Kurz und bündig – Argumente gegen Studiengebühren. Und die SPD steht zu ihrem Nein!
Von Claus Wichmann, Bürgerbüro Claus Wichmann, MdL, Bergheimer Strasse 88, 69115 Heidelberg, Tel. 06221 – 650265m, Fax 06221 – 650266, E-Mail: [email protected]
- Studiengebühren sind ein weiterer Schritt zur Verschiebung steuerfinanzierter Daseinsvorsorge auf die Schultern der privaten Haushalte!
Anstatt den Hochschulen als Zukunft sichernde Bildungseinrichtungen dieser Bedeutung entsprechend staatlich zu finanzieren, werden sie künftig zu einem guten Teil ihre Mittel über Gebühren, also aus den privaten Haushalten holen müssen. In den historisch anderes fundierten Stiftungs- und Mäzenatemkulturen der angloamerikanischen Hochschulsysteme liegen dafür andere Voraussetzungen vor. Bei uns hat ein solches Entstaatlichungsprogramm keine Perspektive, weil der leistungsfähige und leistungswillige private Gegenpol fehlt. Der Aufbau solcher Strukturen, hat, am Beispiel der amerikanischen Stanford University über 30 Jahre gedauert. In den unionsregierten Ländern sollen nun Fakten geschaffen werden, die Lasten einseitig auf die Schultern der Studenten verschieben, ohne Unterbau und gesellschaftliche Anreizsysteme.
- Studiengebühren (auch nachlaufende) sind familienfeindlich!
Zwischen 65.000 und 90.000 Euro wird nach einer aktuellen Berechnung der staatlichen KfW-Bankengruppe die Kreditsumme liegen, die bei einem darlehensfinanzierten 10-semestrigen Studium am Ende aufgelaufen ist. Selbst wenn sich (heute und auf absehbare Zeit die Ausnahme!) unmittelbar eine angemessen dotierte Anstellung anschließt, wird die Rückzahlungs-Pflicht Familiengründung behindern oder gar verhindern. Schon heute sind auch die sogenannten Besserverdienenden enorm belastet, wenn sie den Lebensunterhalt ihrer Kinder über Jahre hinweg im Studium finanzieren. Bei mehreren in Ausbildung befindlicher Kinder an der Belastungsgrenze. Die neben dem Lebensunterhalt zu erbringenden Kosten für Studienmaterial sind noch nicht hinzu gerechnet.
- Studiengebühren (auch nachlaufende) sind kinderfeindlich!
Wird die Lebenssituation von Hochschulabsolventinnen und –Absolventen zusätzlich durch hohe Rückzahlungspflichten belastet, wird der Kinderwunsch noch weiter und vielleicht endgültig zurückgestellt. Es ist paradox und unredlich, einerseits die überproportionale Kinderlosigkeit von Akademikerinnen zu beklagen, andererseits aber mit Studiengebühren dafür zu sorgen, dass sich ihre materielle Situation zusätzlich verschlechtert.
- Die „Studiengebühren ja – aber sozial verträglich”- Position ist Propaganda, weil sie durch die angekündigten Gebührenmodelle nicht eingelöst werden!
Wenn Kinder aus einkommensschwächeren oder kinderreicheren Familien im Gegensatz zu situierten Kindern ihr Berufsleben nach dem Studium mit einem Schuldenberg beginnen, dann sind nachlaufende Studiengebühren nicht sozial verträglich, sondern diskriminierend und schädlich. Die in der Schule bereits angelegte soziale Auslese in bezug auf Bildungsbeteiligung wird durch Studiengebühren ins Erwachsenenleben hinein fortgesetzt. Sozial verträglich sind Studiengebühren also lediglich für wohlhabende Familien und auch hier wie oben beschrieben nur „relativ“ verträglich.
- Billige und teure Studiengänge (nach dem Modell Koch) führen erst recht zurück zur Ständegesellschaft des Mittelalters!
