. Broder teils zu Verschwörungstheorien rund um den Homo oeconomicus, teils zu vereinzelten Gegenbewegungen aus „Empathie, Philanthropie, der Würde und den wieder erstarkenden Bürgertugenden“. Josef Joffe, der Herausgeber der „Zeit“, kritisiert beispielsweise:
- die These, dass brutaler Egoismus herrscht, dass die Gedankenmodelle der Ökonomie alle anderen Sozialwissenschaften erobert hätten, sei schon seit Jahren durch die Verhaltensökonomie widerlegt worden, vorher hätten schon Keynes und Herbert Simon an dieser Annahme gerüttelt.
- der “homo oeconomicus” sei nicht im 20. Jahrhundert von den Chicago Boys, sondern von den Liberalen des 18. und 19. Jahrhunderts erfunden worden.
- Game Theory (Spieltheorie) sei mit Operations Research verwechselt worden. Spieltheorie sei keine Anleitung zum Krieg.
- Zu der Aussage, dass die Teams der Rand Corporation, die sich während des Kalten Krieges mit Operations Research beschäftigten, später neue Jobs finden mussten und sich mit der Automatisierung von Märkten beschäftigten, sagt Joffe, dass diese Experten für Geldgeschäfte kein Talent hatten und daher keinen Einfluss auf die Handelssäle ausüben konnten.
Cornelius Tittel vergleicht Schirrmacher in der Welt mit einem plakattragenden Verschwörungstheoretiker und konstatiert “dass fast keine der Grundannahmen stimmt, mit denen Frank Schirrmacher operiert”.
Soweit Wikipedia.
Die eher positiven Kritiken, z.B. von Thomas Assheuer in der „Zeit“, von Ulrich Beck in der „Welt“ und Andreas Zielcke in der Süddeutschen Zeitung, werden nicht erwähnt.