Es gibt, mit wenigen Ausnahmen, einen direkten Zusammenhang zwischen der Höhe der Kosten eines Studiengangs und der Höhe der späteren Einkommenserwartung (Beispiele: die Philologien als ‚billige’ Buchwissenschaften, die Medizin als ‚teure’ Apparatewissenschaft, mit den jeweils entsprechenden Einkommenshöhen). Wohlhabende Elternhäuser können ihren Kindern teure Studiengänge ohne anschließende Darlehensschuld ermöglichen – die gehobenen Stände können sich wieder aus sich selbst rekrutieren, denn die Konkurrenz ‚von unten’ wurde mit Studiengebühren erfolgreich ferngehalten. Eine Situation, die eine durchlässige, plurale und aufstiegsorientierte gesellschaftliche Dynamik erstickt und das ehemalige Erfolgsmodell der Bundesrepublik, Aufstieg durch Bildung und Partizipation aushebelt. Volkswirtschaftlich werden dadurch die Produktivitätsfortschritte und steigende Wertschöpfung des Einzelnen im Generationenwechsel blockiert. Der Grundstrickfehler unseres Bildungssystems, einerseits der irrige naturalistische Begabungsglaube (von Haus aus mehr oder weniger begabt) und an einer nach wie vor an den Strukturen der Industriegesellschaft ausgerichteten Bildungsstruktur, die aus der Zeit des Drei-Klassen-Wahlrechts stammt – Menschen die Maschinen bedienen, Menschen die Maschinen warten und Menschen die Maschinen erfinden – werden ideologisch mit neuen Etiketten versehen und ins 21. Jahrhundert gerettet. Neuseeland und Australien importieren Mediziner, die Geisteswissenschaften veröden, der Frauenanteil unter den Studierenden geht zurück.
- Studiengebühren bringen ein zusätzliches finanzielles Risiko in die Lebensplanung und drängen Kinder aus ärmeren Bevölkerungsschichten in die ‚billigeren’ Fachhochschulen und Berufsakademien!
Obwohl Intelligenz und Begabung sich gemeinhin gleichmäßig verteilen über die Bevölkerungsschichten (!), ist die Studienfachwahl schon heute sehr stark von der sozialen Herkunft geprägt (siehe z. B. etwa die 17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, S. 138 ff.). Studiengebühren würden diese Tendenz noch einmal verstärken. Das „downsizing“ großer Universitäten entzieht der kritischen Masse, die groß genug sein muss, damit aus guten Leistungen hervorragende Ergebnisse entstehen können den Boden.
- Studiengebühren (auch nachlaufende) verhindern die notwendige höhere Bildungsbeteiligung und damit unsere Zukunftschancen
Die Gewissheit einer späteren Darlehenshypothek mit Rückzahlungspflichten ab einem bestimmten Einkommen wird sich bei unteren und mittleren Einkommensverhältnissen und Mehrkinder-Familien auf Studien- und Studienfachentscheidungen auswirken. Im OECD-Vergleich liegen wir mit der Quote der Akademiker im hinteren Feld. Angesichts sinkender Kinderzahlen müssen wir breitere Schichten für einen Hochschulabschluss gewinnen. Die Potentiale bei den Kindern aus höheren Einkommensschichten sind jedoch ausgeschöpft.
- Die „500 Euro-pro- Semester-Studiengebühren“ ist nur die Einstiegsdosis im Gebührenrausch der Droge „Privater Geldbeutel!“
Frankenberg nennt 500 Euro pro Semester und spekuliert mit auf den Anschein der Zumutbarkeit. Gleichzeitig spricht er von Einstieg und je nach Studiengang unterschiedlichen Gebühren. Auch von anderer Seite sind bereits andere Zahlen auf dem Markt:
1.000 Euro, Prof. Gaethgens, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, der im November 2004 schon mal von 3000 Euro als gesetzlicher Obergrenze sprach
1.000 – 1.500 Euro, Prof. Straubhaar, Präsident des Weltwirtschaftsarchivs in Hamburg
2.500 Euro, Klaus Zimmermann, Chef des Dt. Instituts für Wirtschaftsforschung
4.000 Euro, Gesellschaft Deutscher Naturforscher und ÄrzteAls 1989 in Australien Studiengebühren eingeführt wurden, lagen sie bei 250 Aus $ pro Semester. Inzwischen liegen sie zwischen 3.600 und 6.000 Aus $.
- Studiengebühren (auch nachlaufende) benachteiligen Kindern aus mittleren und unteren Einkommensschichten im Bildungsstreben und damit am sozialen Aufstieg!
Zu den bisherigen Aussonderungskriterien in Kindergarten, Übergang zur weiterführenden Schule, Übergang in die Oberstufe des Gymnasiums und Studienentscheidung mit längerem fehlenden Einkommen oder Job zur Studienfinanzierung kommt nun noch der Kredit für Studiengebühren. Wohlhabende Familien sind in der Lage, ihren Kindern Studiengebühren und Lebensunterhalt zu finanzieren und Darlehensschulden zu vermeiden. Mittlere und untere Einkommensschichten werden die Darlehenslast ihren Kindern nicht zumuten wollen und entscheiden sich angesichts von Studiengebühren und Darlehensschuld noch zahlreicher gegen ein Hochschulstudium.
- Studiengebühren bleiben nicht in den Hochschulen!
Es gibt kein Studiengebühren-Land auf dieser Erde, in dem das Aufkommen tatsächlich ungeschmälert in den Hochschulen verbleibt. In der Realität werden die Studiengebühren über kurz oder lang mit einer Kürzung der Staatszuschüsse verrechnet. Das Studiengebührenmodell von Frankenberg, ist eine verdeckte Kreditaufnahme zu Lasten der Studierenden, deren Erlöse über Gebühren im Einstiegsmodell schon heute unter den Kürzungen liegen, die über Solidarpakt, Globale Minderausgabe und sinkende Investitionsmittel den Hochschulen vorenthalten werden. Minister Frankenberg kann mit seinem Studiengebühren-Versprechen an die Hochschulen erst dann ernst genommen werden, wenn er gemeinsam mit dem Finanzminister eine Garantieverpflichtung eingeht, die den Staatszuschuss für die nächsten zehn Jahre festschreibt, zuzüglich der Inflationsrate, zuzüglich einer Investitionsmittelsicherheit, die den vom Landesrechnungshof beklagten Verfall der Hochschulen stoppt. Auf eine solche verbindliche Garantie aber wird sich kein Finanzminister einlassen. Die Erfahrungen mit den Langzeitstudiengebühren belegen dies. Einerseits wurde öffentlich versprochen, die Gebühren kämen voll den Hochschulen zugute, andererseits mussten diese allein über Globale Minderausgaben die dreifache Summe bluten.
Die Zusicherung der Gebührenerlöse an die Hochschulen ist für die Studiengebührenbefürworter aus strategischen Gründen unvermeidlich. Denn nur mit der Aussicht auf hohe zusätzliche Finanzbeiträge lässt sich die verbreitete prinzipielle Studiengebühren-Kritik an den Hochschulen eindämmen. Verwaltungskosten und Aufbau einer Kontrollbürokratie sind das wahre Gesicht, derjenigen, die immerfort für Vereinfachung des Steuerrechts und Absenkung der Steuerquote plädieren, gleichzeitig aber ungeniert über immer neue Gebühren und Abgabenmodelle die soziale Schere in der Bevölkerung weiter auseinander gehen lassen und Partizipation nur denjenigen zugestehen, die es sich leisten können. - Nachlaufende Studiengebühren verursachen einen riesigen Bürokratieschub mit unabsehbaren Kosten!
Studiengebühren-Darlehen, die nach erfolgreichem Studium und ab einem bestimmten Einkommen rückzahlbar werden, verlangen eine umfangreiche Nachforschungs-Bürokratie. Sie wird umso größer, je unübersichtlicher die Berufsbiographien werden, d. h. je häufiger sich die Wechsel zwischen Arbeitslosigkeit, Volltätigkeit, Part-time-jobs, Auslandstätigkeiten etc. vollziehen. Diese Kosten werden in den gegenwärtig gehandelten Studiengebühren-Modellen nicht berücksichtigt. Die Flucht motivierter studierwilliger ins Ausland wird weiter zunehmen.
- Nachlaufende Studiengebühren verursachen ein hohes Ausfall- und Zins-Risiko!
Je unsicherer und je instabiler Beschäftigungsverhältnisse in der globalisierten Wirtschaft werden, desto größer werden die Rückzahlungsrisiken und desto teurer die Gewährleistungen dafür. Der jüngste Coup von Noch-Ministerpräsident Teufel und Wissenschaftsminister Frankenberg, verkündet auf einer PK am 1. 2. 2005: die Hochschulen sollen es sein, die den Banken die Risiken abnehmen, indem sie Ausfallfonds finanzieren müssen.
- Studiengebühren sind nicht deshalb gerecht, weil die Eltern von Kindergartenkindern hohe Gebühren zahlen müssen und Studierende nicht – Es gibt keine Gleichheit im Unrecht!
Gerade, weil die Frühbetreuung und die Kindergartenzeit immer mehr als prägende Phase für Bildungsteilhabe in den Blick rückt, muss ihre Freistellung von Gebühren das Ziel sein und nicht das Abfinden mit einem als falsch erkannten Zustand. Es hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun (aber viel mit gedanklicher Inkonsequenz), wenn die zweite Brücke ans andere Ufer auch noch angezündet wird, nur weil die erste bereits brennt!
Besonders unglaubwürdig wird die Argumentationskette, wenn für die Einführung von Studiengebühren von der Ba-Wü Landesregierung ins Feld geführt, dass die steuerfinanzierte Hochschule auch über die Abgaben der Putzfrau finanziert wird und deshalb Gebühren zu rechtfertigen sind, in Anbetracht der Tatsache, dass gleichzeitig ein 42-jähriger Staatsminister a.D., zuzüglich zu den Entschädigungen aus seinem Landtagsmandat bis zum Erreichen des Pensionsalters schon 1,5 Mio € an Pensionsleistungen aus Steuermitteln erhält.
- Studiengebühren werden nicht dadurch gerecht, weil Menschen mit Hochschulabschluss (im Durchschnitt) überdurchschnittliche Einkommen erzielen!
Es dürfte schwerfallen, einen zwingenden Kausalzusammenhang herzustellen zwischen Hochschulausbildung und überdurchschnittlichem Einkommen (ein Geselle im Handwerk liegt oftmals besser als der zehn Jahre ältere Magister der Anglistik mit Nebenfach Philosophie und einer befristeten Stelle in einem Verlag). In den Krankenhäusern zeigen sich die ersten Auswirkungen eines drohenden Ärztemangels, der durchschnittliche Lohnabstand zwischen Akademiker und Nichtakademiker ist in der BRD am geringsten. Studierte Sozialarbeiter erhalten nur befristete Verträge, die Arbeitslosigkeit bei Akademikern hat sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt, die Lohnzuwächse stagnieren, Kaufkraft ist rückläufig, die Ungleichverteilung von Einkommen durch Arbeit und Einkommen durch Vermögen nimmt unaufhörlich zu.
Trotzdem: Wenn man das Nutzenargument einführt, dann wären als erste die Konzerne und Nutznießer der hoch und höchstqualifizierten Arbeitnehmer gefragt, z. B. Siemens, die seit Jahren kaum mehr Steuern zahlen, Forschung, Entwicklung, Produktion und Vertrieb aber auf Qualifikationen stützen, die sie trotz fehlender Steuerzahlungen inkl. Infrastruktur gestellt bekommen, ohne einen Anteil zu leisten.
- Stipendienmodelle fehlen gänzlich und auf unabsehbare Zeit!
Es gibt in Deutschland nur eine verschwindend kleine Zahl von Stipendiengebern zur Studienfinanzierung, die überdies auch noch weltanschaulich/parteipolitisch ausgerichtet sind. Die Absicht, über Stipendiengeber Studiengebühren zu finanzieren und daraus wiederum die Hochschulen, hat für potentielle Stipendiengeber keinen Reiz.
- Demokratisierung der Hochschule über verstärkte Partizipation – Kundenbeziehung zwischen Studenten und Hochschule über Gebühren herzustellen ist Unfug!
Genauso wenig wie man zum Auto wird, wenn man in der Garage steht, genau so wenig wird man zum Kunden der Universität, wenn man Studiengebühren bezahlt. Soziale Auslese und Ausgrenzung, wie mehrfach beschrieben erhöhen weder den Anteil der Studierenden, noch bilden sie den fruchtbaren Humus für Innovation, ganz im Gegenteil, sie gefährden den sozialen Konsens in der Gesellschaft. Gebühren für das Studium zu erheben, macht (Wenn überhaupt) nur dann einen Sinn, wenn eine öffentlich finanzierte Grundalimentation der Studierenden über den zu entrichtenden Gebühren liegt. Eine Kundenbeziehung setzt auch Rechte und Beteiligung der Studenten voraus. Das pateranalistische Modell der zentralistischen Steuerung durch das Wissenschaftsministerium Baden-Württembergs, wie jetzt mit der Landeshochschulgesetznovelle verabschiedet, lässt den Hochschulen einen ähnlich freien Entscheidungsspielraum, wie den „Volkseigenen Betrieben“ der DDR. Mit echter Autonomie hat das nichts zu tun. Darüber hinaus ist die Beziehung zwischen Professoren und Studierenden keine paritätische Angebots- und Nachfragebeziehung. Professoren bzw. die Institution, die sie verkörpern, vergeben nach Examensprozeduren, die für alle möglichen subjektiven Einflüsse anfällig sind, akademische Grade. Wer hier erfolgreich sein will, tritt eben nicht widersprechend und fordernd und selbstbewusst, eben als Kunde auf. Es ist und bleibt eine hierarchische Beziehung, die den Studierenden qua definitionem die ‘schlechtere’ Position lässt.